Jordan B. Peterson und die kulturelle Evolution

Hier (Link) geht es zu meiner Einführung zu dieser kurzen Serie zu Jordan B. Peterson und der evangelikalen Bewegung.

Es gibt zwei grundlegende Ideen oder Ideologien, welche die Weltanschauung von Jordan B. Peterson ausmachen. Eine Weltanschauung ist die Brille, durch welche ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen die Welt anschauen und alles, was sie erkennen, lernen, erfahren, wird durch diese Weltanschauung interpretiert. Die zwei Konstanten, welche die Weltanschauung von Peterson ausmachen, sind der Darwinismus und die Archetypen-Lehre von Carl Gustav Jung. Peterson ist ja selbst ein klinischer Psychologe und lehrt nebenher inzwischen an verschiedenen Universitäten, und viele hunderte von Stunden seiner Vorlesungen und Diskussionen finden sich auf YouTube. Das große Problem von Peterson und uns Evangelikalen ist, dass er und viele von uns trotz so unterschiedlicher Weltanschauung zu ähnlichen Meinungen kommt. Das ist gut und schlecht zugleich. Es ist gut, weil es zeigt, dass man auf unterschiedliche Wege zum selben Resultat kommen kann, aber es ist schlecht, wenn wir seine Argumente ungeprüft übernehmen, die auf einer Weltanschauung aufgebaut sind, die unserer Weltanschauung total konträr entgegen steht. Im heutigen Blogpost möchte ich die erste Prämisse der Weltanschauung von Jordan B. Peterson auseinandernehmen, die biologische und kulturelle Evolution, und im nächsten Beitrag wird es um die Archetypen-Lehre und sein Verhältnis zur Religion und besonders zum Christentum gehen.

Peterson baut sein ganzes Weltbild auf dem Darwinismus auf. Es ist für ihn natürlich total legitim, dies zu tun. Da er allerdings öffentlich lehrt, müssen seine Vorträge natürlich auch öffentlich geprüft und besprochen werden. Was der Umfang des Darwinismus ist, darüber gibt es ein ganz breites Spektrum von Meinungen. Grundsätzlich lehnen die meisten Spielarten des Darwinismus ein übernatürliches Eingreifen in die Entwicklung ab. Man kann die zwei Dogmen des Darwinismus mit den Begriffen Mutation und Selektion stark vereinfacht zusammenfassen. Da ich an dieser Stelle nicht vorhabe, ein Buch zu schreiben, möge mir der Leser die Vereinfachung verzeihen. Ich bin mir bewusst, dass man dazu noch viel mehr schreiben könnte oder gar sollte. Mutation und Selektion bedeutet: Das Leben möchte möglichst stabil sein. Es haben sich Mechanismen entwickelt, die einer möglichst langen Reihenfolge von Ahnen ein unverändert bestmögliches (Über-)Leben ermöglichen wollen. Ressourcenknappheit führt zur Auslöschung der schwächeren Arten, während die besser an die Umwelt und deren Veränderungen angepassten Arten überleben.

Und hier stellt sich eine grundlegende Frage: Wie sieht es beim Menschen aus? Ist seine Kultur, seine Vernunft, sein Bewusstsein, seine Fähigkeit zum Planen und Vorbereiten, Prüfen und intellektuellen Lernen ein Teil der Evolution im positiven oder im negativen Sinne? Anders gefragt: Sind diese Fähigkeiten etwas, womit der Mensch seine biologische Herkunft (wenn man davon ausgehen will) fortsetzt oder überwindet? Der britische Biologe Richard Dawkins vertrat in seinem ersten Buch „Das egoistische Gen“ zum Beispiel die Meinung, dass der Mensch durch die kulturelle Evolution der „Meme“ (er erfand den Begriff des Mems analog zum Gen als Informationseinheit, die durch Lernen von Generation zu Generation weitergegeben wird) seine biologisch vererbten Instinkte hinterfragen und überwinden kann. Er meinte, dass es an der Zeit sei, die veralteten Ideen der Religionen hinter sich zu lassen und die Welt zu erlösen, indem alle aufeinander Rücksicht nehmen. Peterson hingegen – obwohl er eigentlich von einem sehr ähnlichen Modell der Welterklärung ausgeht – begründet gerade die Hierarchien und patriarchale Strukturen mit der kulturellen Evolution oder anders gesagt mit seinem Sozialdarwinismus.

Peterson argumentiert, dass die Strukturen der menschlichen Gesellschaft nach all den vielen Millionen Jahren der Entwicklung so verdrahtet seien, dass der Mensch nur in den alten Hierarchien denken, leben und Ordnung schaffen kann. Wenn man diese Ordnung auflöse, so entstehe dadurch Chaos. Dawkins und Peterson – zwei Vertreter eines kulturellen Darwinismus – kommen zu so gegensätzlichen Schlüssen. Wie kann das sein und wie gehen wir damit um?

Ich bin überzeugt, dass beide Menschen, Dawkins und Peterson, mit bestem Wissen und Gewissen gelernt, geforscht, nachgedacht und geschrieben haben. Beide gehen von den selben Quellen und Ideen aus. Doch beide haben unterschiedliche Biographien und ganz verschiedene Erfahrungen in ihrem Leben. Dawkins hat viele Probleme mit Vertretern von Kirchen und Gemeinden (und ja, ich kann ihm das nachfühlen und verstehe seine Verbitterung ein Stück weit), er macht mit friedfertigen Agnostikern und Atheisten bessere Erfahrungen (das ist ebenfalls ein Stück weit nachvollziehbar), deshalb glaubt er an eine Erlösung dieser Welt durch den Fortschritt und die Abschaffung der alten Religionen. Peterson hingegen bekommt auf seine Couch vor allem die Menschen, welche ein Leben voll Chaos haben und hilft ihnen, Struktur in ihr Leben zu bringen, indem er ihnen die Welt vereinfacht und sie lehrt, ihren Platz in einem einfachen Leben von klaren Gegensätzen und einer klaren Ordnung zu finden. Dawkins ist somit eher progressiv, Peterson eher konservativ.

Dieser letzte Gedankengang führt uns zur nächsten Frage: Was will Peterson erhalten oder konservieren? Das sagt er so nicht wirklich. Ich bezweifle überdies, dass er sich tatsächlich bewusst ist, was er konservieren will. Man kann es nur aus dem gesamten Buch heraus zu destillieren versuchen, und ich bin nach einigem Nachdenken und dem mehrfachen Lesen einiger Absätze zum Schluss gekommen, dass Peterson versucht, das Ideal der oberen bürgerlichen Mittelschicht von Amerika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederherzustellen. Er möchte einen liberalen (freiheitlichen), aufgeklärten und autonomen Menschen, der an klare Unterscheidung von Gut und Böse glaubt und der bereit ist, für diese Freiheit zu kämpfen. Für ihn ist das 20. und 21. Jahrhundert ein einziges Trauerspiel, das es zu überwinden gilt, indem man auf die Ideale, Werte und Tugenden der Zeit davor zurückgreift. Man sollte dabei nicht vergessen, dass dieses Ideal genauso widersprüchlich ist wie der nietzscheanische Übermensch oder der freie Bürger des kommunistischen Weltstaats. Entweder der Mensch ist frei und autonom, das heißt, er ist sich selbst Gesetz, und damit sind Gut und Böse, Richtig und Falsch, Tugend und Untugend aufgelöst, oder er ist dem Urteil eines Höheren unterworfen, der ihm die Werte und Tugenden vorschreibt. In diesem Spannungsfeld von Autonomie und universellen Werten lebt der Mensch schon seit Jahrtausenden. Das Buch der Richter in der Bibel lässt grüßen.

An dieser Stelle müssen wir evangelikalen Christen uns die Frage gefallen lassen: Was ist unser Ideal? Leider haben sich viele von uns auch auf die „guten alten Zeiten“ des bürgerlichen Lebens im 19. Jahrhundert eingeschossen. Viele von uns versuchen, so gut wie möglich nach der Bibel zu leben, aber unsere heutige Vorstellung davon, wie das im täglichen Leben aussehen soll, wurde erst vor etwa 150 Jahren geprägt. Es war die Zeit, in welcher der Wohlstand zunahm, die negativen Folgen der Industrialisierung durch die positiven Folgen wieder wett gemacht wurden, und die Übergänge zwischen den Gesellschaftsschichten immer durchlässiger wurden. Das Ziel der Familien war, mal in der oberen Mittelschicht anzukommen, dort, wo ein Einkommen für die ganze Kleinfamilie ausgereicht hat. Die Hausfrau und Mutter, die sich um die drei „K“ (Kinder, Küche, Kirche) kümmerte, war das Ideal. Wer als Familie dort ankam, hatte es geschafft, in der oberen Mittelschicht anzukommen, und dieses Ideal treibt auch heute noch viele in unserer Bewegung an. Ob dieses Ideal, das in der Bibel nirgends vorkommt, tatsächlich so biblisch ist, das sollte sich jeder Leser selbst fragen.

Zwischendurch versucht sich Peterson auch mal in frauenverachtenden Formulierungen, von denen sich jeder Nachfolger Jesu sogleich distanzieren sollte. Jesus war ein Freund der Frauen, der die Vorstellungen der damaligen Kultur deutlich in Schranken wies. Wenn nun Peterson mit Hilfe von Yin und Yang versucht, die gute Ordnung mit dem Männlichen und das böse Chaos mit dem Weiblichen zu verknüpfen, dann haben wir ein Problem. Leider ist auch in der christlichen Subkultur oft eine Angst vor der Frauenbewegung und dem Feminismus da, die zuweilen ähnliche Blüten tragen. Da müssten alle Alarmglocken schrillen. Einerseits wirbt Peterson dafür, dass man sich nicht dem totalitären Stolz hingeben solle, der Unterdrückung hervorbringen würde, aber zugleich schafft er Argumente, mit welchen diese dann wiederum gerechtfertigt werden kann. Dieser Spagat ist typisch für Peterson und findet sich an vielen Stellen im Buch.

Was sollen wir als Evangelikale also mit Peterson machen? Zunächst einmal müssen wir uns fragen und uns darüber klar werden, was unser Ideal ist. Als Christen wissen wir, dass wir in Gottes Bild geschaffen wurden. Hier fängt unsere Weltanschauung an: Wir sind von Gott erschaffen, haben durch Ihn unendlich großen Wert, haben die Erlösung, sind teuer erkauft durch das Blut Jesu Christi, der an unserer Stelle für unsere Schuld und Sünde am Kreuz gestorben ist und uns durch Glauben allein Seine Gerechtigkeit überträgt. Unser Ideal ist nicht im 19. Jahrhundert. Unser Ideal ist Jesus Christus, und ER gibt uns enorm viel Freiheit. Er macht uns wirklich und wahrhaftig frei, damit wir – statt uns um uns selbst herum zu kreisen – unseren Mitmenschen dienen können und sie mit der Wahrheit von Jesus Christus konfrontieren. Wir dürfen für Jordan B. Peterson beten und dürfen uns von ihm zum Nachdenken bringen lassen. Wenn wir aber keine besseren Argumente haben als jene eines sozialdarwinistischen Jungianers, dann müssen wir uns ernsthaft prüfen, ob unsere Sichtweise nicht doch von einem falschen Ideal kontaminiert ist.

Jenseits des Glaubens – Ein Interview mit Bradley Monton

Dieses Interview mit Bradley Monton ist zuerst im amerikanischen Salvo Magazin in der Ausgabe 26 vom Herbst 2013 erschienen. Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers zum Übersetzen und  Veröffentlichen des vollständigen Interviews. An dieser Stelle herzlichen Dank an meinen Vater Beat Erne, der mir bei der Übersetzung dieses wissenschaftlich anspruchsvollen Interviews viele gute Tipps geben konnte. This interview was first published in Salvo Magazine, copyright 2013, by Salvo Magazine (Supplement to Issue 26, Fall 2013), available at: http://www.salvomag.com/new/mag/salvo26-supplement.php

Jenseits des Glaubens (oder des Fehlens desselben)

Der Wissenschaftsphilosoph Bradley Monton lässt den Atheismus hinter sich, um Intelligent Design objektiv zu beurteilen.
Man muss nicht an Gott glauben, um den Wert des Intelligent Design anzuerkennen. Der Philosophieprofessor der Universität von Colorado ist ein typisches Beispiel. In seinem Buch „Seeking God in Science: An Atheist Defends Intelligent Design“ („In der Wissenschaft nach Gott suchen: Ein Atheist verteidigt Intelligent Design“) erklärt Monton, warum er denkt, dass die Hypothese Wert habe, obwohl er der Überzeugung sei, dass deren Schlussfolgerungen letzten Endes falsch seien. Hier tut er dasselbe, bevor er erklärt, welche Art einer wissenschaftlichen Entdeckung es bräuchte, damit er seinen Skeptizismus endlich aufgeben und die Existenz eines Schöpfers annehmen würde – ein Durchbruch, den er tatsächlich begrüßen würde, und sei es nur, damit die langjährige Ungewissheit beendet würde, die den Ursprung des Lebens umgibt.
Was führt Sie dazu, Intelligent Design (ID) ernst zu nehmen?
ID-Erforschungen sind Teil einer langen Tradition in der Philosophie, die Natürliche Theologie genannt wird – die Suche in der natürlichen Welt nach Hinweisen für die Existenz Gottes. Intelligent Design hat auf den ersten Blick den Stellenwert dieser langen philosophischen und wissenschaftlichen Tradition. Das ist ein Grund, weshalb ich denke, dass ID ernst genommen werden soll. Zum anderen ist es so, dass ich die Argumente der ID-Gegner zu sehr emotionsgeladen finde und intellektuell nicht so stabil wie man es sich wünschen würde. Mich nerven meine Mit-Atheisten, die schlechte Argumente gegen Intelligent Design präsentieren und dann von allen erwarten, dass sie glauben, sie hätten die Debatte aufgelöst mit diesen schlechten Argumenten.
Warum, was denken Sie, dass manche Wissenschaftler es ablehnen, Intelligent Design ernst zu nehmen?
Das ist eine schwierige Frage, denn es ist eine Angelegenheit der menschlichen Psychologie und Soziologie. Aber ich würde sagen, dass manche Atheisten einen Fundamentalismus zeigen, der sie daran hindert, sich schon nur vorstellen zu können, dass ein vernünftiger, rationaler und intelligenter Mensch eine Sicht haben kann, die von seiner eigenen abweicht. Andere glauben, dass die Wissenschaft das A und O sei – dass sie alle wichtigen Fragen über die Realität beantworten könne. Es gibt sogar Wissenschaftler da draußen, wie zum Beispiel der Theoretische Physiker Steven Weinberg, die verkünden, dass weder Religion noch Philosophie uns irgend etwas Wichtiges über die Welt sagen kann. Ich bin da völlig anderer Meinung. Die Philosophie ist tatsächlich ein wichtiges Feld der Forschung. Sie kann die Art von ethischen Wahrheiten herausfinden und was spezifische Wahrheiten sein können. Philosophie kann auch genutzt werden, um die Existenz Gottes auf eine Art zu untersuchen, wie das die Wissenschaft nicht kann.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie Intelligent Design nicht vollständig zustimmen können. Was sind Ihrer Meinung nach einige Schwächen von ID?
Es gab eine Zeit, da hätte ich gesagt, dass die größte Schwäche der ID-Befürworter in dem Versagen liegt, eine Theorie auf den Tisch zu stellen, die nachprüfbare Voraussagen macht, aber das alles änderte sich mit Jonathan Wells Buch „The Myth of Junk DNA“ (Der Mythos von der Müll-DNA). Darin sagte Wells voraus, dass diese vorgebliche Müll-DNA – die DNA-Sequenzen, von denen viele Wissenschaftler behaupteten, dass sie nutzlos seien – absichtlich für die Struktur der menschlichen Biologie dort sei. Nun, im Laufe des letzten Jahres oder so hat empirische Forschung gezeigt, dass es tatsächlich viel weniger Müll-DNA ist, als Wissenschaftler bisher dachten. Das ist einfach ein großartiges Beispiel einer nachprüfbaren Voraussage, die von einem Befürworter von Intelligent Design gemacht wurde, und sich als erfolgreich herausgestellt hat.
Warum können Sie dann Intelligent Design dennoch nicht vollständig unterstützen?
Ich glaube, dass ID-Wissenschaftler immer noch viel mehr an nachprüfbaren Voraussagen machen sollten. Ich verstehe, dass dies schwierig ist. Ich sage nicht, dass es ein einfaches Projekt ist. Wie auch immer, es wäre schön, wenn sie ein vollwertiges Forschungsprogramm hätten, das zur Entwicklung von Theorien in der Wissenschaft führen würde. Ich denke, dass es möglich ist, obwohl es unglaublich schwierig ist, mit neuen wissenschaftlichen Theorien aufzutauchen, die in einem Paradigmenwechsel resultieren würde. Nun, es waren nur Leute wie Newton, Einstein und Copernicus, die dazu fähig waren. Aber man weiß nie, vielleicht wird eines Tages jemand eine Theorie entwickeln, die den Paradigmenwechsel bringt, die es fertigbringt, Intelligent Design in dem Prozess zu fördern.
Und was sind die Stärken von Intelligent Design?
Die größte Stärke ist, dass es dazu führt, dass Menschen sehr vorsichtig über das Ausmaß nachdenken, in dem ein wissenschaftlicher Beweis für entweder Gott oder sonst einen Schöpfer besteht. Dazu sind die spezifischen Argumente selbst auch interessant und wichtig zu bedenken. Zum Beispiel finde ich Michael Behes Forschung zu irreduzibel komplexen biologischen Systemen eine extrem überzeugende Forschungslinie, selbst wenn es sich herausstellen sollte, dass es ein fehlerhaftes Argument ist. Es hilft einfach dem Vorankommen der Wissenschaft, wenn man Argumente wie das von Behe auf den Tisch legt.
Dasselbe gilt auch für die mehr physikbasierten Felder des Intelligent Design, wie etwa die Studien, welche von Guillermo Gonzalez und Jay Richards durchgeführt wurde. Sie glauben, dass unser Universum ideal gelegen ist, nicht nur für die Existenz des Lebens, sondern auch für seine Beobachtbarkeit. Warum gibt es einen Zusammenhang zwischen den von Geschöpfen wie uns bewohnbaren Regionen des Universums und den Regionen, die besonders geeignet sind, um das Universum zu beobachten und darüber zu lernen? Das ist eine interessante Frage, aber soweit ich weiß, hat noch nie ein atheistischer Physiker darüber nachgedacht, bis Gonzalez und Richards die Szene betraten. Verteidiger des Intelligent Design bringen die Menschen dazu, auf neue Arten über die Wissenschaft und wissenschaftliche Forschung nachzudenken.
Was denken Sie über die Multiversum-Theorie – diesen Glauben, dass es tatsächlich eine unendliche Anzahl von Universen da draußen gibt, welche die Komplexität unseres eigenen Universums wahrscheinlicher und weniger besonders macht?
Es gibt zwei Weisen, wie man die Multiversumshypothese verstehen kann. Die eine besagt, dass diese anderen Universen räumlich-zeitlich getrennt sind, was bedeutet, dass jedes Universum in einem eigenen Teil der Realität besteht, und keine Verbindung zu irgend einem anderen Universum hat. Die zweite Art, es zu sehen, wäre, dass diese Universen tatsächlich miteinander verbunden sind. Vielleicht gibt es eine Art verzweigende Struktur, die einem Universum die Möglichkeit gibt, neue zu verursachen. Physiker sprechen auch von Blasen-Universen, die aus dem Hintergrund anderer Universumsstrukturen in Existenz kommen.
Ob man von der ersten oder der zweiten Möglichkeit spricht, wie auch immer, da gibt es Probleme, die die Hypothese des Multiversums beunruhigend machen. Im Fall der räumlich-zeitlich getrennten Universen ist es unklar, wie man zu einem Beweis für die Existenz dieser Universen kommen kann ohne göttliche Offenbarung. Und bei verbundenen Universen muss man sich fragen, „Wie ist es zu dieser ganzen physikalischen Realität gekommen, die es einem Universum ermöglicht, andere Universen zu produzieren oder einem Blasen-Universum einfach so in Existenz zu kommen? Wäre da nicht auch unwahrscheinlich viel Feintuning nötig verbunden mit der Existenz dieser physikalischen Realitäten?“ Wie man sehen kann, erreicht die Multiversumshypothese nicht wirklich viel. Unendliche Universen sind unzureichend, wenn es darum geht, das offensichtliche Design unseres Universums wegzuerklären.
Denken Sie, dass Intelligent Design an den öffentlichen Schulen gelehrt werden soll?
Ich denke, dass es pädagogisch nützlich wäre, dies zu tun, natürlich. Was ich weiß aus den vergangenen 13 Jahren als Lehrer ist, dass es falsch ist, Dinge zu ignorieren, von denen die Schüler schon gehört haben könnten oder in Zukunft gewiss noch hören werden. Zum Beispiel, wussten Sie, dass die kalifornischen Richtlinien für Lehrer von K-12-Schülern festhalten, dass wenn ein Schüler etwas über Intelligent Design fragt, man ihm dann sagen soll, dass dies nicht ins Klassenzimmer der Naturwissenschaften gehört – dass er stattdessen seine Eltern oder seinen Pastor fragen soll? Die Diskussion und Debatte so einzustellen ist schlechte Pädagogik. Lehrer sollten offen sein für jede Art von Beweis und ihren Schülern sagen, dass die Probleme bezüglich der Entstehung des Lebens noch immer offen zur Debatte stehen.
Lehren Sie Ihre eigenen Studenten über Intelligent Design?
Als beamteter Universitätsprofessor darf ich im Hörsaal über so ziemlich alles sprechen, was ich will. Deshalb, ja, ich spreche in meinem Wissenschaftsphilosophie-Kurs über Intelligent Design, und die Studenten sind sehr interessiert daran. An der High School (entspricht dem Gymnasium) wurde ihnen die Wissenschaft nur aus einem Guss von Fakten gelehrt, ohne zu verstehen, wie eine Theorie entwickelt wird oder wie die Theorien, die wir jetzt haben, von Wissenschaftlern gemacht wurden, um frühere Theorien abzulehnen, auf oft sehr kontroverse Art, und dass sie wissenschaftliche Revolutionen einbezogen haben und komplizierte Faktoren der menschlichen Psychologie. Aus diesem Grund verstehen sie nicht, wie Wissenschaft funktioniert. Ich habe herausgefunden, dass Intelligent Design eine fruchtbare Art ist, um Studenten zu lehren, wie Wissenschaft tatsächlich funktioniert und dass es eine menschliche Anstrengung ist, die voll von Kontroversen ist.
Denken Sie, dass die akademische Freiheit beschränkt ist für nichtbeamtete Befürworter von Intelligent Design?
Es gibt auf jeden Fall dokumentierte Fälle von Professoren, die in Schwierigkeiten gerieten, weil sie Ideen des Intelligent Design eingebracht haben, und ich denke das ist wirklich unglücklich. Die Hochschule sollte Ideen respektieren, egal wie kontrovers sie sind. Sobald man Menschen als intellektuell gebildet einstuft, sollte ihnen erlaubt sein, die Probleme zu verfolgen, welche sie wollen, selbst solche, die gegen die aktuelle Rechtgläubigkeit gehen – welche den Standard-Kanon, der besagt, wie man denken soll, verletzen. Intelligent Design sollte an der Hochschule erlaubt sein, denn die meisten Befürworter des Intelligent Design sind intellektuell gebildet. Darüber gibt es keinen Zweifel. Leute wie Michael Behe und Jonathan Wells sollte erlaubt sein, empirischen und philosophischen Forschungen nachzugehen, in welcher Richtung auch immer sie denken, dass sie am besten zur Wahrheit führen.
Wie haben andere Akademiker auf Ihre Schriften und Statements über Intelligent Design reagiert?
Die Stärke, in der ich angegriffen wurde, ist tatsächlich irrsinnig. Ich gab hier an der Universität von Colorado eine öffentliche Vorlesung über Intelligent Design, und eine ganze Anzahl von Biologieprofessoren der Universität verlangten, dass ich gefeuert würde. Einer von diesen Professoren, Michael Klymkowsky, ging so weit, dass er seine eigene öffentliche Vorlesung als Antwort auf die Meinige organisierte. Unglücklicherweise für ihn endete seine Vorlesung in Unordnung, indem er meine Ansichten falsch wiedergab und es verpasste, eigene Argumente zu bringen. Zu Beginn war die Zuhörerschaft zum größten Teil auf seiner Seite, aber am Ende wussten sie nicht mehr, was sie denken sollten, da seine Argumente so schwach waren.
So habe ich absurde Kritiken erhalten wie diese, aber ich habe auch eine Menge Unterstützung bekommen, besonders von Philosophen, denen nicht besonders viel am Kampf um Intelligent Design liegt. Sie haben keine großen Anstrengungen auf sich genommen, um ID zu erforschen, aber sie schätzen meine offene Perspektive. Sie haben mir auch gesagt, dass sie beunruhigt seien über die engstirnigen und emotionsgeladenen Angriffe auf Seiten der philosophischen und wissenschaftlichen Kritiker des Intelligent Design. Es war sehr ermutigend, diese Art der Unterstützung zu bekommen.
Sie haben geschrieben, dass die Argumente für Intelligent Design Sie weniger sicher gemacht haben bezüglich Ihres Atheismus. Was würde es brauchen, damit Sie ihn vollständig aufgeben?
Manche Menschen sind aufgrund der göttlichen Offenbarung dazu gekommen, an Gott zu glauben, was intellektuell gesehen legitim ist, soweit ich betroffen bin. Ich wünschte, ich hätte auch diese Art einer tiefgreifenden offenbarenden Erfahrung, denn dann könnte ich aufhören, mich mit philosophischen Argumenten abzuquälen und mit dem Ausmaß, in welchem das Feintuning des Universums auf einen Schöpfer hinweist. Doch die Tatsache ist, dass ich das nicht habe. Viele andere Menschen haben das auch nicht, was uns nach alternativen Arten eines Beweises suchen lässt. Ich finde den geschichtlichen Beweis des Christentums – oder irgend einer anderen Religion, wenn wir schon dabei sind – nicht besonders überzeugend. Es ist nicht so, dass diese Art des Beweises definitiv mangelhaft ist, es ist nur so, dass es für mich nicht genug überzeugend ist. Abgesehen von der Offenbarung und dem geschichtlichen Beweis ist der meiner Meinung nach beste Ort, um Gott zu finden, in der Wissenschaft, und das ist einer der Gründe, weshalb ich so motiviert bin, um über Intelligent Design nachzudenken.
Welche Art des wissenschaftlichen Beweises wäre dann überzeugend genug, um Ihre Meinung zu ändern?
Es wäre ein Hinweis darauf, dass ein verstandesmäßiger innerer Sinn die grundlegende Eigenschaft des Universums ist. Meinetwegen könnte Gott ein rein seelisches Wesen sein, ohne auf die Art mit der physikalischen Realität verbunden zu sein wie wir es sind durch unsere Körper. Wenn wir also eine Art von Beweis fänden, dass der innere Sinn grundlegend ist, dann würde mich dies auf den langen Weg bringen, mich zu einem Gläubigen zu machen. Und wenn wir einen Hinweis finden könnten darauf, dass die physikalische Welt nicht ursächlich geschlossen ist – dass nicht nur der Verstand eine grundlegende Einheit ist, sondern er gleicherweise eine grundlegende Rolle spielt in der Struktur der Welt – dann würde dies auch ein überzeugender Hinweis sein für die Existenz Gottes. Wenn nun aber herausgefunden würde, dass der verstandesmäßige Sinn nur eine Rolle in den Prozessen unseres Gehirns spielt, dann würde mich das allein nicht dazu bringen, an Gott zu glauben, obschon es mich sicherlich offener für diese Idee machen würde. Aber wenn wir entdecken würden, dass ein verstandesmäßiger innerer Sinn sich an anderen Orten in der Welt einmischen würde als allein in den Prozessen unseres Gehirns, dann wäre dies so ziemlich der unwiderlegbare Beweis.
Gibt es noch andere atheistische Wissenschaftler, die auch glauben, dass die Argumente für Intelligent Design einen gewissen Wert haben?
Thomas Nagel kommt mir in den Sinn als jemand, der findet, dass die Argumente für Intelligent Design Wert haben, obwohl er ein Atheist ist und überhaupt nicht geneigt, an Gott zu glauben. In seinem neuen Buch „Mind and Cosmos“ (Geist und Kosmos) drängt er auf eine teleologische Theorie der Realität, welche sich von den üblichen naturalistischen Ansichten der Wissenschaft unterscheidet, aber auch anders als die Intelligent Design-Hypothese. Nagels Ansicht ist, dass das Universum grundlegend zielorientiert ist. Es hat einen teleologischen (zielgerichteten) Aufbau, den wir eines Tages durch wissenschaftliche Forschung entdecken werden. Teil dessen, wie Nagel für diese Theorie argumentiert, ist durch das positive Zitieren von Argumenten der Befürworter des Intelligent Design, von welchen er glaubt, dass sie eher die Existenz seiner teleologischen Struktur befürworten als einen Designer.
Nebst Nagel gibt es auch eine Reihe von atheistischen Physikern, die offen sind für ID-Argumente. Ein Teil des Grundes dafür ist, wie ich denke, dass Physiker dabei sind, den grundlegenden Aufbau der Realität zu studieren, was zu allen möglichen tiefgreifenden Fragen führt. Und wenn man beginnt, solche Fragen zu stellen – Warum haben wir die Naturgesetze, die wir haben? Warum haben wir drei räumliche Dimensionen? Warum gibt es überhaupt ein Universum? – dann ist die Hypothese eines Designers eine hervorragende. Obwohl ich persönlich sie zurückweise, sollte es doch aus unserem heutigen Gespräch sehr deutlich hervorgehen, dass ich denke, dass man sie ernst nehmen sollte.
Bradley Monton – Außerordentlicher Professor der Wissenschaftsphilosophie an der Universität von Colorado – BA in Physik und Philosophie an der Rice Universität – PhD in der Philosophie von der Princeton Universität – Autor von Seeking God in Science: An Atheist Defends Intelligent Design