Buchtipp: Demokratie, Freiheit und christliche Werte

Stückelberger, Hansjürg, Demokratie, Freiheit und christliche Werte – Liebe heilt die Gesellschaft, Esras.net GmbH, Niederbüren, 2020, Verlagslink, Amazon-Link

Eins vorweg: Der Titel des Buches hat mich fasziniert. Große Worte, die mir viel bedeuten. Ich war gespannt, wie überzeugend der Autor in den gerade mal gut 200 Seiten sein Verständnis davon darlegen kann. Ganz besonders trieb mich auch die Frage um, für welches Zielpublikum das Buch wohl geschrieben wurde.

Hansjürg Stückelberger ist ein Schweizer Pfarrer im Ruhestand, wurde letztes Jahr 90 Jahre alt und gründete mehrere Missions- und Hilfswerke, sowie die Stiftung Zukunft CH. Seit vielen Jahren sind ihm die Menschenrechte und die biblischen Werte sehr wichtig.

Das Buch selbst ist in zehn Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel werden negative Beispiele genannt – Staaten, welche sich demokratisch nennen, aber von Korruption geprägt sind. Bereits hier fällt auf, dass für das Lesen eine gewisse Bildung nötig ist. Begriffe wie „Rechtsstaat“ (S. 11) werden nicht definiert oder beschrieben, sondern als selbstverständlich bekannt vorausgesetzt. Auch im zweiten Kapitel, welches sich mit der Bedeutung der Religion für eine erfolgreiche Kultur befasst, werden viele Beispiele genannt – positive und negative. Viele Unterkapitel sind mit Geschichten aus dem persönlichen Leben des Autors gewürzt, da er viel gereist ist und Kontakt mit Menschen rund um den Erdball hat. Das zweite Kapitel schließt mit fünf Schlussfolgerungen (S. 40 – 42), in diesem Fall fünf Hypothesen, die der Autor aus dem zuvor Geschilderten schließt. Mehr dazu weiter unten.

Im dritten Kapitel kommt die Weltgeschichte bis zur französischen Revolution in den Blick. Es beginnt mit dem frühen Christentum und zeichnet den Weg auf der Suche nach echter Freiheit und Menschenwürde nach. Dieses Kapitel kann ich wirklich jedem zu lesen empfehlen. Das vierte Kapitel ist eine theologische Überlegung zur Heilsgeschichte, der Autor kehrt an den Anfang der Bibel zurück und erklärt den Beginn der Heilsgeschichte, also Gottes Geschichte mit der Welt, den Sündenfall der ersten Menschen und die Person Satans. Sodann wird im fünften Kapitel die Frage nach der Ordnung in der Welt, dem Verhältnis von Recht und Freiheit nach dem biblischen Weltbild erörtert. Im sechsten Kapitel kehrt der Leser wieder an das Ende des dritten zurück: Aufbauend auf den zwei eingeschobenen Kapiteln wird gezeigt, wie das Denken der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) zusammen mit dem biblischen Weltbild zur Demokratie in den USA führte. Die abschließenden vier Kapitel versuchen aufzuzeigen, wie das Ganze in unserer heutigen Zeit, im Alltag umgesetzt werden sollte, welche Auswirkungen das biblische Weltbild auf die Gesellschaft haben will und welches die biblischen Werte sind, welche unser Leben, Denken und Handeln bestimmen wollen.

Ich persönlich finde das Buch gut geschrieben, es entspricht meinem theologisch konservativen Weltbild, es zeigt vieles recht gut auf, wobei ich ihm zustimmen kann. Dennoch: Wirklich viel Neues habe ich nicht gelernt. Ich finde es wertvoll, wie der Autor versucht, die Geschichte der westlichen Demokratie mit der Heilsgeschichte zu verbinden. Für einen schnellen, sehr kurzen Überblick ist das Buch gut geeignet. Wer jedoch dabei weiter denken möchte, ist auf sich selbst gestellt.

Leider muss ich dem Buch auch verschiedene Schwächen attestieren. Zunächst einmal kann ich die Frage nach dem Zielpublikum bloß schwer beantworten. Es wird eine Menge Grundwissen vorausgesetzt, da – wie oben bemerkt – oft Erklärungen und Definitionen fehlen. Zugleich ist es nicht an eine akademisch geschulte Leserschaft gerichtet. Die Endnoten sind dafür zu leichtfertig angefertigt. Ein Beispiel: Wer bereits vom Gründervater und US-Präsidenten Thomas Jefferson gelesen hat, wird genauer wissen wollen, in welchem Zusammenhang er so positiv von der Bibel gesprochen hat. Die Endnote 142 mit Hinweis auf ein factum-Magazin ist hier nicht ausreichend als Beleg. Schade finde auch, dass die ganze Auseinandersetzung um die Gründung des US-Demokratie nicht näher ausgeführt wird. Es gäbe enorm viel zu lernen, wenn man sich mit den Dokumenten der Gründerväter und ihren Diskussionen noch weiter beschäftigen würde. Stückelberger handelt diese ganze Diskussion so ab, als hätte es darin schon immer einen großen Konsens gegeben.

Ähnliches gilt für die fünf Schlussfolgerungen des zweiten Kapitels. Wer – wie ich – von einem theologisch konservativen, bibeltreuen Weltbild ausgeht, kann diese durchaus als Fazit betrachten. Sie sind eine von zahlreichen Möglichkeiten, wie man die vielen Beispiele des Kapitels deuten kann – jedoch keineswegs zwingend. Und hier sehe ich eine der größten Schwächen des Buchs. Es ist für den Inhalt, den es beackern möchte, schlichtweg zu kurz. Wer Menschen, die von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen, überzeugen möchte, würde den Rest des Platzes im Buch benötigen, um dies schlüssig darzulegen.

Was vermag dieses Buch also zu leisten? Es ist eine Art Manifest, das die theologischen, politischen und sozialen Überzeugungen des Autors wiedergibt. Es eignet sich für konservative Christen, die sich in ihren Überzeugungen stärken möchten, für Christen, welche die christlichen Werte noch besser kennenlernen möchten, und für alle, die gern über die Geschichte nachdenken. Ein weiterführendes Werk zu den Themen fehlt in deutscher Sprache meines Wissens leider weiterhin. In englischer Sprache wäre „Politics according to the Bible“ von Wayne A. Grudem zu nennen.

Ich gebe dem Buch vier von fünf Sternen.

Die Bücher meiner Kindheit

Bücher, die meine Kindheit geprägt haben. Daneben gab es natürlich noch hunderte mehr, aber hier mal diejenigen, die mich nebst der Bibel besonders auch längerfristig beschäftigt haben. Diese folgenden habe ich vermutlich alle mehr als einmal gelesen, kann mich aber nicht mehr in jedem Fall an die genauen Zahlen erinnern.

Sofies Welt

Als junger Mensch mit sehr vielen Fragen hat es mir sehr gut getan, mal zu erfahren, dass diese Fragen schon seit Jahrtausenden gestellt und beantwortet werden. Als ich mit etwa neun Jahren erstmals Sofies Welt gelesen habe, konnte ich das meiste noch nicht wirklich verstehen, aber zwei Dinge sind mir seither geblieben: Die Liebe zur Geschichte und zur Philosophie, sowie der Mut, Fragen zu stellen, auch wenn die Antworten unangenehm sein können. Amazon-LinkHier habe ich noch mehr dazu geschrieben.

Momo

Dieses Buch von Michael Ende habe ich ebenfalls bei meinen Großeltern kennengelernt. Auch hier gibt es wieder Dinge, die größer waren als mein damaliges Verständnis, aber das macht es auch spannend, darüber noch weiter nachzudenken. Man kann von Michael Ende halten was man will – aber spannend schreiben kann er! Und dabei erst noch Fragen ansprechen, die auch so ein Kinderköpfchen beschäftigen. Amazon-Link

Der „Lederstrumpf“

Auch wenn ich über 40 Bände von Karl May gelesen habe – keiner davon konnte mich derart mitreißen wie die fünf Lederstrumpf-Bände von James F. Cooper. Nicht nur Indianergeschichten, sondern man lernt eine ganze Menge über Tugenden und christliche Nächstenliebe. Wertvoll! Amazon-Link

Die Narnia-Serie

In der Zeit meiner Kindheit kam allgemein gerade ein neues Interesse an C. S. Lewis und besonders an seiner Narnia-Serie auf. Mit viel Spannung habe ich die Geschichten gelesen. Es brauchte jedoch die mehrfache Lektüre, um die biblischen Zusammenhänge zu verstehen, die Lewis in seinem Roman untergebracht hatte. Amazon-Link

Die Blitz-Serie

Als großer Pferde-Fan darf natürlich auch eine Pferde-Serie nicht fehlen. Davon habe ich mehrere gerne gelesen, doch so richtig spannend fand ich vor allem Walter Farleys Serie um Blitz, den schwarzen Hengst. Bei dieser Serie habe ich mir den Spaß gemacht, in Bücher-Antiquariaten nach möglichst alten Ausgaben zu suchen. Hier der Amazon-Link zum ersten Band der Serie.

Die Abenteuer-Serie

Die Abenteuer von Jack, Dina, Philip und Lucy habe ich mir auch auch alle mehrmals reingezogen. Die meines Erachtens mit Abstand originellste Serie von Enid Blyton. Aber manchmal frage ich mich schon, wie es jemand schafft, so viele Bücher zu schreiben. Das allein ist schon eine Kunst für sich. Hier der Amazon-Link zum ersten Band der Abenteuer-Serie.

Und welches waren Deine Kindheits-Bücher?

Buchtipp: Dragon Teeth

Dragon Teeth Wie alles begann von Michael Crichton

Crichton, Michael, Dragon Teeth – Wie alles begann, Karl Blessing Verlag München, 1. Aufl. 2018, 318S., Verlagslink, Amazon-Link

Michael Crichton, der Bestsellerautor des Jurassic Park und einiger weiterer bekannter Bücher, hat ein Manuskript sein ganzes Leben lang in der Schublade unter Verschluss gehalten. Nun ist es nach seinem Tod veröffentlicht worden und Grund zahlreicher Spekulationen geworden, weshalb der Autor es nicht schon zu Lebzeiten selbst herausgegeben hat. War es einfach so schlecht, dass er es nicht veröffentlicht haben wollte? Wir werden es wohl nie wirklich herausfinden, aber diese Frag wird seine Fans wohl noch lange in zwei Lager spalten. Die Frage ist ja schließlich auch: Hat man ihm mit der Veröffentlichung nachträglich noch Schaden zugefügt?

Dragon Teeth ist ein historischer Abenteuerroman aus der Zeit der frühen Funde von Saurierknochen und deren Rekonstruktion. Crichton beschreibt darin die Rivalität echter Archäologen, die um die Ehre der Nachwelt buhlten und einen ständigen Kampf darum führten, wer mehr Arten rekonstruieren könnte. Der Autor führt dazu die Figur von William Johnson ein, einem Yale-Studenten aus bürgerlichem Elternhaus, der sich mehr ungewollt als Teil einer Wette der Expedition eines der beiden Archäologen anschließt, dann die ganze Schule des Lebens durchmacht, und dann plötzlich auf sich gestellt eine ganze Fracht Knochen durch zahlreiche Abenteuer hindurch retten und nach Hause bringen muss. Es sind somit auch Elemente eines Bildungsromans gegeben, doch im großen Ganzen überwiegt das Abenteuer, das zuweilen Wild-West-Züge trägt.

Ich fand den Roman spannend, besonders weil man dadurch Einblick in diese Zeit auf eine interessante Weise vermittelt bekommt. Es wird klar, wie stark die Rivalitäten waren, man sieht auch, wie sie sich gegenseitig beschimpft und bekämpft haben. Zugleich wurde mir aufs Neue bewusst, wie wichtig der Wettbewerb und die freie Marktwirtschaft für den Fortschritt sind. Das Abenteuer, die Eigenverantwortung, die Tugenden, die man fürs Leben lernt, all diese Dinge sind im Zuge des wachsenden allmächtigen Kindermädchenstaates dabei, verloren zu gehen. Gerade das Leben in freier Natur oder auch der Umgang mit anderen Menschen, die womöglich aggressiv reagieren, wird durch den omnipräsenten Staat immer mehr verloren gehen.

Auf der anderen Seite wirkt der Roman etwas … unfertig. Unvollendet. Abrupt. Als würde da noch etwas fehlen. Es gäbe sehr viele Möglichkeiten, den Schluss noch weiter hinauszuzögern, um dem Ganzen ein besser abgerundetes Ende zu bereiten. Dafür kann nun freilich der Autor nichts, er hätte dafür bestimmt die richtigen Ideen gehabt. Auch in der Hinsicht bleibt die Frage bestehen, ob die Veröffentlichung im Sinne Crichtons war oder nicht. Und diese werden nun weiterhin reine Spekulationen bleiben. Das Buch ist in gewisser Weise auch kein „typischer Crichton“. Wer hier einen crichtonesken Wissenschaftsthriller erwartet, hat zum falschen Buch gegriffen. Insofern ist es schon verständlich, dass langjährige Fans etwas anderes von dem Buch erwartet hätten als es schlussendlich geworden ist.

Ein Schmankerl für Lesebegeisterte ist die Bibliographie am Schluss des Buches. Wer sich für ein bestimmtes Thema noch näher interessiert, findet hier Buchtitel, die ihm da weiterhelfen. So macht das Lesen Spaß. Ich werde diese Bücherliste bestimmt noch mal durchgehen und mir das eine oder andere davon auf meine schier endlose to-read-Liste setzen. Es könnten sich übrigens auch andere Romanautoren davon eine Scheibe abschneiden und eine Liste von Büchern zusammenstellen, die sie für das Schreiben beeinflusst haben. Für mich als Leser wäre das auf jeden Fall total spannend, zu sehen, woher welche Einflüsse stammen.

Fazit:

Dragon Teeth“ ist kein typischer Crichton. Es ist vielmehr ein historischer Roman über die Zeit der frühen Saurierfunde. Mir persönlich hat das gut gefallen, da ich Geschichte sehr spannend finde und sie in diesem Buch gut aufbereitet und unterhaltsam geschrieben ist. Wem es mehr um die Hochspannung eines Wissenschaftsthrillers geht, für welchen der Name Michael Crichton steht, ist anderswo besser beraten. Ich gebe dem Buch 4 von 5 Sternen.

Eine kurze Geschichte des Cessationismus

Heute möchte ich in aller Kürze versuchen, die Geschichte des Cessationismus nachzuzeichnen. Der Cessationismus besagt ja bekanntlich, dass bestimmte Charismen oder Geistesgaben bereits aufgehört hätten. Im Laufe der 2000 Jahre Kirchengeschichte gab es immer wieder kleinere Bewegungen, die diesen Cessationismus vertreten haben. Wir müssen uns jedoch bewusst sein, dass die Vorstellungen und Begründungen dazu Legion sind. Auch heute gibt es eine ganze Menge verschiedener Cessationismen, die etwa von unterschiedlichen Gaben meinen, dass sie aufgehört hätten und das dann auch sehr unterschiedlich begründen. Es wäre natürlich spannend, eine ausführliche Geschichte des Cessationismus zu schreiben und die diversen Ausprägungen noch näher zu beleuchten, aber hier geht es mir darum, dass wir verstehen, welche Hintergründe er in welcher Zeit und Gesellschaft hatte.

Die frühchristlichen Theologen im 2. Jahrhundert, unter ihnen etwa Justin der Märtyrer, versuchten mit ihren Schriften den damaligen Juden klar zu machen, dass Jesus doch der Messias ist. In diesen Schriften finden wir Argumente, welche zeigen, dass es schon unter manchen jüdischen Strömungen frühe Formen des Cessationismus gab. Jesus wurde vorgeworfen, ein falscher Prophet zu sein. Für die christlichen Theologen hingegen war klar: Weil die Juden ihrer Zeit keine Wunder mehr vorzuweisen hatten, die christliche Kirche hingegen zahlreiche auch im 2. Jahrhundert, deshalb sei daraus zu schließen, dass die christliche Lehre richtig sein muss.

Der erste christliche Theologe, der eine vollständige Lehre des Cessationismus entwickelt hat, war Johannes Chrysostom („Goldmund“) im 4. Jahrhundert. Er meinte, ein Glaube, der keine Wunder sehen könne, sei ein wertvollerer, echterer Glaube als jener, welcher sich darauf berufen könne, Wunder gesehen zu haben. Interessant ist aber auch der Kirchenvater Augustinus. Dieser war zuerst auch Cessationist, doch im Buch 22 des „Gottesstaats“ zählt er ein ganzes Kapitel lang Wunder auf, die ihn dazu gebracht haben, seine Meinung zu ändern.

In der frühen Kirche war es also ganz natürlich, auf die Wunder und Prophetien, Heilungen und Dämonenaustreibungen zu verweisen, um für den christlichen Glauben Argumente zu präsentieren. Erst mit der Zeit, als eine gewisse Hierarchie aufgebaut war, und langsam das spontane Wirken des Heiligen Geistes durch die geplante Ausübung von Sakramenten durch die Priesterkaste ersetzt wurde, gab es seltener Berichte, die davon zeugten, dass Wunder und Prophetien zum ganz normalen Christenleben dazu gehörten. Immer mehr nahmen feste Rituale den Platz des Heiligen Geistes ein und vermutlich ist der Rückgang dessen Wirkens deshalb auch kein Wunder. Nichtsdestotrotz gibt es aus jedem Jahrhundert zahlreiche Beispiele für einzelne Menschen, die einen charismatischen Dienst hatten.

Im Zeitalter der Reformation kam ein weiteres Merkmal hinzu: Die Abgrenzung von den falschen Lehren. Im Hochmittelalter gab es in den Klöstern und an Wallfahrtsorten immer wieder Berichte von Heilungen und anderen Wundern; man könnte fast sagen, es war eine Resaissance der Wundersucht. Und dann, als die Reformatoren auftraten, wurde oft als Argument gebraucht, um die Reformatoren zum Schweigen zu bringen, dass die Lehre des römisch-katholischen Kirche durch diese Wunder bestätigt würden. Das Argument war also ungefähr so: Je mehr Wunder du vorweisen kannst, desto besser ist deine Lehre. Das war da so der übliche Vergleich, wer den Längsten hat. Oder so.

Und dann gab es noch eine zweite Gefahr. Es gab Menschen, welchen die Reformatoren zu wenig weit gingen. Es gab welche, die meinten, sie bräuchten so viel Freiheit, dass sie ohne Bibel auskämen. Nur mit dem Heiligen Geist. „Das Wort tötet, der Geist macht lebendig“, zitierten sie, und schmissen ihre Bibeln mitsamt diesem Vers in die Ecke, um nur noch auf den wort-losen Geist zu hören. Auch unter diesen Gruppen gab es Berichte von Wundern, die wiederum als eine Bestätigung der besten Lehre betrachtet wurden. Und nun ist es wichtig, diese Dinge im Hinterkopf zu behalten, wenn man die Schriften der Reformatoren liest. Wer lange genug sucht, wird immer wieder Stellen finden, die sich für sich gesehen so verstehen lassen, dass Luther oder Calvin „klassische“ Cessationisten gewesen wären. Im Kontext und im Gesamtwerk betrachtet wird hingegen deutlich, dass es vor allem darum ging, dass sie gegen eine Abwertung der Bibel als Gottes Wort und Heiliger Schrift argumentierten. Auch das spätere Luthertum war keineswegs der Meinung, dass es keine besonderen Eingriffe Gottes durch Wunder oder Prophetien geben könne. Es wurde lediglich gegen das theologisch liberale „Schwärmertum“ gewettert, welches Gottes Wort degradierte.

Erst die Aufklärung, das naturalistische Weltbild und die Philosophie des „Common Sense“ haben den Rahmen geschaffen, innerhalb dessen der klassische Cessationismus wachsen konnte, der dann von Benjamin B. Warfield vertreten und ausgearbeitet wurde. Das naturalistische Weltbild betrachtete alles in der Welt als natürlich, und wurde zunächst noch auf das Fundament des christlichen Glaubens gestellt, nach welchem die Gesetze der Natur von Gott geschaffen wurden. Doch bald verließ es dieses Fundament und die Naturgesetze und -konstanten wurden zunehmend als grundlos einfach vorhanden und zufällig vorgegeben betrachtet. Die schottische Philosophie des „Common Sense“ besagte zudem, dass alle vernünftig denkenden Menschen in den wichtigen Fragen zu denselben Resultaten, Antworten und Wahrheiten kommen müssten. Von diesem Denken geprägt machte sich der Theologe Benjamin Warfield daran, Bücher über falsche Wunder und den Cessationismus zu verfassen. Auch er hatte seine Ansichten unter dem Druck seiner Zeit schmieden müssen. In der Presbyterianischen Kirche der USA nahm der theologische Liberalismus überhand. Sein Kollege in Princeton und Zeitgenosse James Gresham Machen hatte den selben Kampf zu kämpfen; er schrieb das Buch „Christentum und Liberalismus“. Warfield ging es darum, in einer Zeit der Verwässerung der Bibel Gottes Wort hochzuhalten, und zwar um jeden Preis. Entsprechend sahen seine Kriterien für ein echtes, biblisches und von Gott gemachtes Wunder aus: Es konnte unter gar keinen Umständen mehr eines geben. Vermutlich war ein weiterer Grund für seine Ansichten auch biographischer Art: Seine Frau Annie wurde infolge eines Blitzschlages gelähmt und blieb es Zeit ihres Lebens, während er sie pflegte. Es ist gut möglich, dass dieses Nicht-Erleben einer übernatürlichen Heilung seiner Frau seine Ansichten gefestigt haben.

In der Zeit von Warfield war auch die Sekte der „Christlichen Wissenschaft“ (Christian Science) von Mary Baker Eddy sehr weit verbreitet. Das war eine Sondergruppierung, die sich darauf berief, dass Heilungen, die in dieser Gruppe geschehen seien, ein Beweis für die Richtigkeit der Lehre sei. Anmerkung am Rande: Einmal mehr der unselige Vergleich, wer den Längsten vorweisen kann. Allerdings zeigt die Theologiegeschichte sehr deutlich, dass man die Irrtumslosigkeit und Inspiration der gesamten Bibel sehr gut verteidigen und sich gleichzeitig an Gottes heutigem Wirken und Reden erfreuen kann. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns darüber Gedanken machen und uns auch fragen, welches gute und welches weniger gute Argumente für das heutige Wirken des Heiligen Geistes in unserer Zeit sind.

Buchtipp: Unter blutrotem Himmel

Sullivan, Mark, Unter blutrotem Himmel, Verlag Tinte & Feder, Amazon Media E.U.S.à.r.l., Luxembourg, dt. Ausg. von Mai 2018, 586S., Amazon-Link

Wenn ich eins meiner liebgewonnenen Vorurteile zu Buchgenres werde aufgeben müssen, dann wird es bestimmt dasjenige gegen historische Romane sein. Ja, es gibt tatsächlich gute historische Romane. Ja, es gibt sie, die fleißigen Autoren, welche sich mit Leib und Seele versuchen, in die Zeit und Umstände ihrer Protagonisten zu versetzen und denen es auch gelingt. Gerade in letzter Zeit habe ich davon mehrere gelesen. Und ganz besonders ein solcher historischer Roman hat mich gepackt. Unter blutrotem Himmel.

Giuseppe „Pino“ Lella ist ein Teenager, der von seiner großen Liebe träumt, als der zweite Weltkrieg ausbricht. Er hatte gerade seine Anna gefunden, die mehrere Jahre älter ist als er, und er lädt sie ins Kino ein. Alles könnte so schön sein. Doch Anna kommt nicht – statt dessen kommen die Bomber. Mailand wird in Schutt und Asche gelegt. Aus Angst um die beiden Söhne müssen diese in ein Ferienlager in einem Kloster fahren. Inzwischen wurde bekannt, dass die Juden auch in Italien vom Tod bedroht sind. Pino und sein Bruder führen eine ganze Anzahl von Juden über die Alpen zur Schweizer Grenze, wo sie sicher sind. Doch auch nach der Rückkehr nach Mailand geht es Schlag auf Schlag weiter. Damit Pino nicht gezwungen wird, an der Front mitzukämpfen, wünscht seine Familie, dass er sich freiwillig bei den Nazis meldet, die inzwischen einen großen Teil Italiens eingenommen hatten. Pino wird zum Fahrer von General Hans Leyers, der linken Hand Hitlers in Italien. Nun wird er zum Spion und gibt viele Informationen, die er auf seinen Fahrten bekommt, an die Alliierten weiter. Bei Gesprächen mit dem „Duce“ wird Pino zum Übersetzer für Leyers und muss auch mit ansehen, wie am Ende des Krieges ganze Papierberge mit den Unterlagen zu den Plänen der Nazis in Italien verbrannt werden. Doch sein Doppelspiel darf nicht auffliegen. Auch seine Anna trifft er wieder – als Dienstmädchen der Geliebten von Hans Leyers. Warum er sie am Ende doch loslassen muss, erfährt der geneigte Leser in seinem eigenen Buchexemplar.

Mark Sullivan ist eigentlich Thriller-Autor. Sein Schreibstil ist rasant und fesselnd. Gerade diese Mischung aus bekannten geschichtlichen Ereignissen und den spannend verfassten Plot machte dieses Buch für mich sehr lesenswert und nahm mich richtig in die Zeit und das Leben von Pino Lella mit. Sehr schön fand ich auch, wie natürlich der Autor mit dem christlichen Glauben umgeht, mit den Zweifeln und Hoffnungen, mit Gebet und Segnung, mit dem Zuspruch glaubensstärkender Aussagen, und so weiter. Häufig verfallen Autoren bei solchen Sätzen entweder in eine künstliche Übertreibung oder relativieren gleich wieder. Mark Sullivan geht damit auf eine vollkommen natürliche Weise um, als wäre dies auch in seinem Alltag normal. Da ich ihn nicht weiter kenne, kann ich hier natürlich nur spekulieren.

Man merkt dem Autor auch an, wie sehr ihn selbst die Geschichte gefesselt hat. Er hat Giuseppe Lella mehrmals und jeweils für eine längere Zeit besucht, hat ihn ausführlich interviewt und mit ihm noch einmal die schweren Momente der Vergangenheit durchlebt. Die Ereignisse der Weltgeschichte dieser Zeit sind ebenfalls sehr genau recherchiert worden. Man könnte denken, Sullivan sei ein Historiker, der sich auf diese Zeit spezialisiert hat. Und dann gibt es auch die bewegenden Szenen, wie etwa das virtuose Geigenspiel des Vaters zusammen mit dem Gesang des Vaters von Pinos bestem Freund, welche so lebhaft nacherzählt werden, dass sie vor dem inneren Auge sichtbar werden. Oder die Begegnung mit seinem Bruder Mimmo, der inzwischen in den Widerstand gegangen war, und die Nazi-Uniform seines Bruders Pino entdeckt.

Fazit:

Unter blutrotem Himmel“ ist ein brillant geschriebener historischer Roman. Ich wünsche ihm weiterhin eine zunehmende Verbreitung. Im englischen Original ist es bereits ein Bestseller, und hat das wahrlich verdient. Ich gebe dem Buch fünf von fünf Sternen.

Buchtipp: Zeit der Zauberer

Eilenberger, Wolfram, Zeit der Zauberer, Klett-Cotta, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart, 2018, 432S., Kindle-eBook, Verlagslink, Amazon-Link

Vier Philosophen, zehn Jahre und jede Menge Streit – das könnte leicht zu einem Krimi werden. Besonders dann, wenn sich auch noch einer der Moderatoren der „Sternstunde Philosophie“ im Schweizer Fernsehen darum kümmert, diese Zeit verständlich zu machen. „Zeit der Zauberer“ setzt sich mit der Sprachphilosophie in der Zeit von 1919 – 1929 auseinander. Ludwig Wittgenstein, Martin Heidegger, Ernst Cassirer und Walter Benjamin sind die Protagonisten. Wolfram Eilenberger zieht den Vorhang auf und lässt seine vier Zauberer erscheinen. Bühne frei für ein spannendes Jahrzehnt der deutschsprachigen Philosophie!

Zunächst tritt Ludwig Wittgenstein auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Dieser hatte 1911 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Cambridge unter Bertrand Russell studiert, im Krieg in der Gefangenschaft in Italien den „Tractatus logico-philosophicus“ beendet, in welchem er meinte, alle Probleme des Denkens im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben. Das Problem war nur, dass damals noch kaum einer verstand, was Wittgenstein in seinem Tractatus sagen wollte. Er hatte sein Vermögen der übrigen Verwandtschaft vermacht und die zehn spannenden Jahre als Grundschullehrer in der Provinz zugebracht.

Martin Heidegger hatte in dieser Zeit sein wichtigstes Buch geschrieben: „Sein und Zeit“. Als Höhepunkt seiner Karriere sieht Eilenberger die Rückkehr nach Freiburg, wo er den Lehrstuhl seines Vorgängers Edmund Husserl übernimmt und die „Davoser Hochschulkurse“ mit drei Vorträgen beehren darf. Dort ist ebenfalls der Dritte im Bunde: Ernst Cassirer, mit welchem Heidegger ein Streitgespräch führen sollte. Cassirer war ein origineller Vertreter des Neukantianismus, der in dieser besonderen Dekade seine drei Bände „Philosophie der symbolischen Formen“ zu Papier gebracht hatte.

Martin Heidegger, welcher die Welt von Kant und dessen Dualismus erlösen wollte, trifft auf einen Neukantianer, besser gesagt: Auf den damaligen Neukantianer schlechthin, den Herausgeber der Werke Kants und führenden Kantkenner dieser Zeit. Martin Heidegger ging es um das Ganzheitliche, um das eigentliche Leben, um den Moment, in welchem der Einzelne aufsteht und die Welt auf den Kopf stellt, um Revolution vom uneigentlichen Leben, also vom reinen Existieren des bürgerlichen Lebens zu jenem Umbruch, in welchem der Mensch ganz er selbst ist im praktischen Tun und Handeln. Seine kometenhafte Karriere ist geradezu Sinnbild für seine Philosophie. Dagegen steht Ernst Cassirer für das bürgerliche Leben, den langsamen Aufstieg, bei welchem er durch harte philosophische und schriftstellerische Arbeit Stufe um Stufe erklimmt. So sieht er auch die Kultur als etwas, was sich langsam Schritt für Schritt entwickeln und verändern soll.

Das vierte Kleeblatt ist ein besonderer Fall. Vor diesem Buch wusste ich noch nichts von Walter Benjamin. Die drei übrigen waren mir zumindest in groben Zügen bekannt, doch auch nach dem Buch blieben mir Zweifel, inwiefern Benjamin tatsächlich in den Kreis der drei übrigen gehört. Gewiss, er hatte seinen eigenen eigenständigen und durchaus auch sehr eigenwilligen Beitrag zur Sprachphilosophie geleistet (zumindest für jene, welche ihn und seine Gedanken kennen), doch ob das allein ausreichend ist, um ihn auf jene Ebene zu heben, für welche die drei Übrigen stehen, bleibt fraglich. Auch bei ihm steht das Leben für seine Philosophie, die Zerrissenheit zwischen den Extremen wird für Benjamin zum geradezu Erstrebenswerten der Philosophie.

Das Buch ist spannend geschrieben, enthält jedoch immer wieder Sprünge und Brüche, die sich zwar durchaus philosophisch deuten ließen, den Lesefluss jedoch beeinträchtigen und den Leser verwirren. Die Vergleiche sind interessant, und doch wird man das Gefühl nicht los, dass immer wieder Dinge vereinfacht werden, damit sie einander noch besser gegenüber gestellt werden können. Die vier Philosophen sind eigentlich so verschieden, dass sie auch mit dem Begriff der Sprachphilosophie nicht auf einen Nenner gebracht werden können – schließlich hätten sie schon Mühe, sich auf eine gemeinsame Definition jener zu einigen. Und das wäre die Grundlage für jeden sinnvollen Vergleich.

Kleine Nebenbemerkung: Ende Februar diesen Jahres hat Eilenberger einen spannenden Essay zum Stand der deutschsprachigen Philosophie in unserer Zeit geschrieben: Wattiertes Denken (Link)

Fazit:

Ein lesenswertes Buch, besonders wenn man die Protagonisten schon kennt. Leider manchmal zu verallgemeinernd und vereinfachend. Ich gebe dem Buch vier von fünf Sternen.

Buchtipp: Das Mittelalter

Wickham, Chris, Das Mittelalter, Klett-Cotta, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart, dt. Ausg. 2018, 550S., eBook, Verlagslink, Amazon-Link

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

Im ersten Kapitel, der Einführung in das Buch, stellt Chris Wickham die These seines Buches auf, dass nämlich Geschichte nicht teleologisch (also auf ein Ziel hin) verläuft, sondern immer vom bereits Vergangenen ausgeht. Zugleich versucht er, in einem derart kurzen Buch einen Überblick über das Mittelalter im Gebiet des heutigen Europas zu bieten. Ich finde beides interessant und war entsprechend auch auf die Darstellung der Inhalte gespannt.

Zu Beginn gibt es eine kurze Diskussion, in welcher Wickham über die Begriffe „Mittelalter“ und „Europa“ schreibt und versucht, die historischen und geographischen Abgrenzungen zu rechtfertigen. Bereits bei dieser Diskussion fiel mir etwas auf, was sich auch später durch das Buch hindurch zieht: Wickham (oder liegt das an der Übersetzung?) benutzt eine Sprache, welche für mich als historisch interessierten Leser durchaus zugänglich ist, für den Einsteiger jedoch nicht selten zu anspruchsvoll ist. Inhaltlich ist das Buch trotzdem eher für Leser gedacht, welche sich noch nicht so ausführlich mit der Geschichte des Mittelalters beschäftigt haben. Es sei denn, es ginge dem Autor lediglich um die Begründung seiner These, doch dann hätte er das Buch auch um die Hälfte kürzen können. Es ist also ein Spagat zwischen einer kurzen Gesamtdarstellung des Mittelalters für interessierte Einsteiger und einer Begründung der These, dass die Geschichte des Mittelalters zeigt, dass Geschichte nicht auf ein bestimmtes Ziel hin verläuft, sondern immer nur von der Vergangenheit her, und das Ganze auf gerade mal 550 Seiten, wobei der Anhang fast ein Drittel des Buches ausmacht.

Etwas vom Wichtigsten der Zeit des Mittelalters wird mit einer kurzen Handbewegung weggewischt: Weil sich das Christentum in verschiedenen Teilen Europas (gemeint wird damit wohl das Schisma zwischen der West- und der Ostkirche sein) unterschiedlich entwickelt habe, könne man deshalb nicht von einer gemeinsamen religiösen Kultur sprechen. Danach gibt es nur noch wenige Erwähnungen des Christentums, welche sich im großen Ganzen darauf beschränken, die Entwicklung einzelner germanischer Völker zu beschreiben. Eine eigentlich zwingend notwendige Gesamtdarstellung der Ausbreitung des Christentums und die Bedeutung dessen für die weitere Entwicklung des Mittelalters in Klöstern, bei der Krankenhilfe, für die Akademie, und so weiter, aber ganz besonders auch das jüdisch-christliche Welt- und Menschenbild, das eine positive Sichtweise von Realität, Vernunft und von der menschlichen Gestaltungsmöglichkeit des Lebens mit sich brachte und damit letzten Endes eine Grundlage für die weitere Entwicklung der Naturwissenschaften mit sich brachte, wird unter den Tisch gekehrt. Vermutlich deshalb, weil es die These des Autors wie ein Kartenhaus zum Einsturz brächte, denn das christliche Weltbild ist teleologisch auf die Ewigkeit als Ziel ausgerichtet.

Viele Exkurse fand ich spannend und habe durchaus das Eine oder Andere dazugelernt, etwa über Katharina von Siena und Margery Kempe. Dass die Übersetzerin im Buch das Wort „Gender“ durchweg unübersetzt stehen ließ hat mich allerdings irritiert, da aus dem Kontext hervorgeht, dass das biologische Geschlecht gemeint ist und damit etwas anderes als was sich hinter dem verdeutschten Fremdwort üblicherweise verbirgt. Auch der Kurzüberblick war interessant, wenn auch – um der Buchlänge willen – extrem kurz und damit zwangsläufig auch einseitig. Pro umrissenen Zeitraum beschränkte sich der Autor auf jene Gegenden innerhalb Europas, in welchen die Veränderungen am stärksten zutage traten. Damit ist jedoch sofort wieder viel anderes zu kurz gekommen. Man könnte sagen: Der Autor hat sich jeweils um die Gebiete gekümmert, welche seine These am besten unterstützen. Im Falle dieses Buches hätte ich es besser gefunden, wenn der Autor seine zwei selbstgestellten Aufgaben in zwei Bänden veröffentlicht hätte. Einen als kurzen Überblick über das Mittelalter für Laien, dafür aber auch so formuliert, dass es jeder leicht versteht, und noch etwas ausgewogener die verschiedenen Gebiete Europas beleuchtend. Und dann in einem zweiten Band die Verteidigung seiner These, die dann ihrerseits auch wieder etwas ausführlicher sein darf.

Fazit:

Es ist viel Interessantes im Buch enthalten, der Autor schenkt lebendig geschriebene Einblicke in das Leben im Mittelalter. Um seine These stützen zu können, wird jedoch vieles einseitig beschrieben oder Wichtiges weggelassen. Ich gebe dem Buch drei von fünf Sternen.

Buchtipp: Die RAF hat Euch lieb

Die RAF hat euch lieb von Bettina Roehl

Röhl, Bettina, Die RAF hat Euch lieb, Wilhelm Heyne Verlag München, 2018, 640 Seiten, Verlagslink, Amazon-Link

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar dieses Buches.

50 Jahre Ausnahmezustand, 50 Jahre Protestiererei und kein Ende in Sicht. Dies ist das Fazit, das Bettina Röhl in ihrem Buch aus ihrer Beschäftigung mit der RAF zieht. Wie schon der erste Band „So macht Kommunismus Spaß“ ist auch dieses Buch nicht so leicht einem Genre zuzuordnen. Es ist wieder eine Mischung aus Biographie, Autobiographie, Geschichtsschreibung und journalistischen Beiträgen. Negativ aufgefallen ist mir vor allem eine gewisse Anzahl von Flüchtigkeitsfehlern was die Rechtschreibung betrifft. Da hätte eine weitere Durchsicht durch ein Lektorat nicht geschadet.

Die Autorin beleuchtet mit vielen originalen Quellen und auch zahlreichen Transkriptionen von Interviews, die sie mit Beteiligten von damals führte, die Zeit von 1967 bis 1972. Es gibt am Ende noch einen kurzen Abstecher in 1974 und wenige Sätze zum Tod ihrer Mutter 1976, aber diese Zeit wird wohl im dritten Band ausführlicher abgedeckt werden, wenn es um die Zeit bis zur Bundeskanzlerwahl Helmut Kohls gehen soll. Auch hier wird wieder schnell sichtbar, dass es sich unter anderem auch um eine Suche nach sich selbst geht, es ist eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter, der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof und deren Umfeld im Zuge der 68er-Bewegung in Deutschland.

Es ist ein wichtiges Buch, vor allem deshalb, weil es mit vielen sich hartnäckig haltenden Legenden aufräumt. Bis heute versuchen viele Menschen, den Zustand des Protests als notwendig und richtig vorauszusetzen. Protestler werden zu Helden stilisiert, dabei handelt es sich lediglich um kriminelle Terrorbanden, die gegenüber der Polizei keinerlei moralische Rechtfertigung für ihr Handeln erbringen können. Röhl fragt sehr treffend dazu: „Warum wollte diese im Wohlstand aufgewachsene Generation das System, den Kapitalismus, die Bundesrepublik zerstören und den Menschen, die ihr Glück in dieser Bundesrepublik machen wollten, das Paradies rauben und einen nebulösen ‘neuen Menschen’ kreieren, der sie selber in keiner Weise waren?“ (S. 37)

Im Laufe des Buches werden einige Gründe genannt, und ich bin der Meinung, dass Röhl auch hier nicht alle Gründe erkennt, die zu diesem Phänomen des Protestismus geführt haben. In einem behält sie jedoch absolut recht: Protest um jeden Preis kam irgendwann in den Sechzigerjahren in Mode und ist bis heute in Mode geblieben, ein Ende ist nicht in Sicht. Und jedes Jahr wird eine neue Protest-Sau von einer anderen Gruppierung, die gerade oben schwimmt, durchs Dorf getrieben. […] Wer das Protestgefühl am kreativsten, brutalsten, geschicktesten oder prominentesten anzusprechen weiß, wer den richtigen Riecher hat, was wieder zieht, hat die größten Chancen, mit seiner Protestidee Furore zu machen, die Medien zu gewinnen und moralisch, sozial, finanziell bis hin zur Würdigung von Bürgermeistern, Regierungschefs, Chefredakteuren, Gewerkschaften, bekannten Schauspielern und anderen öffentlichen Persönlichkeiten den neuen Protesthit zu landen.“ (S. 79)

Das Buch von Bettina Röhl gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil geht es um die APO-Bewegung, Rudi Dutschke, Benno Ohnesorg, und die Eltern der Autorin, welche durch die Zeitschrift „konkret“ in dieser Bewegung mitmischten. Im zweiten Teil wird die Gründung der RAF beschrieben und im dritten Teil vor allem mit den zahlreichen Legenden um Ulrike Meinhof aufgeräumt. Spannend fand ich besonders auch die Schilderung der Entführung der beiden Röhl-Zwillinge – erst nach Sizilien, und später eine zweite Entführung wieder nach Deutschland zurück. Weil die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof nicht wollte, dass ihre Töchter zu ihrem Exmann Klaus-Rainer Röhl ziehen, ließ sie die beiden über die grüne Grenze in ein sizilianisches Barackenlager entführen. Der Plan war, dass die Töchter später in ein palästinensisches Waisenhaus kommen sollten. Zum Glück kam der Journalist Stefan Aust gerade noch rechtzeitig, um die Beiden abzuholen und wieder zurück nach Deutschland zu bringen, bevor Ulrike sie von Sizilien in palästinensisches Gebiet verfrachten konnte.

Die große Frage, die bleibt, betrifft die Notwendigkeit und die Bewertung von 68. Hier bin ich mit der Autorin nicht ganz einig, wenngleich ich ihre Sichtweise gut nachvollziehen kann. Ich denke allerdings, dass man das Ganze etwas differenzierter sehen sollte. Es ist insofern verständlich, als dass sie, die ja so viel Schreckliches durch diese Ideologie erlebt hat, sich durch ihre Bücher deshalb auch autobiographisch ein wenig an der Bewegung abarbeitet. Doch meine ich, dass besonders drei Gesichtspunkte zu kurz kommen. Der technologische Fortschritt, welcher damals die ganze Welt ins Wohnzimmer gebracht und die Konsumenten mit Inhalten überfordert und hilflos gemacht hat, ist mit ein Grund. Die Bewegung von ’68 war eine mögliche Reaktion auf die Reizüberflutung durch diese Massenmedien, die zu jenem Zeitpunkt in sehr vielen Familien Einzug gehalten haben. Zweitens waren die ’68er eine Bewegung, für die der Boden in gewisser Weise bereitet war. Die schrecklichen Geschehnisse im Zuge des 2. Weltkriegs haben Verunsicherung geschaffen und unter der jungen Generation gerade in Bezug auf Vietnam, China, UdSSR, DDR, etc. zu einer einseitigen Blindheit geführt. Last but not least ist die Antwort der Autorin auf die Frage der Bewertung dieser Zeit näher an der Bewegung selbst, denn sie gibt eine säkulare Antwort auf eine säkulare Bewegung. Meines Erachtens macht die fehlende biblisch-theologische und heilsgeschichtliche Einordnung dieser Zeit eine objektive Bewertung unmöglich. Nichtsdestotrotz ist es ein enorm lesenswertes Buch, das einen tiefen Einblick in das Leben ihrer Familie und damit ins Zentrum der 68er-Bewegung gibt.

Fazit:

Ein weiteres sehr gut recherchiertes Buch von Bettina Röhl über ihre Familie, die 68er-Bewegung und die RAF. Am Ende bleiben Fragen offen, aber insgesamt kann ich es jedem weiter empfehlen, der sich für diese Zeit interessiert. Ich gebe dem Buch fünf von fünf Sternen.

Der historische Ansatz einer Biblischen Theologie

Der historische Ansatz ist derjenige, welcher wohl am ehesten dem Ideal entspricht, das sich Johann Ph. Gabler, Begründer der Biblischen Theologie, einst gewünscht hatte. Man müsse die verschiedenen Zeiten beachten, in welchen die biblischen Autoren ihre Schriften in unterschiedlichen Genres aufgeschrieben hätten. Ob und wie sinnvoll diese Einteilung ist, muss natürlich auch noch geklärt werden. Bei der Darstellung der Biblischen Theologie mit dem historischen Ansatz ist die Abhängigkeit von der Einleitungswissenschaft (das heißt von der Beantwortung der Fragen nach der Verfasserschaft und Abfassungszeit, sowie Leserschaft und Zweck der Abfassung) sehr ausgeprägt. Die Frage ist hier immer, wer was wann geschrieben hat, und alle theologischen Dimensionen dieser Darstellung sind auf das Engste mit der Entstehung verknüpft. Es wird an der Stelle dann zunächst die Entscheidung zu treffen sein, ob man von einer heilsgeschichtlichen (offenbarungstheologischen) oder von einer religionsgeschichtlichen (historisch-kritischen) Darstellungsweise ausgehen will, bzw. muss.

Religionsgeschichte oder Heilsgeschichte?

Die Darstellung als Religionsgeschichte versucht, alle inneren Probleme und Schwierigkeiten mit Hilfe der historischen Kritik zu lösen. Göttliche Offenbarung und übernatürliches Eingreifen darf es nicht geben, stattdessen werden die Schriften in verschiedene Zeiten und historische Abschnitte eingeteilt und mit der religiösen Umwelt verglichen. Die biblische Religion hat sich durch Einflüsse aus der Umwelt entwickelt, das ist das historisch-genetische Modell. Es hat eine Evolution aus animistischer und polytheistischer Religion geben müssen, die sich irgendwann zum Monotheismus entwickelt hat. Das ist das religionsgeschichtliche Modell einer Biblischen Theologie. Der Monotheismus muss dabei immer als der letzte Schritt gesehen werden. Jeder Zeitepoche und jedem Autor wird sodann eine aus den jeweiligen Texten herausgeschälte Theologie zugeordnet. Die Bibel ist somit eine riesige Sammlung von verschiedenen Einzeltheologien. Das kanonische Buch Jesaja zum Beispiel wird durch historisch-kritische Einleitung in zwei oder drei Teile von jeweils verschiedenen Autoren eingeteilt, von welchen jeder eine eigenständige Theologie untergejubelt bekommt.

Als zweite Möglichkeit kann heilsgeschichtlich gearbeitet werden. In der Arbeitsweise geht man hier üblicherweise von der göttlichen Offenbarung der Bibel aus, die schrittweise (also progressiv) verläuft. Es gibt heilsgeschichtliche Entwürfe, die die literarkritischen Ergebnisse der Forschung als Ausgangspunkt nehmen (zum Beispiel Gerhard von Rad), andere gehen von einem bibeltreuen Standpunkt aus, nehmen also an, dass die Bibel, so wie sie heute erhalten ist, vollumfänglich von Gott inspiriert ist.

Gefragt werden muss natürlich auch bei diesem Ansatz, welcher Weg sich aus der Schrift selbst ableiten lässt. Da ist es sehr wichtig, dass nicht von außen her irgendwelche philosophischen Kriterien herangetragen werden, die der biblischen Botschaft schon gar nicht gerecht werden können. Deshalb muss gefragt werden, ob die Bibel denn in sich den Hinweis auf eine historische Lesart enthält. Gerhard Maier ist überzeugt davon: „Dennoch muß man von der Geschichtlichkeit der Schrift sprechen. Warum? Weil die göttliche Offenbarung in die Menschheitsgeschichte eingegangen ist. Und zwar nicht nur einmal, wie der Islam von seinem Koran behauptet. Sondern in einer Kette von Ereignissen, die selber wieder neue Geschichte geschaffen haben (Hebr 1,1f).“1

Dies hat zur praktischen Konsequenz, dass eine historische Darstellung der Biblischen Theologie sehr wohl angemessen ist. Ob und wie sie der Praktischen Theologie letztlich dienlich ist, wird noch zu evaluieren sein. Aber es lässt sich an der Stelle bereits festhalten, dass die zahlreichen Stammbäume und die historischen Berichte der Bibel das geschichtliche Verständnis geradezu herausfordern, die Schrift geschichtlich zu verstehen und zu interpretieren.

Wichtige Vertreter des Konzepts

Das heilsgeschichtliche Denken ist seit den frühesten Anfängen der christlichen Kirchengeschichte zutiefst in der Theologie verankert. Philipp Vielhauer schreibt zum Matthäus-Evangelium:

Eine Sonderstellung nehmen die sog. Reflexionszitate ein. Sie sind durch zweierlei gekennzeichnet. Einmal durch die reflektorische Zitationsformel: „Dies (alles) geschah, damit erfüllt werde…“. Dann durch den Texttypus: Es ist nicht der LXX-Text, aber auch nicht die genaue griechische Wiedergabe des massoretischen Textes, steht diesem aber näher als dem der LXX. […] Mit solcher Verwendung des AT, speziell mit dem Gedanken einzelner Erfüllungen, konstruiert Mt das Bild einer Heilsgeschichte, die Israel, Jesus und die Zeit der Kirche umspannt.“2 Die Heilsgeschichte der Bibel entstammt also ihr selbst, denn der neutestamentliche Gebrauch des Alten Testaments deutet recht klar darauf hin. Noch deutlicher wird diese Ausprägung in der frühen Gemeinde, wenn Paulus vom Kreuzesgeschehen als Zentrum der Geschichte3 und Telos (Ende oder Ziel) des Gesetzes4 spricht. Auch unter den Kirchenvätern gab es zahlreiche, welche die Bibel heilsgeschichtlich betrachteten. So zum Beispiel Augustinus von Hippo in seinem Werk über den Gottesstaat, wo er die Weltgeschichte in sieben Zeitalter einteilte.

Auch die Reformatoren Luther und Calvin haben ihre Christologie zu großen Teilen aus dem Alten Testament gewonnen, was zeigt, wie normal und richtig für sie das sich aus dem reformatorischen Prinzip „Sola Scriptura“ ergebende heilsgeschichtliche Denken war.

In der Zeit nach der Reformation entwickelte sich der Begriff von der „oeconomia temporum“, so zum Beispiel in der Zeit des beginnenden Pietismus unter Johann Heinrich May (um 1700). Auch bei J. Ph. Gabler findet sich der geschichtliche Ansatz, mit der einen Einschränkung, dass nämlich „die Perioden der alten und neuen Religion“ getrennt werden sollen. Das ist ein religionsgeschichtliches Modell. Oder zumindest die dazu gehörende Methodologie, die Gabler da entwickelte5.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wuchs diese Forderung nach der rein religionsgeschichtlichen Betrachtung der Bibel und mündete zum Ende jenes Jahrhunderts in die Religionsgeschichtliche Schule der Göttinger Universität. C. H. H. Scobie beschreibt jenen Übergang:

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert begannen archäologische Entdeckungen (die bis heute andauern) Informationen zu liefern über den antiken Nahen Osten und die gräco-romanische Welt. Für viele begannen diese Entdeckungen die Einmaligkeit des biblischen Glaubens in Frage zu stellen. Babylonische Schöpfungsmythen und Gesetzestexte, jüdische Apokalyptik, hellenistische Mysterienreligionen und vorchristlicher Gnostizismus lieferten beachtliche Parallelen zum biblischen Material, das nicht länger isoliert studiert werden konnte.“6

Ausgehend von diesen Entdeckungen entstand im Deutschland des beginnenden 20. Jahrhunderts nebst der Religionsgeschichtlichen Schule der sogenannte „Bibel-Babel-Streit“. Friedrich Delitzsch sah in seinen Studien viele solche Parallelen der Bibel mit der altbabylonischen Welt und behauptete 1902 in einem öffentlichen Vortrag, dass die Bibel erst dann richtig verstanden werden könne, wenn man zuerst die babylonische Kultur studiert und verstanden habe. Dies löste eine Flut von Schriften aus, sodass Delitzsch ein Jahr nach dem ersten Vortrag einen zweiten solchen hielt und seine These mit weiterem Material noch zu festigen suchte.

Auch in der Theologie der Nachkriegszeit bekam die geschichtliche Dimension eine große Bedeutung, insbesondere bei Gerhard von Rad. Von Rad findet über den Weg der historisch-kritischen Lesart der Bibel zu einer Heilsgeschichte. Das ist bemerkenswert. Im Zentrum steht für ihn das Bekenntnis zum in der Geschichte handelnden Gott: „Schon die ältesten Bekenntnisse zu Jahwe waren geschichtsbedingt, d. h. sie verknüpfen den Namen dieses Gottes mit der Aussage von einer Geschichtstat. Jahwe, „der Israel aus Ägyptenland herausgeführt hat“, ist wohl die älteste und zugleich die am weitesten verbreitete dieser Bekenntnisformeln.“7

Nach Gerhard von Rad kam auf der einen Seite in den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts das „kanonische Konzept“ auf, welches hier (Link) betrachtet wird, andererseits kamen Rainer Albertz und Werner H. Schmidt bewusst zurück zur Religionsgeschichte: „Mit der Wiederaufnahme der religionsgeschichtlichen Fragestellung übernimmt die heutige Forschung zugleich das Ziel der religionsgeschichtlichen Schule: Die „ins Zentrum zielende Frage“ richtet sich auf die „Besonderheit Israels innerhalb der Welt der altorientalischen Religionen“ (R. Rendtorff, 738), „die unverwechselbare Einzigartigkeit Israels innerhalb der Religionen des Altertums“ (K. Koch, 106). Allerdings drängt sich jene Frage nach der Eigenart Israels zugleich in neuer, diffizilerer Form auf: Nach welchen Kriterien wählt alttestamentlicher Glaube aus der Vielfalt der fremdreligiösen Phänomene aus, wandelt das Übernommene um und stößt mit seinem Wesen Unvereinbares ab? Damit gewinnt religionsgeschichtliche Forschung zugleich eine theologische Aufgabe.“8

Vorteile des geschichtlichen Ansatzes

Julius Steinberg schreibt dazu: „Es kommt nämlich nicht nur darauf an, welche historischen Informationen uns biblische Texte vermitteln, sondern auch, wie sie es vermitteln, welche Akzente sie beispielsweise bei der Darstellung setzen, mit welchem Ziel bestimmte historische Ereignisse wiedergegeben werden, welche Glaubensbotschaften damit übermittelt werden. Um die Glaubensbotschaften zu erfassen, darf nicht nur hinter dem Text, es muss auch im Text gearbeitet werden. Nicht die Geschichte allein, sondern die im biblischen Wort beschriebene und gedeutete Geschichte muss die Basis einer alttestamentlichen Theologie sein.“9

Die Bibel ist zum größten Teil als Geschichte geschrieben. Zwar mit gewisser wertender Auswahl des Geschehenen, welche in einer Theologie natürlich behandelt werden muss, aber sie ist als Geschichte verfasst. Deshalb „können große Teile des Alten Testaments relativ problemlos in dieses Raster eingeordnet werden“10, wie Steinberg daraufhin fortfährt.

Auch LaSor, Hubbard, Bush sehen in der Bibel von der Urgeschichte an diese Entfaltung der Heilsgeschichte:

Der Aufbau der Urgeschichte läßt erkennen, daß ihr Autor vor der Frage steht, wie die Geschichte Gottes mit dieser zerstreuten und entfremdeten Menschheit weitergehen soll. […] Der Pentateuch läßt sich somit in zwei große Abschnitte einteilen: Gn 1 – 11 und Gn 12 – Dt 34. Im ersten Abschnitt wird die Frage ausgebreitet, im zweiten die Antwort gegeben; der erste liefert die Problemstellung, im zweiten bahnt sich die Lösung an. Der Angelpunkt ist Gn 12, 3.“11

Mit der Segensverheißung in Genesis 12,3 ist tatsächlich der Dreh- und Angelpunkt des weiteren Geschehens zu finden, das sich bis zum Ende des Neuen Testaments, der Offenbarung, hinziehen soll. Sehr interessant ist, dass die Offenbarung viele Elemente aus der Urgeschichte wieder aufnimmt: Der Baum des Lebens erscheint wieder, die Schlange, die in der Urgeschichte all das Unheil angerichtet hatte wird gerichtet, und viele weitere mehr. Die Urgeschichte eskaliert, weil der Mensch sich selbst erhöht und sich von Gott abwendet, deshalb wird er in alle Himmelsrichtungen verstreut. In der Offenbarung sammeln sich aus allen Himmelrichtungen die Menschen, um sich vor Gott zu beugen und ihn, den Herrn zu erhöhen.

Auch für die Predigt eignet sich das heilsgeschichtliche Konzept gut, denn durch eine heilsgeschichtliche Verkündigung lernen die Gemeindeglieder die Bibel auch eigenständig recht zu verstehen, in so fern würde dieses Konzept die Predigtvorbereitung erleichtern oder zumindest unterstützen. Armin Mauerhofer schreibt zur Predigt Folgendes:

Da die Inspiration ein heilsgeschichtlicher Vorgang ist, haben wir die Heilige Schrift auch heilsgeschichtlich auszulegen. Das heilsgeschichtliche Denken öffnet den Blick für die Einheit der Bibel. Sie nimmt den Spannungsbogen von Prophetie und Erfüllung ernst. Kein Teil der Schrift ist in ihrem heilsgeschichtlichen Ganzen entbehrlich. Die Bibel schreitet eben gerade nicht von minderwertiger Offenbarung (Rachegebete, rächender Gott) zu immer klarerer Offenbarung voran. Die Aussagen der Bibel sind in ihrem heilsgeschichtlichen Ganzen gleichwertig.“12

Gerade weil die Gemeinde durch die Verkündigung das biblische und damit heilsgeschichtliche Denken aufnehmen und erlernen soll, ist es wichtig, dies zu fördern und zu unterstützen. Dennoch muss man sich natürlich bewusst sein, dass jedes Modell und jedes Konzept eine Konstruktion ist. Deshalb hat auch der geschichtliche Ansatz gewisse Nachteile.

Nachteile des geschichtlichen Ansatzes

Der größte Nachteil des geschichtlichen Konzepts ist derjenige, dass die Bibel, insbesondere das Alte Testament, zeitlose Schriften beinhaltet. Damit ist vor allem die Weisheitsliteratur gemeint. Von der Einleitungswissenschaft herkommend lassen sie sich natürlich alle irgendwie historisch verorten, haben jedoch zeitlose Allgemeingültigkeit was ihren Inhalt betrifft. Die Theologie der Weisheit ist somit nicht von ihrem historischen Kontext abhängig. Damit kann man nun unterschiedlich umgehen. Gerhard von Rad zum Beispiel hat diesen Teil des Alten Testaments in einem gesonderten Band der Theologie behandelt. Nur ganz am Rande streift er in der Theologie des Alten Testaments im letzten Kapitel des ersten Bandes die Weisheit und komprimiert sie auf die Aussagen Israels zur göttlichen Weisheit und zur israelitischen Skepsis13.

Auch die Abhängigkeit von der Einleitungswissenschaft macht die Darstellung der Biblischen Theologie auf der historischen Grundachse nicht gerade einfacher. Für jedes behandelte historische Zeitalter muss zunächst die von der Einleitungswissenschaft vorgegebene Einleitung in die jeweiligen Schriften mit einbezogen werden.

Fazit

Mit Peter Stuhlmacher muss eine Rückkehr zur exegetischen Methodologie der Reformation gefordert werden:

In kritischem Anschluß an die altkirchliche und mittelalterliche Schriftauslegung sind die Reformatoren im Rahmen des dritten Glaubensartikels zu einer historisch-theologischen Betrachtung der biblischen Texte aufgebrochen, und die Orthodoxie ist mit ihrer Lehre vom testimonium spiritus sancti internum [dem der Bibel innewohnenden Zeugnis durch den Heiligen Geist; JE] auf ihrer Spur geblieben. Die dauernde Emanzipation von diesem Ansatz hat heute zur Folge, dass die historisch-theologische Forschung nicht mehr in der Lage ist, Gottes Wirken in der Geschichte konkret zu denken, die ekklesiologische Bezogenheit aller maßgeblichen biblischen Überlieferung ernstzunehmen und zudem gebührend zwischen prinzipiell revidierbarer geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis und der gewißmachenden Erkenntnis des Glaubens zu unterscheiden.“14

Da der historisch-theologische Charakter der Schrift so ausgesprochen wichtig ist, macht es Sinn, den geschichtlichen Ansatz zu wählen. Gerade auch in der heutigen Zeit der blinden Nivellierung alles Geschichtlichen könnte sich dies als ein heilsamer Ansatz erweisen. Auch die Wichtigkeit der Heilsgeschichte in der Predigt würde dies unterstützen. 

Fußnoten:

1 Maier, Gerhard, Biblische Hermeneutik, R. Brockhaus Verlag Wuppertal, 1. Aufl. 1990, S. 179

2 Vielhauer, Philipp, Geschichte der urchristlichen Literatur, Walter de Gruyter Berlin, 1975, S. 362

3 Zum Beispiel 1. Korinther 15, 17 – 19

4 Römer 10, 4

5 Strecker, Georg, Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1975, S. 38

6 Scobie, C. H. H., History of biblical theology, in: Alexander, T. Desmond, New Dictionary of Biblical Theology, IVP Reference Collection, InterVarsity Press 2000, S. 15, Übersetzung: JE

7 Von Rad, Gerhard, Theologie des Alten Testaments, 2 Bde., Chr. Kaiser Verlag München, 1961, S. 127

8 Schmidt, Werner H., Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte, Neukirchener Verlag, 6. Aufl. 1987, S. 12

9 Steinberg, Julius, Dimensionen alttestamentlicher Theologie in: Klement, Herbert H., Steinberg, Julius, Themenbuch zur Theologie des Alten Testaments, R. Brockhaus Verlag Wuppertal, 1. Aufl. 2007, S. 26f

10 Ebd.

11La Sor, W. S., Hubbard, D. A., Bush, F. W., Das Alte Testament, Entstehung – Geschichte – Botschaft, Theologische Verlags-gemeinschaft Wuppertal, 4. Aufl. 1989, S. 69

12 Mauerhofer, Armin, Jesus Mitte jeder Predigt, Jota Publikationen Hammerbrücke, 2005, S. 34f

13 Von Rad, Gerhard, Theologie des Alten Testaments, 2 Bde., Chr. Kaiser Verlag München, 1961, „Israel vor Jahwe“

14 Stuhlmacher, Peter, Thesen zur Methodologie gegenwärtiger Exegese; in: ders., Schriftauslegung auf dem Wege zur Biblischen Theologie, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 1975, S. 52

Bibelkritik: Was ist eigentlich historisch-kritisch und was nicht?

Nachdem ich vor ein paar Tagen Gründe gesucht habe, warum Menschen zu Bibelkritikern werden, möchte ich heute fragen, was eigentlich die historisch-kritische Bibelauslegung ausmacht, ob man sie definieren und von anderen Methoden abgrenzen kann, die nicht zur historisch-kritischen Methode gehören. In meiner Auseinandersetzung mit der Geschichte der Biblischen Theologie habe ich einzelne Abstecher in die Geschichte der historisch-kritischen Methode gemacht, da diese beiden Bereiche in manchen Fällen sehr nahe beisammen liegen. Im oben verlinkten PDF kann deshalb dazu noch mehr gelesen werden. Im Weiteren zitiere ich zum Teil aus diesem Dokument und kommentiere diese Zitate.
Die Geburt der historisch-kritischen Methode
Die historisch-kritische Methode ist innerhalb der Kirchengeschichte sehr jung, während die Auslegung der Bibel schon so alt ist wie die Bibel selbst. Innerhalb der Bibel finden sich viele Auslegungspredigten und Hinweise auf solche, die gehalten wurden. Die Geburt der historisch-kritischen Methode ereignete sich vor noch nicht einmal 250 Jahren, nämlich 1771, als der Halle’sche Pietist Johann Salomo Semler seine Schrift „Abhandlung von freier Untersuchung des Canons“ veröffentlichte.
Dazu muss ich zwei Bemerkungen anfügen. Erstens macht sich jeder, der seither die historisch-kritischen Methoden als alternativlos bezeichnet, des Vorwurfs schuldig, das Christentum hätte über 1700 Jahre lang die Bibel nicht richtig verstehen können und habe deshalb einen minderwertigeren Glauben gehabt.
Zweitens müssen wir deshalb klar festhalten, dass alle Methoden der Bibelauslegung, die bereits vor 1771 vorhanden waren, keinesfalls als Teile der historisch-kritischen Methode bezeichnet werden dürfen. Selbstverständlich darf sich jeder auch dieser früheren Vorgehensweisen bedienen, allerdings ist es unzulässig, sie als Methoden der HKM zu vereinnahmen. Leider wird dies allzu gerne getan, damit man zu besseren Argumenten für die HKM kommt, indem man zuerst legitime, auch bei Bibeltreuen beliebte Methoden vorstellt, sie dann zum Arsenal der HKM zählt, und im Anschluss argumentiert, wer jene Methoden gut finde, müsse für den Rest auch offen sein. Diese Vorgehensweise ist enorm unehrlich, besonders auch deshalb, weil jeder, der sich noch nicht so ausführlich mit der Theologiegeschichte auseinandergesetzt hat, solcher Propaganda leicht auf den Leim geht.
Bibelauslegung vor 1771
Vor 1771 wurde die Bibel schon viele Jahrhunderte lang ausgelegt. In der Zeit der Urgemeinde und der Kirchenväter bis weit ins späte Mittelalter war die Rede vom vierfachen Schriftsinn:
1. Wörtlich-geschichtliches Verständnis („Was hat das für den ersten Leser bedeutet?“)
2. Allegorisch-typologisches Verständnis („Auf was kann man es sonst noch übertragen?“)
3. Moralisch-ethisches Verständnis („Wie kann ich das leben?“)
4. Anagogisch-eschatologisches Verständnis („Was sagt das über die Ewigkeit aus?“)
Diese Auslegungspraktiken haben zum Teil durchaus ganz interessante Blüten getrieben. In der Zeit der Reformation kam man zum Schluss, dass vor allem der erste Punkt und darunter untergeordnet auch der dritte wichtig ist. Man hat die Bibel wörtlich verstanden, sah ihre Inhalte als geschichtlich so wahr und tatsächlich geschehen an, und begnügte sich mit einem einfachen, kindlichen Vertrauen in Gott und Sein Wort.
1516 erschien das griechische Neue Testament erstmals gedruckt, und zwar von Erasmus von Rotterdam in Basel ediert. Er hat das mit den damals vorhandenen Manuskripten textkritisch bearbeitet. Insofern ist es falsch, die Textkritik, also den Vergleich mehrerer Handschriften für die möglichst genaue Erarbeitung des Textes, als Teil der historisch-kritischen Methode zu bezeichnen. Leider waren Erasmus erst wenige Handschriften zugänglich, da noch nicht so viele gefunden worden waren.
Die Auslegung der Reformation und der Zeit danach kann man als grammatisch-historische Auslegung bezeichnen. Es wurde auf die genauen Worte im Urtext, die Formen der Grammatik, die Geschichte und Bräuche der damaligen Zeit, soweit bekannt, geachtet. Auch die verschiedenen Gattungen wurden genau beachtet, ob es sich um einen Brief, einen Psalm, ein Geschichtswerk, eine Prophetie, etc. handelte, wurde ernst genommen. All diese Vorgehensweisen können somit nicht original zu den historisch-kritischen Methoden gezählt werden. Wer etwa die Kommentare und Predigten von Johannes Calvin liest, wird eine meisterhafte Darbietung dieser Methoden vorfinden, auch wenn man natürlich nicht in allen Fragen mit ihm einverstanden sein muss.
Ernst Troeltsch und die Definition der HKM
Ernst Troeltsch untersuchte die bisherige historisch-kritische Methode und suchte nach einer Definition und Methodik, die der Theologie helfen sollte, auf diese Art und Weise zu arbeiten. Er stellte auf diese Weise ein dreifaches Werkzeug her, das er in seinem Buch Über historische und dogmatische Methode in der Theologie ausführte:
a. Kritik:
Alles muss zunächst einmal angezweifelt werden. Nichts darf per se als wahr betrachtet werden, wenn seine Wahrheit nicht zuerst nachgewiesen werden konnte. Die menschliche Vernunft (und damit der Subjektivismus) wird über jede Aussage der Bibel gestellt und muss sie in allem radikal hinterfragen.
b. Analogie:
Diese Kritik geschieht zunächst durch das Prinzip der Analogie. Das bedeutet: Man sucht nach ähnlichen Berichten und bewertet anhand derer die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Ganze tatsächlich so abgespielt haben könne. Hierdurch wird die Tatsache von Wundern komplett in den Bereich der Mythen verschoben. Auch Jungfrauengeburt und leibliche Auferstehung Jesu streitet man mit dieser Vorgehensweise ab.
c. Korrelation:
Die zweite Methode der Kritik ist die Korrelation. Es darf keine Zufälle geben, deshalb beruht alles auf Wechselwirkungen und die müssen gefunden werden. Es wird also gefragt, woher es komme, dass die biblischen Autoren genau jenes geschrieben haben, also: woher könnten sie ihre religiösen Vorstellungen haben? Von wem sind die „geklaut“? Auf welche Ursache sind die biblischen Texte zurückzuführen? Diese historisch-kritischen Werkzeuge haben seit Troeltsch den Verlauf der evangelischen Theologiegeschichte zutiefst geprägt.
Schlussbemerkungen
Es ist eine traurige Tatsache, dass die Bibelkritik in der englischen Sprache als „German higher criticism“, also „deutsche höhere Kritik“ in bewusster Abgrenzung zur Textkritik bezeichnet wird. Wir haben feststellen können, dass es schon lange vor den Erfindungen der historisch-kritischen Methoden sehr viele zuverlässige und wertvolle Hilfsmittel und Methoden gab, mit welchen die Bibel schriftgetreu und damit jesusgetreu ausgelegt werden konnte. In einem späteren Beitrag werde ich mich mit verschiedenen der historisch-kritischen Methoden auseinandersetzen. Jeder, der die bibelkritischen Methoden gut findet, darf mir gerne eine Liste von positiven Erkenntnissen zusenden, die nur dank der (echten) historisch-kritischen Methoden gewonnen werden konnten. Dabei zählen alle oben genannten (und weiteren) Methoden nicht, die schon vor J. S. Semler bekannt waren. Ich bin gespannt, ob sich irgendwer traut, diese Herausforderung anzunehmen. Bitte keine Buchvorschläge, sondern nur in eigene Worte gefasste Erkenntnisse.