Buch-Review: Die 4-Stunden-Woche

Ferriss, Timothy, Die 4-Stunden-Woche, Ullstein-eBooks, 2012, Amazon-Link

Als vor ein paar Wochen die Werbung für das Buch von Timothy Ferriss in meiner Kindle-App auftauchte, war ich gleich interessiert. Mit vier Stunden pro Woche noch ein Nebeneinkommen aufbauen, das klingt interessant. Doch schon bald wurde klar, dass das Buch sich an Menschen mit anderem Hintergrund richtet. Dazu später mehr.

Worum geht es Ferriss? Zunächst einmal ist es ein Teil seiner eigenen Lebensgeschichte, wie er sich sein Business aufbaute. Er erzählt, wie er es nirgendwo in anderen Betrieben allzu lange ausgehalten hat (und seine Vorgesetzten ebenso wenig mit ihm). Er gründete einen Vertrieb für Nahrungsergänzungsmittel für Sportler, von dem er bald recht gut leben konnte. Doch die Arbeit wuchs ihm über den Kopf, weil er alles selbst machen wollte. Mit der Zeit lagerte er den Verkauf und Vertrieb aus und ging auf Reisen. Je mehr er andere für sich arbeiten ließ, desto mehr verdiente er schlussendlich. So weit seine eigene Geschichte.

Auslagern und automatisieren

Die Strategie klingt relativ einfach. Vermutlich ist sie es auch, wenn man es wirklich darauf anlegt. Allerdings muss man in der ersten Zeit doch relativ viel Zeit und Arbeit reinstecken, bis die Sache läuft. Zunächst eine Nische finden, in welcher man eine genügend große Gewinnspanne erzielen kann. Dann eine Werbekampagne starten, um den Verkauf zu testen. Und dann, wenn es angelaufen ist, alles auslagern. Nicht nur die Produktion; auch den Versand, den Kundendienst, und so weiter. Einfach alles. Ferriss nennt das: Sich selbst überflüssig machen.

Zwei Dinge dazu: Ich weiß nicht, ob das in westeuropäischen Verhältnissen und in dieser Zeit, in welcher wir gerade leben, funktioniert. Möglicherweise sind Inflation und allgemein die Unsicherheit für viele Menschen ein Faktor, der von einigen Käufen abhält. Ich werde es auch nicht testen. Viele Nischen sind bereits ausgefüllt. Doch wenn jemand eine Idee hat, ist es ein guter Punkt, um zu starten und das mal auszuprobieren.

Für alle etwas dabei!

Auch wenn das große Thema des Buches nichts für mich persönlich ist, werde ich keinen Ferriss – pardon, Verriss – schreiben. Zu viele Details, Ideen, persönliche Geschichten, und so weiter sind darin, die im Alltag helfen, entlasten und für mehr Effizienz sorgen können. Für den momentanen Preis des eBooks ist es schon fast geschenkt. Vermutlich werden die meisten Leser nur einen Teil davon mitnehmen können. Zu viel verschiedene Punkte werden angesprochen. Da es sich aber recht leicht liest, unterhaltsam und eben auch in manchen Dingen hilfreich ist, kann ich es empfehlen.

Auch für mich, der zu gerne arbeitet, zu gerne selbst manche Fäden in der Hand behält, zu gerne zu viele Ideen umsetzt, als dass sich das in Ferriss’ Konzept reinpressen ließe, hat es eine ganze Menge kleiner Tipps und Hilfen für den Alltag gegeben. Interessante Übungen sind zu finden.

Ich gebe dem Buch 4 von 5 möglichen Sternen.

Buchtipp: Range von David Epstein

Epstein, David, Range – How Generalists Triumph in a Specialized World, Macmillan Verlag, 2019, Amazon-Link

In einer kürzlichen Coaching-Session wurde ich auf das Buch des amerikanischen Journalisten David Epstein aufmerksam gemacht. Es ist gerade für Menschen wie mich, die von sehr vielen Interessen, Ideen und Projekten angezogen sind, sehr interessant und aufschlussreich.

Zu Beginn vergleicht Epstein zwei verschiedene Arten, wie Menschen aufwachsen und lernen können. Er zieht dafür die Biographien zweier Sportler heran, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: Tiger Woods und Roger Federer. Während der Golfer Woods von jüngsten Jahren an von seinen Eltern zum Golfen gedrängt wurde, war Roger Federer als Kind nebst Tennis auch beim Fußball aktiv und erfolgreich. Erst als Teenager entschied er sich ganz für den einen Sport, in welchem er es bis an die Weltspitze brachte.

Das ganze Buch hindurch ziehen sich Geschichten, Biographien, Studien. Und da muss ich sagen: Es ist mir etwas zu amerikanisch. Der Versuch, durch eine Vielzahl von Stories eine breitere Leserschaft zu finden, ist typisch für viele amerikanische Autoren. Ich denke da immer: „weniger ist mehr“, denn der rote Faden geht in all den Geschichten immer wieder verloren.

Sehr spannend fand ich, dass die Arbeit von Daniel Kahneman, mit welcher ich mich vor ein paar Jahren bereits beschäftigte, mehrfach aufgegriffen wurde. Kahneman befasst sich viel mit den Ungewissheiten, die eine Entscheidungsfindung in offenen Systemen erschweren. Spezialisten sind gut bei Aufgaben, die ein relativ geschlossenes System voraussetzen. Etwa Schach hat ein geschlossenes System von Regeln, die immer gleich sind. Ein Schachcomputer kann Millionen von Schritten berechnen und aufgrund von bisherigen Schachspielen mit einigermaßen großem Erfolg vorausberechnen, was ein menschlicher Gegner wahrscheinlich als Nächstes tun wird. Schachspezialisten können das auf eine ähnliche Weise, doch nicht indem sie vorausberechnen, sondern indem sie das Schachbrett im Kopf in eine Reihe von kleineren Einheiten unterteilen und durch ihre Erfahrung intuitiv ähnlich genau vorhersagen, wohin das Spiel in den nächsten Zügen führt.

Die meisten Aufgaben in unserer Realität sind jedoch offene Systeme, sie haben keine geschlossene Anzahl von Regeln, sondern sind komplexer. Und hier brilliert Epstein in seinem Buch. Er zeigt, dass es gerade für diese Aufgaben immer mehr Generalisten braucht, die sich in ihrem Leben nicht nur auf eine Sache spezialisiert haben, sondern immer wieder Umwege gegangen sind, manchmal auch gehen mussten. Alle neu erlernten Fähigkeiten machen sie besser vorbereitet auf Aufgaben, die komplexer sind.

Spezialisten werden immer wichtig bleiben. Sie sind es, welche Lösungen umsetzen. Sie sind es, welche Geräte herstellen und optimieren. Aber in einer Zeit, in welcher man sich immer mehr mit Problemen in der Realität offener Systeme befassen muss, werden Spezialisten weniger häufig gebraucht. Ich möchte an der Stelle noch etwas zum Buch hinzufügen. Die letzten Jahre haben mir zwei Dinge gezeigt, die sich gerade verändern, die uns noch schneller von der großen Menge an Spezialisten wegführen. Epstein schrieb das Buch 2019, also vor etwa vier bis fünf Jahren. In den vergangenen zwei Jahren hat sich gezeigt, dass Maschinen inzwischen viel Arbeit von Spezialisten übernehmen können. Die weitere Entwicklung von GPT und ähnlichen Programmen sowie in der Welt der Robotik wird sich noch sehr viel tun, was unsere Welt, Berufe, unser Selbstverständnis als Menschen verändern wird. Viele Arbeiten von Spezialisten können nach und nach automatisiert werden und bedürfen lediglich noch menschlicher Begleitung und Überwachung.

Das Zweite, was sich gezeigt hat, ist aber auch, dass wir in einer Welt der Small Data leben. Künstliche Intelligenz, aber auch die Spezialisierung von Spezialisten ist jedoch stark auf Big Data angelegt. Big Data heißt, es gibt sehr viele ähnliche Fälle, die man vergleichen, zusammenrechnen und immer wieder den Durchschnitt findet, während jeder neue Durchschnitt näher an die Wirklichkeit führt. Wir haben uns allzu lange in einem Big-Data-Universum gefühlt.

Doch sei es in der Medizin, bei der Anamnese von Krankheiten oder auf der Straße, wo der Traum vom autonomen Fahren immer weiter davonfliegt: Die Realität ist Small Data, jeder Fall muss einzeln geprüft, abgewägt, reagiert werden. Der Mensch – und speziell noch der Generalist im Besonderen – ist ein Small-Data-Wesen, das für eine Small-Data-Wirklichkeit geschaffen wurde.

Noch einmal zurück zum Buch. Ich möchte mit einem von vielen Beispielen, die man im Buch nachlesen kann, schließen. Der Autor beschreibt eine Studie, die gemacht wurde, in welcher Comic-Autoren verglichen wurden. Interessant dabei ist, dass Autoren umso erfolgreicher darin sind, Comic-Charaktere zu entwerfen, in je mehr verschiedenen Genres sie sich schon probiert haben. Spezialisten für eine ganz bestimmte Art von Comics sind am wenigsten wahrscheinlich erfolgreich.

Ich kann das Buch sehr empfehlen und gebe ihm 4,5 von 5 Sternen.

Buchtipp: Leb deine Wahrheit

und andere Lügen

Childers, Alisa, Leb deine Wahrheit – und andere Lügen, Fonts-Verlag Basel, 2023 Amazon-Link

Leb deine Wahrheit!“, „Authentizität ist alles!“, „Du lebst nur einmal!“, „Nur die Liebe zählt!“ Dies sind ein paar der platten Lügen, die in unserer Zeit weit verbreitet sind und die Alisa Childers schonungslos aufdeckt. Auch in christlichen Kreisen hört man solches immer wieder. Besonders dort, wo sich die „Dekonstruktion“ des Glaubens etabliert hat, ist man erstaunlich unkritisch offen für so übersimplifizierte Lügen.

Die Autorin – ja, ich bin sehr dankbar, dass es in unserer Zeit immer mehr Autorinnen gibt, die uns viel zu sagen haben, oft genug mehr als viele männliche Autoren zusammen – kam aus einer Gemeinde, die theologisch immer progressiver wurde. Wie sie sich aus den Fängen dieses Progressivismus befreien konnte, beschreibt sie in ihrem ersten Buch „Ankern“ (Link). Nun hat sie nachgelegt und beschreibt eine Reihe von dekonstruktiven Glaubenslügen.

Es sind recht kurze, knackige, aber auch inhaltlich klare, deutliche Kapitel. Sehr viele anschauliche Beispiele (mir persönlich waren es ehrlich gesagt zu viele Beispiele) aus dem Leben helfen, sich das Ganze richtig vorzustellen. Ich denke, jeder, der das Buch liest, wird von Zeit zu Zeit innehalten müssen, um das Gelesene zu verdauen. Sei es, weil man schon zu viele dieser Lügen inhaliert hat, sei es, weil man sich an die deutliche Sprache gewöhnen muss, oder sei es (wie in meinem Fall), dass man zuweilen vor lauter Beispielen und #Hashtags den roten Faden des Buches verloren hat und sich erst wieder daran erinnern muss, wo man davor war.

Der Höhepunkt des Buches ist eindeutig der Schluss, der krönende Abschluss des Buches. Da geht es in einem Unterkapitel um das Kreuz Jesu. Childers schreibt: „Keine der Lügen, über die wir in diesem Buch gesprochen haben, kann im selben Raum wie das Kreuz existieren. Wenn du dir selbst genügen willst, kannst du das Kreuz nicht ertragen. Es ist das Ärgernis, das uns zeigt, dass wir aus uns selbst nicht genügen, und es ist das Heilmittel für den Mangel, der aus unserem Nichtgenügen folgt. […] Das Kreuz wird niemals ein Werkzeug des Friedens sein, solange es nicht zum Werkzeug des Todes wird.“ (S. 227f)

Das sind Sätze, die tief sinken müssen. Das braucht Zeit zum Nachdenken. Zeit zum Gebet. Zeit, um Gott immer wieder ganz neu (und doch genau so wie viele Generationen vor uns) kennen zu lernen.

Ich empfehle das Buch sehr und gebe ihm 5 von 5 Sterne.

Buchtipp: Überrascht von Furcht

Natha, Überrascht von Furcht – Der Schlüssel um wirklich mit Gott zu leben, Crosspaint Medien, Druck via Amazon, 2021, Amazon-Link

Crosspaint – meine Entdeckung des Jahres. Irgendwie ärgert es mich ein wenig. Ich bin mir gewohnt, neue Bewegungen im Internet früh zu entdecken, ein wenig zu networken, Menschen miteinander zu verbinden, junge Blogger und Internetevangelisten zu unterstützen und bekannter zu machen, doch jetzt ist da was ganz Großes im Kommen – und ich bin vier Jahre zu spät dran. Ok, jetzt bin ich wieder am Boden angekommen, und das tat gut!

Natha ist sein ein paar Jahren mit einem ganzen Team dabei, die Bibel für junge Menschen verständlich zu erklären. Die Plattform Crosspaint.tv dient dazu, gute Inhalte in vielen sozialen Medien bekannt zu machen. YouTube, Instagram, Facebook, etc. Nun hat er ein Buch geschrieben. Überrascht von Furcht. Und ich war darauf gespannt. So sehr gespannt, dass ich gleich noch einmal etwas zugeben muss: Ich finde es eigentlich super, dass es das Buch nur in der Offline-Version gibt. Aber für mich selbst hätte ich mir dennoch eine eBook-Version gewünscht. Eine zum Kaufen und sofort downloaden. Sofort. Instant. Ohne nervige Wartezeit. Und gleich loslesen auf dem Tablet. Auf diesem digitalen Gerät, das unser ganzes Denken verändert und vor dem ich auch immer mal wieder warne.

Lasst euch eins gesagt sein: Das Buch ist wirklich richtig gut! Es ist so einfach geschrieben, dass es sich leicht lesen lässt und hat dennoch so viel Tiefgang, dass man immer mal wieder innehalten und das Gelesene verdauen muss. Das Buch besteht aus fünf Teilen. Im ersten Teil wird das Problem beschrieben (bzw. eine ganze Reihe von Problemen). Im zweiten Teil wird das Hauptproblem näher angeschaut, während der dritte Teil die Lösung präsentiert. Die zwei restlichen Teile sind zur Motivation gedacht und helfen bei der Umsetzung.

Besonders gefreut habe ich mich, als ich darauf achtete, welche Autoren und Prediger genannt werden. Jonathan Edwards (mehrfach), John Piper, Tony Reinke und manche mehr, die ich auch mit viel Gewinn gelesen habe. Ebenso fand ich es spannend, dass Natha sich im Buch auch mit der Dekonversion von Rhett und Link beschäftigt. Auch wenn wir nicht ganz dieselben Schlüsse aus den Videos von R&L ziehen, finde ich, dass sich das ganz gut ergänzt.

Wie ist das nun mit der Gottesfurcht? Müssen wir Gott fürchten? Ist Gottesfurcht eine Angst vor Gott? Wenn man das Buch von Natha liest, wird deutlich, dass er sich an eine junge Generation wendet. Ich selbst habe mir diese Frage 2002/03 gestellt, als ich kurz nach meiner Bekehrung die Apostelgeschichte las und feststellte, wie wenig unsere Zeit doch der damaligen glich. Ich durfte schon sehr früh eine Reihe von Erfahrungen machen die mich dazu brachten, diese Frage mit Ja zu beantworten: Gottesfurcht enthält auch eine Art Angst. In jener Zeit stieß ich glücklicherweise auf das Buch „Die Furcht des Herrn“ von John Bevere, wo dies auch wieder bestätigt wurde. Bevere bringt es auf den Punkt, wenn er erklärt, dass Gottesfurcht uns nicht von Gott weg fliehen lässt, sondern uns vielmehr zu Ihm hin zieht. Natha geht in seinem Buch in eine sehr ähnliche Richtung.

Doch woher kommt unsere Abneigung gegen die Angst vor der Angst vor Gott? Ich glaube, das nur mit dem Dopamin und dem Zeitgeist erklären zu wollen, greift zu kurz. Gottesbilder haben viel mit unseren Vaterbildern zu tun. Die Abneigung gegen den Begriff der Gottesfurcht entstammt einer Zeit, in welcher viele junge Menschen das Leben und ihre Eltern nicht mehr begriffen: Nachdem die Eltern den 2. Weltkrieg überlebt hatten und häufig in großer Armut erst einmal wieder aufbauen mussten, was durch den Krieg zerstört war, erzogen sie ihre Kinder auch in der Zeit des wachsenden Wohlstands mit einer Strenge, wie sie im Krieg und der ersten Armut notwendig war. Die damals junge Generation wurde von vom Krieg gezeichneten, oft traumatisierten Eltern mit einer Unberechenbarkeit konfrontiert, die ihnen Angst machte. So war auch die frühe Studentenrevolution ein Aufbegehren gegen eine unnötige, unberechenbare Strenge, eine Angst vor der Angst, und wurde durch die antiautoritäre Erziehung wiederum an die nächste Generation weitervererbt. Für die heute junge Generation ist die Angst vor der Angst weniger verständlich und entsprechend ist es auch angemessen und notwendig, die biblische Lehre von der Gottesfurcht wieder neu zu betonen.

Ganz besonders in seinem Element ist Natha da, wo er über das Kreuz Jesu schreibt. Man merkt sogleich: Da ist ein Evangelist am Werk! Da schreibt einer, der das Kreuz von Golgatha zu seiner täglichen Leibspeise macht! Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Als Vorbereitung auf das Buch würde ich empfehlen, die YouTube-Serien über die Richter und den Römerbrief anzuschauen. Es gibt einzelne Aussagen, deren Tiefe man erst begreift, wenn man sich mit der jeweiligen Auslegung von Crosspaint vertraut gemacht hat.

Mein Fazit: „Überrascht von Furcht“ ist das Buch des Jahres und eines der wichtigsten, die je geschrieben wurden! Unbedingte Leseempfehlung!

Buchtipp: Demokratie, Freiheit und christliche Werte

Stückelberger, Hansjürg, Demokratie, Freiheit und christliche Werte – Liebe heilt die Gesellschaft, Esras.net GmbH, Niederbüren, 2020, Verlagslink, Amazon-Link

Eins vorweg: Der Titel des Buches hat mich fasziniert. Große Worte, die mir viel bedeuten. Ich war gespannt, wie überzeugend der Autor in den gerade mal gut 200 Seiten sein Verständnis davon darlegen kann. Ganz besonders trieb mich auch die Frage um, für welches Zielpublikum das Buch wohl geschrieben wurde.

Hansjürg Stückelberger ist ein Schweizer Pfarrer im Ruhestand, wurde letztes Jahr 90 Jahre alt und gründete mehrere Missions- und Hilfswerke, sowie die Stiftung Zukunft CH. Seit vielen Jahren sind ihm die Menschenrechte und die biblischen Werte sehr wichtig.

Das Buch selbst ist in zehn Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel werden negative Beispiele genannt – Staaten, welche sich demokratisch nennen, aber von Korruption geprägt sind. Bereits hier fällt auf, dass für das Lesen eine gewisse Bildung nötig ist. Begriffe wie „Rechtsstaat“ (S. 11) werden nicht definiert oder beschrieben, sondern als selbstverständlich bekannt vorausgesetzt. Auch im zweiten Kapitel, welches sich mit der Bedeutung der Religion für eine erfolgreiche Kultur befasst, werden viele Beispiele genannt – positive und negative. Viele Unterkapitel sind mit Geschichten aus dem persönlichen Leben des Autors gewürzt, da er viel gereist ist und Kontakt mit Menschen rund um den Erdball hat. Das zweite Kapitel schließt mit fünf Schlussfolgerungen (S. 40 – 42), in diesem Fall fünf Hypothesen, die der Autor aus dem zuvor Geschilderten schließt. Mehr dazu weiter unten.

Im dritten Kapitel kommt die Weltgeschichte bis zur französischen Revolution in den Blick. Es beginnt mit dem frühen Christentum und zeichnet den Weg auf der Suche nach echter Freiheit und Menschenwürde nach. Dieses Kapitel kann ich wirklich jedem zu lesen empfehlen. Das vierte Kapitel ist eine theologische Überlegung zur Heilsgeschichte, der Autor kehrt an den Anfang der Bibel zurück und erklärt den Beginn der Heilsgeschichte, also Gottes Geschichte mit der Welt, den Sündenfall der ersten Menschen und die Person Satans. Sodann wird im fünften Kapitel die Frage nach der Ordnung in der Welt, dem Verhältnis von Recht und Freiheit nach dem biblischen Weltbild erörtert. Im sechsten Kapitel kehrt der Leser wieder an das Ende des dritten zurück: Aufbauend auf den zwei eingeschobenen Kapiteln wird gezeigt, wie das Denken der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) zusammen mit dem biblischen Weltbild zur Demokratie in den USA führte. Die abschließenden vier Kapitel versuchen aufzuzeigen, wie das Ganze in unserer heutigen Zeit, im Alltag umgesetzt werden sollte, welche Auswirkungen das biblische Weltbild auf die Gesellschaft haben will und welches die biblischen Werte sind, welche unser Leben, Denken und Handeln bestimmen wollen.

Ich persönlich finde das Buch gut geschrieben, es entspricht meinem theologisch konservativen Weltbild, es zeigt vieles recht gut auf, wobei ich ihm zustimmen kann. Dennoch: Wirklich viel Neues habe ich nicht gelernt. Ich finde es wertvoll, wie der Autor versucht, die Geschichte der westlichen Demokratie mit der Heilsgeschichte zu verbinden. Für einen schnellen, sehr kurzen Überblick ist das Buch gut geeignet. Wer jedoch dabei weiter denken möchte, ist auf sich selbst gestellt.

Leider muss ich dem Buch auch verschiedene Schwächen attestieren. Zunächst einmal kann ich die Frage nach dem Zielpublikum bloß schwer beantworten. Es wird eine Menge Grundwissen vorausgesetzt, da – wie oben bemerkt – oft Erklärungen und Definitionen fehlen. Zugleich ist es nicht an eine akademisch geschulte Leserschaft gerichtet. Die Endnoten sind dafür zu leichtfertig angefertigt. Ein Beispiel: Wer bereits vom Gründervater und US-Präsidenten Thomas Jefferson gelesen hat, wird genauer wissen wollen, in welchem Zusammenhang er so positiv von der Bibel gesprochen hat. Die Endnote 142 mit Hinweis auf ein factum-Magazin ist hier nicht ausreichend als Beleg. Schade finde auch, dass die ganze Auseinandersetzung um die Gründung des US-Demokratie nicht näher ausgeführt wird. Es gäbe enorm viel zu lernen, wenn man sich mit den Dokumenten der Gründerväter und ihren Diskussionen noch weiter beschäftigen würde. Stückelberger handelt diese ganze Diskussion so ab, als hätte es darin schon immer einen großen Konsens gegeben.

Ähnliches gilt für die fünf Schlussfolgerungen des zweiten Kapitels. Wer – wie ich – von einem theologisch konservativen, bibeltreuen Weltbild ausgeht, kann diese durchaus als Fazit betrachten. Sie sind eine von zahlreichen Möglichkeiten, wie man die vielen Beispiele des Kapitels deuten kann – jedoch keineswegs zwingend. Und hier sehe ich eine der größten Schwächen des Buchs. Es ist für den Inhalt, den es beackern möchte, schlichtweg zu kurz. Wer Menschen, die von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen, überzeugen möchte, würde den Rest des Platzes im Buch benötigen, um dies schlüssig darzulegen.

Was vermag dieses Buch also zu leisten? Es ist eine Art Manifest, das die theologischen, politischen und sozialen Überzeugungen des Autors wiedergibt. Es eignet sich für konservative Christen, die sich in ihren Überzeugungen stärken möchten, für Christen, welche die christlichen Werte noch besser kennenlernen möchten, und für alle, die gern über die Geschichte nachdenken. Ein weiterführendes Werk zu den Themen fehlt in deutscher Sprache meines Wissens leider weiterhin. In englischer Sprache wäre „Politics according to the Bible“ von Wayne A. Grudem zu nennen.

Ich gebe dem Buch vier von fünf Sternen.

Buchtipp: Das Bekenntnis

Das Bekenntnis von John Grisham

Grisham, John, Das Bekenntnis, Heyne Verlag München, 1. Aufl. 2019, 591S., Verlagslink, Amazon-Link

Aus einem Vorurteil erwächst eine Lüge, aus der Lüge ein Mord, aus dem Mord der Zerbruch einer ganzen Familie – und am Ende steht man mit nichts in den Händen da – nichts außer dem Wissen um die Wahrheit und der Frage: War es das wert? Der Mord lässt alle ratlos zurück: Einer der beliebtesten Bewohner von Clanton, Mississippi, Pete Banning, erschießt den ebenfalls beliebten Methodistenpastor Dexter Bell. Einfach so. Banning weigert sich, eine Aussage über sein Motiv zu machen. Er wird nach einem gerichtlichen Prozess von den Geschworenen zum Tod verurteilt und auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Der Rest des Buches befasst sich mit der Suche nach den Gründen für diese Tat – und erst ganz am Schluss wird die Wahrheit aufgedeckt.

Als langjähriger Grisham-Leser, der die Justizthriller im Stil von „Die Firma“ oder „Die Akte“ noch kennt, hatte ich eine rasantere Story erwartet. Stattdessen fand ich eine sehr feinfühlige Geschichte vor, die gekonnt langsam an Spannung aufbaut und wunderbar zum Nachdenken anregt. Auf fast 600 Seiten präsentiert John Grisham eine Geschichte, die sich möglicherweise tatsächlich ähnlich zugetragen haben könnte, denn der Autor hat sie einmal erzählt bekommen, ohne sich jedoch an die genaueren Hintergründe des Erzählers erinnern zu können. Er hat deshalb die juristische Praxis der erzählten Zeit und des Umfelds recherchiert und weiter ausgeschmückt niedergeschrieben.

Die dreiteilige Struktur des Buches fand ich verwirrend und musste bei jedem Teil erst mal wieder neu in die Geschichte hineinkommen. Da hätte ich einfache Rückblenden in der Story verständlicher gefunden. Außerdem gibt es mehrmals Längen im Buch, die es zu überwinden gilt, und die zuweilen langweilig erscheinen. Dies ist zum Beispiel recht bald nach dem gut gelungenen Anfang der Fall. Doch wer das Buch dann weglegt, verpasst meines Erachtens eine Menge. Allerdings wird – wie bereits gesagt – der Leser enttäuscht, der bei Grisham immer nur die spannungsgeladenen, rasanten Justizthriller erwartet.

Wer das Buch bis zum Ende durchhält, wird mit vielen guten Fragen belohnt: Wie steht es um Vorurteile? In gewisser Weise wird auch das Selbstbild unserer Zeit in Frage gestellt: Ist unsere Abwehr gegenüber überkommenen Vorurteilen in Wirklichkeit nicht nur ein Austausch gegen neue Vorurteile? Ist die Wahrheit, die unter Umständen ziemlich schmerzen kann und manchmal auch vieles zerstört, was wir liebgewonnen haben, es wert, dass wir alle Kraft darauf verwenden, sie zu finden? Positiv finde ich hier, dass der Autor in der Figur von Joel Banning, dem Sohn des Mörders, dies bejaht und als Ausblick den Neuanfang im Wissen um diese Wahrheit vorschlägt.

Fazit:

Ein insgesamt gut geschriebener Roman, der zwar nicht in typischer Grisham-Weise ein Justizthriller ist, aber eine möglicherweise wahre Geschichte nacherzählt und dabei viele gute Fragen stellt. Einige unnötige Längen weist das Buch auf, aber wer nicht aufgibt, wird am Ende mit viel Stoff zum Nachdenken belohnt. Ich gebe dem Buch 4 von 5 Sterne.

Buchtipp: Wer die Furcht kennt

Caine, Rachel, Wer die Furcht kennt, Verlag Edition M, 1. Aufl. 2019, 431S., Amazon-Link

Gwen ist mit ihren Kindern unterwegs. Ihr Exmann Melvin ist ein brutaler Mörder, der nun auch auf seine Familie Jagd macht, seit er aus dem Gefängnis verschwunden ist. Die einzige Möglichkeit für Gwen, um sich und ihre Kinder in Sicherheit zu wissen, besteht darin, dass sie sich zum Lockvogel macht und Melvin zur Strecke bringen kann, bevor er sie erwischt.

Eigentlich eine gute Idee. Eine Story, die spannend sein könnte. Und die es auch über manche Strecken ist, wenngleich leider immer wieder von ziemlich schwachen Abschnitten durchzogen. Zunächst einmal haben die einzelnen Charaktere keine eigenständige Identität. Sie alle scheinen Klone von Gwen zu sein. Sie teilen denselben Mitteilungsdrang und äußern sich sehr ähnlich. An sich ist es ja eine gute Idee, jedes Kapitel aus der Sicht einer anderen Person zu schreiben. Aber dann wünschte ich mir auch, tatsächlich ganz verschiedene Persönlichkeiten lesen zu können. Doch seitenlange ähnliche Monologe machen die Story deshalb auch so durchschaubar.

Des Weiteren erinnert das Buch öfters an 007-Agentenfilme. Egal wie verzwickt die Lage ist – immer kann sich Gwen irgendwie rausmanövrieren. Es sind insgesamt zu viele zu unwahrscheinliche Szenen, als dass die Geschichte irgendwo noch glaubwürdig wäre. Mit der Zeit ist man nicht mehr in der Geschichte, sondern nur noch irgendwo mit dabei.

Die ersten 50 Seiten und der Schluss, so ab dem letzten Viertel, sind spannend geworden. Dazwischen ist viel Wiederholung und seitenlange Selbstgespräche über die Gedanken und Gefühle der Person, welche gerade am Reden ist. Insgesamt ist das Auf und Ab des Spannungsbogens gut gelungen, wodurch das Interesse am Buch erhalten bleibt. Doch so wirklich identifizieren konnte ich mich mit keinem der im Buch vorkommenden Charaktere, was es mir ansonsten erheblich leichter gemacht hätte, das Buch noch mehr zu mögen.

Fazit:

Ein guter Anfang und ein spannender Schluss, zwischen denen sich viele Monologe verschiedener Personen befinden, die von ihrer Persönlichkeit her allzu ähnlich sind. Vieles ist vorhersehbar. Ich gebe dem Buch drei von fünf Sternen.

Buchtipp: Cat Person

Roupenian, Kristen, Cat Person, Aufbau Verlag Berlin, 2019, 276S., Verlagslink, Amazon-Link

Cat Person ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Lebensgefühl der heutigen Twens und bis etwa Mittdreißiger befasst. Das Buch besteht aus zwölf „short stories“, die zwar einerseits eine breite Palette an unterschiedlichen Personen und Lebensgeschichten enthält, die sich doch zugleich auf einem sehr engen, oberflächlichen Gefühlsparkett bewegen. Das macht es auch schwierig, über das Buch als Ganzes zu schreiben.

Wenn man sich „Cat Person“ ehrlich nähern will, kann dies nur mittels einer doppelten Strategie geschehen. Auf der einen Seite ist da eine Sammlung von Geschichten, die geradezu durch Abwesenheit jeglicher künstlerischer Schönheit glänzen. Es sind literarische Schnellschüsse, die am meisten durch exzessive Gewalt- und Sexorgien auffallen. Es gibt wenig Handlung, wenig Entwicklung, aber dafür viel Introspektion und Zynismus. Das Absurde, das Zufällige, das Abstoßende und das Scheitern wird gefeiert und vergötzt.

Zugleich ist es der Autorin gelungen, das Lebensgefühl vieler Menschen einzufangen. Ob man dabei tatsächlich von einer ganzen Generation sprechen kann, sei dahingestellt. Es ist die Gefangenschaft in der Spannung zwischen dem Machbarkeitswahn und dem Zwang zur Selbstkonstruktion, die den Menschen dazu verurteilt, sich ständig neu erfinden zu müssen. Es ist auf der einen Seite die vermeintliche Freiheit und Autonomie des Individuums, die – um nicht im ganzen Gewusel all der anderen autonomen Individuen unterzugehen – sich selbst beständig neue Identitäten erschaffen muss. Wer darin nicht extrem ist, fällt nicht auf. Wer nicht auffällt, existiert nicht. Und zugleich ist es eine Menschheit, die danach hungert und dürstet, sich selbst – authentisch – sein zu dürfen. Nur stellt sich dann wiederum die Frage: Wer bin ich eigentlich? Was macht mich zum Menschen? Worin besteht das Menschsein an sich? Was ist mein Wert – auch dann, wenn ich niemandem auffalle?

Geld, Sex und Macht

Geld, Sex und Macht – bei Roupenian kommt das Dritte zumeist in Form von negativer Gewalt zum Vorschein – bestimmen die Welt in Cat Person. Vielleicht kommt man dem Kern noch näher mit der Frage: Was machen diese drei Dinge mit uns? Wie verändern sie unsere Psyche? Wie verändert sich unser Wohlbefinden, wenn wir uns unseren Begierden ganz hingeben? Die Autorin wirft mit ihren Geschichten all diese Fragen auf. Vermag sie jedoch auch eine Antwort zu geben? Ja und nein, denn im Sinne eines klassischen Relativismus löst sie die Fragen auf eine doppelte Weise auf: Egal, ob wir uns diesen Lebensmächten Geld, Sex und Macht hingeben oder nicht, das Ergebnis ist immer schlecht. Leider hat sie hier auch keine wirklichen Antworten zu bieten, außer einem zynischen Pragmatismus: Es kommt darauf an, was man erreichen will. Aber egal, was man erreichen will, jedes Ziel ist falsch.

Auf einer persönlichen Ebene spricht mich das Buch an, einerseits als jemand, der im selben Jahrzehnt geboren ist wie die Autorin, andererseits aber auch als Theologe, denn wir haben den Menschen unserer Zeit und Kultur das Evangelium von Jesus Christus verständlich zu übersetzen. Menschsein, Menschenwürde, Menschenrechte, Erlösung von realer Sünde und Schuld, Leitlinien für ethisches Verhalten, gerade auch im Umgang mit Geld, Sex und Macht sind alles Dinge, die dem jüdisch-christlichen Weltbild entstammen. Jesus Christus bringt echte Freiheit und Erlösung vom Zwang der Selbstkonstruktion. Er gibt echte Identität, mit der Gemeinde eine echte Familie, in der wir authentisch sein dürfen. Sein Tod am Kreuz und die Auferstehung geben uns einen unvorstellbaren Wert, den wir uns weder verdienen müssen noch können. Vielleicht wäre es an der Zeit für einen Antwortband mit Kurzgeschichten aus der biblischen Perspektive?

Fazit:

Cat Person von Kristen Roupenian ist eine schlecht geschriebene, von Sex und Gewalt durchzogene Kurzgeschichtensammlung, die zugleich in einer selten dagewesenen Schärfe das Lebensgefühl vieler junger Erwachsener zu beschreiben vermag. Ich gebe dem Buch 3 von 5 Sterne.

Buchtipp: Eisige Tage

Pohl, Alex, Eisige Tage, Penguin Verlag München, 2019, 432S., Verlagslink, Amazon-Link

Winter in Leipzig. Ein Toter wird gefunden. Reine Routineuntersuchung oder steckt da mehr dahinter? Die erste Spur führt zum Chef der Leipziger „Unterwelt“. Doch zunächst scheint dieser nichts damit zu tun zu haben. Weitere Ermittlungen zeigen, dass es um Kinderprostitution geht, deren Auswüchse bis nach Moskau führen. Wichtige Personen haben ihre Finger im Spiel und versuchen die Sache zu vertuschen. Das Ermittler-Duo Seiler und Novic haben alle Hände voll zu tun, um weitere Verbrechen zu verhindern. Eine junge Teenagerin sollte das nächste Opfer werden – sie hatte sich in einen der Entführer verliebt und wird ihrer Lage erst gewahr, als es zu spät ist. Doch wer ist eigentlich der Mörder des Toten vom Anfang des Buches? Wird es jemand noch rechtzeitig schaffen, die verliebte Teenagerin zu befreien?

Alex Pohl hat sich als Thriller-Autor unter seinem Pseudonym auch schon einen Namen gemacht. Nun versucht er sich zum ersten Mal an einem Krimi. Man merkt ihm an, in welcher Richtung er sich bisher zu schreiben gewohnt war. Auch hier befasst er sich sehr eingehend mit dem Innenleben der Romanfiguren. Die Handlung verläuft zu einem großen Teil in den Köpfen der Personen. Das gibt dem Autor einen dreifachen Vorteil: Erstens kann er seine Figuren dadurch eine innere Veränderung, eine Entwicklung, durchgehen lassen. Wenn die aktive Handlung dominiert, fällt diese Entwicklung sehr oft unter den Tisch. Zweitens gibt es ihm die Möglichkeit, die Persönlichkeiten farbiger zu zeichnen als dies sonst meist geschieht. Pohl mag keine schwarz-weiß gezeichneten Figuren. Er sieht immer das Licht und Dunkel zugleich. Und drittens braucht er dadurch auch viel deutlich grafische Beschreibungen aktiver Gewalt zu geben. Er beherrscht die Imagination seiner Leser so weit, dass ein halber Nebensatz ein ganzes Kopfkino in Gang bringt. Man sollte sich dabei aber bewusst bleiben: Es kommt Gewalt vor, teilweise auch über längere Passagen. Es gibt brutale Szenen, obwohl insgesamt der größere Teil davon mehr angedeutet denn beschrieben wird.

Man könnte somit sagen, dass Pohl durchaus genreübergreifend schreibt. Das ist zugleich auch eine der Schwächen des Buches: Es sind Charaktere, die für einen Thriller herausgearbeitet wurden, die nun in einem Krimi aufeinander treffen. Da im Kriminalroman nun mal die Ermittlung im Zentrum steht, wirken diese Personen in ihrer ganzen inneren Befindlichkeit irgendwie komisch. Sie sind nicht wirklich sympathisch, sie sind nicht ganz rund und in sich abgeschlossen, sondern eher formlos, hilflos und dem Zufall unterworfen. Besonders für das Ermittler-Duo gilt dies in spezieller Weise. Es gibt immer wieder Szenen, in welchen der Leser fast peinlich berührt ist, mit welcher Blindheit Seiler und Novic durch die Weltgeschichte laufen und mit den Nasen schon fast auf die sichtbaren Umstände gestoßen werden müssen. Dadurch wird zwar ein anderes Element hervorgehoben, nämlich die Notwendigkeit der inneren Entwicklung, die dann auf das Ende hin auch stattfindet, doch gerade dieser Aspekt lässt den Leser mit der Frage zurück, was der Autor eigentlich schreiben wollte.

Fazit:

Ein spannender Roman, bei dem es nicht leicht fällt, ihn in eine genrespezifische Schublade zu stecken. Der Autor gibt sich viel Mühe, die Charaktere differenziert zu entwerfen und entwickeln, was sie im Setting eines Krimis etwas unpassend macht. Alles in allem jedoch schlüssig geschrieben und für Krimi-Fans, die nicht vor brutalen Szenen und Kopfkino zurückschrecken, durchaus zu empfehlen. Ich gebe dem Buch vier von fünf Sterne.

Buchtipp: Die Auslese

Charbonneau, Joelle, Die Auslese – Die komplette Trilogie, Blanvalet Verlag München, 1. vollständige Aufl. 2018, 1120S., Verlagslink, Amazon-Link

Es ist ein wahrer Genuss, endlich mal wieder ein Buch in den Händen zu halten, in dem man lange genug Zeit hat, um den Protagonisten bei ihrem Wachstum zuschauen zu können. Die meisten Romane sind zu schnell vorüber, und dieses Gefühl hätte ich auch bei einem einzelnen der drei Teile gehabt. Das Gesamtpaket der Trilogie ist viel mehr als die Summe ihrer Einzelteile, da sie zusammen erst die Einheit ergeben, die sie sind. Ich würde deshalb auch immer gleich zur vollständigen Ausgabe raten.

Cia Vale ist ein Mädchen, das nach ihrem Schulabschluss zur Auslese darf. Die Auslese ist eine Veranstaltung, bei welcher die künftigen Professoren und Regierenden ausgesucht werden. Bei der Auslese werden die Besten der Besten ganz verschiedenen Prüfungen ausgesetzt, die sie zu bestehen haben. Nichtbestehen einer Prüfung wird mit dem Tod bestraft. Doch nicht nur Cia findet dieses Vorgehen viel zu brutal, auch andere Gruppen sind dabei, an der Abschaffung dieser Auslese zu arbeiten. Auch hier gilt: Nicht alles ist Gold, was glänzt. So gibt es auf diesem Weg zu einer gerechteren und freundlicheren Zukunft eine Menge Überraschungen. Wer steht auf wessen Seite? Wer tut nur so? Ein Versteckspiel im Irrgarten mit zahlreichen Wendungen.

Cia Vale ist die Hauptperson, das Buch ist aus ihrer Sicht in Ich-Form geschrieben. Ihre Entwicklung hat mir eigentlich ganz gut gefallen, aber irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass sie auf eine gewisse Weise künstlich blieb. Ich konnte mich schwer in sie hineinversetzen, weil auch nach 1120 Seiten die nötige Vertrautheit fehlte. Auf der einen Seite scheint sie mir aus dem Nirgendwo herzustammen, denn auch wenn man immer wieder Details aus ihrer Kindheit erfährt, passen diese Details nicht so ganz logisch zusammen. Außerdem gibt es immer wieder Sprünge in ihrem Denken, die nicht erklärbar sind. Von einer Seite zur nächsten scheint sie reifer geworden oder in ihrem Denken verändert, ohne dass diese Veränderung einen klaren Grund in der Geschichte haben. Das hat das Buch etwas schwieriger zu lesen gemacht.

Fazit:

Die Auslese ist eine dreibändige Dystopie mit Anlehnungen an die Tribute von Panem. Es ist ein Jugendbuch, das sich aber auch von Erwachsenen gut und leicht lesen lässt. Die Protagonistin hätte meines Erachtens noch etwas sorgfältiger und logischer aufgebaut werden dürfen, doch insgesamt ein spannender Roman, der einige gute Werte wie Treue, Verbindlichkeit, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein fördert. Ich gebe dem Buch vier von fünf Sternen.