Warum ein Bildungsplan alle angeht

Warum ein Bildungsplan alle angeht

Ich begrüße die Debatte, die in Baden-Württemberg und nicht nur hier durch eine Petition von Gabriel Stängle begonnen hat. Der schulische Bildungsplan ist etwas, was alle angeht, deshalb ist dieser Diskurs sehr wichtig. Doch zunächst ist es wichtig, dass wir verstehen, was ein Bildungsplan überhaupt ist. Der Bildungsplan ist ein Lehrplan mit Erweiterungen. Im Lehrplan findet man im Normalfall Lehrziele, Lerninhalte und Informationen über die Lernerfolgskontrollen1. Wo jedoch auch Ausführungen über die zu erlernenden Kernkompetenzen ausgeführt sind, spricht man von einem Bildungsplan2.

Welchen Unterschied macht das nun? Auf den ersten Blick scheint es nur eine kleine Modifikation der bereits bestehenden Lehrpläne zu sein. Im Vorwort zum Bildungsplan 2004 für die Grundschule in Baden-Württemberg schreibt Prof. Dr. Hartmut von Hentig über diesen Unterschied:  

Lehrpläne geben an, was „gelehrt“ werden soll. Ein Bildungsplan gibt an, was junge Menschen im weitesten Sinne des Wortes „lernen“ sollen: Auf welche Anforderungen und Ziele hin sie sich am besten an welchen Erfahrungen formen und welche Mittel zur Gestaltung ihres Lebens, welche Übung in welchen Fähigkeiten dabei dienlich sind – Mittel und Fähigkeiten, die ihnen ermöglichen, als Person und Bürger in ihrer Zeit zu bestehen.“3

Das Problem liegt nun nicht direkt darin, dass der Bildungsplan Kompetenzen an sich aufnimmt, die an der Schule gelehrt und gelernt werden sollen. Jeder Lehrer, der seinen Schülern zeigt, wie man bestimmte Gleichungen lösen kann, vermittelt damit Kompetenzen. Und hier ist es durchaus sehr sinnvoll, dass diese immer wieder reflektiert werden. Die Schwierigkeit liegt an drei anderen Orten in dieser Sache: Erstens wird verlangt, dass Kompetenzen nicht nur entwickelt, sondern auch entsprechend kontrolliert werden müssen. Statt dass – wie dies viele Jahrhunderte problemlos funktioniert hat – die Kompetenzen in der täglichen Auseinandersetzung mit neuen Situationen entwickelt werden, werden sie in den Vordergrund gedrängt und kosten ihre Zeit der besonderen Einübung und Kontrolle, die auf der anderen Seite viele wichtige Lehrinhalte zu kurz kommen lassen. Eine zweite Schwierigkeit besteht darin, dass diese Kompetenzen kontrolliert werden müssen. Man muss diese Kompetenzen losgelöst vom Alltag – unter sterilen Laborbedingungen sozusagen – überprüfen und in Zahlenwerte übertragen. Hier zählt nicht mehr der tatsächliche Umgang – also die echte Kompetenz – sondern nur das Vermögen, das Gelernte richtig wiederzugeben. Dadurch wird nicht nur der Begriff der Kompetenz falsch ausgelegt, sondern die Kompetenz wird auf die korrekte Wiedergabe verkürzt.

Ein drittes Problem bezieht sich nicht nur auf die gewünschten Kompetenzen, sondern auf den gesamten Bildungsplan als solches. Was letzten Endes von einem Schüler verlangt wird, das bestimmt ein Gremium von Fachleuten im Geheimen. Hier sehe ich die eigentliche Problematik des ganzen Falls. Geheimniskrämerei führt immer zu Gerüchten, Verzerrungen und Halbwahrheiten. Schauen wir den Tatsachen ins Auge: Die Qualität eines Ergebnisses – so lehrt uns die Geschichte – wird umso größer, je mehr Menschen sich mit ihren Gaben und Fähigkeiten einbringen können. Jeder Zentralismus und jede aufoktroyierte Ideologie wird meilenweit hinter dem Ergebnis einer gemeinsamen, demokratischen Debatte und Entscheidungsfindung liegen.

Ebenso muss davon ausgegangen werden, dass jede zentralistisch installierte Ideologie, welche dem steten Wandel des Zeitgeistes unterworfen ist, jede Menge blinde Flecken aufweisen wird, die nur durch Widerspruch und gemeinsamen Diskurs von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Meinungen zu Tage gefördert werden können. Erst durch die ehrliche Auseinandersetzung mit Fehlern, aber auch Lösungen und zu Würdigendem früherer Generationen können diese ermittelt und eliminiert werden.

Wo Menschen in zentralistischer und konkurrenzloser Weise planen und Richtlinien unhinterfragbar herausgeben, leidet nicht nur die Qualität darunter, sondern es wird dadurch automatisch immer auch Misstrauen geschürt. Zentralistisches Handeln schließt immer die Allgemeinheit aus – ist also einer großen Mehrheit gegenüber diskriminierend – und entmündigt alle, die von diesem Prozess ausgeschlossen werden. Eltern wollen grundsätzlich das Beste für ihre Kinder, und sobald wir ihnen mit Misstrauen begegnen und sie ausschließen, werden wir auch die Zusammenarbeit mit ihnen verderben, von deren Wichtigkeit selbst im Bildungsplan von 2004 noch ausgegangen wird:

Bildung beginnt nicht erst in der Schule. So sehr die Schule in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen verankert ist, so sehr braucht sie in ihrer Arbeit die Unterstützung der Familie, der Medien und jener Einflussfaktoren, die heute die Kindheit und Jugend auch prägen. Deshalb ist die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule zentral bedeutsam. Je selbstständiger unsere Schulen werden, umso notwendiger ist ein guter Dialog mit den Eltern über schulspezifische Akzente und Profile.“4

Dass die Wahl und Mitbestimmung der Bildungsart in erster Linie eine Aufgabe und Verantwortung der Eltern ist, steht in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sehr deutlich festgehalten:

Die Eltern haben ein vorrangiges Recht, die Art der Bildung zu wählen, die ihren Kindern zuteil werden soll.“5

Inzwischen ist die Diskussion um die Inhalte und Kernkompetenzen angestoßen worden. Dank der Petition haben Eltern die Möglichkeit bekommen, ihre Stimme in diesem Prozess zu erheben. Leider haben sich auch manche Menschen eingemischt, welche die Petition für ihre menschenverachtende Ideologie zu instrumentalisieren versuchten, was leider zu Polarisierung innerhalb der Diskussion führte. Dies lässt sich in einer demokratischen Meinungsbildung kaum vermeiden. Dennoch denke ich, dass uns dies nicht davon abhalten sollte, für die entstandene Möglichkeit des Dialogs dankbar zu sein. Demokratie lebt vom Dialog der verschiedenen Meinungen. Und wenn durch diese Petition ein solcher Dialog möglich geworden ist, so ist sie es meines Erachtens wert, unterstützt zu werden.

Was es braucht, ist eine Vielzahl von unterschiedlichen Einrichtungen und Möglichkeiten zur Bildung. Durch eine große Konkurrenz im Bildungsmarkt wächst die Qualität der Bildung und nur so wird eine Zukunft des Wachstums und des Wohlstands ermöglicht werden können.

2Ebd.

3Der Bildungsplan 2004 für die Grundschule kann hier heruntergeladen und eingesehen werden: http://www.bildung-staerkt-menschen.de/service/downloads/Bildungsplaene/Grundschule/Grundschule_Bildungsplan_Gesamt.pdf obiges Zitat stammt von S. 7

4Ebd. S. 5


5Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 in Artikel 26, Absatz 3: http://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?LangID=ger

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