Als vor rund vier Jahren das Buch von Markus Till „Zeit des Umbruchs“ herauskam, freute ich mich sehr, denn es war schließlich das Ergebnis langer Diskussionen, Blogartikel, Gespräche und vielem mehr. Eigentlich wollte ich sofort etwas dazu schreiben. Doch wir waren mitten im Hausbau; und so hatte ich viele Pflichten im Alltag und nicht den Kopf frei, um mir dazu etwas Schlaues einfallen zu lassen. Als wir kürzlich im Urlaub in Südfrankreich waren, habe ich es mir zum inzwischen fünften Mal durchgelesen. Heute möchte ich innehalten und diese vier Jahre Revue passieren lassen, immer mit dem – übrigens nach wie vor sehr guten, soliden und liebevoll geschriebenen – Buch von Markus Till im Hinterkopf.
Markus Till berichtet in seinem Buch davon, wie er Postevangelikalien kennengelernt hat, wie er durch zwei Blogposts über Worthaus und HossaTalk plötzlich viel bekannter wurde. Wie HossaTalk ihn eingeladen hatte und unter dem Titel „Im Angesicht meiner Feinde“ mit den zwei Hossas diskutierte. Er stellt fest, dass Diskussionen zwischen den Lagern sehr oft von Missverständnissen, Verletzungen, ähnlich klingende aber unterschiedlich gefüllte Worte und so weiter geprägt sind, die ein echtes Reden schwierig machen. Dann stellt Markus vier Knackpunktthemen vor, welche so unterschiedlich bewertet werden, nämlich die Möglichkeit echter Wunder, die leibliche Auferstehung Jesu, die Irrtumslosigkeit der Schrift und die Sexualethik. Der Rest des Buches (ungefähr das letzte Drittel) enthält Plädoyers für eine echte Streitkultur, Ausgewogenheit zwischen Enge und Weite in den Fragen und zum Schluss, was man tun kann, damit Kirche gestärkt aus dem Ganzen herauskommen kann.
Es ist – wie gesagt – ein sehr empfehlenswertes Buch. Und zugleich muss ich anfügen: Es war eine Momentaufnahme der Zeit, in welcher es geschrieben wurde. 2017, 2018, 2019 um den Dreh war so die große Zeit von HossaTalk. Seither gibt es sie immer noch, mit einem Wechsel, aber das Pulver scheint verschossen, die großen Häretiker sind alle abgehakt, die „bösen“ Themen zigmal besprochen, der Lärm wird leiser. Vermutlich auch der Tatendrang. Die Töne werden leiser, auch mal etwas versöhnlicher. Inzwischen ist man im Mainstream angelangt. Dafür kommen neue Formate auf, etwa SchönerGlauben von Jason Liesendahl (der aber schon lange online aktiv ist). Und natürlich der ganze vom Schweizer Staatskirchengeld finanziell sehr gut gepolsterte Podcast-Wahnsinn von Reflab, wohin übrigens immer mehr nachchristliche Theologen abwandern, um für immer in ihrer Bubble zu verschwinden.
Mit den Podcasts ist das so eine Sache. Ein Buch ist irgendwann mal zu Ende geschrieben und kann veröffentlicht werden. Ein Podcast ist eine never ending story. Zumal dann, wenn man etwas Bekanntheit erlangt hat. Auch wenn man seine Ziele erreicht hat, alles gesagt und getan hat, was man wollte, kann man nicht gut sagen: Tschö, ich habs erreicht, lebt wohl. Das haben Podcasts mit dem Feminismus und den Gewerkschaften gemeinsam. Deren Ziele wurden erreicht, aber man muss ja ums Verrecken weiter machen, höhere Ziele stecken, weitere Bewegungen mit reinnehmen, um zu beweisen, dass man es noch drauf hat. Irgendwie ist es wie mit dem Reichtum. Zu viel davon gibt es nicht, und noch mehr geht immer.
Doch eins ist nach wie vor ungeklärt – geradezu ein offenes Rätsel. So richtig weiß keiner, was denn nun Postevangelikale glauben – und am wenigsten jene selbst. In den zahlreichen Gesprächen, Diskussionen, Podcastfolgen, geht es immer nur um das, was sie nicht mehr glauben. Und um den Unwillen, sich auf irgend etwas festzulegen. Wer ist Gott? Wie ist Gott? Wer ist oder war Jesus? Immer bekommt man nur entweder negative Antworten (Gott ist nicht…) oder vage, nichtssagende Sätze und Phrasen (Gott ist Liebe – ja, aber was bitte ist Liebe? Hmm, gute Frage. Themenwechsel)
Eins ist mir immer bewusster geworden in den vergangenen Jahren, was im Buch von Markus fehlt. Das vermutlich größte Manko. Also meiner Meinung nach. Auf S. 187 stellt Markus die richtige Frage: „Bei welchen Themen müssen wir auf der richtigen Lehre bestehen […]? Im Buch beantwortet Markus das mit zwei Themen: Jesus Christus und Schriftautorität. Beides gut und wichtig. Aber das ist mir noch zu zweidimensional. Als dritte Dimension in dem Ganzen brauchen wir die unaufgebbare Lehre vom dreieinen Gott! Es gibt viele Menschen, die zwar mit ihrem Mund die Dreieinigkeit Gottes bezeugen, aber sie mit ihrem Leben und gemeindlichen Lehren verleugnen. Man sieht das an den Folgen – der Frucht ihres Dienstes. Dieses praktische Verleugnen führt entweder zu Gesetzlichkeit oder zu Beliebigkeit und ist schmerzhaft gefährlich für Gemeinden in unserer Zeit.
Ich glaube, die größten Schwierigkeiten unserer Zeit stammen nicht von einer falschen Sicht vom Sühnetod (so wichtig das ist!) oder von einem unvollständigen Inspirationsverständnis (obwohl ich da noch strenger bin als die Chicagoer Erklärungen). Ich glaube, die größten Probleme handeln wir uns ein, weil wir irgendwie versuchen, uns Gott auseinander zu dividieren. Gesetzlichkeit ist in Wahrheit ein praktischer Modalismus (die Lehre, die sagt, dass nur ein Gott ist, der nacheinander in drei verschiedenen Erscheinungsformen als Vater, Sohn und Heiliger Geist gewirkt hat), und viel postmoderne Theolügie geht auf einen Tritheismus zurück, der zur Beliebigkeit führt. Bekanntes Beispiel ist das Buch „Die Hütte“ von W. P. Young, in dem er die drei Götter miteinander diskutieren lässt. Dahinter steckt die Ansicht, man könne sich von den Eigenschaften Gottes bestimmte aussuchen, die einem besser gefallen und andere ausblenden oder durch Betonung der beliebteren Eigenschaften wegerklären. Der Offene Theismus zum Beispiel kommt nicht darum herum, auf irgend eine Weise die Dreieinigkeit Gottes aufzulösen.
Es bedürfte natürlich eines ganzen Buches, um das weiter auszuführen. Aber ich möchte mit wenigen Strichen versuchen, ein paar Grundlinien nachzuzeichnen, wie die neue Entdeckung der Dreieinigkeit Gottes uns gerade in dieser „Zeit des Umbruchs“ helfen kann, Klarheit und Einheit zu finden.
Gott ist ein Gott in drei Personen, aus einer Essenz, ungeschaffen, ewig, allmächtig. Jede der drei Personen teilt diese Eigenschaften unbeschränkt. Zugleich sind sie nicht austauschbar. Jede Person tut genau das, was ihr entspricht. Gott Vater erschafft Himmel und Erde durch das Wort (Gott Sohn) und Gott Heiliger Geist schwebt / brütet über dem Wasser. Gott Sohn kommt auf die Erde, um des Vaters Plan der Erlösung auszuführen, am Kreuz für unsere Sünde zu sterben und am dritten Tag von den Toten aufzuerstehen. Es ist interessant, dass für die Auferstehung das Werk aller drei Personen Gottes nötig ist. Gott Heiliger Geist wendet das Geschenk der Erlösung auf den Einzelnen an, führt zu echter Buße, schenkt Glauben, und krempelt das Leben um, sodass der Mensch Gott ähnlicher wird.
In Gott haben wir Vielfalt in Einheit und Einheit in Vielfalt. Der Mensch als Ebenbild Gottes lebt auch in einer Vielfalt in Einheit und Einheit in Vielfalt. Allerdings in einer gefallenen Welt. Schon am eigenen Leib, dieser Vielfalt aus Körperteilen, kann man das hin und wieder bemerken. Als Geliebte und Heilige in Christus hat die Gemeinde Jesu vor Ort die Aufgabe, diese Einheit in Vielfalt im Kleinen vorzuleben und auch der umgebenden Gesellschaft ein kleines Beispiel zu geben, wie es vielleicht besser laufen könnte.
Nun aber, liebe Geschwister, wie sieht es denn tatsächlich aus? Die Welt ist in die Gemeinde gekommen und hat sie ihrer Vielfalt in Einheit und Einheit in Vielfalt beraubt. Anders gesagt: Manche, die zur Gemeinde gehör(t)en, sind von ihr ausgegangen, und behaupten immer noch, trotzdem drin zu sein. Irgendwie. Anders. Keine Ahnung wie, aber eben irgendwie. Und so wird manch ein interreligiöser Dialog zuweilen eben immer noch als innerkirchlicher Dialog wahrgenommen. Nun denn – wenn dem so ist, steht Christus an der Tür der Kirche und klopft an. Wer ihm öffnet, zu dem kommt ER herein und hält mit ihm Gemeinschaft. Willst du das?