Buchrezension: Anpfiff zur zweiten Halbzeit

Anpfiff zur zweiten Halbzeit von Christian Eisert

Eisert, Christian, Anpfiff zur zweiten Halbzeit, Wilhelm Goldmann Verlag München, 1. Aufl. April 2018, 287 Seiten, Verlagslink, Amazon-Link

Auf dem Cover steht der Untertitel des Buches: „Wenn aus Jungs MÄNNER werden“. Wer mich kennt, weiß, dass mich die Frage fasziniert und umtreibt, wie man Jungs helfen kann, zu Männern zu werden. Gerade von diesem Blickwinkel her hat mich das Buch total enttäuscht. Es gibt nicht keine Antwort, sondern jede Menge falscher Antworten. Doch weiter dazu etwas weiter im Text.

Christian Eisert wird im Umschlag als „TV-Autor, Satiriker und Comedy-Coach“ bezeichnet. Als er auf die 40 zuging, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er damit schon die Hälfte der durchschnittlichen Lebenserwartung überschritten hat. Er merkt, dass die ersten Haare grau werden. Und weniger dicht. Und dass die Waage beim chronisch schlanken Mann plötzlich in die falsche Richtung ausschlägt. Es beginnt eine hektische Suche nach der Haarverdichtung, der richtigen Ernährung, und nicht zuletzt auch zum Stressabbau. Der Autor mutiert zu einem gestresst hinter der Stressfreiheit herjagenden Menschen, der von Ärzten über Hormonpillen, Aquafit und Scharfschützenkursen bis hin zu Esoterikern mit ihren Angeboten rennt. Zwischendurch finden zahlreiche Diskussionen mit Freunden und Bekannten ihren Platz, welche ihn mit ihren Meinungen zu beeinflussen suchen und natürlich umgekehrt genauso.

Ich muss zunächst einmal festhalten, dass ich – noch gute sieben Jahre vor der 40 stehend – vermutlich die falsche Leserschaft bin. Dennoch möchte ich ein paar Gedanken zu dem Buch von Christian Eisert festhalten. Zwei Dinge haben mir besonders gut gefallen und das möchte ich deshalb auch gleich sagen. Eisert schafft es gut, Hintergrundwissen so ins Buch einzubringen, dass es sich flüssig und leicht verständlich liest. Er hat sich intensiv mit Studien, wissenschaftlichen Methoden und so weiter befasst, und es ist seine Stärke, dass er dieses Wissen so weitergeben kann, dass es praxisnah ist und von jedem verstanden wird. Zum Zweiten wirft er sehr viele gute Fragen auf, die auch den Leser persönlich betreffen. Der Leser wird unbewusst aufgefordert, sich Gedanken zu seinem bisherigen Leben, zu seinen Gewohnheiten, seinem Charakter, und so weiter, zu machen. Und das ist wertvoll.

Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass mich das Buch in seiner Gänze enttäuscht hat. Angefangen beim Humor. Ich bin ein großer Freund guter Satire und des schwärzeren Humors, aber diese ständigen ultraflachen und längst überholten „Witze“ unter die Gürtellinie haben mich schon fragen lassen, ob man(n) ab 40 tatsächlich nur noch mit den Genitalien zu denken vermag. Womöglich ist da die abnehmende Haardichte auch ein Zeichen für weniger Aktivität unter der Schädeldecke, während zugleich das Selbstbild nur noch via Potenz gesteuert wird. Zumindest liest sich das Buch so. Und damit sind wir auch schon bei meinem zu Beginn erwähnten Hauptproblem des Buches. Die Frage, wann ein Junge zum Mann wird. Hier widerspreche ich dem Autor vollkommen und stelle auch seinen Lebensstil in Frage. Er beschreibt sich als jemand, der viele Beziehungen zu Frauen hatte und sozusagen von einer zur nächsten wandert. Wo jedoch eine lebenslängliche verantwortliche Beziehung fehlt, geht auch die langfristige Verantwortlichkeit verloren und damit die Möglichkeit zum Erwachsenwerden.

Am Ende bleibt die Frage, wie man mit dem Altern umgeht. Versucht man mit allen möglichen und unmöglichen Verjüngungskuren seine Mitmenschen zu täuschen und etwas vorzugaukeln, was man nicht mehr hat oder kann, oder lernt man, mit dem klar zu kommen, was man noch kann – oder auch: Was man in dem Alter noch besser kann? Das ewige Jungheitsstreben, die Suche nach dem heiligen Gral der ewigen Jugend, wird zum Götzendienst unserer Zeit. Und manchmal ertappe ich mich auch dabei, den Zeiten hinterher zu trauern, in welchen ich noch schneller, fitter und mit weniger Schlaf zu leben vermochte. Doch um keinen Preis möchte ich missen, was ich inzwischen lernen und erfahren durfte. Insofern lasse ich gerne die Phasen meiner Teenie- und Twen-Zeit sterben und nehme dankbar alles Neue an, was das Leben im Jahrzehnt zwischen 30 und 40 mit sich bringt.

Fazit:

Christian Eisert hat mit „Anpfiff zur zweiten Halbzeit“ ein interessantes Buch vorgelegt, das auf eine leicht verständliche Art viele Hintergrundinfos zum Altern und Möglichkeiten des Umgangs damit in sein Buch eingebunden. Er stellt auf unterhaltsame Weise viele gute Fragen, allerdings haben mich seine Antworten und auch sein persönlicher Umgang damit enttäuscht. Ich habe am Ende des Buches nicht das Gefühl, dass der Autor durch seine Schwierigkeiten mit dem Altern reifer und erwachsener geworden ist. Vieles erinnert mich eher an das Verhalten eines Schuljungen, der versucht, den Problemen aus dem Weg zu gehen, statt sie anzupacken. Aber da muss sich natürlich jeder Leser selbst fragen, wie er damit umgeht. Ich gebe dem Buch drei von fünf möglichen Sternen.

In dieser Zwischenzeit

Dietrich Bonhoeffer sprach vom Letzten und vom Vorletzten. Das Letzte sind die Dinge, die die Ewigkeit betreffen. Über diese wissen wir eine ganze Menge. Und zuweilen gibt es auch im Vorletzten, in unserer Zeit auf Erden hier, einen kleinen Vorgeschmack vom Letzten. Der Balanceakt der Zwischenzeit ist derjenige, dass wir uns von keinem der zwei Extreme gefangen nehmen lassen. Weder von der Weltflucht noch von der Verweltlichung. Wenn sich manche Christen heutzutage wünschen, dass sich Institutionen des Staates, wie etwa Armee oder Polizei, entwaffnen lassen sollen, damit nur noch die Feinde der Demokratie Macht ausüben können, so ist dieser verlogene Pazifismus eine Möglichkeit der Weltflucht, eine Realitätsverweigerung, dass es eben auch noch Unrecht gibt in dieser Zwischenzeit, und dass diese Institutionen dafür geschaffen sind, um rechtschaffene Bürger vor Willkür zu schützen. Oder wenn versucht wird, gesellschaftliche Phänomene wie Vegetarismus oder auch Ideologien wie der Kommunismus mit biblischen Argumenten zu untermauern, so handelt es sich um Verweltlichung, denn das weltliche Denken wird in die Bibel hineingelesen, statt dass diese aus sich selbst heraus ausgelegt wird. Beide Extreme sind gleichermaßen trügerisch, denn sie versuchen, die Spannung in dieser Zwischenzeit aufzulösen, indem beide parallelen Wahrheiten des „schon – noch nicht“ auf dieselbe Linie heruntergebrochen wird. Entweder indem man versucht, auf der Erde wie im Himmel zu leben – oder indem man den Himmel irdisch definiert.

In der Spannung leben – das ist oft anstrengend. Aber jeder Mensch lebt in bestimmten Spannungsfeldern, und gerade diese Spannung ist ein Hinweis darauf, dass der Mensch eigentlich nicht (nur) für diese Zeit hier auf Erden geschaffen ist. Diese Zwischenzeit ist eine Zeit der Vorbereitung, der Besinnung, der Sehnsucht, damit wir für die Ewigkeit bereit werden. Es gibt in dieser Zwischenzeit kein anhaltender Extremzustand. Nach dem durch Alkohol erzeugten Höhenflug folgt der Absturz und der Kater. In der Freude ist immer auch ein bittersüßer Beigeschmack, der uns daran erinnert, dass dies hier noch nicht das Letzte ist, sondern das Vorletzte und die Vorfreude auf die eigentliche Freude. Auch im Frieden ist oft schon latent die nächste Verstimmung angelegt, denn oft müssen beide Seiten um zu einem Kompromiss zu gelangen, auf wichtige Dinge verzichten, die ihrerseits wiederum zur Eifersucht anstacheln. Die Schönheit eines Regenbogens wird durch den Zwiespalt von Regen und Sonne erzielt, es ist das Zusammenfallen von angenehmen und wichtigem aber weniger angenehmem Wetter. Ähnliches gilt für den Sonnenuntergang. Auch dieser ist – zum Glück – nicht von Dauer, sondern gerade auf der Spitze der untergehenden Sonne zu finden. Das farbenfrohe Schauspiel wird durch stetige Veränderung der Farben hervorgerufen. Deshalb ist auch das live-Erlebnis um ein Vielfaches beeindruckender als das statische Festhalten eines einzelnen Moments durch ein Foto oder Bild. Gute Musik lebt von Disharmonien, welche Spannung erzeugen und im just richtigen Moment wieder aufgelöst werden. Ungewissheit, düstere, zwielichtige Momente können auch in einem Buch eine Spannung erzeugen, und diese Spannung kann gerade den Unterschied zwischen besonders interessanten und weniger interessanten Leseerlebnissen ausmachen. Dasselbe gilt auch für den abendlichen Spaziergang im Wald. Das Spiel von Licht und Schatten, verschiedenen Grautönen, das Rascheln im nahen Gebüsch, der Wind im Blätterdickicht, all das zusammen erzeugt ein wohliges Gespanntsein, das sich durch das Ende des Dunkels im vollen Licht oder im Schein der Straßenlampe wieder auflöst und das Erlebte länger im Gedächtnis behalten lässt. Der wohlige Schauer eines warmen Bades oder einer Rückenmassage am Ende eines anstrengenden Arbeitstages schenkt ein Ende des Ver-Spannt-Seins und sorgt für einen besonderen Moment, den man ohne die Anstrengung und Anspannung davor nicht gleichermaßen genießen könnte.

Kurz – in dieser Zwischenzeit sind wir Zwischenwesen, die den steten Wandel, die stete Abwechslung benötigen, um gesund auf unsere Umgebung reagieren zu können. Diese Abwechslung im Vorletzten bereitet uns für die Ewigkeit im Letzten vor. Ewige Freude. Ewige Liebe. Ewiger Frieden. Ewige Gemeinschaft mit Gott. Ewiges Lob Gottes. Ewige Feier der Erlösung. Ond etz sag amol, werd des denn niamols fad? Als Zwischenwesen leben wir im Raum-Zeit-Kontinuum, einfacher gesagt in der Raumzeit. Wir können alles immer nur als eine aufeinanderfolgende Reihe von einzelnen Ereignissen wahrnehmen. Immanuel Kant hat etwa bezweifelt, ob man die Tatsache von Raum und Zeit tatsächlich beweisen könne; er meinte, dass einfach unser Gehirn so gestrickt sei, dass wir alles als räumlich und zeitlich in unserem Denken einordnen würden. Aber stellen wir uns mal vor, wir befinden uns bei Gott – also außerhalb der Raumzeit. Plötzlich können wir alles auf einmal wahrnehmen. Nicht mehr nacheinander. Alles gleichzeitig, und dann erst noch so ohne Ende. Die Unendlichkeit von Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung, alles auf einmal. Stell Dir den einen, schönsten Moment Deines Lebens vor. Freude hat in unserem zwischenzeitlichen Leben mit der Auflösung einer Spannung zu tun. Und dann stell Dir vor, dieser eine Moment inklusive der Freude, inklusive der Erinnerung an die Spannung, inklusive allem was zu diesem Moment gehört, alles zusammen wird für immer konserviert, und zugleich sind wir nicht mehr Raumzeitwesen, sondern Ewigkeitswesen, die nicht mehr auf all das Irdische angewiesen sind.

Ich weiß nicht, ob diese Vorstellung mit der Zukunft übereinstimmt. Vermutlich ist sie viel zu irdisch, viel zu klein, viel zu zwischenzeitlich. Aber es ist eine der möglichen denkbaren Vorstellungen, die wir uns machen können, um unsere Vorfreude auf die Ewigkeit zu stärken. Und ich denke, dass es diese Vorfreude wert ist, dass wir dafür auch versuchen, uns dies vorzustellen. Es ist nicht immer einfach, aber es ist einfach immer wertvoll, über die Ewigkeit in der Herrlichkeit Gottes nachzudenken. Diese Gedanken über das Letzte helfen uns, dass wir uns im Vorletzten auf die vorletzten Dinge konzentrieren. Sie helfen uns, uns darauf zu fokussieren, damit möglichst viele Menschen noch mit in diese Ewigkeit bei Gott kommen können. Ewigkeit ohne Gott ist höllisch schrecklich, die wünschte ich niemandem.

Buchtipp: Pheromon

Wekwerth, Rainer, Thariot, Pheromon, Thienemann-Esslinger Verlag, 2018, 416S.,Kindle-Edition, Verlagslink, Amazon-Link

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

Wie könnte die Welt in 100 Jahren aussehen? Wekwerth und Thariot haben sich mutig dieser Frage gestellt. Als Ergebnis liefern sie mit „Pheromon“ einen interessanten Thriller. Alles beginnt mit Jake, der plötzlich eine Veränderung an seinem Körper feststellt. Ob das mit der Pubertät zusammenhängt? Plötzlich kann der Heuschnupfengeplagte über weite Strecken hinweg riechen. Seine Nase kann die Gefühle seiner Mitmenschen wahrnehmen. Seine Augen sehen plötzlich ohne Brille und Kontaktlinsen wieder ganz gut. Oder gar noch etwas dreidimensionaler. Und dann ist da auch noch die gutaussehende Serena, die ihn zu ihrer Party einlädt. Hundert Jahre später, anno 2118, lebt Dr. Travis Jelen, der als Arzt gerade für die Obdachlosen und Armen seiner Zeit arbeitet. Eines Tages begegnet er Lee, einer jungen schwangeren Frau, die er untersucht. Seine Geräte zeigen plötzlich eine Fehlermeldung: Keine menschliche DNA. In beiden Zeiten führt die Spur zu der 2015 gegründeten Firma „Human Future Project“, die sich als richtig imposant herausstellt und weltweit nur positiv wahrgenommen agiert. In den 100 Jahren hatte sie es geschafft, ein Wurmloch herzustellen, in welchem die Raumzeit derart gekrümmt werden kann, dass es Außerirdischen möglich wurde, die Erde im Inneren des HFP-Gebäudes zu betreten. Ist es jetzt noch möglich, die Invasion zu verhindern? Die Zeit läuft davon.

Thariot und Wekwerth haben sich einer Frage angenommen, die mich schon längere Zeit interessiert – wie entwickelt sich unsere Zeit weiter? Was kommt nun, nachdem der Postmodernismus längst kollabiert ist und sich verschlungen hat? Welche technologischen Fort- (oder teilweise auch ethischen Rück-)schritte sind noch denkbar? Sie haben manche Antworten in Romanform geliefert, was sehr interessant zu lesen war. Ich möchte mich dem Roman von zwei Seiten her nähern. Von der Erzählung her gesehen ist es eine super Arbeit, die die beiden mit ihren zwei Zeitsträngen geliefert haben. Die Geschichte ist (für mich als Fan der Thriller-Literatur) nicht unbedingt so unter die Haut gehend, dass mich das Buch nicht mehr schlafen lässt oder dass ich es nicht aus der Hand legen konnte. Es ist aber kurzweilig und für SciFi im großen Ganzen recht spannend. Die Geschichte liest sich gut abgerundet und in sich schlüssig. Einzig die Charaktere wirken etwas hölzern und unvollständig. Irgendwie konnte ich mich in keinen davon so richtig hineinversetzen, was mir üblicherweise doch schnell gelingt. Dies liegt daran, dass die Story eigentlich Stoff für ein Buch in der dreifachen Länge bietet und von jeder Person nur genau das präsentiert wird, was für den weiteren Verlauf der Geschichte zwingend zu wissen notwendig ist. Das macht die Story deshalb auch mit der Zeit etwas durchschaubar. Alles wird künstlich so kurz wie möglich gehalten. Und ja, mit gerade mal etwas über 400 Seiten ist es auch ein kurzes Buch. Vermutlich hätte man mit mehr Mut zur Länge noch mehr aus der Story herausholen können.

Ein zweiter Blick von einer anderen Seite: Wie stellen sich die Autoren die Veränderungen der nächsten 100 Jahre vor? Sie zeichnen ein Bild von einem ziemlich ohnmächtigen Überwachungsstaat. Vermutlich würde eine realistischere Vorstellung eines solchen Überwachungsapparates die Story deutlich erschweren. Aber wenn Travis im Jahre 2118 ungesehen ins Büro seiner Chefin bei HFP eindringen kann, dann muss ich also doch lachen. Immer wieder finden sich unbewachte oder unüberwachbare Flecken auf der Karte des Jahres 2118, während man davon ausgehen kann, dass zumindest die technischen Möglichkeiten dazu in spätestens der Hälfte der Zeit vorhanden sein wird. Auch sonst sind die technischen Fortschritte nicht gerade überwältigend. Als große Neuerung lässt sich der „Gleiter“ nennen, eine Art kleines Fluggerät, welches das Auto ersetzt hat. Interessant wären jedoch noch mehr Gedanken in Richtung „Mixed Reality“ und Hirn-Computer-Schnittstelle („brain-computer-interface“) gewesen, denn damit tun sich noch ganz neue Szenarien auf, die eine Vermischung von virtueller und nichtvirtueller Realität zuließen. Insgesamt gehen die Autoren davon aus, dass auch in 100 Jahren noch dieselben Probleme herrschen werden. Insgesamt hat mir der dystopische Charakter der Erzählung aber gut gefallen. Am Ende blieb mir nur noch die Frage: Ist der Titel „Pheromon“ wirklich passend? Pheromone spielen eine Rolle, ja, aber insgesamt eine relativ untergeordnete.

Fazit: Ein solider, spannender SciFi-Roman, der viele interessante Fragen auf eine unterhaltsame Weise beantwortet, aber insgesamt auch länger hätte ausfallen dürfen. Um der Kürze willen werden die Charaktere aufs Nötigste zusammengekürzt. Die Story ist aber sehr lesenswert geschrieben. Ich gebe dem Roman vier von möglichen fünf Sternen.

Buchtipp: Warum die Zeit verfliegt

Burdick, Alan, Warum die Zeit verfliegt, Karl Blessing Verlag München, 1. Aufl. 2017, Verlagslink/ Amazonlink
Vielen Dank an den Blessing-Verlag für das Rezensionsexemplar.
Alan Burdick ist Journalist für den New Yorker und hat ein Buch über die Zeit geschrieben. Er schreibt im Vorwort, dass ihm die Zeit schon immer Mühe bereitet habe, und er sich deshalb den größten Teil seines Lebens davor gedrückt habe, eine Uhr zu tragen (S. 17). Er hat sich jedoch für das Phänomen Zeit interessiert und sich auf die Suche gemacht, um herauszufinden, was die verschiedenen Wissenschaften über die Zeit zu berichten haben. Er sucht Biologen und Physiker auf, durchsucht Studien und macht Selbstversuche, um hinter das Geheimnis der Zeit zu kommen.
Das Buch ist gut gefertigt, der Umschlag entspricht dem schlichten Umschlag des englischen Originals, einfach gehalten, beinahe unscheinbar. Viel weißer Hintergrund mit zwei schwarzen Uhrzeigern. Einerseits hebt sich diese Titelgestaltung wohltuend von vielen überladenen Titeln anderer Bücher ab, andererseits läuft sie Gefahr, gar nicht mehr wirklich wahrgenommen zu werden.
Burdick macht sich auf die Suche nach der präzisesten Zeit der Welt. In seiner Vorstellung muss das eine Uhr sein, welche die exakteste Zeit angibt. In Paris findet er diese Zeit, doch nicht in Form einer Uhr, denn es gibt weltweit eine ganze Reihe von Uhren, welche beständig miteinander verglichen und durch Berechnung und Schätzung aneinander angeglichen werden: „Die exakteste Uhr der Welt, die Koordinate Weltzeit, wird von einem Komitee produziert. Das Komitee verlässt sich dabei auf hoch entwickelte Computer und Algorithmen und den Input von Atomuhren, doch die Metaberechnung, die leichte Bevorzugung des Inputs der einen Uhr vor dem der anderen, wird letztendlich durch die Debatten bedächtiger Wissenschaftler gefiltert. Zeit ist eine Gruppe diskutierender Menschen.“ (S. 42)
Einen großen Bereich des Buches nimmt das Thema Zeitwahrnehmung ein. Das Leben ist von einem circadianen Rhythmus geprägt. Circadian heißt „um den Tag herum“, was etwa so viel bedeutet, dass dieser Rhythmus ungefähr 24 Stunden dauert. Viele Zellen unseres Körpers funktionieren ungefähr circadian, wobei das Tageslicht, das in unsere Augen fällt, immer wieder zum Taktgeber wird, der die unzähligen Uhren in unserem Körper neu justiert und aufeinander abstimmt.
Burdick machte sich auch einmal auf die Reise in die Arktis, um herauszufinden, „wie es sich dort anfühlt.“ (S. 106) Dort ist im Sommer monatelang so etwas wie ein einziger Tag; die Sonne geht nie unter, es wird höchstens ein etwas dunkleres oder helleres Grau. Was hingegen geschieht, wenn der Körper nur noch Nacht um sich herum hat, erfährt Burdick von den Schilderungen Michel Siffres, der insgesamt dreimal über eine längere Zeit in einer Höhle gelebt hat, um herauszufinden, wie er auf diese Umstellung reagiert. Auch er empfand die Zeit wie „ein einziger langer Tag.“ (S. 131) Doch als er wieder ins Freie kam, klagte er über ein „beschädigtes Gedächtnis“ (ebd.), da er nicht mehr wisse, was er vor dem letzten Mal schlafen gemacht habe.
Wir Menschen nehmen Zeit als Aneinanderreihung von Momenten und als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wahr. Doch wie lange ist eigentlich die Gegenwart? Paul Fraisse etwa definierte 1957 die Gegenwart als Zeit von ungefähr fünf Sekunden, weil diese Zeit ausreiche, um einen kurzen Satz von 20 – 25 Silben auszusprechen (vgl. S. 239) Leider verpasst Burdick die Chance, diese Definition näher zu erläutern. Ich persönlich empfinde es als eine ausgezeichnete Definition, denn diese Zeitspanne reicht auch aus, um einen kurzen Satz zu verstehen oder einen einfachen Gedanken zu Ende zu denken.
Wie lange erscheint uns eine bestimmte Zeitdauer? Fünf Minuten im Kino sind enorm schnell vorbei – dieselben fünf Minuten beim Zahnarzt ziehen sich in die Länge wie ein Kaugummi. Interessante Experimente haben weitere Kriterien ausfindig gemacht, welche dazu führen, dass eine bestimmte Zeitdauer als länger oder kürzer wahrgenommen wird: „Stellen Sie sich einen Punkt vor, der kurz auf dem Computerbildschirm erscheint. Sie werden gebeten zu beurteilen, wie lang die Dauer von ‘kurz’ war: Je heller der Punkt, desto länger wird sie Ihnen erscheinen. Auch die Dauer eines größeren Punktes wirkt länger als die Dauer eines kleineren, die eines bewegenden länger als die eines stationären, die eines sich schnell bewegenden Punkts länger als die eines sich langsam bewegenden, die eines schnell flackernden länger als die eines langsam flackernden.“(S. 272) Oder noch etwas alltäglicher formuliert: „Susan und ich hatten eine Spielzeugwechselpolitik eingeführt, erhielten aber bald eine Grundlektion in Zeitwahrnehmung: Für den Zwilling, der Das Ding gerade nicht hat, dauert die Zeit, in der der andere es hat, immer länger. Dauer liegt im Auge des Betrachters, nicht in dem des Besitzers.“ (S. 324)
Jeder Mensch hat jeden Tag 24 Stunden Zeit. Und doch: „Zeit ist das Einzige, an dem es gefühlsmäßig jedem Menschen mangelt.“ (S. 402) Ich nicke. Und bin dankbar, dass Gott uns die Ewigkeit schenken möchte.
Alan Burdick hat es geschafft, ein Buch zu schreiben, das sich spannend, wenn auch nicht ganz so leicht liest. Häufig gibt es Umbrüche zwischen verschiedenen Fragen, die alles andere als glatt oder rund sind. Es ist ein Buch, das trotz unkomplizierter Sprache viel Aufmerksamkeit erfordert. Aber es ist sehr lesenswert, weshalb ich es auch sehr empfehlen möchte. Wer sich für unsere menschliche Wahrnehmung der Zeit interessiert, wird hier viele Antworten bekommen. Und doch frage ich mich am Ende: Hat Burdick die große Frage des Buches, warum die Zeit verfliegt, eigentlich beantwortet? Er hat sich der Frage von vielen Seiten genähert, doch eine letztgültige Antwort bleibt er dem Leser schuldig. Hat der Autor eine? Gibt es überhaupt eine solche? Oder könnte es sein, dass der Buchtitel gar nicht so viel mit dem Inhalt zu tun hat, sondern eher versuchen soll, noch mehr Leser zu rekrutieren? Ich weiß es nicht, aber ich bin dankbar, dass ich es gelesen habe. Es hat mir viel zu denken gegeben.
Ich gebe dem Buch fünf von fünf Sternen.

 

Zeitumstellung ist friedensfördernd

Einer neuen Studie vom Bundesamt für Staatssicherheit (Bass) zufolge soll die jährliche Zeitumstellung das Friedenspotential drastisch erhöhen. Erich Aushecker, Vorsitzender des Bass, erklärte diesen Umstand folgendermaßen: „Zunächst einmal hat jeder, der Krieg führen möchte, dank der Zeitumstellung ein halbes Jahr lang eine Stunde weniger; aufs ganze Jahr gesehen macht das 30 Minuten. Somit bleibt einem pro Tag rund 5 Sekunden weniger Zeit, um Krieg zu führen. Zweitens konnten wir empirisch nachweisen, dass in allen Ländern, welche die Zeitumstellung eingeführt haben, noch nie am letzten Sonntag im März zwischen 2:00 und 3:00 Uhr MEZ ein Krieg ausgebrochen ist. Und nicht zuletzt müssen wir zu bedenken geben, wie sehr die Zeitumstellung Menschen von vollkommen unterschiedlichen Interessen eint: Sie alle haben ein gemeinsames Thema, dem sie sich in aller Lautstärke und Tonhöhe widmen können. Die Zeitumstellung ist deshalb ein wichtiger Beitrag für die Völkerverständigung.“ Vielleicht sollte Herr Aushecker als nächstes eine tägliche Zeitumstellung von 24 Stunden beantragen?