Biblische Weltanschauung im „Herr der Ringe“

1. Was ist Dein persönlicher Hintergrund zum Buch oder Film? Wie bist Du darauf gestoßen? Was hast Du davon erwartet?
Jonas Erne: Ich habe Tolkien erst kennengelernt, als „Herr der Ringe“ im Kino erschienen war. Das war mein erstes Mal, wo ich seinen Namen las und hörte. Als jemand, der verfilmten Büchern seit Kindheit sehr kritisch entgegensteht, wollte ich eigentlich nur die Bücher lesen. Diese haben mir gefallen; von den Filme war ich dafür erwartungsgemäß ziemlich enttäuscht. Beim ersten Lesedurchgang ist mir noch nicht besonders viel von der christlichen Weltanschauung dahinter aufgefallen. Wohl auch deshalb, weil ich nicht danach Ausschau gehalten habe.
2. John R. R. Tolkien wollte keine „biblische Geschichte“ schreiben, sondern einfach eine unterhaltsame Geschichte. Dennoch finden sich viele Bezüge dazu. Was denkst Du, woher das kommt?
Wenn ein Autor ein gläubiger Christ ist, wird dies in seinen Büchern immer auf irgendeine Art sichtbar werden. Ein Buch ist etwas, worin ein Autor sich und seine Phantasie ausgießt und deshalb auch immer ein Stück seiner selbst. Jeder Autor macht seine Weltanschauung in seinen Büchern sichtbar – wenn denn der Leser danach sucht.
3. Was ist überhaupt eine Weltanschauung? Was sind die Grundpfeiler der biblischen Weltanschauung?
Die Weltanschauung ist die „Brille“, durch die wir die Welt anschauen. Es sind persönliche Überzeugungen, die man mitbringt und die man (meist unbewusst) gebraucht, um die Realität zu bewerten und zu interpretieren. Ganz einfach gesagt sind die Grundpfeiler der biblischen Weltanschauung Schöpfung, Sündenfall, Erlösung und Wiederherstellung. Gott hat die Welt gut geschaffen, der Mensch ist durch den Sündenfall an Gott und der ganzen Welt schuldig geworden und hat sie ins Chaos gestürzt. Jesus Christus ist gekommen, um die bösen Mächte zu besiegen, den Menschen zu erlösen und die göttliche Ordnung wiederherzustellen.
4. In „Herr der Ringe“ finden sich viele Bezüge auf diese biblische Weltanschauung. Welche davon sind Dir beim Lesen oder Ansehen besonders wichtig geworden?
Wichtig geworden ist mir zum Beispiel das Prinzip der Verantwortung. Wir Menschen sind füreinander und für die ganze Schöpfung verantwortlich (das meint der Befehl zum Herrschen über die ganze Schöpfung im biblischen Schöpfungsbericht). Die Gefährten im Buch übernehmen Verantwortung füreinander und sind auch um die Natur besorgt. Oder Gollum, der am Ende (ungewollt?) Selbstmord begeht, um den Ring zu bekommen; dazu analog hat in der Bibel Satan Selbstmord begangen, indem er dafür gesorgt hat, dass die Bühne der Weltgeschichte so vorbereitet wurde, dass Jesus Christus – als Höhepunkt und Selbstzerstörung der Bosheit – ans Kreuz genagelt wurde.
5. Im „Herr der Ringe“ findet sich nicht eine einzelne Erlöser-Figur wie das Jesus Christus in der Bibel ist, vielmehr handelt es sich um eine ganze Reihe von Helden, die gemeinsam Mittelerde erlösen. Welche Personen machen welche Aspekte der „Erlösung“ aus?
Meiner Meinung nach ist die jesusähnlichste Person im Herr der Ringe Sam Gamdschie. Ja, genau, dieser unscheinbare Hobbit, der oft mehr ein Anhängsel ist. Aber wenn es mal wirklich drauf ankommt, ist er der zuverläßige Freund. Alle anderen Personen werden vom Ring entweder verführt oder sie trauen sich nicht, ihn anzufassen. Sam ist dazu bereit, als es nötig wurde. Er wusste nicht, wie er darauf reagieren würde, er weiß nur, dass es jetzt keine andere Möglichkeit gibt. Er opfert sich sozusagen selbst und durch dieses Opfer wird die Geschichte letztendlich ein Happy-End finden.
6. Gibt es Punkte an „Herr der Ringe“, die dem biblischen Weltbild widersprechen und die Du kritisieren würdest?
Was ich etwas schwierig finde, ist der Umgang mit der Magie im Herr der Ringe. Es kann der Eindruck entstehen, dass es so etwas wie „weiße Magie“ gibt, obwohl die Bibel jede Form der Magie eindeutig verbietet. In Wirklichkeit gibt es keine „weiße Magie“, egal was damit erreicht wird. Magie ist immer und in jeder Form dämonisch.
7. Wenn junge Autoren heute von Tolkien lernen wollen, was würdest Du ihnen empfehlen, aus dem „Herr der Ringe“ zu lernen, wenn sie auch eine unterhaltsame Geschichte auf der Basis der biblischen Weltanschauung schreiben möchten?
Lass dich von der Phantasie leiten, aber behalte immer die ganze Geschichte im Hinterkopf, um dich vor inneren Widersprüchen zu schützen.
8. Welche anderen Bücher kannst Du empfehlen, die auch unterhaltsame Geschichten auf der Basis der biblischen Weltanschauung sind?
Die Geschichten von C. S. Lewis, die Pilgerreise von John Bunyan, die Romane von G. K. Chesterton, aber auch von Dorothy L. Sayers.

Fragen zum „Herr der Ringe“

1. Was ist Dein persönlicher Hintergrund zum Buch oder Film? Wie bist Du darauf gestoßen? Was hast Du davon erwartet?
Zum ersten Mal bin ich drauf aufmerksam geworden, als die Verfilmung von dem Herr der Ringe in die Kinos kam. Einer meiner Kollegen in der Ausbildung damals war ein begeisterter Fan von Mittelerde. Er riet mir auch dazu das Buch zu lesen (und zwar die Übersetzung von Margeret Carroux). Irgendwann habe ich dann eine antiquarische Ausgabe bei einem Buchhändler gefunden und ohne zu zögern zugegriffen. Die Filme gefielen mir außerordentlich gut, aber die Bücher sind mir noch lieber. Ich hatte erwartet, dass das Buch recht nah an den Filmen angesiedelt ist. Im nachhinein wurde meine Erwartung übertroffen, da nach meinem Empfinden, die Bücher noch mehr Tiefe enthalten, als es der Film wiedergeben kann. Doch ich bin mir bewusst, dass es sich dabei um zwei unterschiedliche Medien handelt und man schwerlich beide eins zu eins vergleichen kann.
Ich habe nicht mitgezählt, aber in den letzten Jahren habe ich das Buch mindestens 1-mal pro Jahr durchgelesen und werde diese Tradition beibehalten.
2. John R. R. Tolkien wollte keine „biblische Geschichte“ schreiben, sondern einfach eine unterhaltsame Geschichte. Dennoch finden sich viele Bezüge dazu. Was denkst Du, woher das kommt?
Ich denke das war für jemanden wie Tolkien unvermeidbar. Tolkien selbst bezeichnete sich als (katholischer) Christ. Seinen Briefen und Biografien ist zu entnehmen, dass er daran glaubte, dass es ein Eden in dieser Welt gab, dass durch den Sündenfall verloren gegangen ist, aber dieses Echo aus Eden immer noch in jedem Menschen zu vernehmen ist. Jeder Geschichte liegt eine gewisse Weltanschauung zugrunde. Tolkien schrieb auf dem Hintergrund seiner christlichen Weltanschauung und webte dadurch das grundlegende Konzept von Schöpfung-Fall-Wiederherstellung in seine fiktiven Geschichten ein.
3. Was ist überhaupt eine Weltanschauung? Was sind die Grundpfeiler der biblischen Weltanschauung?
Unter Weltanschauung verstehe ich die Antworten, die sich jemand auf die grundlegenden Fragen der Menschheit stellt: Wer bin ich, wo komme ich her, wo gehe ich hin? Daraus ergeben sich natürlich noch eine Menge weiterer Fragen, die wir uns stellen, um unsere Existenz zu erklären. Grundpfeiler einer biblischen Weltanschauung sind für mich, dass es einen Schöpfergott gibt, der alles Leben schuf und dem wir gegenüber verantwortlich; dass wir Menschen gegen unseren Schöpfer rebellierten und die Sünde dadurch Einzug in diese Welt erhielt, dass aber Gott sich uns Menschen offenbarte um uns Seine Heilsabsichten in Jesus Christus deutlich zu machen.
4. In „Herr der Ringe“ finden sich viele Bezüge auf diese biblische Weltanschauung. Welche davon sind Dir beim Lesen oder Ansehen besonders wichtig geworden?
Wer sich einmal „Das Silmarillion“ durchgelesen hat, der wird sofort an den biblischen Schöpfungsbericht und Sündenfall denken (sofern er die Bibel gelesen hat). Tolkiens Schöpfungsmythos folgt den Schilderungen der Bibel insoweit, dass es einen Schöpfergott am Anfang gab, und das eines seiner Geschöpfe „abfiel“ und danach trachtete die gute Schöpfung Gottes zu zerstören. Ein weiteres Merkmal ist die Tatsache, dass eine geistliche Welt hinter der natürlichen Welt steckt und eng mit dieser verbunden ist.
5. Im „Herr der Ringe“ findet sich nicht eine einzelne Erlöser-Figur wie das Jesus Christus in der Bibel ist, vielmehr handelt es sich um eine ganze Reihe von Helden, die gemeinsam Mittelerde erlösen. Welche Personen machen welche Aspekte der „Erlösung“ aus?
Ich sehe verschiedene „Anklänge“. Bei Gandalf denken wir sofort an die Rückkehr von den Toten, der in neuer Herrlichkeit erscheint. Aragorn ist der rechtmäßige König Gondors, der aus dem Exil zurückkehrt um die Herrschaft anzutreten und die Welt der Menschen zu ordnen. Frodo ist der demütige Held, der den Weg des Leidens geht (notfalls bis in den Tod) um das Böse endgültig zu vernichten. Alle diese Aspekte finden wir im Erlösungswerk Jesu vereint: Jesus ist der Gesandte, der starb und zu neuer Herrlichkeit auferstand; Er ist der rechtmäßige König aus der Linie Davids der die Herrschaft antritt, um alle Dinge in Ordnung zu bringen (endzeitlich betrachtet) und Er ist der leidende Gottesknecht, der den Weg der Schmerzen ging. Der Unterschied zwischen Mittelerde und der biblischen Botschaft ist, dass bei Tolkien es nicht den einen Erlöser gibt, es sich also nicht auf eine Person konzentriert, wobei im Christentum Jesus Christus der zentrale Erlöser ist – und der einzige und endgültige Weg zur Erlösung von der Macht der Sünde.
6. Gibt es Punkte an „Herr der Ringe“, die dem biblischen Weltbild widersprechen und die Du kritisieren würdest?
Das ist schwierig, da Tolkien sich darüber im Klaren war, dass er keine „christliche“ Welt mit Mittelerde entwarf. Eine Sache, die immer wieder von Kritikern hervorgebracht wird, betrifft den Gebrauch von Magie im Buch. Gandalf tritt als Zauberer auf, was für viele Christen problematisch ist, da es nach der biblischen Darstellung keine „guten“ Zauberer gibt. Wenn man sich jedoch die weitere Biografie von Gandalf anschaut, dann wird deutlich, dass er ein Gesandter der göttlichen Mächte, die unter der Herrschaft des einen Gottes stehen, ist, um im Krieg gegen Sauron zu helfen. Gandalf ist kein autonomer Zauberer, der alles zu tun vermag, sondern er ist in seiner Macht begrenzt und hat einen bestimmten Auftrag. In dieser Hinsicht erinnert er mich an einen Propheten des AT: Ein von Gott gesandter Bote, der dazu befähigt werden konnte Wunder zu tun. Nach meiner Sicht jedoch ist auch die Verwendung von Magie im Herrn der Ringe bei weitem nicht so vorherrschend, wie man es vielleicht erwarten würde. Zumindest im Buch wird die Geschichte fast ausschließlich aus der Sicht der Hobbits erzählt, die wiederum wenig oder nichts mit Magie am Hut haben, aber auf ihrer Wanderung damit in Berührung kommen.
7. Wenn junge Autoren heute von Tolkien lernen wollen, was würdest Du ihnen empfehlen, aus dem „Herr der Ringe“ zu lernen, wenn sie auch eine unterhaltsame Geschichte auf der Basis der biblischen Weltanschauung schreiben möchten?
Schreibe eine Geschichte, die du gerne lesen würdest! Denn das hat Tolkien (und C.S.Lewis) erst dazu gebracht Romane zu schreiben. Schreibe zunächst einmal für dich selbst und nicht für den Büchermarkt. Des Weiteren halte ich es für unabdingbar, dass Autoren eine christliche Weltanschauung einverleibt haben müssen. Das bedeutet, dass ihr ganzes Denken von einer christlichen Weltanschauung geprägt sein muss. Wenn das der Fall ist, dann wird die Geschichte automatisch christliche Züge annehmen. Mein Rat ist: Regelmäßig die Bibel lesen (ca. 1-mal im Jahr) und sich mal die Zeit nehmen eine der großen biblischen Theologien zu lesen und zu studieren (wie z.B. die Institutio von Johannes Calvin).
8. Welche anderen Bücher kannst Du empfehlen, die auch unterhaltsame Geschichten auf der Basis der biblischen Weltanschauung sind?
Zum einen natürlich die Narnia-Chroniken von C.S.Lewis. Gefallen hat mir ebenfalls die Trilogie „Das Lied von Albion“ von Stephen Lawhead.
Über mich: Andreas Münch (Jahrgang 1984) ist glücklich verheiratet und stolzer Vater eines Sohnes. Als Pastor und Autor ist er unterwegs in den Fußstapfen Calvins und Tolkiens. Weitere Infos unter: www.andreas-muench.com