Aus dem Leben einer Totschlagbibel

Guten Tag, ich bin Bibi, die Totschlagbibel. Manche mögen sich fragen: Totschlagbibel? Was soll denn das sein? Das werde ich euch gleich erzählen. Eigentlich bin ich ja eine ganz normale Bibel aus Papier mit festem Einband, in Leder gebunden, immer säuberlich rein gehalten, auf Hochglanz poliert, und immer in der Tasche dabei. Eigentlich könnte ich glücklich und dankbar sein, denn anders als viele meiner Artgenossen bin ich noch nie im Regal verstaubt. Vor vier Jahren wurde ich gekauft, um eine vorherige Version meiner selbst zu ersetzen, die inzwischen verlesen aussah und Eselsohren hatte. Ich fand meine Vorgängerin sehr schön, denn sie war farbig und bunt, mit vielen Buntstiften hatte unser Besitzer die wichtigsten Verse angestrichen. Sie sah vom Alter gezeichnet aus, und das machte sie richtig wunderschön. Inzwischen lebt sie aber das traurige Alter einer im Regal stehenden, ausrangierten Bibel, und ich habe ihren Platz eingenommen.

Nun möchte ich aber erzählen, was eine Totschlagbibel ausmacht und was damit meine Aufgabe im täglichen Leben meines Besitzers ist. Ich werde häufig benutzt. Nicht täglich, aber doch recht häufig, mehrmals die Woche. Ich werde gelesen, um meinem Besitzer in den zahlreichen Wortgefechten zu helfen. Mein Inhalt soll ihm die Munition geben, die er braucht, um andere Diskutanten und vermutlich eher auch -onkel zum Schweigen zu bringen. Das ist etwas, was ich nicht mag. Ich möchte eigentlich meinem Besitzer in sein Leben hineinreden, ich möchte ihm helfen, ins Ebenbild Jesu verändert zu werden, aber dazu ist mir häufig gar keine Möglichkeit gegeben. Er kennt seine wichtigen Stellen in- und auswendig, und oft blättert er eher in mir, um seinem Gegenüber Eindruck zu machen. Vermutlich hätte es ihm gereicht, mich auf 30 Seiten zusammengefasst zu haben, mit all den Versen, mit welchen er beständig hantiert. Aber meine Größe und Schwere ist ein zusätzliches Argument, das seinem Gegenüber Eindruck machen soll, denn er will ja damit zeigen, dass er mindestens ebenso bibeltreu und wortgewandt ist.

Ständig zitiert er Jesus: Liebt eure Feinde! Haltet die andere Wange hin! Nicht jeder, der sagt: HERR HERR! Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Oder Paulus: Die Liebe glaubt und erträgt alles! Vergeltet nie Unrecht mit anderem Unrecht! Oder Johannes: Wer seinen Bruder hasst, lebt in der Finsternis! Jede Bibelauslegung, die ihm nicht passt, wird mit diesem Scheinargument zum Schweigen gebracht, sodass er sich selbst völlig taub macht gegen alle Möglichkeiten, selbst etwas Neues dazu zu lernen. Leider bin ich nicht allein als Totschlagbibel. Ich kenne noch andere, die mir schon ähnliches erzählt haben, manche davon haben leider auch Diskussionsgegner meines Besitzers zum Besitzer. Vielleicht wird auch eine andere von uns mal aus ihrem Leben erzählen.

Der thematische Ansatz einer Biblischen Theologie

Hier stelle ich den kanonischen und den historischen Ansatz vor.

Ein weiterer möglicher Ansatz für die Darstellungsweise einer Biblischen Theologie ist das thematische oder dogmatische Konzept. Hierbei ist es ein Thema oder mehrere Themen, anhand derer die ganze Theologie aufgebaut wird. Im Zentrum steht dann dabei die Frage, wie sich die Theologie der einzelnen dieser Themen im Laufe der Zeit entwickelt hat. Dazu muss zunächst ein „roter Faden“ gefunden werden, womöglich auch mehrere solcher „roter Fäden“ in der Theologie der Bibel. Dabei wird auch die Frage nach dem Zusammenhang der beiden Testamente aufgeworfen werden müssen. Die Antwort auf diese Frage wird von gewaltigem Ausmaß sein auf das Ganze der Theologie.

Ein Thema oder viele Themen?

Wenn man nicht von der historischen Achse ausgehend arbeiten will, so eignet sich auch die dogmatische Achse dazu. In dieser fragt man nach der Entwicklung der einzelnen Gedanken der Theologie, nach ihren Gedankengängen und ihrem Entstehen und der Entwicklung im Laufe der Geschichte. Es werden die einzelnen Stellen, die von den selben Aspekten sprechen, einzeln in ihrem Kontext untersucht und dann verglichen und in ihren internen Zusammenhang gestellt. Oder, um es mit Steinberg zu sagen:

Entlang der systematischen Dimension zu arbeiten, bedeutet, ein theologisches Thema zu wählen und dann alle Textabschnitte zusammenzustellen und zu diskutieren, die etwas zum Thema beitragen. Beispiel: „Was sagt das Alte Testament über Engel?““1

In einer gesamtbiblischen Darstellung muss natürlich die Einheit und Vielfalt des gesamten Zeugnisses der Heiligen Schrift berücksichtigt werden. Deshalb ist auch hier die Bestimmung der zwei Testamente zueinander wesentlich.

Wer entlang der dogmatischen Achse arbeiten will, muss sich zuerst im Klaren sein, dass auch dies immer historische Arbeit beinhaltet. Die Bibel ist nach wie vor in Raum und Zeit entstanden, deshalb kann die Zeit nicht ausgeblendet werden.

Eine wichtige Fragestellung darf hier nicht vergessen werden: Sieht man, wenn man auf der dogmatischen Achse arbeitet, einen roten Faden oder will man anhand einzelner Themenkomplexe arbeiten? Wenn man sich für Zweiteres entscheidet, müssen sodann auch noch diese Themenkomplexe gefunden und begründet werden. Horst Seebass hält das Erstere für gescheitert: „Gescheitert sind, so meine ich, Versuche, eine Gemeinsamkeit zwischen Altem und Neuem Testament durch ein gemeinsames Thema wie „Gottesherrschaft“ (G. Fohrer), „Bund“ (W. Eichrodt) o. ä. zu erzielen.“2

Wichtige Vertreter des Ansatzes

Gerhard Hasel macht in seinem Buch Old Testament Theology: Basic Issues in the Current Debate eine gute Auflistung der Vertreter. Hier in komprimierter Form wiedergegeben: „Mit der Herausgabe von Eichrodts Theologie kam diese Frage in ein neues Blickfeld. Für ihn ist das „zentrale Konzept“ […] der „Bund“.“3

Das Problem, welches sich dadurch ergibt, hat Georg Fohrer richtig erkannt, indem er feststellt, dass es für die Zeit nach dem Davidsbund keine neue Bundschließung mehr gab in der Zeit des Alten Testaments. Er schlägt deshalb einen anderen Weg vor: „Georg Fohrer beantwortet die Frage des AT mit einem „dualen Konzept“, nämlich die Herrschaft Gottes und die Gemeinschaft zwischen Gott und dem Menschen.“4

Auf diese Weise lassen sich natürlich alle Dinge von zwei Seiten betrachten: Von der Seite des herrschenden Gottes und von der Seite des mit Gott in Gemeinschaft stehenden Menschen. Weitere wichtige Vertreter sind noch E. Sellin, der die „Heiligkeit Gottes“ als zentrales Element betrachtet, Horst Seebass, welcher viel Wert auf das Königsein Gottes legt, Rudolf Smend, welcher die bereits von Wellhausen herausgearbeitete Formel „Jahwe, der Gott Israels und Israel, das Volk Gottes“ als zentrales Element bestimmt und Peter Stuhlmacher, welcher die Lehre von der Versöhnung als Zentrum definiert.

Vorteile des thematischen Ansatzes

Da die Bibel in ihrer Gesamtheit eine Vielzahl von Themen abdeckt, könnte man zumindest in der Theorie davon ausgehen, dass sie in erster Linie ihre Vielfalt von Zeugnissen zur Geltung bringen möchte und nicht zuerst ihre Einheit. Ferdinand Hahn schreibt zu dieser Fragestellung in Bezug auf das Neue Testament:

Die Einheit des Neuen Testaments darf keinesfalls einfach vorausgesetzt werden; sie muss kritisch erarbeitet werden aufgrund der Analyse der verschiedenen Traditionen. Sie muss von der Vielfalt und den bisweilen durchaus vorhandenen Widersprüchen ausgehen. Das ist aber nur dort möglich, wo anhand aller behandelten Themen die Einheitsfrage gestellt und beantwortet wird.“5

So könnte man denken, dass der thematische Ansatz durchaus ideal sei für eine Einteilung der Biblischen Theologie.

Nachteile des thematischen Ansatzes

Thomas Söding schreibt zu Stuhlmachers Unternehmung, eine Mitte der Schrift zu finden:

Er verfolgt […] das Konzept, nicht einen Kanon im Kanon zu definieren; vielmehr will er in einer weiterführenden Aneignung der Schrift-Theologie Martin Luthers eine „Mitte“ der Schrift lokalisieren, auf die hin und von der her alle biblischen Texte auszulegen und in ihrem spezifischen Gewicht zu bestimmen seien. […] Gleichwohl ist vom Ansatz einer „Mitte“ der Schrift das hermeneutische Problem schwer zu lösen. Denn zum einen bleibt die Frage offen, nach welchen Kriterien das Werturteil über die Versöhnungslehre im all-gemeinen, die paulinische Rechtfertigungslehre im besonderen gefällt wird und wie weit sie als Gradmesser für die Beurteilung der matthäischen, johanneischen, markinischen, lukanischen Theologie mit ihren je doch eigenen Ansätzen taugt. Vor allem aber wird bei einem hermeneutischen Projekt, das nach der „Mitte der Schrift“ sucht (unabhängig davon, wo man sie zu finden glaubt), zu wenig das Prae der Offenbarung vor dem Zeugnis beziehungsweise der Geschichte vor deren Erzählung und Reflexion beachtet. Dieses Prae ist aber für die Theologie des Kanons schlechthin konstitutiv.“6 Für Peter Stuhlmacher ist die Lehre von der Versöhnung der rote Faden der gesamten Bibel. Ich meine, dass diesem Ansatz von Stuhlmacher grundsätzlich zuzustimmen ist, wobei Söding natürlich recht hat, dass damit zunächst überhaupt einmal die gesamtbiblische Idee der Versöhnung definiert und klar abgegrenzt werden muss.

Fazit

Wie bereits beim geschichtlichen Konzept gesehen, gibt es auch hier Vor- und Nachteile. Beide müssen gut abgewogen werden. Vorstellbar wird aber auch eine Zusammenschau mehrerer Ansätze, zum Beispiel des historischen (heilsgeschichtlichen) und des thematischen. Beide umklammern sich in gewisser Weise: Wer thematisch arbeitet, wird das jeweilige Thema im Laufe der Geschichte herausarbeiten müssen, und wer historisch arbeitet, wird immer wieder auf Themen stoßen, welche im Laufe der Geschichte auftreten.

1 Steinberg, Julius, Dimensionen alttestamentlicher Theologie, S. 21

2 Seebass, Horst, Über die innere Einheit von Altem und Neuem Testament, in: Dohmen, Christoph, Söding, Thomas, Eine Bibel – zwei Testamente, S. 132

3 Hasel, Gerhard, Old Testament Theology, S. 139, Übersetzung: JE

4 Ebd. S. 142

5 Hahn, Ferdinand, Theologie des Neuen Testaments, S. 26

6 Söding, Thomas, Entwürfe Biblischer Theologie, in: Hübner, Hans, Jaspert, Bernd, Biblische Theologie, S. 64f

Neues Jahr, neues Projekt!

Seit heute offiziell ist ein neues Projekt online, das ich mit einigen Freunden ins Leben rufen konnte, und zwar eine bibeltreue Bloggerplattform, auf welcher von zur Zeit 16 Bloggern Beiträge erscheinen. 2018 wird ein gutes Jahr, und ich freue mich, dass es auch online immer wieder zu neuen Freundschaften und medialen Aufbrüchen kommt. Diese neue Plattform ist unter http://biblipedia.de/ zu finden. Ich freue mich auch sehr, dass Ulrich Parzany, den ich sehr schätze, und das von ihm ins Leben gerufene „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ an diesem Projekt interessiert ist. Dies ist das erste offizielle Projekt, das aus unserem Kreis heraus entstanden ist, mehr ist noch unterwegs, und man darf gespannt sein, was hier noch alles erreicht werden kann.

Es ist wichtig, dass wir den Gemeinden im deutschsprachigen Raum eine Alternative jenseits von bibelkritischer Hochschultheologie aber auch jenseits des biblischen Analphabetismus, postmoderner Gefühlsvergötzung und Anti-Intellektualismus bieten können. In den kommenden Jahren werden gerade die ehrenamtlichen Mitarbeiter ohne Studium der Theologie eine zunehmend wichtigere Rolle in den Kirchen und Gemeinden spielen – für diese ist es wichtig, um eine gute Alternative zu diesen Missständen zu wissen.

Bei Fragen oder Anregungen scheut Euch nicht, Euch zu melden! Wir freuen uns über jede Mitteilung! 

Update: Hier geht es zur offiziellen Pressemeldung (Link) 

Der historische Ansatz einer Biblischen Theologie

Der historische Ansatz ist derjenige, welcher wohl am ehesten dem Ideal entspricht, das sich Johann Ph. Gabler, Begründer der Biblischen Theologie, einst gewünscht hatte. Man müsse die verschiedenen Zeiten beachten, in welchen die biblischen Autoren ihre Schriften in unterschiedlichen Genres aufgeschrieben hätten. Ob und wie sinnvoll diese Einteilung ist, muss natürlich auch noch geklärt werden. Bei der Darstellung der Biblischen Theologie mit dem historischen Ansatz ist die Abhängigkeit von der Einleitungswissenschaft (das heißt von der Beantwortung der Fragen nach der Verfasserschaft und Abfassungszeit, sowie Leserschaft und Zweck der Abfassung) sehr ausgeprägt. Die Frage ist hier immer, wer was wann geschrieben hat, und alle theologischen Dimensionen dieser Darstellung sind auf das Engste mit der Entstehung verknüpft. Es wird an der Stelle dann zunächst die Entscheidung zu treffen sein, ob man von einer heilsgeschichtlichen (offenbarungstheologischen) oder von einer religionsgeschichtlichen (historisch-kritischen) Darstellungsweise ausgehen will, bzw. muss.

Religionsgeschichte oder Heilsgeschichte?

Die Darstellung als Religionsgeschichte versucht, alle inneren Probleme und Schwierigkeiten mit Hilfe der historischen Kritik zu lösen. Göttliche Offenbarung und übernatürliches Eingreifen darf es nicht geben, stattdessen werden die Schriften in verschiedene Zeiten und historische Abschnitte eingeteilt und mit der religiösen Umwelt verglichen. Die biblische Religion hat sich durch Einflüsse aus der Umwelt entwickelt, das ist das historisch-genetische Modell. Es hat eine Evolution aus animistischer und polytheistischer Religion geben müssen, die sich irgendwann zum Monotheismus entwickelt hat. Das ist das religionsgeschichtliche Modell einer Biblischen Theologie. Der Monotheismus muss dabei immer als der letzte Schritt gesehen werden. Jeder Zeitepoche und jedem Autor wird sodann eine aus den jeweiligen Texten herausgeschälte Theologie zugeordnet. Die Bibel ist somit eine riesige Sammlung von verschiedenen Einzeltheologien. Das kanonische Buch Jesaja zum Beispiel wird durch historisch-kritische Einleitung in zwei oder drei Teile von jeweils verschiedenen Autoren eingeteilt, von welchen jeder eine eigenständige Theologie untergejubelt bekommt.

Als zweite Möglichkeit kann heilsgeschichtlich gearbeitet werden. In der Arbeitsweise geht man hier üblicherweise von der göttlichen Offenbarung der Bibel aus, die schrittweise (also progressiv) verläuft. Es gibt heilsgeschichtliche Entwürfe, die die literarkritischen Ergebnisse der Forschung als Ausgangspunkt nehmen (zum Beispiel Gerhard von Rad), andere gehen von einem bibeltreuen Standpunkt aus, nehmen also an, dass die Bibel, so wie sie heute erhalten ist, vollumfänglich von Gott inspiriert ist.

Gefragt werden muss natürlich auch bei diesem Ansatz, welcher Weg sich aus der Schrift selbst ableiten lässt. Da ist es sehr wichtig, dass nicht von außen her irgendwelche philosophischen Kriterien herangetragen werden, die der biblischen Botschaft schon gar nicht gerecht werden können. Deshalb muss gefragt werden, ob die Bibel denn in sich den Hinweis auf eine historische Lesart enthält. Gerhard Maier ist überzeugt davon: „Dennoch muß man von der Geschichtlichkeit der Schrift sprechen. Warum? Weil die göttliche Offenbarung in die Menschheitsgeschichte eingegangen ist. Und zwar nicht nur einmal, wie der Islam von seinem Koran behauptet. Sondern in einer Kette von Ereignissen, die selber wieder neue Geschichte geschaffen haben (Hebr 1,1f).“1

Dies hat zur praktischen Konsequenz, dass eine historische Darstellung der Biblischen Theologie sehr wohl angemessen ist. Ob und wie sie der Praktischen Theologie letztlich dienlich ist, wird noch zu evaluieren sein. Aber es lässt sich an der Stelle bereits festhalten, dass die zahlreichen Stammbäume und die historischen Berichte der Bibel das geschichtliche Verständnis geradezu herausfordern, die Schrift geschichtlich zu verstehen und zu interpretieren.

Wichtige Vertreter des Konzepts

Das heilsgeschichtliche Denken ist seit den frühesten Anfängen der christlichen Kirchengeschichte zutiefst in der Theologie verankert. Philipp Vielhauer schreibt zum Matthäus-Evangelium:

Eine Sonderstellung nehmen die sog. Reflexionszitate ein. Sie sind durch zweierlei gekennzeichnet. Einmal durch die reflektorische Zitationsformel: „Dies (alles) geschah, damit erfüllt werde…“. Dann durch den Texttypus: Es ist nicht der LXX-Text, aber auch nicht die genaue griechische Wiedergabe des massoretischen Textes, steht diesem aber näher als dem der LXX. […] Mit solcher Verwendung des AT, speziell mit dem Gedanken einzelner Erfüllungen, konstruiert Mt das Bild einer Heilsgeschichte, die Israel, Jesus und die Zeit der Kirche umspannt.“2 Die Heilsgeschichte der Bibel entstammt also ihr selbst, denn der neutestamentliche Gebrauch des Alten Testaments deutet recht klar darauf hin. Noch deutlicher wird diese Ausprägung in der frühen Gemeinde, wenn Paulus vom Kreuzesgeschehen als Zentrum der Geschichte3 und Telos (Ende oder Ziel) des Gesetzes4 spricht. Auch unter den Kirchenvätern gab es zahlreiche, welche die Bibel heilsgeschichtlich betrachteten. So zum Beispiel Augustinus von Hippo in seinem Werk über den Gottesstaat, wo er die Weltgeschichte in sieben Zeitalter einteilte.

Auch die Reformatoren Luther und Calvin haben ihre Christologie zu großen Teilen aus dem Alten Testament gewonnen, was zeigt, wie normal und richtig für sie das sich aus dem reformatorischen Prinzip „Sola Scriptura“ ergebende heilsgeschichtliche Denken war.

In der Zeit nach der Reformation entwickelte sich der Begriff von der „oeconomia temporum“, so zum Beispiel in der Zeit des beginnenden Pietismus unter Johann Heinrich May (um 1700). Auch bei J. Ph. Gabler findet sich der geschichtliche Ansatz, mit der einen Einschränkung, dass nämlich „die Perioden der alten und neuen Religion“ getrennt werden sollen. Das ist ein religionsgeschichtliches Modell. Oder zumindest die dazu gehörende Methodologie, die Gabler da entwickelte5.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wuchs diese Forderung nach der rein religionsgeschichtlichen Betrachtung der Bibel und mündete zum Ende jenes Jahrhunderts in die Religionsgeschichtliche Schule der Göttinger Universität. C. H. H. Scobie beschreibt jenen Übergang:

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert begannen archäologische Entdeckungen (die bis heute andauern) Informationen zu liefern über den antiken Nahen Osten und die gräco-romanische Welt. Für viele begannen diese Entdeckungen die Einmaligkeit des biblischen Glaubens in Frage zu stellen. Babylonische Schöpfungsmythen und Gesetzestexte, jüdische Apokalyptik, hellenistische Mysterienreligionen und vorchristlicher Gnostizismus lieferten beachtliche Parallelen zum biblischen Material, das nicht länger isoliert studiert werden konnte.“6

Ausgehend von diesen Entdeckungen entstand im Deutschland des beginnenden 20. Jahrhunderts nebst der Religionsgeschichtlichen Schule der sogenannte „Bibel-Babel-Streit“. Friedrich Delitzsch sah in seinen Studien viele solche Parallelen der Bibel mit der altbabylonischen Welt und behauptete 1902 in einem öffentlichen Vortrag, dass die Bibel erst dann richtig verstanden werden könne, wenn man zuerst die babylonische Kultur studiert und verstanden habe. Dies löste eine Flut von Schriften aus, sodass Delitzsch ein Jahr nach dem ersten Vortrag einen zweiten solchen hielt und seine These mit weiterem Material noch zu festigen suchte.

Auch in der Theologie der Nachkriegszeit bekam die geschichtliche Dimension eine große Bedeutung, insbesondere bei Gerhard von Rad. Von Rad findet über den Weg der historisch-kritischen Lesart der Bibel zu einer Heilsgeschichte. Das ist bemerkenswert. Im Zentrum steht für ihn das Bekenntnis zum in der Geschichte handelnden Gott: „Schon die ältesten Bekenntnisse zu Jahwe waren geschichtsbedingt, d. h. sie verknüpfen den Namen dieses Gottes mit der Aussage von einer Geschichtstat. Jahwe, „der Israel aus Ägyptenland herausgeführt hat“, ist wohl die älteste und zugleich die am weitesten verbreitete dieser Bekenntnisformeln.“7

Nach Gerhard von Rad kam auf der einen Seite in den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts das „kanonische Konzept“ auf, welches hier (Link) betrachtet wird, andererseits kamen Rainer Albertz und Werner H. Schmidt bewusst zurück zur Religionsgeschichte: „Mit der Wiederaufnahme der religionsgeschichtlichen Fragestellung übernimmt die heutige Forschung zugleich das Ziel der religionsgeschichtlichen Schule: Die „ins Zentrum zielende Frage“ richtet sich auf die „Besonderheit Israels innerhalb der Welt der altorientalischen Religionen“ (R. Rendtorff, 738), „die unverwechselbare Einzigartigkeit Israels innerhalb der Religionen des Altertums“ (K. Koch, 106). Allerdings drängt sich jene Frage nach der Eigenart Israels zugleich in neuer, diffizilerer Form auf: Nach welchen Kriterien wählt alttestamentlicher Glaube aus der Vielfalt der fremdreligiösen Phänomene aus, wandelt das Übernommene um und stößt mit seinem Wesen Unvereinbares ab? Damit gewinnt religionsgeschichtliche Forschung zugleich eine theologische Aufgabe.“8

Vorteile des geschichtlichen Ansatzes

Julius Steinberg schreibt dazu: „Es kommt nämlich nicht nur darauf an, welche historischen Informationen uns biblische Texte vermitteln, sondern auch, wie sie es vermitteln, welche Akzente sie beispielsweise bei der Darstellung setzen, mit welchem Ziel bestimmte historische Ereignisse wiedergegeben werden, welche Glaubensbotschaften damit übermittelt werden. Um die Glaubensbotschaften zu erfassen, darf nicht nur hinter dem Text, es muss auch im Text gearbeitet werden. Nicht die Geschichte allein, sondern die im biblischen Wort beschriebene und gedeutete Geschichte muss die Basis einer alttestamentlichen Theologie sein.“9

Die Bibel ist zum größten Teil als Geschichte geschrieben. Zwar mit gewisser wertender Auswahl des Geschehenen, welche in einer Theologie natürlich behandelt werden muss, aber sie ist als Geschichte verfasst. Deshalb „können große Teile des Alten Testaments relativ problemlos in dieses Raster eingeordnet werden“10, wie Steinberg daraufhin fortfährt.

Auch LaSor, Hubbard, Bush sehen in der Bibel von der Urgeschichte an diese Entfaltung der Heilsgeschichte:

Der Aufbau der Urgeschichte läßt erkennen, daß ihr Autor vor der Frage steht, wie die Geschichte Gottes mit dieser zerstreuten und entfremdeten Menschheit weitergehen soll. […] Der Pentateuch läßt sich somit in zwei große Abschnitte einteilen: Gn 1 – 11 und Gn 12 – Dt 34. Im ersten Abschnitt wird die Frage ausgebreitet, im zweiten die Antwort gegeben; der erste liefert die Problemstellung, im zweiten bahnt sich die Lösung an. Der Angelpunkt ist Gn 12, 3.“11

Mit der Segensverheißung in Genesis 12,3 ist tatsächlich der Dreh- und Angelpunkt des weiteren Geschehens zu finden, das sich bis zum Ende des Neuen Testaments, der Offenbarung, hinziehen soll. Sehr interessant ist, dass die Offenbarung viele Elemente aus der Urgeschichte wieder aufnimmt: Der Baum des Lebens erscheint wieder, die Schlange, die in der Urgeschichte all das Unheil angerichtet hatte wird gerichtet, und viele weitere mehr. Die Urgeschichte eskaliert, weil der Mensch sich selbst erhöht und sich von Gott abwendet, deshalb wird er in alle Himmelsrichtungen verstreut. In der Offenbarung sammeln sich aus allen Himmelrichtungen die Menschen, um sich vor Gott zu beugen und ihn, den Herrn zu erhöhen.

Auch für die Predigt eignet sich das heilsgeschichtliche Konzept gut, denn durch eine heilsgeschichtliche Verkündigung lernen die Gemeindeglieder die Bibel auch eigenständig recht zu verstehen, in so fern würde dieses Konzept die Predigtvorbereitung erleichtern oder zumindest unterstützen. Armin Mauerhofer schreibt zur Predigt Folgendes:

Da die Inspiration ein heilsgeschichtlicher Vorgang ist, haben wir die Heilige Schrift auch heilsgeschichtlich auszulegen. Das heilsgeschichtliche Denken öffnet den Blick für die Einheit der Bibel. Sie nimmt den Spannungsbogen von Prophetie und Erfüllung ernst. Kein Teil der Schrift ist in ihrem heilsgeschichtlichen Ganzen entbehrlich. Die Bibel schreitet eben gerade nicht von minderwertiger Offenbarung (Rachegebete, rächender Gott) zu immer klarerer Offenbarung voran. Die Aussagen der Bibel sind in ihrem heilsgeschichtlichen Ganzen gleichwertig.“12

Gerade weil die Gemeinde durch die Verkündigung das biblische und damit heilsgeschichtliche Denken aufnehmen und erlernen soll, ist es wichtig, dies zu fördern und zu unterstützen. Dennoch muss man sich natürlich bewusst sein, dass jedes Modell und jedes Konzept eine Konstruktion ist. Deshalb hat auch der geschichtliche Ansatz gewisse Nachteile.

Nachteile des geschichtlichen Ansatzes

Der größte Nachteil des geschichtlichen Konzepts ist derjenige, dass die Bibel, insbesondere das Alte Testament, zeitlose Schriften beinhaltet. Damit ist vor allem die Weisheitsliteratur gemeint. Von der Einleitungswissenschaft herkommend lassen sie sich natürlich alle irgendwie historisch verorten, haben jedoch zeitlose Allgemeingültigkeit was ihren Inhalt betrifft. Die Theologie der Weisheit ist somit nicht von ihrem historischen Kontext abhängig. Damit kann man nun unterschiedlich umgehen. Gerhard von Rad zum Beispiel hat diesen Teil des Alten Testaments in einem gesonderten Band der Theologie behandelt. Nur ganz am Rande streift er in der Theologie des Alten Testaments im letzten Kapitel des ersten Bandes die Weisheit und komprimiert sie auf die Aussagen Israels zur göttlichen Weisheit und zur israelitischen Skepsis13.

Auch die Abhängigkeit von der Einleitungswissenschaft macht die Darstellung der Biblischen Theologie auf der historischen Grundachse nicht gerade einfacher. Für jedes behandelte historische Zeitalter muss zunächst die von der Einleitungswissenschaft vorgegebene Einleitung in die jeweiligen Schriften mit einbezogen werden.

Fazit

Mit Peter Stuhlmacher muss eine Rückkehr zur exegetischen Methodologie der Reformation gefordert werden:

In kritischem Anschluß an die altkirchliche und mittelalterliche Schriftauslegung sind die Reformatoren im Rahmen des dritten Glaubensartikels zu einer historisch-theologischen Betrachtung der biblischen Texte aufgebrochen, und die Orthodoxie ist mit ihrer Lehre vom testimonium spiritus sancti internum [dem der Bibel innewohnenden Zeugnis durch den Heiligen Geist; JE] auf ihrer Spur geblieben. Die dauernde Emanzipation von diesem Ansatz hat heute zur Folge, dass die historisch-theologische Forschung nicht mehr in der Lage ist, Gottes Wirken in der Geschichte konkret zu denken, die ekklesiologische Bezogenheit aller maßgeblichen biblischen Überlieferung ernstzunehmen und zudem gebührend zwischen prinzipiell revidierbarer geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis und der gewißmachenden Erkenntnis des Glaubens zu unterscheiden.“14

Da der historisch-theologische Charakter der Schrift so ausgesprochen wichtig ist, macht es Sinn, den geschichtlichen Ansatz zu wählen. Gerade auch in der heutigen Zeit der blinden Nivellierung alles Geschichtlichen könnte sich dies als ein heilsamer Ansatz erweisen. Auch die Wichtigkeit der Heilsgeschichte in der Predigt würde dies unterstützen. 

Fußnoten:

1 Maier, Gerhard, Biblische Hermeneutik, R. Brockhaus Verlag Wuppertal, 1. Aufl. 1990, S. 179

2 Vielhauer, Philipp, Geschichte der urchristlichen Literatur, Walter de Gruyter Berlin, 1975, S. 362

3 Zum Beispiel 1. Korinther 15, 17 – 19

4 Römer 10, 4

5 Strecker, Georg, Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1975, S. 38

6 Scobie, C. H. H., History of biblical theology, in: Alexander, T. Desmond, New Dictionary of Biblical Theology, IVP Reference Collection, InterVarsity Press 2000, S. 15, Übersetzung: JE

7 Von Rad, Gerhard, Theologie des Alten Testaments, 2 Bde., Chr. Kaiser Verlag München, 1961, S. 127

8 Schmidt, Werner H., Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte, Neukirchener Verlag, 6. Aufl. 1987, S. 12

9 Steinberg, Julius, Dimensionen alttestamentlicher Theologie in: Klement, Herbert H., Steinberg, Julius, Themenbuch zur Theologie des Alten Testaments, R. Brockhaus Verlag Wuppertal, 1. Aufl. 2007, S. 26f

10 Ebd.

11La Sor, W. S., Hubbard, D. A., Bush, F. W., Das Alte Testament, Entstehung – Geschichte – Botschaft, Theologische Verlags-gemeinschaft Wuppertal, 4. Aufl. 1989, S. 69

12 Mauerhofer, Armin, Jesus Mitte jeder Predigt, Jota Publikationen Hammerbrücke, 2005, S. 34f

13 Von Rad, Gerhard, Theologie des Alten Testaments, 2 Bde., Chr. Kaiser Verlag München, 1961, „Israel vor Jahwe“

14 Stuhlmacher, Peter, Thesen zur Methodologie gegenwärtiger Exegese; in: ders., Schriftauslegung auf dem Wege zur Biblischen Theologie, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 1975, S. 52

Der kanonische Ansatz einer Biblischen Theologie

In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde immer mehr die Frage nach einem Ansatz der Biblischen Theologie, welche für möglichst viele Theologen annehmbar sein sollte, laut. Auf der einen Seite gab es da eine Reihe von historisch-kritisch arbeitenden Theologen, welche eine Vielzahl an neuen Ansätzen der Interpretation hervorbrachten. Manche stellten die Überlieferungsgeschichte eines Textes in den Mittelpunkt und fragten danach, wie der Text zu seinem jetzigen Inhalt gekommen ist. Sie gingen davon aus, dass jeder Text zuerst nur mündlich überliefert worden sei und bei jeder Weitererzählung noch Neues hinzugedichtet worden sei. Davon versuchten sie, die ursprüngliche Version zu rekonstruieren. Andere dachten sich, dass die Texte nach ihrer Niederschrift noch mehrmals überarbeitet sein müssten, und versuchten auch hier, durch die Zerlegung der Texte in eine Vielzahl von einzelnen „Theologien“ (also dem, was der jeweilige Autor und die den Text überarbeitenden Redaktoren von Gott dachten), das zu rekonstruieren, was ursprünglich sei. Wieder andere hielten die Texte für wilde Durchmischungen von mehreren früheren Texten, wo die Redaktoren mal einen Vers vom einen und dann wieder vom anderen Text genommen haben sollten. Zahlreiche Theologen mischten diese Vorgehensweisen auch nach Belieben durcheinander, und so kann es nicht verwundern, dass eine nicht enden wollende Zahl an Ansätzen und Resultaten den Büchermarkt überflutete. Auf der anderen Seite hielten einige der evangelikalen Theologen an der Irrtumslosigkeit der Bibel fest und lehnten jede Suche nach dem „Text hinter dem Text“ ab. In dieser Zeit hielt Henning Graf Reventlow fest:

Eine „Biblische Theologie“ ist noch nicht geschrieben. Der Weg zu diesem Ziel ist nicht nur von Hoffnung, sondern auch von vielerlei Skepsis begleitet. Sie zu überwinden wird nur möglich sein, wenn auf vorschnelle Lösungen verzichtet wird und alle Perspektiven umfassend und mit der nötigen Sorgfalt ins Auge gefasst werden. „Biblische Theologie“ ist ein in weitestem Sinne exegetisches und systematisches Arbeitsgebiet.“1

Seit dem Erscheinen der Biblical Theology von Brevard S. Childs 1992 hat sich das – zumindest aus Sicht vieler liberaler Bibelwissenschaftler – geändert.

Die Bibel als Kanon verstehen

Der sogenannte „Canonical Approach“ von B. S. Childs macht einen neuen Versuch, die Ergebnisse der historisch-kritischen Erforschung der Bibel in Einklang zu bringen mit einer Annahme der biblischen Texte in ihrer kanonischen Form. Damit wird der Versuch gestartet, eine Lücke zu schließen zwischen der bibelkritischen und der evangelikalen Forschung, die insbesondere in den Vereinigten Staaten seit langer Zeit in der Luft liegt. Childs geht nun davon aus, dass „das Material weitergegeben wurde durch seine verschiedenen mündlichen, literarischen und redaktionellen Stufen von vielen verschiedenen Gruppen bis zu einem theologischen Ziel. Weil die Traditionen als glaubensmäßig autoritativ empfangen wurden, wurden sie so weitergegeben, dass sie eine normative Funktion für nachfolgende Generationen von Gläubigen innerhalb einer Glaubensgemeinschaft erhalten konnten. Dieser Prozess, das Material theologisch wiederzugeben, beinhaltete unzählige verschiedene Techniken des Zusammenstellens, durch welche die Tradition realisiert wurde.“2

So wird nun endgültig klar, dass Childs keinesfalls die historisch-kritische Arbeitsweise aufgegeben hat. Sie ist ihm wichtig, mehr noch, er meint, dass man ohne sie die Bibel gar nicht erst verstehen könne. Was bei Childs neu ins Zentrum rückt, ist das Element der gläubigen Versammlung, welche dem Kanon seine Autorität verleiht. Er kennt keine dem Kanon innewohnende Autorisierung, sondern einzig die Tatsache, dass der Kanon von der glaubenden Gemeinde – wie auch immer – zusammengestellt, redigiert, verändert und neu zusammengestellt wurde, kann dem Kanon als solchem eine externe Autorität geben. Es muss also gefragt werden, wie ein Text in der Bibel entstanden ist, warum er wie redigiert und wie er rezipiert (in anderen Stellen wiedergegeben, gedeutet oder ausgeführt) wird. Die Frage, was ein Text bedeutet, tritt in den Hintergrund, während man viel Wert auf den Vorgang der Entstehung eines Textes bis zu seiner Form im heutigen Kanon gelegt wird.

Wichtige Vertreter des Konzepts

An erster Stelle muss hier natürlich B. S. Childs genannt werden. Er hat dieses Konzept entwickelt und bekannt gemacht. Nach ihm haben es zahlreiche andere Theologen aufgenommen und auf je ihre Art und Weise weiter entwickelt. Im deutschsprachigen Raum ist vor allem Rolf Rendtorff bekannt geworden. Er nennt seine Theologie des Alten Testaments im Untertitel „Ein kanonischer Entwurf“. In der Tat hat er einen Entwurf einer Theologie des Alten Testaments hinterlassen, den man als solchen so bezeichnen kann. Zu seiner Methodologie beschreibt Rendtorff sein Anliegen wie folgt:

Die erste und primäre Aufgabe einer theologisch motivierten Exegese ist die Auslegung des vorliegenden Textes. Diese Veränderung der Fragestellung impliziert eine grundlegende Veränderung des Auslegungsinteresses. Die vorherrschende literarkritische Betrachtungsweise ist per definitionem an den Vorstadien des jetzigen Textes und damit zugleich an seiner Entstehungsgeschichte interessiert. Sie ist darin „historisch-kritisch“, dass sie nach der Geschichte fragt, die zur Entstehung des jetzigen Textes geführt hat und sich in den verschiedenen Stadien der Textentstehung widerspiegelt. […] Die Umkehrung der Fragestellung, die mir notwendig erscheint, geht davon aus, dass jeder biblische Text in der Gestalt, in der er uns vorliegt, seine eigene Aussage zu machen hat. […] Das bedeutet nicht, wie gesagt, die Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese zu verwerfen. Es geht vielmehr um ihre Zuordnung und ihren Stellen-wert im Rahmen einer Theologie des Alten Testaments. Hierbei spielt u.a. die Frage der Datierung der Texte und der daraus gezogenen Folgerungen eine wichtige Rolle. Deshalb ist es in diesem Zusam-menhang nicht unwichtig, den hypothetischen Charakter und die damit verbundene Unsicherheit und Wandelbarkeit vieler Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese zu bedenken.“3

Vorteile des Konzepts

Hans Hübner zeigt in den Prolegomena zu seiner Biblischen Theologie des Neuen Testaments auf, dass Childs – obgleich er hierin nicht mit Childs mitgehen kann – mit diesem Ansatz die Möglichkeit hat, „ein Maximum an Kontinuität vom Alten Testament zu Neuen hin herauszustellen.“4 Er fährt fort:

Entscheidend ist die ekklesiologische Dimension: Gottes Bundesbeziehung zu Israel ist im Neuen Testament bestätigt („confirmed“). […] Vielleicht ist dies die wichtigste Antwort Child’s [sic!] auf die von ihm selbst gestellte Frage, wie das Neue Testament im Lichte des Alten zu interpretieren sei. Auf die in die entgegengesetzte Richtung zielende Frage, wie das Alte Testament im Lichte des Neuen zu interpretieren sei, gibt er vor allem die Antwort: ‘There is no body of Old Testament teaching that stands by itself and is untouched by the revelation of the Son.’“5

So lässt sich durchaus eine Biblische Theologie aufbauen, die versucht, die Kontinuität der Testamente zu betonen. Inwieweit dies aber erstens tatsächlich gelingt und zweitens ob diese Vorgehensweise dem Inhalt der Bibel gerecht wird, soll an dieser Stelle bezweifelt werden.

Nachteile des Konzepts

Auf der einen Seite ist zunächst einmal zu bezweifeln, ob die hier übliche historisch-kritische Vorgehensweise in der Exegese dem entspricht, was die Heilige Schrift sein möchte. Nämlich genau das: Heilige Schrift. Auch ist der Versuch, historisch-kritische Bibelwissenschaft mit dem Selbstverständnis der Bibel zu versöhnen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ebenso stellt sich die Frage, inwieweit das Ausblenden der geschichtlichen Dimension zu einer objektiven Findung von Antworten der Biblischen Theologie zu führen vermag.

Fazit

Das kanonische Konzept war ein Versuch der Biblischen Theologie, über die Gegensätze der bibeltreuen und der historisch-kritischen Exegese hinauszukommen. Letztlich muss dieser Versuch als gescheitert betrachtet werden, da sich die Vertreter zu Verfechtern der historisch-kritischen Methoden machen. Er wird zu einem trojanischen Pferd, das unter dem Deckmantel des gesamten biblischen Kanons versucht, Bibelkritik in die evangelikale Bewegung einzuführen. Deshalb ist dieses Konzept nicht weiter zu empfehlen – so interessant es auch auf den ersten Blick aussieht. Es gibt – gerade im englischsprachigen Raum – eine Reihe deutlich besserer Ansätze, die heilsgeschichtlich, thematisch, systematisch und literarisch arbeiten.

Fußnoten:

1Reventlow, Henning Graf, Hauptprobleme der Biblischen Theologie im 20. Jahrhundert, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1. Aufl. 1983, S. VII

2Childs, Brevard S., Biblical Theology of the Old and New Testament, Fortress Publication Augsburg, 1993, S. 70, Übersetzung: JE

3Rendtorff, Rolf, Theologie des Alten Testaments – ein kanonischer Entwurf, 2 Bde., Neukirchener Verlag Neukirchen-Vluyn, 1999, Bd. 2, S. 283f

4Hübner, Hans, Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 1: Prolegomena, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 1. Aufl. 1990, S. 72

5Ebd.

Abenteuer Bibeltreue

Das Leben mit Gott, wenn man die Bibel in ihrer Gesamtheit als Gottes vollkommen inspiriertes, unfehlbares und fehlerloses Wort betrachtet, ist ein wunderbares Abenteuer. Gott lädt mich ein, mich jeden Tag ganz entspannt und voller Freude mit Seinem Wort zu befassen, es immer wieder von Neuem zu lesen, daraus zu lernen und es umzusetzen in meinem täglichen Leben. Ich muss mich nicht ständig fragen, ob das, was ich gerade lese, tatsächlich voll und ganz Gottes Wort ist oder ob es nur ein Bericht darüber ist, wie ein Mensch früher Gott gesehen und erlebt hat. Das gibt mir einen Ruhepol, einen festen Anker, einen Felsen in der Brandung des täglichen Lebens. Gott lädt mich dazu ein, Ihn beim Wort zu nehmen. Jedes Versprechen innerhalb der Bibel darf ich analysieren, den Kontext genauer anschauen, um es richtig zu verstehen, und dann auf mein Leben anwenden.

Gott gebraucht auch die Fülle Seines Wortes, um mich in Frage zu stellen. Hier finde ich ein großes Problem unserer Zeit, dass viele Menschen versuchen, Gottes Wort so zu verbiegen, dass sie sich selbst gut dargestellt finden, weil sie kein Interesse daran haben, sich von Gottes Wort in Frage stellen und verändern zu lassen. Lieber bleiben sie so wie sie sind. Das ist angenehmer und mit weniger Aufwand und Schmerzen verbunden. Ja, die Erkenntnis seiner selbst kann manchmal ganz schön hart sein. Aber sie tut gut und will das Leben zum Besseren verändern.

Unter dem Wort Gottes bleiben befreit mich von meinen eigenen Vernüfteleien und hilft mir, demütig zu bleiben. Es ist keine Demut, die Bibel mit dem Verstand oder einem bestimmten bibelfremden Jesusbild in Gotteswort und Menschenwort einteilen zu wollen. Das ist Hochmut und führt zu einer Überschätzung des heutigen Lesers. Es führt auch zu einer Überschätzung unserer Zeit, weil man somit davon ausgehen kann, dass unsere Zeit und Kultur um Längen besser und verständiger sei als die Zeiten, in welchen die Autoren der Bibel lebten. So viel sollten wir uns nicht anmaßen – schließlich hat ein äußerst blutiges und grausames 20. Jahrhundert zur Genüge gezeigt, wohin der menschliche Verstand, der sich über Gott stellt, kommen wird.

Unter dem Wort Gottes bleiben ist immer ein Abenteuer, weil ich in der Bibel immer wieder ganz neu überrascht werde. Wer mit manchen Methoden der Bibelkritik arbeitet, wird am Ende immer genau das bekommen, was er zuerst vorausgesetzt hat. Aus diesem Grund werden heutzutage auch oft Glaubensbekenntnisse wie etwa das Apostolikum zu einem neuen Maßstab, mit welchem man die Bibel messen will. Diese Bekenntnisse sind kein Teil der Bibel – sie müssen durch die Bibel geprüft werden. Das wird nun oft auf den Kopf gestellt und stattdessen das Bekenntnis zum Prüfen der Bibel missbraucht. Aber wenn ich unter dem Wort bleibe und die Bibel lese, dann überrascht mich Gott immer wieder von Neuem, denn so viel Inhalt steckt da drin, dass es für viele Leben des Entdeckens und Ausgrabens reicht, bis man nur mal die größten Schätze geborgen hat. Ich bin dadurch frei, ganz auf Gott zu hören und von Ihm zu lernen ohne die Brillen der Bibelkritik, die nach allen möglichen natürlichen Einflüssen auf die Bibelautoren ausgehen. Ich darf stattdessen von einer übernatürlichen Inspiration durch den Heiligen Geist ausgehen, der in jedem Wort, in jedem Buchstaben zu mir sprechen will – und das macht das Leben abenteuerlich.

Man kommt natürlich mit Hilfe der Bibelkritik auf alle möglichen abenteuerlichen Auslegungen, aber zu guter Letzt ist das langweilig, weil jeder immer nur auf sich selbst zurückgeworfen wird. Jeder findet damit in der Bibel das, was er eh schon vorausgesetzt hat; das, was in ihm schon vorhanden war. Da ist mir das Abenteuer der Bibeltreue viel wertvoller. Übrigens sollten wir uns zwei Sachverhalte gut auf der Zunge zergehen lassen, die Peter Stuhlmacher bereits 1975 im Rahmen eines Vortrags in Augsburg über den Siegeszug der historisch-kritischen Bibelauslegung erwähnte:

Gleichwohl gilt es, zwei weitere Sachverhalte ebenso aufmerksam zu registrieren. Der erste von beiden wird gegenwärtig einem breiten Publikum auch schon von ausgesprochenen Kritikern der Kirche und des Christentums wie Joachim Kahl oder Rudolf Augstein zum Bewusstsein gebracht, dass nämlich die z. Z. in der Diskussion stehenden Spitzenergebnisse der protestantischen (und ich darf jetzt hinzufügen: auch der neueren katholischen) Bibelkritik in der Öffentlichkeit zu einem enormen Substanzverlust geführt haben. Der zweite Tatbestand ist weniger offenkundig, drängt sich aber in internen Gesprächen mit Pfarrern, Katecheten und christlich engagierten Studenten belastend auf. Die historische Kritik hat gerade die in dieser Kritik ausgebildete Theologenschaft stark in ihrem Schriftgebrauch verunsichert und ist zugleich zu kompliziert geworden, um in der theologischen Ausbildung wirklich angeeignet und dann auch einleuchtend praktiziert werden zu können.“ (Stuhlmacher, Peter, Schriftauslegung auf dem Wege zur biblischen Theologie, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 1975, S. 167f)

Mit anderen Worten: Die Bibelkritik ist untauglich für die gemeindliche Praxis und führt zum Verlust zentraler Inhalte des christlichen Glaubens. Da ist mir eine bibeltreue Hermeneutik viel wertvoller, denn diese führt ebenso zu den positiven Ergebnissen der Bibelwissenschaft und das deutlich einfacher und schneller. Für bibelkritische Predigten, die zu „abenteuerlichen“ Aussagen kommen, gibt es immer wieder Beispiele, siehe etwa hier (Link).

Nach dem Jubiläum ist vor dem Jubiläum

Das Reformationsjubiläum war ein totaler Flop. Millionen wurden für nichts und wieder nichts in den Sand gesetzt. Ich habe mich dabei gefragt, ob das einfach nur blinde Naivität war, oder ob es zu einer Strategie gehört, dass man eine „Lutherdekade“ ausrief, um so viel von Martin Luther zu plappern, bis keiner mehr den Namen hören kann. So könnte man natürlich problemlos die Reformation in der Senke verschwinden lassen: Wenn keiner mehr davon hören will, kann man ja dann einfach davon schweigen, und auf Nachfrage immer darauf verweisen, dass ja eh schon alles gesagt worden sei in dieser Dekade, und dass es erst mal reiche. So könnten sich die Kirchen wieder ihren politischen Agenden zuwenden, das Evangelium erneut vergessen und wieder den Jakobus- gegen den Römerbrief ausspielen, Petrus gegen Paulus, und Jesus gegen den ganzen Rest der Bibel. Das wäre eine bequeme Lösung; so käme man Rom und der säkularen Welt immer näher.
Ich bin dafür, dass wir weiter von Martin Luther und der Reformation reden. Ich bin dafür, dass wir die zahlreichen, auch durch die Lutherdekade geschürten Vorurteile abbauen und für eine immer zu reformierende Kirche kämpfen. Sie ist immer gemäß der Bibel zu reformieren. Deshalb: Nach dem Jubiläum ist vor dem Jubiläum. Ich kann nicht schweigen von den großen Dingen, die Gott durch die Reformation und viele darauffolgende Erweckungen getan hat. Kirchengeschichte ist Erweckungsgeschichte, und dafür bin ich unendlich dankbar. Ich bete weiter für Erweckung und Reformation – zunächst brauchen wir Reformation, eine Rückkehr zur Bibel und zum einfachen, kindlichen Vertrauen in Gottes Wort. Nach dem Jubiläum ist vor dem Jubiläum: Wir dürfen jeden Tag Gott danken für alle Gestalten der Kirchengeschichte, die – allesamt weit entfernt von perfekt – von Gott mächtig gebraucht wurden, damit Menschen zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Und wir dürfen den Stab aufnehmen und selbst darum ringen, diese Arbeit fortzuführen. Immer gemäß dem ganzen, unbeschädigten und unfehlbaren Wort Gottes, der Bibel.

 

Bibelkritik: Was ist eigentlich historisch-kritisch und was nicht?

Nachdem ich vor ein paar Tagen Gründe gesucht habe, warum Menschen zu Bibelkritikern werden, möchte ich heute fragen, was eigentlich die historisch-kritische Bibelauslegung ausmacht, ob man sie definieren und von anderen Methoden abgrenzen kann, die nicht zur historisch-kritischen Methode gehören. In meiner Auseinandersetzung mit der Geschichte der Biblischen Theologie habe ich einzelne Abstecher in die Geschichte der historisch-kritischen Methode gemacht, da diese beiden Bereiche in manchen Fällen sehr nahe beisammen liegen. Im oben verlinkten PDF kann deshalb dazu noch mehr gelesen werden. Im Weiteren zitiere ich zum Teil aus diesem Dokument und kommentiere diese Zitate.
Die Geburt der historisch-kritischen Methode
Die historisch-kritische Methode ist innerhalb der Kirchengeschichte sehr jung, während die Auslegung der Bibel schon so alt ist wie die Bibel selbst. Innerhalb der Bibel finden sich viele Auslegungspredigten und Hinweise auf solche, die gehalten wurden. Die Geburt der historisch-kritischen Methode ereignete sich vor noch nicht einmal 250 Jahren, nämlich 1771, als der Halle’sche Pietist Johann Salomo Semler seine Schrift „Abhandlung von freier Untersuchung des Canons“ veröffentlichte.
Dazu muss ich zwei Bemerkungen anfügen. Erstens macht sich jeder, der seither die historisch-kritischen Methoden als alternativlos bezeichnet, des Vorwurfs schuldig, das Christentum hätte über 1700 Jahre lang die Bibel nicht richtig verstehen können und habe deshalb einen minderwertigeren Glauben gehabt.
Zweitens müssen wir deshalb klar festhalten, dass alle Methoden der Bibelauslegung, die bereits vor 1771 vorhanden waren, keinesfalls als Teile der historisch-kritischen Methode bezeichnet werden dürfen. Selbstverständlich darf sich jeder auch dieser früheren Vorgehensweisen bedienen, allerdings ist es unzulässig, sie als Methoden der HKM zu vereinnahmen. Leider wird dies allzu gerne getan, damit man zu besseren Argumenten für die HKM kommt, indem man zuerst legitime, auch bei Bibeltreuen beliebte Methoden vorstellt, sie dann zum Arsenal der HKM zählt, und im Anschluss argumentiert, wer jene Methoden gut finde, müsse für den Rest auch offen sein. Diese Vorgehensweise ist enorm unehrlich, besonders auch deshalb, weil jeder, der sich noch nicht so ausführlich mit der Theologiegeschichte auseinandergesetzt hat, solcher Propaganda leicht auf den Leim geht.
Bibelauslegung vor 1771
Vor 1771 wurde die Bibel schon viele Jahrhunderte lang ausgelegt. In der Zeit der Urgemeinde und der Kirchenväter bis weit ins späte Mittelalter war die Rede vom vierfachen Schriftsinn:
1. Wörtlich-geschichtliches Verständnis („Was hat das für den ersten Leser bedeutet?“)
2. Allegorisch-typologisches Verständnis („Auf was kann man es sonst noch übertragen?“)
3. Moralisch-ethisches Verständnis („Wie kann ich das leben?“)
4. Anagogisch-eschatologisches Verständnis („Was sagt das über die Ewigkeit aus?“)
Diese Auslegungspraktiken haben zum Teil durchaus ganz interessante Blüten getrieben. In der Zeit der Reformation kam man zum Schluss, dass vor allem der erste Punkt und darunter untergeordnet auch der dritte wichtig ist. Man hat die Bibel wörtlich verstanden, sah ihre Inhalte als geschichtlich so wahr und tatsächlich geschehen an, und begnügte sich mit einem einfachen, kindlichen Vertrauen in Gott und Sein Wort.
1516 erschien das griechische Neue Testament erstmals gedruckt, und zwar von Erasmus von Rotterdam in Basel ediert. Er hat das mit den damals vorhandenen Manuskripten textkritisch bearbeitet. Insofern ist es falsch, die Textkritik, also den Vergleich mehrerer Handschriften für die möglichst genaue Erarbeitung des Textes, als Teil der historisch-kritischen Methode zu bezeichnen. Leider waren Erasmus erst wenige Handschriften zugänglich, da noch nicht so viele gefunden worden waren.
Die Auslegung der Reformation und der Zeit danach kann man als grammatisch-historische Auslegung bezeichnen. Es wurde auf die genauen Worte im Urtext, die Formen der Grammatik, die Geschichte und Bräuche der damaligen Zeit, soweit bekannt, geachtet. Auch die verschiedenen Gattungen wurden genau beachtet, ob es sich um einen Brief, einen Psalm, ein Geschichtswerk, eine Prophetie, etc. handelte, wurde ernst genommen. All diese Vorgehensweisen können somit nicht original zu den historisch-kritischen Methoden gezählt werden. Wer etwa die Kommentare und Predigten von Johannes Calvin liest, wird eine meisterhafte Darbietung dieser Methoden vorfinden, auch wenn man natürlich nicht in allen Fragen mit ihm einverstanden sein muss.
Ernst Troeltsch und die Definition der HKM
Ernst Troeltsch untersuchte die bisherige historisch-kritische Methode und suchte nach einer Definition und Methodik, die der Theologie helfen sollte, auf diese Art und Weise zu arbeiten. Er stellte auf diese Weise ein dreifaches Werkzeug her, das er in seinem Buch Über historische und dogmatische Methode in der Theologie ausführte:
a. Kritik:
Alles muss zunächst einmal angezweifelt werden. Nichts darf per se als wahr betrachtet werden, wenn seine Wahrheit nicht zuerst nachgewiesen werden konnte. Die menschliche Vernunft (und damit der Subjektivismus) wird über jede Aussage der Bibel gestellt und muss sie in allem radikal hinterfragen.
b. Analogie:
Diese Kritik geschieht zunächst durch das Prinzip der Analogie. Das bedeutet: Man sucht nach ähnlichen Berichten und bewertet anhand derer die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Ganze tatsächlich so abgespielt haben könne. Hierdurch wird die Tatsache von Wundern komplett in den Bereich der Mythen verschoben. Auch Jungfrauengeburt und leibliche Auferstehung Jesu streitet man mit dieser Vorgehensweise ab.
c. Korrelation:
Die zweite Methode der Kritik ist die Korrelation. Es darf keine Zufälle geben, deshalb beruht alles auf Wechselwirkungen und die müssen gefunden werden. Es wird also gefragt, woher es komme, dass die biblischen Autoren genau jenes geschrieben haben, also: woher könnten sie ihre religiösen Vorstellungen haben? Von wem sind die „geklaut“? Auf welche Ursache sind die biblischen Texte zurückzuführen? Diese historisch-kritischen Werkzeuge haben seit Troeltsch den Verlauf der evangelischen Theologiegeschichte zutiefst geprägt.
Schlussbemerkungen
Es ist eine traurige Tatsache, dass die Bibelkritik in der englischen Sprache als „German higher criticism“, also „deutsche höhere Kritik“ in bewusster Abgrenzung zur Textkritik bezeichnet wird. Wir haben feststellen können, dass es schon lange vor den Erfindungen der historisch-kritischen Methoden sehr viele zuverlässige und wertvolle Hilfsmittel und Methoden gab, mit welchen die Bibel schriftgetreu und damit jesusgetreu ausgelegt werden konnte. In einem späteren Beitrag werde ich mich mit verschiedenen der historisch-kritischen Methoden auseinandersetzen. Jeder, der die bibelkritischen Methoden gut findet, darf mir gerne eine Liste von positiven Erkenntnissen zusenden, die nur dank der (echten) historisch-kritischen Methoden gewonnen werden konnten. Dabei zählen alle oben genannten (und weiteren) Methoden nicht, die schon vor J. S. Semler bekannt waren. Ich bin gespannt, ob sich irgendwer traut, diese Herausforderung anzunehmen. Bitte keine Buchvorschläge, sondern nur in eigene Worte gefasste Erkenntnisse.

 

100 Jahre Wort-Gottes-Theologie – Festschrift von Michael Freiburghaus

Was passiert, wenn sich vier junge Theologen treffen und gemeinsam eine Vortragsreihe organisieren? Es wird daraus eine neue theologische Bewegung geboren. Vermutlich nicht immer, aber zumindest dann, wenn die Theologen Barth, Brunner, Thurneysen und Wieser heißen. Diese Vortragsreihe fand 1917 statt – also vor 100 Jahren, und zwar in der ev.-ref. Kirche Leutwil, wo damals Eduard Thurneysen Gemeindepfarrer war. Inzwischen sind 100 Jahre vergangen, und nun ist mein Freund Michael Freiburghaus Pfarrer in ebendieser Kirche. Um das 100-jährige Jubiläum dieser Vortragsreihe gebührend zu feiern, veranstaltete er ebenfalls eine Vortragsreihe, in welcher das Leben und Werk der früheren Theologen betrachtet wird. Im vorliegenden Band finden sich die Transkripte der beiden Vorträge zu Karl Barth und Emil Brunner, sowie die abschließende Predigt, in welcher der Ortspfarrer selbst das Leben und Werk von Eduard Thurneysen und besonders dessen Lehre von der bibelzentrierten Seelsorge aufzeigt.
Die Vorträge sind interessant; zuweilen fehlt mir die kritische Distanz zu den Theologen, da die Vorträge eher so etwas wie Hagiographien darstellen. Allerdings muss man dazu auch sagen, dass ein einzelner Vortrag nicht ausreicht, um das gesamte Werk eines dieser Theologen umfassend darzustellen. In dieser Kürze wird es immer Einseitigkeiten geben. Besonders wertvoll ist die Predigt zum Festgottesdienst, weil hier Gottes Wort direkt ausgelegt wird und anhand von diesem Thurneysens Lehre von der Seelsorge entwickelt wird.

 

Ich wünsche dem Autor, dass von seiner Kirchgemeinde Leutwil-Dürrenäsch eine neue theologische Bewegung im Sinne einer neuen Reformation ausgehen möge, die sich in der Schweiz und im weiteren deutschsprachigen Raum ausbreitet. Gottes Wort allein, der Glaube allein, die Gnade allein, durch Christus allein, und alles zur Ehre Gottes. 

Glaube Liebe Tod

Gallert, Peter, Reiter, Jörg, Glaube Liebe Tod, Ullstein Verlag 2017, Kindle-Version, 384S., Amazon-Link
Der Polizeiseelsorger Martin Bauer versucht, einen Polizisten zu retten, der gerade dabei ist, sich von einer Brücke zu stürzen. Der Versuch gelingt – für vier Stunden. Dann wird der Polizist tot aufgefunden. Er hatte sich von einem Parkhaus gestürzt. Doch irgend etwas stimmt da nicht. Bauer schöpft Verdacht, denn Keunert, der Polizist, wollte sich ja gerade deshalb ins Wasser stürzen, damit er nicht so eine Sauerei hinterlässt. Nun gibt es sie doch. Die Polizei geht von einem Selbstmord aus und Bauer macht sich selbst auf die Suche. Er findet heraus, dass Keunert bereits eine interne Ermittlung wegen Bestechlichkeit gegen sich laufen hatte und die Spur führt ins Rotlichtmilieu. Dort überschlagen sich die Ereignisse, es kommt Drogenhandel ins Spiel und am Ende gelingt es der Polizei dank Bauers Mithilfe und Hartnäckigkeit, den Fall aufzuklären.
Der Einstieg in das Buch ist sehr gut gelungen. Die Leseprobe hat mich gleich gefesselt und ein sehr spannendes Buch versprochen. Besonders hat mich auch interessiert, wie die Autoren theologisch mit der Hauptfigur des Polizeiseelsorgers Martin Bauer umgehen. Das Buch ist leicht lesbar, ich habe es gerne gelesen, aber meiner Meinung nach wurde das Versprechen der ersten Seiten nicht eingehalten. Je länger man las, desto leichter ließ sich vorhersagen, welche Wendung als nächstes eintreffen musste. Vielleicht liegt dies auch daran, dass die Autoren als Drehbuchautoren schon zuviel Routine besitzen und deshalb besser für Filme schreiben sollten, wo sich das Vorhersehbare durch visuelle Effekte leichter überraschend darstellen lässt.
Gut gefallen hat mir, dass die Autoren das Leben im Rotlichtmilieu sehr anschaulich und realistisch beschrieben haben: Die Gewalt und Herabwürdigung, die den Frauen dort täglich begegnet; die Tatsache, dass das kaum jemand freiwillig macht. Auch die fortwährenden Schwierigkeiten der jungen Hauptkommissarin Verena Dohr, an deren Stuhl beständig gesägt wurde, da andere auf ihren Posten neidisch waren, wird sehr schön und natürlich nachgezeichnet. Sie ist die weibliche Nebenheldin, da sie sich am Ende trotz aller Gefahren des Falles annimmt und Bauer auf der Suche nach dem Jungen Tilo, der als Keunerts Sohn aufwuchs, unterstützt. Dass Tilo natürlich ein uneheliches Kind sein muss, wird dem Leser ähnlich aufgebauter Krimis schon längst klar sein, wenn dann endlich diese Bombe platzt.
Als Theologe habe ich zu guter Letzt auch noch ein paar Gedanken zur Theologie des ehemaligen Pfarrers und inzwischen Polizeiseelsorgers Martin Bauer. Wie geht er mit der Bibel um? Zwei Zitate: „Es genügte, die Bibel in der Hand zu halten. Dabei war es egal, um welche Ausgabe in welcher Fassung oder Sprache es sich handelte. Das Buch zu halten gab ihm Kraft. Nur mit der digitalen Bibel auf seinem iPad funktionierte das nicht.“ (Pos. 787) „Bei seinem Bibelroulette war Bauer im Alten Testament gelandet, in den Büchern der Kleinen Propheten. Beim Gerichtstag des Herrn.“ (Pos. 4492) Beide Zitate zeugen von einem magischen Bibelverständnis. Ob er nun Bibelroulette spielt oder aus dem mechanischen Halten der geschlossenen Bibel „Kraft“ beziehen will, immer steckt der Gedanke dahinter: „Die Bibel muss magisch an mir wirken, auch wenn ich mich nicht systematisch mit ihr beschäftige.“
Gottes Plan für unser Leben? Fehlanzeige! „Wieder unterbrach Nicole seine Gedanken. ‘Glauben Sie, Gott hat so etwas wie einen Plan für uns?’ Bauer schüttelte langsam den Kopf. ‘Ich glaube, er gibt uns eine Idee. Wenn wir Glück haben, erkennen wir sie. Den Plan machen wir selbst.’“ (Pos. 4780) Oder auch interessant, ziemlich am Anfang: „Er hatte auf Gott vertraut. Das hatte einem Menschen das Leben gekostet.“ (Pos. 1291)
Und dann muss natürlich auch noch eine Buddhistin erscheinen, um Bauer wieder auf die richtige Spur zu bringen: „’Buddhistische Prinzipien … Ist die Wahrheit so ein Prinzip? Spielt sie eine wichtige Rolle im Buddhismus? Was ist mit ihrer heilenden Kraft?’ Sie wurde ernst. ‘Im Umgang mit Menschen geht es meiner Ansicht nach weniger um Wahrheit als um Weisheit. […] Buddhismus ist keine Religion. Buddhisten können an Gott glauben.’“ (Pos. 6321) „Zuerst hatte er dem Geräusch ihres gleichmäßigen Atems gelauscht. Dann hatte er gebetet. Irgendwann verwandelte sich die Kraft, die er in sein Gebet legte, in reine Konzentration, der Fokus weitete sich, bis er alles umfasste. Er wusste nicht, was dieses Alles war, aber das machte nichts. Seine Zweifel und Fragen waren darin verschwunden.“ (Pos. 6367) Nun ist der ehemalige Pfarrer gänzlich in die Esoterik abgesunken. Wahrheit ist plötzlich nicht mehr so wichtig, Antworten sind es nicht, nur das Gefühl, mit dem „Allen“ verbunden zu sein. Das erinnert enorm an fernöstliche Meditation, die leider auch in der Kirche immer weitere Kreise zieht.
Fazit: Ein spannender Anfang, viele gute Gedanken und Beschreibungen, die es wert sind, weiter darüber nachzudenken. Die Handlung ist leider häufig zu leicht vorhersehbar, und theologisch bleibt am Ende auch nur noch die Religionsvermischung übrig. Ich gebe dem Buch drei von fünf möglichen Sternen.