Buchtipp: Die gute Tochter

Slaughter, Karin, Die gute Tochter, HarperCollins Germany GmbH, 2018, 560S., Verlagslink, Amazon-Link

Zur falschen Zeit am falschen Ort sein – das wird zum Albtraum für die zwei Schwestern Samantha und Charlotte (Sam und Charlie) in ihren Teen-Jahren. Die vermummten Männer, welche das Haus stürmen, hatten es auf Rusty, den Vater der beiden, abgesehen, einen Rechtsanwalt und Verteidiger vieler Krimineller, der an das Gute im Menschen glaubt. Die Mutter wird erschossen, die Töchter kommen knapp mit dem Leben als seelische (beide) und körperliche (Sam) Wracks davon.

28 Jahre später ist der Vater wieder in einen Fall verwickelt. Inzwischen arbeitete er mit Charlie zusammen, welche durch einen Zufall eine der ersten am Tatort war. Ein erneuter Anschlag auf Rusty verhinderte sein Erscheinen vor Gericht, weshalb Sam für ihn diesen Termin übernimmt. Die Verwicklungen in diesem neuen Fall führen immer wieder zum Tag vor 28 Jahren zurück. Alte Wunden brechen auf, manch Verdrängtes kommt im Zuge der Ermittlungen ans Licht, und am Ende ist so manches ganz anders man als zunächst gedacht hatte.

Dass es um Gewalt geht, war mir schon vor dem Beginn des Buches klar, denn der Name der Autorin spricht für sich. Das macht mir auch nicht besonders viel aus, da ich in der Hinsicht einiges (in Büchern) gewohnt bin. Wer allerdings ein Problem mit ausführlichen Beschreibungen von Gewalt hat, sollte besser die Finger davon lassen. Ich meine, dass wir unsere Augen nicht vor all der Gewalt verschließen sollten, die tagtäglich in unserer gefallenen Welt geschieht. Allerdings weiß ich natürlich auch, dass Menschen darauf sehr unterschiedlich reagieren. Deshalb an dieser Stelle die Warnung: Vorsicht Gewalt (im Buch, nicht in der Rezension).

Beim Lesen habe ich mich immer wieder gefragt, was wohl passiert sein muss, um Rusty zu Rusty zu machen. Naiv, geheimniskrämerisch, gutmütig bis hin zu gleichgültig, und doch klug auf seine Art. Irgendwie ein unrealistischer Mensch. Die anderen Charaktere fand ich hingegen gut gezeichnet. Einzig aus Rusty werde ich nicht schlau. Aber vermutlich wird er gerade durch seine widersprüchliche Art für viele Leser zum Liebling der Geschichte werden. Mir blieb er immer sehr suspekt. Er glaubt so sehr an das Gute im Menschen, dass Recht und Ordnung für ihn wertlos werden. Ich vermute, dass Slaughter ihn entwickelt hat, um mit ihm am Schluss genau das aufzulösen: Die Erinnerung an ein begangenes Verbrechen sei die schlimmste Strafe. Und genau deshalb ist mir nicht nur Rusty sondern auch die ganze Story an sich suspekt.

Ansonsten ist die Familie Quinn sehr schön aufgebaut und geschildert. Sehr intensiv und emotionsgeladen sind die Erinnerungen der beiden Frauen an die Geschehnisse vor 28 Jahren. Zuweilen musste ich da mal ganz tief durchatmen vor dem Weiterlesen. Am Ende des Buches stand ich jedoch etwas ratlos da. Der Shift von der Gegenwart in die Zeit als Teenies ist so vollständig vollzogen, dass der Fall der Gegenwart in Vergessenheit gerät. Und das fand ich schade. Da fehlt ein ernsthaftes Ende der Geschichte, die beiden Handlungssträngen gerecht wird. Irgendwie bleibt ein schaler Nachgeschmack übrig, ob es der Autorin einzig darum ging, möglichst viel Gewalt und Schockerszenen in ein Buch zu klatschen, ohne sich allzu groß um die Story zu kümmern? Vermutlich nicht, denn dazu ist der Rest zu gut geschrieben. Und doch nehmen diese Szenen einen besonders prominenten Platz ein und lassen die eigentliche Geschichte in den Hintergrund treten. Eigentlich schade, denn das Setting und der größte Teil vom Plot waren sehr interessant und vielversprechend.

Karin Slaughter predigt mit ihrem Buch – wie viele andere zeitgenössische Autoren – einen Subjektivismus und Relativismus. Sie schildert dieselben Ereignisse aus der Sicht der verschiedenen Personen unterschiedlich und lässt sie dann so stehen. Auch wenn es Gegensätze gibt, werden sie auch zum Schluss nicht ernsthaft kritisiert und korrigiert, wie es nötig wäre, sondern lediglich durch die anderen Sichtweisen ergänzt. Damit schreibt sie vor allem für ihre eigene Generation. Vermutlich werden ihre jetzigen Bücher in 15 Jahren kaum noch gelesen werden und es wäre zu hoffen – zu ihren Gunsten – dass sie auch dann noch den Nerv ihrer Zeit zu treffen vermag. Mit realistischeren Charakteren als Rusty und klareren ethisch-moralischen Urteilen.

Fazit:

Wer spannende und überraschende Lektüre mag und vor ausführlicher Gewaltdarstellung nicht zurückschreckt, wird hier eine Menge von alldem finden. Ich hätte mir von der Story mehr erwartet und blieb mit einigen offenen Fragen zurück. Die Autorin predigt einen Relativismus und lässt am Ende vieles offen. Schade, denn die Geschichte hätte uns sonst viel zu sagen! Ich gebe dem Buch drei von fünf Sternen.