Buchtipp: Der Tyrann

Der Tyrann von Stephen Greenblatt

Greenblatt, Stephen, Der Tyrann: Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert, Siedler Verlag München, 1. Aufl. Sept. 2018, 220S., Verlagslink, Amazon-Link

Da ich diesen Herbst / Winter dabei bin, die wichtigsten Werke von Shakespeare zu lesen, fand ich es ganz passend, dieses neu erschienene Buch zu lesen. Zumindest der Einband versprach durchaus auch neue Sichten auf unsere Zeit, so war ich gespannt darauf, was uns Greenblatt zu berichten hat.

Stephen Greenblatt ist einer der wichtigsten Shakespeare-Forscher unserer Zeit, und das zeigt er im Buch auch immer wieder. Er stellt unter Beweis, wie geläufig ihm die Werke des großen Künstlers sind, der vor 400 Jahren erstaunlich viele Stücke geschrieben hat. Als Shakespeare-Forscher ist Greenblatt wirklich in einer sehr guten Position um ein Buch zum Thema zu schreiben. Der Klappentext verspricht neue Einsichten darüber, was uns Shakespeare „über Trump, Putin & Co.“ zu sagen hat.

Gut gefallen haben mir die Ausführungen des Autors, als er die innere Entwicklung von Shakespeare nachzeichnet, die sich in den Stücken nach und nach niederschlägt. Auch gibt es viele Hinweise auf die Zeit, in welcher er lebte. Geschichtliche Hintergründe finde ich oft hilfreich, um die Person im Mittelpunkt des Buches besser zu verstehen. In diesem Fall ist jedoch vieles eigentlich allgemein bekannt, sodass es eher eine kurze, knackige Wiederholung des Geschichtsunterrichts ist.

Doch auf Trump, Putin & Co. habe ich vergeblich gewartet. Das war der eigentliche Grund, weshalb mich das Buch besonders interessiert hat: Eine Auseinandersetzung mit den Argumenten Shakespeares, inwieweit sich seine Machtkunde als richtig erwiesen hat. Eine Evaluation seiner Stücke im Hinblick auf Tyrannen, die nach dem Tode Shakespeares tatsächlich durch diese Methoden, die er beschrieben hatte, zur Macht gekommen sind. Mit einigem Goodwill lässt sich da das Eine oder Andere schon so hinbiegen. Der Leser muss sich halt selbst damit beschäftigen. Doch damit fehlt mir die eigentliche Aufgabe, die sich das Buch laut Klappentext selbst gestellt hat.

Wenn ich einen Kommentar zu den Werken Shakespeares lesen möchte, würde ich nicht zu einem dünnen, etwas mehr als 200-seitigen Büchlein greifen. Da gibt es genügend andere Literatur, die sich im Laufe der vergangenen Jahrhunderte an den Meister des Theaters gewagt hat. Greenblatt arbeitet zwar durchaus manche Mechanismen heraus, die es einem Tyrannen erleichtern, an die Macht zu kommen. Aber auch davon gibt es bei Shakespeare eine ganze Menge. Es wäre hilfreich, wenn sich der Autor etwas weiter aus dem Fenster zu lehnen wagte und zu verschiedenen späteren Tyrannen des 20. und 21. Jahrhunderts aufzählen könnte, wann und wo welche dieser Mechanismen angewandt wurden.

Fazit:

Ein kurz gehaltenes Buch mit einer guten zeitgeschichtlichen Einführung zu Shakespeare und einigen guten Gedanken zu seinen unterschiedlichen Protagonisten, die zu Tyrannen wurden. Leider geht der Autor gar nicht – wie im Klappentext versprochen wird – auf die Machterlangung in unserer Zeit ein. Er bleibt die ganze Zeit bei Shakespeares Werken und seiner Zeit. Ich gebe dem Buch 3 von 5 Sternen.

Buchtipp: Die Mächtige

Die Magie der tausend WeltenDie Maechtige von Trudi Canavan

Canavan, Trudi, Die Magie der tausend Welten. Die Mächtige, Blanvalet Verlag München, 1. Aufl. Sept. 2018, 704S., Verlagslink, Amazon-Link

Die australische Autorin Trudi Canavan schreibt Fantasy-Bücher, und dies wirklich mit großer Phantasie. Das vorliegende Buch ist der dritte Band einer mehrteiligen Serie namens „Die Magie der tausend Welten“. Wenn man die übrigen Bände nicht kennt, ist etwas Zeit nötig, um sich in den tausend Welten zurechtzufinden. Doch nach den ersten 50 Seiten ist das Wichtigste bekannt. Die Geschichte ist in sich selbst abgeschlossen und kann deshalb auch gut für sich allein gelesen werden. Ob es auch eine weitere Geschichte hinter den Bänden gibt, kann ich nicht beurteilen, vermute es allerdings schon.

In den tausend Welten gab es für tausend Jahre einen Herrscher, den Valhan. Er war der mächtigste aller Magier, und um seine Macht zu sichern hat er sein Leben selbst beendet, in der Gewissheit, dass seine untergebenen Magier ihn wieder zu Leben und Macht erwecken würden. Die Thronfolgerin ist Rielle, die vor der Verantwortung des Herrschens zurückschreckt und sich weigert, in seine Fußstapfen zu treten. Nun gibt es verschiedene Gruppen, die eine unterschiedliche Vorstellung davon haben, was mit dem Machtvakuum geschehen soll. Ist es Rielles Aufgabe? Soll der Valhan auferweckt werden? Sollen die vom Valhan in seiner Hand gespeicherten Informationen auf eine andere Person übertragen werden? Oder soll es gar keinen Herrscher mehr geben? Um diese Fragen entbrennt der Streit, der in diesem Band geschildert wird.

Canavan hat wirklich eine große Phantasie. Sie erschafft viele verschiedene Welten und stellt dabei richtig gute Fragen an unsere Zeit. Für mich war der größte Teil des Buches ein Genuss, weil ich viel zum Nachdenken angeregt wurde. Es werden Überlegungen über verschiedene Regierungsformen und deren Abwesenheit angestellt, über Kriege und deren Notwendigkeit, und vieles mehr. Ein kleines Beispiel dazu: Tyen hatte mechanische „Insektoiden“ gebaut, die mit „mechanischer Magie“ (mehr dazu weiter unten) angetrieben werden. Andere hatten diese Erfindung weiter entwickelt und Kampfinsektoiden gebaut, die für Kriege eingesetzt werden können. Dies wollte Tyen jedoch überhaupt nie erreichen. Er überlegt sich, ob er solche Maschinen bauen kann, die feindliche Insektoiden abwehren und zerstören können. Sein Assistent Zeke meint dazu: „Es wird sehr schwer werden, eine Maschine zu bauen, die entscheiden kann, was sie zerstört und was sie nicht weiter beachtet.“ (S. 396) Hier haben wir das Problem, das sogenannte „künstliche Intelligenz“ immer haben wird. Es wird der KI nie möglich sein, tatsächlich zwischen gut und böse zu entscheiden.

Eine Sache fand ich sehr schwierig, nämlich dass die Autorin den Begriff „Magie“ so oft und mit so unterschiedlichen Vorstellungen parallel benutzt. Mindestens drei verschiedene Bedeutungen hat Magie in diesem Buch: 1. Magie ist Macht 2. Magie ist Energie 3. Magie ist übernatürliche Fähigkeit. Aber es geht noch weiter: Magie ist auch noch eine Substanz, undefinierbar, die in bestimmten Bereichen stärker vorhanden sein kann denn in anderen. Magie kann hergestellt, entzogen, an sich genommen und abgegeben werden. Gerade weil „Magie“ für so viele unterschiedliche Dinge benutzt wird, dass es etwa auch eine Art mechanischer Magie gibt, das macht die ganze Sache so unnötig kompliziert und – für mich zumindest – über manche Strecken schlicht und einfach langweilig. Das war auch der Grund, weshalb ich nach diesem Band – so interessant vieles ist – überhaupt kein Interesse habe, die übrigen Bände auch noch zu lesen. Das finde ich auch irgendwie schade, aber nicht zu ändern. Davon abgesehen ist das Buch spannend und leicht zu lesen.

Fazit:

Ein Buch mit vielen guten Gedanken und Fragestellungen, die auch unser heutiges Leben und Denken in Frage stellen und zum Nachdenken anregen. Alles auf eine unterhaltsame, leicht lesbare Weise verpackt. Mich persönlich hat der inflationäre Gebrauch des Begriffs „Magie“ für eine Vielzahl unterschiedlicher und mitunter widersprüchlicher Inhalte abgeschreckt. Fantasy-Fans, denen dies nichts ausmacht, ist das Buch zu empfehlen. 4 von 5 Sternen.

Buchtipp: Die Rivalin

Robotham, Michael, Die Rivalin, Goldmann Verlag München, 1. Aufl. 2017, 510 S., Verlagslink, Amazon-Link

Ich habe vom Verlag ein Rezensionsexemplar dieses Buches bekommen. Herzlichen Dank dafür!

Michael Robotham ist ein bekannter Journalist und Schriftsteller aus Australien. Er hat schon mehrere Bestseller geschrieben, weshalb ich auf dieses neue Buch gespannt war. Es ist ein insgesamt gut geschriebenes Buch, das mich aber in einigen Punkten enttäuscht hat. Wer wissen möchte weshalb, darf gerne weiter lesen.

Die Rivalin ist ein Buch, welches von zwei Frauen handelt. Zwei schwangeren Frauen, die davon abgesehen wenig gemein haben. Meghan ist eine typische Vorzeigefrau, die den „American Dream“ widerspiegelt: Gut aussehend, fit, bekannte Mamabloggerin, Frau eines bekannten TV-Sportreporters, scheinbar perfektes Leben. Agatha ist eine alleinstehende, geschiedene, in prekären Verhältnissen lebende Frau, die Meghan kennt und vom Neid zerfressen wird.

Die ersten 150 Seiten passiert sehr wenig. Da habe ich mir mehrmals überlegt, das Buch vor dem Ende zu beenden und den Rest ungelesen zu lassen. Diese Erzählungen der beiden Protagonistinnen sind echt langatmig und ziehen sich wie Kaugummi. Ich habe etwa doppelt so lange für diese 150 Seiten gebraucht wie für den Rest des Buches. Um S. 150 herum wird es endlich mal spannend, Agatha raubt Meghan das neugeborene Kind. Und nun wird es vollends unrealistisch, wenngleich auch echt spannend. Agatha schafft es, sich aus so vielen heiklen Situationen herauszumanövrieren, dass dem Leser Hören und Sehen vergeht. Irgendwie ist man an eine Mischung aus Mr. Bean und James Bond erinnert. Was immer kommt, läuft schief, und doch hat Agatha so viel mehr Glück als Verstand, um irgendwie dann doch noch die Kurve zu kriegen. Schließlich will Robotham ihr die Chance zugestehen, mal über einen längeren Zeitraum ein Kind versorgen zu dürfen.

Die Charaktere der beiden Frauen sind klischeehaft und sehr zugespitzt gezeichnet. Meg, die erfolgreiche Supermama mit ihren „Leichen“ im Keller, ihrem Ehebruch mit dem besten Freund ihres Mannes, und Agatha, die arme, hilflose, von allen herumgeschubste Maus, die sich nur nehmen wollte, wovon sie meinte, es würde ihr zustehen. Ein bisschen vom Glück der Glücklichen. Ein wenig Hoffnung der Hoffnungsvollen. Ein Stückchen Familie. Und genau hier wird das Verbrechen relativiert. Die Kindesentführerin wird als eine arme, bemitleidenswerte Maus geschildert, die Sympathie wecken soll und die man verstehen müsse. Das ist moralischer Bankrott unserer Zeit, wenn das Verbrechen nicht mehr als solches gesehen wird, sondern als Verzweiflungstat entschuldigt wird.

Insgesamt ist der Roman aber angenehm zu lesen, der Schreibstil ist schön, und auch die Wechsel zwischen den beiden Protagonistinnen, welche beide aus ihrer Sichtweise und Person aus erzählen, haben mir gut gefallen. Insofern ist mir das Buch eigentlich sehr sympathisch. Wenn da bloß nicht dieser Inhalt wäre, auf den es eigentlich ankommen sollte. Was mir am Inhalt hingegen wieder gut gefallen hat, war der „Werdegang“ von Agatha mit ihrem sie auffressenden Neid. Hier finden wir eine wundervolle psychologische Studie über die „Wurzel der Bitterkeit“, die immerzu wächst und alles um sie herum vergiftet.

Vieles wirkt „aus den Fingern gesogen“, unecht, unrealistisch, eher gestellt und konstruiert oder verkürzt. Für Freunde der feinen, psychologischen Machtspielchen dürfte der Roman eine Freude sein, da es nicht um brachiale Gewalt oder Gänsehaut-Thriller geht. Auch das darf sein, und es ist schön, mal in eine so feinsinnige Geschichte hineingezogen zu werden. Ob der Roman damit jedoch wirklich zu überzeugen vermag, möchte ich einmal dahingestellt lassen.

Fazit: Ein schöner, feinsinniger Roman mit einem sehr zähen Anfang und einigen Inkonsistenzen und Widersprüche im Laufe der Geschichte. Der Inhalt ist ein moralischer Bankrott, weil das Verbrechen schöngeredet wird. Ich gebe dem Buch drei von möglichen fünf Sternen.

Buchtipp: Supermacht Wissenschaft

Jaeger, Lars, Supermacht Wissenschaft – Unsere Zukunft zwischen Himmel und Hölle, Gütersloher Verlagshaus, 1. Aufl. 2017, 413 S. Verlagslink/ Amazon-Link
Vielen Dank an das Gütersloher Verlagshaus für das Rezensionsexemplar.
Dr. Lars Jaeger ist ein Autor, der sich viele Fachgebiete zu eigen gemacht hat. Nach dem Studium der Physik, Mathematik und Philosophie arbeitete er zunächst am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden, später kam er nach Zürich, wo er auf dem Gebiet der Finanzbranche forschte, und vor einigen Jahren gründete er ein Unternehmen für Investment- und Finanzdienstleistungen. Darüber hinaus setzt er sich für mehr Transparenz in vielen Bereichen ein, und ist auf der Suche nach Möglichkeiten der spirituellen Dimensionen, welche das Leben und insbesondere die Wissenschaft bieten.
Ich war sehr gespannt auf das Buch, da es doch einige Bereiche meiner Interessen abdeckt – und im großen Ganzen hat das Buch noch mehr gehalten als ich erwartet hatte. Doch zunächst mal eins nach dem anderen. Das Buch gliedert sich in drei Teile, und diese Aufteilung ist sehr gut gelungen. Im ersten Teil hat man so eine Art Rundgang durch die neuesten Forschungsergebnisse verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen. Jaeger beschreibt das wie eine Art „Safari“ (S. 16). Es ist so, als ob man neue Tierarten anschaut und sich darüber freut. Im zweiten Teil geht es darum, was diese Tierarten mit uns machen – dass wir im Prinzip schon kurz vor dem Gefressenwerden sind. Und der dritte Teil ist eine Strategie, wie man dem entkommen bzw. diese Tiere zähmen kann.
Mit einem Rundumschlag von Quantentechnologie über Nanotechnologie, Gentechnik und Künstliche Intelligenz bis hin zu neuen Bewusstseinstechnologien steigt Jaeger gleich tief in die wichtigen Themen unserer Zeit ein. Manches war mir schon bekannt, in anderen Fällen wusste ich noch nichts über die allerneusten Entwicklungen der Forschung. So konnte ich auch einiges Neues lernen. Einige Zeit hatte ich ja die Entwicklungen um CRISPR verfolgt, doch die neusten Entwicklungen darin waren mir noch nicht bekannt. Schließlich kann sich nicht jeder um jedes Thema kümmern. Überhaupt ist das ein sehr wertvoller Aspekt des Buches von Jaeger: Er versucht, diese Inhalte der neueren Forschung leicht verständlich rüberzubringen, damit sich jeder informieren und mitreden kann: „Nur wer informiert ist, kann sich eine differenzierte Meinung bilden und zu einer sinnvollen Gesetzgebung beitragen, die einerseits die Wohltaten der Wissenschaft der Allgemeinheit zugänglich macht und andererseits die Gesellschaft vor unerwünschten Auswüchsen des Forscherdrangs schützt.“ (S. 55f.)
Das erste Kapitel schließt mit dem Gedanken, der aus Goethes Ballade vom Zauberlehrling stammt: Dieser ließ mit einer Zauberspruch einen Besen Wasser holen, um baden zu können, doch plötzlich ist das Haus unter Wasser gesetzt und unser Zauberlehrling hat den Spruch vergessen, um dem ganzen Spuk ein Ende zu setzen. Nur sein Meister kann ihn noch retten, indem er den „Knecht“ wieder in einen reglosen Besen verwandelt. Die Frage, die sich mir hier nun stellt, geht noch etwas weiter: In Goethes Ballade muss der Besen komplett gestoppt werden. Der Zaubermeister gibt dem Besen keine Gesetzgebung und lässt ihn eingeschränkt weiter Wasser holen, unter der Bedingung, dass… Ich werde diese Frage später, wenn es um den dritten Teil geht, noch ausführlicher besprechen. Auf jeden Fall ist mir diese Stelle gleich ins Auge gesprungen, als ich das Buch zum ersten Mal las. Auf Seite 56 schreibt Jaeger, dass es bislang der Mensch gewesen sei, der die Natur den Veränderungen unterzogen habe, und sich dies nun am Umkehren sei. Auch hier setze ich ein Fragezeichen. Ist es nicht so, dass jede neue Entdeckung, jede Entwicklung an sich schon den Menschen tiefgreifend verändert hat?
Im Verlauf des zweiten Kapitels wird aus den zahlreichen Technologien, die dabei sind, unser Leben zu revolutionieren, ein unberechenbares Monstrum. Zunächst interessante Technologien wie etwa eine Gehirn-Computer-Schnittstelle, über die man mit Gedanken einfache Befehle weitergeben kann, entpuppen sich als Risiko für das Menschsein an sich – denn wer Zugang zum Gehirn eines Menschen bekommt, kann diesen beliebig nach eigenem Willen manipulieren. Jaeger fragt: „Werden Taxifahrer bald den Stadtplan von London auf einem Neurochip in ihrem Gehirn abgespeichert haben oder Soldaten auf dem Schlachtfeld mit EEG-Kapen herumlaufen?“ (S. 137)
Eine weitere wichtige Frage stellt sich zum Menschenbild: „Unser Welt- und Menschenbild wird sich auch mit den zukünftigen Möglichkeiten der Manipulation unseres Geistes stärker verändern, als alle bekannten philosophischen Lehren, psychologischen Theorien oder spirituellen Praktiken es bisher getan haben.“ (S. 139) Die Frage ist: Wer ist der Mensch überhaupt, wenn man mit technologischen Möglichkeiten seine Entscheidungen manipulieren und jedes beliebige Gefühl per Knopfdruck herstellen kann? Wird der Mensch dann noch ein mit freiem Willen und Verantwortung ausgestattetes Wesen sein?
Im zweiten Teil werden weitere Nachteile dieser Technologien besprochen. Der Mensch wird mittels Algorithmen und Datensammlungen beständig vermessen und einsortiert. Big Data ist ein großes Thema unserer Zeit. Wer hat alles Zugriff auf unsere Daten? Ebenso wichtig: Was kann der Besitz unserer Daten mit uns machen? Verschiedene Versuche im Internet haben den Einfluss dieser Daten auf unser Leben aufgezeigt und doch sind wir bereit, die riesenhaften Datenkraken zu unserem Vergnügen beständig weiter zu füttern. Nach verschiedenen weiteren Fragestellungen beschäftigt sich Jaeger im dritten Teil mit der Frage: Wie weiter. Bevor ich diesen dritten Teil unter die Lupe nehmen und kritisieren werde, muss ich dem Autor für die zwei ersten Teile ein großes Lob aussprechen. Es gelingt ihm außerordentlich gut, dem Leser die Entwicklungen deutlich und in einer leicht verständlichen Sprache vor Augen zu malen. Dafür bin ich sehr dankbar. Es ist somit ein wirklich wertvolles Buch, das sich zu lesen lohnt, selbst wenn man – wie ich – am Ende zu anderen Schlussfolgerungen kommt.
Drei Kritikpunkte möchte ich an das Buch anlegen, und diese betreffen hauptsächlich den dritten Teil, und den bereits angesprochenen Schluss des ersten Kapitels.
1. You can’t have your cake and eat it.
In der Schweiz gibt es den Spruch „Chasch ned de Batze und ‘s Weggli ha“ (Du kannst nicht das Geld und das Brötchen haben). So ähnlich versucht Jaeger jedoch mit der neuen Technologie umzugehen. Er möchte den Segen derselben genießen können, aber im selben Moment auf deren Nachteile verzichten können. Deshalb wird die Ballade von Goethe am Ende des ersten Kapitels auch nur teilweise zusammengefasst. Das Wichtigste geht dabei unter: Der „Knecht“ wird wieder zum Besen. Die Frage, die ich an dieser Stelle jedem Leser stellen möchte, ist die: Wie weit ist es überhaupt möglich, in der Technologie das Rad zurückzudrehen und den Besen wieder in die Ecke zu stellen? Ich werde meine Antwort am Ende des dritten Kritikpunktes in Kurzform präsentieren.
2. Wissenschaft baut auf dem jüdisch-christlichen Weltbild auf.
Jaeger schreibt auf S. 329: „Der Einfluss von Religionen und traditioneller spiritueller Denktraditionen auf unseren modernen Lebensbedingungen ist dagegen eher beschränkt. Weit weniger als Wissenschaftler und Unternehmer waren an der Erschaffung unseres heutigen materiellen Komforts Theologen und Philosophen beteiligt.“Diese Aussage ist nicht ganz leicht verständlich, aber sie ist die Grundlage, um in einem späteren Abschnitt die Kirchen als nicht hilfreich in diesen Fragen zu beurteilen. Leider ist da etwas dran. Allerdings sollte Herr Jaeger nicht vergessen, dass alle Wissenschaft, sofern sie von einer beobachtbaren und adäquat beschreibbaren, erforschbaren und kultivierbaren (beeinfluss- und veränderbaren) Realität ausgeht, auf der Grundlage des jüdisch-christlichen Weltbildes aufbaut. Darüber gäbe es natürlich eine Menge mehr zu sagen, was allerdings den Rahmen einer Rezension sprengen würde.
3. Ein quasi-messianisches Staatsverständnis hilft nicht weiter.
Abschließen möchte ich mit meiner größten Kritik am Buch: Herr Jaeger sieht die Erlösung durch in seinem Staatsverständnis: „Es gibt noch eine weitere bedeutende gesellschaftliche Kraft, die dafür sorgen könnte, dass der technologische Fortschritt uns dient, und nicht wir ihm: der Staat.“ (S. 351) Doch was würde in einem Staat geschehen, der über Algorithmen verfügt, die alles zentralistisch regieren? Was wäre da überhaupt mit Menschen, die nicht in diese „schöne neue Welt“ hinein wollen? Ich habe jetzt schon Menschen getroffen, die mit der Komplexität unseres jetzigen Lebens in der westlichen Welt nicht klarkommen und deshalb lieber freiwillig auf der Straße leben. Werden in einer solchen technologisierten Zeit Abweichler zum Abschuss freigegeben, bzw. – weitaus brutaler – dem langsamen Hungertod preisgegeben? Die letzten Wahlen in den USA zeigen, wohin eine Demokratie steuern kann. Und das sage ich als überzeugter Vertreter der Demokratie. Allerdings braucht ein jeder Staat klare Grenzen, die er nicht überschreiten darf. Je aufgeblähter ein Staat wird, je mehr Aufgaben er bekommt, desto weniger kann der einzelne Bürger in diesem Staat verantwortlich handeln – und desto mehr wächst die Gefahr des staatlichen Machtmissbrauchs. Viele Despoten des 20. Jahrhunderts wurden demokratisch gewählt (davor kann kein System bewahren), und je aufgeblähter ein solcher Staat ist, desto mehr Möglichkeiten des Missbrauchs hatte dieser.
Meine Antwort wäre: Kleiner statt größer denken. Wir brauchen keinen „Big Talk“ wie im Buch beschrieben, sondern viele, unzählig viele „Mini Talks“ von Einzelnen, die sich über ihre Zukunft Gedanken machen. Wenn wir die Geister, die wir riefen, wieder in die Ecke stellen wollen, brauchen wir eine Rückkehr zur Familie, zum Freundeskreis, zum Denken im Kleinen, zum verantwortlichen Handeln des Einzelnen, denn nur so wird es auch in einem Katastrophenfall möglich sein, weiter zu existieren. Statt auf digitale Währungen umzusteigen wäre es wichtiger, Menschen zu haben, denen man vertraut, und die einander im Notfall beistehen.
Und genau hier sehe ich das zukünftige Potenzial der Kirchen und Gemeinden. Sie haben den göttlichen Auftrag, Rettungsboote und Heimatorte für verlorene Menschen in dieser Welt zu sein. Sie sind Orte, wo der Einzelne sich selbst kennenlernen kann und in die Gemeinschaft mit Gott kommt, der letztendlich bestimmt, wer und was der Mensch ist und was seine Persönlichkeit ausmacht – auch im Wandel der Technologie und des säkularen Menschenbildes.
Ich gebe dem Buch vier von fünf Sternen.

Vergötzung der Macht im metaphysischen Vakuum

Bereits Friedrich Nietzsche hat vom Tod Gottes geschrieben. Was hat er damit gemeint? Er hat in seiner Zeit und seinem Umfeld eine Stimmung wahrgenommen, die mit dem tiefen Nachdenken über Gott und die Welt abgeschlossen hatte. Er lebte in einer Zeit des Umbruchs, man könnte sagen einer Stimmung, die von vielen internen Widersprüchen und Inkohärenzen geprägt war. Diese Stimmung beinhaltete einerseits einen Glauben an den Fortschritt, der durch immer neue Erfindungen und Entdeckungen gespeist wurde. Gerade der Darwinismus hatte ein neues Gebiet eröffnet, in welchem der Mensch sich gottgleich fühlen konnte. Endlich war eine Möglichkeit gefunden, wie man die Welt ohne göttliches Eingreifen erklären zu können glaubte. In diese Allmachtsphantasie hinein schrie Nietzsche: Gott ist tot! Wir haben ihn getötet, ihr und ich! Wir haben die Erde von der Sonne losgekettet!
Tatsächlich – was bleibt uns noch übrig, nachdem wir Gott aus dem Leben und der Welt ausgeklammert haben? Der Mensch – so Nietzsche – ist ein „Heerdenthier“, ein Tier, das in der Herde lebt und von den Stärksten geführt werden muss. Das Christentum ist für ihn eine Religion mit einer „Sklavenmoral“, weil dort Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Vergebung statt eigenmächtiger Vergeltung und menschliche Rache gepredigt wird. Er sieht den Ursprung des Christentums im babylonischen Exil und im späteren römischen Reich, wo das jüdische Volk keine eigene Rechtsprechung hatte, sondern entweder als Sklaven der Babylonier deren Willkür ausgesetzt oder später als Bewohner des römischen Reichs der dortigen Rechtsprechung unterworfen war. In diesem Klima habe sich der Gedanke ausgeprägt, dass das Schwache durch die Schwachheit das Starke überwinden könne. Und dann sieht Nietzsche, wie dieses Denken im Laufe der Jahrhunderte ausgehöhlt worden war. Die Menschen sind selbständiger geworden, haben begonnen, autonom zu denken, haben sich gegen die herrschenden Klassen aufgelehnt, und plötzlich sind die Schwachen zu Starken geworden. Diese Umkehr hat das Fundament des Christentums aufgeweicht.
Verlassen wir einen Moment Nietzsche und werfen einen Blick in die Geschichte. René Descartes hat versucht, zur Wahrheit zu kommen, indem er alles angezweifelt hat. Am Ende gelangt er zum Schluss, dass alles bezweifelt werden kann, außer die Tatsache, dass er denkt. Zweifeln beinhaltet denken, somit ist seine Gewissheit: Ich denke, also bin ich. Auf diesem Wissen baut er dann seine ganze Argumentation auf, bis er am Schluss auf diesem Fundament sein Argument für Gott aufbaut. Mit diesem Schritt hat die Umkehr begonnen: Plötzlich ist nicht mehr der Mensch von Gott abhängig, sondern der Mensch steht im Zentrum und Gott wird nun ausgehend vom Menschen „verteidigt“. Dieser Schritt wurde in den darauffolgenden Jahrhunderten zementiert, bis hin zu Immanuel Kant, der ihn zugleich vervollständigt aber auch auf den Kopf gestellt hat. Kant hat sich gefragt: Was kann der menschliche Verstand leisten? Er ging davon aus, dass der Mensch alles, was er durch seine Sinne aufnimmt, nicht nur passiv wahrnimmt, sondern bereits aktiv verarbeitet. So sind Raum und Zeit nicht unbedingt etwas, was real außerhalb von uns stattfindet, sondern diese sind das Gerüst, in dem das Wahrgenommene verarbeitet werden. Mit anderen Worten: Für Kant ist es der Mensch selbst, der die Realität im Verstand schafft, und zwar ohne dass er das beeinflussen kann. Wahrnehmung ist somit relativ geworden.
Vermutlich ist es jetzt leichter, zu verstehen, was Nietzsche seiner Zeit sagen wollte: Die echte Philosophie hat uns jetzt nichts mehr zu sagen. Sie kann uns kein festes Fundament mehr geben, in welchem wir eine transzendente und allgemein gültige Ethik schaffen können. Unserer Vernunft sind Grenzen gesetzt. Seit Darwins Beobachtungen sind wir nun auch noch zu Tieren mutiert, zwar gut entwickelten Tieren, aber mehr auch nicht. Gott ist tot, unsere Denker und Wissenschaftler haben ihn getötet und wir sind ganz allein im endlosen Weltall zurückgeblieben, in einem kleinen Winkel im riesengroßen Nichts. Wir haben keine Menschenwürde, denn diese muss eine Erfindung des Christentums sein. Was uns jetzt noch bleibt, ist die Hoffnung auf die Evolution. Die Hoffnung, dass es eines Tages eine bessere Menschheit gibt. Für Nietzsche ist die jetzige Menschheit nur der Übergang zum Übermenschen und das Beste am jetzigen Menschen wird dann sein, wenn er nicht mehr ist, sondern ausgestorben und vom Übermenschen abgelöst sein wird. Die einzige Frage ist, wie man dorthin kommt. Und da fand er seine Lebensaufgabe. Es gab nämlich nur sehr wenige Menschen, die ihn darin verstehen konnten, deshalb schrieb er seine Bücher immer „für die Wenigen“. Er sah sich selbst als einen der wenigen, die ein solches Wissen hatten, das die Menschheit dorthin bringen konnte, über sich selbst hinauszuwachsen. Dazu mussten alle Werte im Leben überdacht und neu bewertet werden.
Nietzsche war auch ein erklärter Feind des demokratischen Gedankens. Das Denken, dass alle Menschen gleich seien, stammte für ihn auch aus der christlichen Sklavenmoral. Das führte nur dazu, dass die Schwachen und Dummen dieser Welt bestimmen könnten, wohin man geht. Man könnte ihn den ersten Postdemokraten nennen. Die Herdentiere der Menschheit brauchten ihm zufolge starke Führer, die ihre Völker autoritativ und ohne Widerspruch zu dulden ans Ziel führten. In unserer Zeit findet sich dieses Denken leider auch wieder. Politiker wie Putin, Erdogan oder auch Trump finden dort ihre Anhänger, weil sie sich in der Politik Leute wünschen, die auf den Tisch hauen können und sich durch verbale Lautstärke auszeichnen.
Auch der deutsche Philosoph Martin Heidegger war so ein Postdemokrat. Bei ihm gehörte die Unterstützung der Revolution gegen die demokratische Weimarer Republik zum Leben dazu. Er war einer der ganz frühen Unterstützer des Nationalsozialismus, und zwar weil für ihn dieses Revolutionäre im Leben das Leben erst lebenswert macht. Seiner Meinung nach war das echte philosophische Denken am Ende angelangt, weil die Wissenschaft nun diesen Teil übernommen hätten. Was blieb, war eine Lücke, die von einer starken Regierung gefüllt werden musste. Mit Heidegger und dem Ende der Philosophie habe ich mich hier (Link) etwas eingehender befasst. In einer Vorlesung sprach er 1930 davon, dass die Langeweile zur Grundstimmung der Republik geworden sei und man deshalb nach dem rufen müsse, der dem Dasein einen Schrecken einjagen könne.
Es ist klar, dass nun ein Vakuum herrscht. Über dieses Vakuum habe ich bereits vor ein paar Tagen hier geschrieben. Lautstärke, totalitäres Gehabe und Wutanfälle sind kein Substitut für ethisches Handeln oder Regieren. Was wir brauchen, ist tiefes Nachdenken über Gottes Wort und eine biblische Weltsicht mit einer bibeltreuen, klaren Ethik. Kein Jota der ganzen Bibel wird jemals hinfällig werden. Nietzsche sagte zwar, dass Gott tot sei, doch nun ist Nietzsche längst tot und viele Menschen bezeugen Gottes Eingreifen in ihrem täglichen Leben auf vielerlei Weise. Das ist einer von vielen Hinweisen, dass Gott dieses Vakuum ausfüllen kann und will. Was wir brauchen, ist eine weitere Reformation oder eine Erweckung. Eine Rückkehr zum einen, dreieinen Gott der Bibel. Eine Rückkehr zu Gottes Wort, der Bibel. Eine Rückkehr zum wörtlichen Verständnis der Bibel, bei welchem deren Ereignisse und Worte als historisch echt und von Gott vollkommen inspiriert betrachtet werden. Gott liebt uns und möchte, dass wir Ihn lieben. Von ganzem Herzen, mit all unserer Kraft und nicht zuletzt auch mit unserem ganzen Verstand.