Der historische Ansatz einer Biblischen Theologie

Der historische Ansatz ist derjenige, welcher wohl am ehesten dem Ideal entspricht, das sich Johann Ph. Gabler, Begründer der Biblischen Theologie, einst gewünscht hatte. Man müsse die verschiedenen Zeiten beachten, in welchen die biblischen Autoren ihre Schriften in unterschiedlichen Genres aufgeschrieben hätten. Ob und wie sinnvoll diese Einteilung ist, muss natürlich auch noch geklärt werden. Bei der Darstellung der Biblischen Theologie mit dem historischen Ansatz ist die Abhängigkeit von der Einleitungswissenschaft (das heißt von der Beantwortung der Fragen nach der Verfasserschaft und Abfassungszeit, sowie Leserschaft und Zweck der Abfassung) sehr ausgeprägt. Die Frage ist hier immer, wer was wann geschrieben hat, und alle theologischen Dimensionen dieser Darstellung sind auf das Engste mit der Entstehung verknüpft. Es wird an der Stelle dann zunächst die Entscheidung zu treffen sein, ob man von einer heilsgeschichtlichen (offenbarungstheologischen) oder von einer religionsgeschichtlichen (historisch-kritischen) Darstellungsweise ausgehen will, bzw. muss.

Religionsgeschichte oder Heilsgeschichte?

Die Darstellung als Religionsgeschichte versucht, alle inneren Probleme und Schwierigkeiten mit Hilfe der historischen Kritik zu lösen. Göttliche Offenbarung und übernatürliches Eingreifen darf es nicht geben, stattdessen werden die Schriften in verschiedene Zeiten und historische Abschnitte eingeteilt und mit der religiösen Umwelt verglichen. Die biblische Religion hat sich durch Einflüsse aus der Umwelt entwickelt, das ist das historisch-genetische Modell. Es hat eine Evolution aus animistischer und polytheistischer Religion geben müssen, die sich irgendwann zum Monotheismus entwickelt hat. Das ist das religionsgeschichtliche Modell einer Biblischen Theologie. Der Monotheismus muss dabei immer als der letzte Schritt gesehen werden. Jeder Zeitepoche und jedem Autor wird sodann eine aus den jeweiligen Texten herausgeschälte Theologie zugeordnet. Die Bibel ist somit eine riesige Sammlung von verschiedenen Einzeltheologien. Das kanonische Buch Jesaja zum Beispiel wird durch historisch-kritische Einleitung in zwei oder drei Teile von jeweils verschiedenen Autoren eingeteilt, von welchen jeder eine eigenständige Theologie untergejubelt bekommt.

Als zweite Möglichkeit kann heilsgeschichtlich gearbeitet werden. In der Arbeitsweise geht man hier üblicherweise von der göttlichen Offenbarung der Bibel aus, die schrittweise (also progressiv) verläuft. Es gibt heilsgeschichtliche Entwürfe, die die literarkritischen Ergebnisse der Forschung als Ausgangspunkt nehmen (zum Beispiel Gerhard von Rad), andere gehen von einem bibeltreuen Standpunkt aus, nehmen also an, dass die Bibel, so wie sie heute erhalten ist, vollumfänglich von Gott inspiriert ist.

Gefragt werden muss natürlich auch bei diesem Ansatz, welcher Weg sich aus der Schrift selbst ableiten lässt. Da ist es sehr wichtig, dass nicht von außen her irgendwelche philosophischen Kriterien herangetragen werden, die der biblischen Botschaft schon gar nicht gerecht werden können. Deshalb muss gefragt werden, ob die Bibel denn in sich den Hinweis auf eine historische Lesart enthält. Gerhard Maier ist überzeugt davon: „Dennoch muß man von der Geschichtlichkeit der Schrift sprechen. Warum? Weil die göttliche Offenbarung in die Menschheitsgeschichte eingegangen ist. Und zwar nicht nur einmal, wie der Islam von seinem Koran behauptet. Sondern in einer Kette von Ereignissen, die selber wieder neue Geschichte geschaffen haben (Hebr 1,1f).“1

Dies hat zur praktischen Konsequenz, dass eine historische Darstellung der Biblischen Theologie sehr wohl angemessen ist. Ob und wie sie der Praktischen Theologie letztlich dienlich ist, wird noch zu evaluieren sein. Aber es lässt sich an der Stelle bereits festhalten, dass die zahlreichen Stammbäume und die historischen Berichte der Bibel das geschichtliche Verständnis geradezu herausfordern, die Schrift geschichtlich zu verstehen und zu interpretieren.

Wichtige Vertreter des Konzepts

Das heilsgeschichtliche Denken ist seit den frühesten Anfängen der christlichen Kirchengeschichte zutiefst in der Theologie verankert. Philipp Vielhauer schreibt zum Matthäus-Evangelium:

Eine Sonderstellung nehmen die sog. Reflexionszitate ein. Sie sind durch zweierlei gekennzeichnet. Einmal durch die reflektorische Zitationsformel: „Dies (alles) geschah, damit erfüllt werde…“. Dann durch den Texttypus: Es ist nicht der LXX-Text, aber auch nicht die genaue griechische Wiedergabe des massoretischen Textes, steht diesem aber näher als dem der LXX. […] Mit solcher Verwendung des AT, speziell mit dem Gedanken einzelner Erfüllungen, konstruiert Mt das Bild einer Heilsgeschichte, die Israel, Jesus und die Zeit der Kirche umspannt.“2 Die Heilsgeschichte der Bibel entstammt also ihr selbst, denn der neutestamentliche Gebrauch des Alten Testaments deutet recht klar darauf hin. Noch deutlicher wird diese Ausprägung in der frühen Gemeinde, wenn Paulus vom Kreuzesgeschehen als Zentrum der Geschichte3 und Telos (Ende oder Ziel) des Gesetzes4 spricht. Auch unter den Kirchenvätern gab es zahlreiche, welche die Bibel heilsgeschichtlich betrachteten. So zum Beispiel Augustinus von Hippo in seinem Werk über den Gottesstaat, wo er die Weltgeschichte in sieben Zeitalter einteilte.

Auch die Reformatoren Luther und Calvin haben ihre Christologie zu großen Teilen aus dem Alten Testament gewonnen, was zeigt, wie normal und richtig für sie das sich aus dem reformatorischen Prinzip „Sola Scriptura“ ergebende heilsgeschichtliche Denken war.

In der Zeit nach der Reformation entwickelte sich der Begriff von der „oeconomia temporum“, so zum Beispiel in der Zeit des beginnenden Pietismus unter Johann Heinrich May (um 1700). Auch bei J. Ph. Gabler findet sich der geschichtliche Ansatz, mit der einen Einschränkung, dass nämlich „die Perioden der alten und neuen Religion“ getrennt werden sollen. Das ist ein religionsgeschichtliches Modell. Oder zumindest die dazu gehörende Methodologie, die Gabler da entwickelte5.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wuchs diese Forderung nach der rein religionsgeschichtlichen Betrachtung der Bibel und mündete zum Ende jenes Jahrhunderts in die Religionsgeschichtliche Schule der Göttinger Universität. C. H. H. Scobie beschreibt jenen Übergang:

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert begannen archäologische Entdeckungen (die bis heute andauern) Informationen zu liefern über den antiken Nahen Osten und die gräco-romanische Welt. Für viele begannen diese Entdeckungen die Einmaligkeit des biblischen Glaubens in Frage zu stellen. Babylonische Schöpfungsmythen und Gesetzestexte, jüdische Apokalyptik, hellenistische Mysterienreligionen und vorchristlicher Gnostizismus lieferten beachtliche Parallelen zum biblischen Material, das nicht länger isoliert studiert werden konnte.“6

Ausgehend von diesen Entdeckungen entstand im Deutschland des beginnenden 20. Jahrhunderts nebst der Religionsgeschichtlichen Schule der sogenannte „Bibel-Babel-Streit“. Friedrich Delitzsch sah in seinen Studien viele solche Parallelen der Bibel mit der altbabylonischen Welt und behauptete 1902 in einem öffentlichen Vortrag, dass die Bibel erst dann richtig verstanden werden könne, wenn man zuerst die babylonische Kultur studiert und verstanden habe. Dies löste eine Flut von Schriften aus, sodass Delitzsch ein Jahr nach dem ersten Vortrag einen zweiten solchen hielt und seine These mit weiterem Material noch zu festigen suchte.

Auch in der Theologie der Nachkriegszeit bekam die geschichtliche Dimension eine große Bedeutung, insbesondere bei Gerhard von Rad. Von Rad findet über den Weg der historisch-kritischen Lesart der Bibel zu einer Heilsgeschichte. Das ist bemerkenswert. Im Zentrum steht für ihn das Bekenntnis zum in der Geschichte handelnden Gott: „Schon die ältesten Bekenntnisse zu Jahwe waren geschichtsbedingt, d. h. sie verknüpfen den Namen dieses Gottes mit der Aussage von einer Geschichtstat. Jahwe, „der Israel aus Ägyptenland herausgeführt hat“, ist wohl die älteste und zugleich die am weitesten verbreitete dieser Bekenntnisformeln.“7

Nach Gerhard von Rad kam auf der einen Seite in den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts das „kanonische Konzept“ auf, welches hier (Link) betrachtet wird, andererseits kamen Rainer Albertz und Werner H. Schmidt bewusst zurück zur Religionsgeschichte: „Mit der Wiederaufnahme der religionsgeschichtlichen Fragestellung übernimmt die heutige Forschung zugleich das Ziel der religionsgeschichtlichen Schule: Die „ins Zentrum zielende Frage“ richtet sich auf die „Besonderheit Israels innerhalb der Welt der altorientalischen Religionen“ (R. Rendtorff, 738), „die unverwechselbare Einzigartigkeit Israels innerhalb der Religionen des Altertums“ (K. Koch, 106). Allerdings drängt sich jene Frage nach der Eigenart Israels zugleich in neuer, diffizilerer Form auf: Nach welchen Kriterien wählt alttestamentlicher Glaube aus der Vielfalt der fremdreligiösen Phänomene aus, wandelt das Übernommene um und stößt mit seinem Wesen Unvereinbares ab? Damit gewinnt religionsgeschichtliche Forschung zugleich eine theologische Aufgabe.“8

Vorteile des geschichtlichen Ansatzes

Julius Steinberg schreibt dazu: „Es kommt nämlich nicht nur darauf an, welche historischen Informationen uns biblische Texte vermitteln, sondern auch, wie sie es vermitteln, welche Akzente sie beispielsweise bei der Darstellung setzen, mit welchem Ziel bestimmte historische Ereignisse wiedergegeben werden, welche Glaubensbotschaften damit übermittelt werden. Um die Glaubensbotschaften zu erfassen, darf nicht nur hinter dem Text, es muss auch im Text gearbeitet werden. Nicht die Geschichte allein, sondern die im biblischen Wort beschriebene und gedeutete Geschichte muss die Basis einer alttestamentlichen Theologie sein.“9

Die Bibel ist zum größten Teil als Geschichte geschrieben. Zwar mit gewisser wertender Auswahl des Geschehenen, welche in einer Theologie natürlich behandelt werden muss, aber sie ist als Geschichte verfasst. Deshalb „können große Teile des Alten Testaments relativ problemlos in dieses Raster eingeordnet werden“10, wie Steinberg daraufhin fortfährt.

Auch LaSor, Hubbard, Bush sehen in der Bibel von der Urgeschichte an diese Entfaltung der Heilsgeschichte:

Der Aufbau der Urgeschichte läßt erkennen, daß ihr Autor vor der Frage steht, wie die Geschichte Gottes mit dieser zerstreuten und entfremdeten Menschheit weitergehen soll. […] Der Pentateuch läßt sich somit in zwei große Abschnitte einteilen: Gn 1 – 11 und Gn 12 – Dt 34. Im ersten Abschnitt wird die Frage ausgebreitet, im zweiten die Antwort gegeben; der erste liefert die Problemstellung, im zweiten bahnt sich die Lösung an. Der Angelpunkt ist Gn 12, 3.“11

Mit der Segensverheißung in Genesis 12,3 ist tatsächlich der Dreh- und Angelpunkt des weiteren Geschehens zu finden, das sich bis zum Ende des Neuen Testaments, der Offenbarung, hinziehen soll. Sehr interessant ist, dass die Offenbarung viele Elemente aus der Urgeschichte wieder aufnimmt: Der Baum des Lebens erscheint wieder, die Schlange, die in der Urgeschichte all das Unheil angerichtet hatte wird gerichtet, und viele weitere mehr. Die Urgeschichte eskaliert, weil der Mensch sich selbst erhöht und sich von Gott abwendet, deshalb wird er in alle Himmelsrichtungen verstreut. In der Offenbarung sammeln sich aus allen Himmelrichtungen die Menschen, um sich vor Gott zu beugen und ihn, den Herrn zu erhöhen.

Auch für die Predigt eignet sich das heilsgeschichtliche Konzept gut, denn durch eine heilsgeschichtliche Verkündigung lernen die Gemeindeglieder die Bibel auch eigenständig recht zu verstehen, in so fern würde dieses Konzept die Predigtvorbereitung erleichtern oder zumindest unterstützen. Armin Mauerhofer schreibt zur Predigt Folgendes:

Da die Inspiration ein heilsgeschichtlicher Vorgang ist, haben wir die Heilige Schrift auch heilsgeschichtlich auszulegen. Das heilsgeschichtliche Denken öffnet den Blick für die Einheit der Bibel. Sie nimmt den Spannungsbogen von Prophetie und Erfüllung ernst. Kein Teil der Schrift ist in ihrem heilsgeschichtlichen Ganzen entbehrlich. Die Bibel schreitet eben gerade nicht von minderwertiger Offenbarung (Rachegebete, rächender Gott) zu immer klarerer Offenbarung voran. Die Aussagen der Bibel sind in ihrem heilsgeschichtlichen Ganzen gleichwertig.“12

Gerade weil die Gemeinde durch die Verkündigung das biblische und damit heilsgeschichtliche Denken aufnehmen und erlernen soll, ist es wichtig, dies zu fördern und zu unterstützen. Dennoch muss man sich natürlich bewusst sein, dass jedes Modell und jedes Konzept eine Konstruktion ist. Deshalb hat auch der geschichtliche Ansatz gewisse Nachteile.

Nachteile des geschichtlichen Ansatzes

Der größte Nachteil des geschichtlichen Konzepts ist derjenige, dass die Bibel, insbesondere das Alte Testament, zeitlose Schriften beinhaltet. Damit ist vor allem die Weisheitsliteratur gemeint. Von der Einleitungswissenschaft herkommend lassen sie sich natürlich alle irgendwie historisch verorten, haben jedoch zeitlose Allgemeingültigkeit was ihren Inhalt betrifft. Die Theologie der Weisheit ist somit nicht von ihrem historischen Kontext abhängig. Damit kann man nun unterschiedlich umgehen. Gerhard von Rad zum Beispiel hat diesen Teil des Alten Testaments in einem gesonderten Band der Theologie behandelt. Nur ganz am Rande streift er in der Theologie des Alten Testaments im letzten Kapitel des ersten Bandes die Weisheit und komprimiert sie auf die Aussagen Israels zur göttlichen Weisheit und zur israelitischen Skepsis13.

Auch die Abhängigkeit von der Einleitungswissenschaft macht die Darstellung der Biblischen Theologie auf der historischen Grundachse nicht gerade einfacher. Für jedes behandelte historische Zeitalter muss zunächst die von der Einleitungswissenschaft vorgegebene Einleitung in die jeweiligen Schriften mit einbezogen werden.

Fazit

Mit Peter Stuhlmacher muss eine Rückkehr zur exegetischen Methodologie der Reformation gefordert werden:

In kritischem Anschluß an die altkirchliche und mittelalterliche Schriftauslegung sind die Reformatoren im Rahmen des dritten Glaubensartikels zu einer historisch-theologischen Betrachtung der biblischen Texte aufgebrochen, und die Orthodoxie ist mit ihrer Lehre vom testimonium spiritus sancti internum [dem der Bibel innewohnenden Zeugnis durch den Heiligen Geist; JE] auf ihrer Spur geblieben. Die dauernde Emanzipation von diesem Ansatz hat heute zur Folge, dass die historisch-theologische Forschung nicht mehr in der Lage ist, Gottes Wirken in der Geschichte konkret zu denken, die ekklesiologische Bezogenheit aller maßgeblichen biblischen Überlieferung ernstzunehmen und zudem gebührend zwischen prinzipiell revidierbarer geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis und der gewißmachenden Erkenntnis des Glaubens zu unterscheiden.“14

Da der historisch-theologische Charakter der Schrift so ausgesprochen wichtig ist, macht es Sinn, den geschichtlichen Ansatz zu wählen. Gerade auch in der heutigen Zeit der blinden Nivellierung alles Geschichtlichen könnte sich dies als ein heilsamer Ansatz erweisen. Auch die Wichtigkeit der Heilsgeschichte in der Predigt würde dies unterstützen. 

Fußnoten:

1 Maier, Gerhard, Biblische Hermeneutik, R. Brockhaus Verlag Wuppertal, 1. Aufl. 1990, S. 179

2 Vielhauer, Philipp, Geschichte der urchristlichen Literatur, Walter de Gruyter Berlin, 1975, S. 362

3 Zum Beispiel 1. Korinther 15, 17 – 19

4 Römer 10, 4

5 Strecker, Georg, Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1975, S. 38

6 Scobie, C. H. H., History of biblical theology, in: Alexander, T. Desmond, New Dictionary of Biblical Theology, IVP Reference Collection, InterVarsity Press 2000, S. 15, Übersetzung: JE

7 Von Rad, Gerhard, Theologie des Alten Testaments, 2 Bde., Chr. Kaiser Verlag München, 1961, S. 127

8 Schmidt, Werner H., Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte, Neukirchener Verlag, 6. Aufl. 1987, S. 12

9 Steinberg, Julius, Dimensionen alttestamentlicher Theologie in: Klement, Herbert H., Steinberg, Julius, Themenbuch zur Theologie des Alten Testaments, R. Brockhaus Verlag Wuppertal, 1. Aufl. 2007, S. 26f

10 Ebd.

11La Sor, W. S., Hubbard, D. A., Bush, F. W., Das Alte Testament, Entstehung – Geschichte – Botschaft, Theologische Verlags-gemeinschaft Wuppertal, 4. Aufl. 1989, S. 69

12 Mauerhofer, Armin, Jesus Mitte jeder Predigt, Jota Publikationen Hammerbrücke, 2005, S. 34f

13 Von Rad, Gerhard, Theologie des Alten Testaments, 2 Bde., Chr. Kaiser Verlag München, 1961, „Israel vor Jahwe“

14 Stuhlmacher, Peter, Thesen zur Methodologie gegenwärtiger Exegese; in: ders., Schriftauslegung auf dem Wege zur Biblischen Theologie, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 1975, S. 52

Richard Dawkins und das Problem des Glaub-o-Meters

Im zweiten Kapitel seines Buches „Der Gotteswahn“ stellt Dawkins ein interessantes Tool vor, mit dem er meint, er könne jeden Menschen irgendwo in eine Schublade stecken. Es handelt sich hierbei um ein Werkzeug, das ich mal um der Einfachheit halber als „Glaub-o-Meter“ bezeichnen möchte. Der Glaub-o-Meter versucht, das ganze Spektrum des Glaubens abzudecken. Ich betone bewusst, er versucht. Wir werden gleich auf dessen Probleme zu sprechen kommen.
Zunächst ein paar grundlegende Gedanken. Atheisten, und ganz besonders auch die fundamentalistischen, aggressiv missionarischen Atheisten wie Richard Dawkins, nutzen häufig mehrere Definitionen für das Wort „Glauben“ und switchen während eines Gesprächs oder eines Kapitels im Buch zwischen diesen verschiedenen Definitionen. Das eigentlichere Problem ist seine Weigerung, den Glauben in seinem Buch klar zu definieren. Mal vergleicht er den Glauben mit der Verliebtheit (S. 309), ein andermal muss er ein Lexikon zitieren (den Eintrag für „delusion“, den Teil des Titels, der mit „Wahn“ übersetzt wird) und meint dazu, dass die Definition „dauerhafte falsche Vorstellung, die trotz starker entgegengesetzter Belege aufrechterhalten wird“ (S. 19) eine gute Definition für den Glauben sei. Alles in allem lässt sich sagen, dass er der Definition von Peter Boghossian mit größter Wahrscheinlichkeit zustimmen würde, welcher seinen Jüngern im „Manual for Creating Atheists“ empfiehlt, für das Wort Glauben immer „behaupten, Dinge zu wissen, die man nicht weiß“ einzusetzen.
Kommen wir also zum Glaub-o-Meter: Dawkins versucht hier, wie bereits gesagt, das ganze Spektrum des Glaubens vom Unglauben bis zum Wissen abzudecken. Hierfür will er sieben Abstufungen entdeckt haben:
1. Stark theistisch. Gotteswahrscheinlichkeit 100 Prozent. Oder in den Worten von C. G. Jung : »Ich glaube nicht, ich weiß.«
2. Sehr hohe Wahrscheinlichkeit knapp unter 100 Prozent. Defacto theistisch. »Ich kann es nicht sicher wissen, aber ich glaube fest an Gott und führe mein Leben unter der Annahme, dass es ihn gibt.«
3. Höher als 50 Prozent, aber nicht besonders hoch. Fachsprachlich: agnostisch mit Neigung zum Theismus. »Ich bin unsicher, aber ich neige dazu, an Gott zu glauben.«
4. Genau 50 Prozent. Völlig unparteiischer Agnostizismus. »Gottes Existenz und Nichtexistenz sind genau gleich wahrscheinlich.«
5. Unter 50 Prozent, aber nicht sehr niedrig. Fachsprachlich: agnostisch mit Neigung zum Atheismus. »Ich weiß nicht, ob Gott existiert, aber ich bin eher skeptisch.«
6. Sehr geringe Wahrscheinlichkeit, knapp über null. Defacto atheistisch. »Ich kann es nicht sicher wissen, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Gott existiert,  und führe mein Leben unter der Annahme, dass es ihn nicht gibt.«
7. Stark atheistisch. »Ich weiß, dass es keinen Gott gibt, und bin davon ebenso überzeugt, wie Jung ›weiß‹, dass es ihn gibt.«“ (S. 85f.) 
Sich selbst teilt Dawkins in dieser Liste bei der Nummer 6 ein, bei den de-facto-Atheisten, die sich am Ende immer noch ein Schlupfloch und ein kleines Argument für ihre Toleranz offenhalten wollen.
Wo stehen aber nun Christen? Wenn wir nach den Definitionen von Dawkins gehen wollen, ist überhaupt das ganze biblische Christentum außerhalb dieser Liste anzusiedeln. Obige Liste mag für nichtchristliche Theisten gelten, aber da echte Christen ein biblisches Glaubensverständnis haben, lassen sie sich nicht in eine Schublade, die von Äpfeln bis zu Birnen reicht, einteilen. Und genau da liegt Dawkins’ Problem. Er arbeitet häufig über die Grenzen seines Berufes hinaus, was an und für sich nicht verwerflich ist. Aber dann sollte man sich mit den Definitionen und Argumenten beschäftigen, die in diesen Gebieten viel mehr Erfahrung haben. Philosophisch und theologisch arbeitet Dawkins erstaunlich schwach.
In seinem früheren Buch, Das egoistische Gen, liefert Dawkins auch eine Definition für den Glauben. Er schreibt dort: „Ein weiteres Glied des zur Religion gehörigen Memkomplexes heißt Glaube. Dieser bedeutet blindes Vertrauen – Vertrauen ohne Beweise und sogar den Beweisen zum Trotz.“ (S. 305) Diese Definition zeigt, dass er sich im Gebiet der Theologie bewegt, ohne sich überhaupt mit ihr ernsthaft beschäftigen zu wollen. Die Definition stammt von ihm, und es wird wohl sehr wenige Menschen geben, die sich Christen nennen und mit dieser Definition ihres Glaubens einverstanden wären. Der Glaube, so meint Dawkins, ist einfach ein Gedankengebilde, das mehr oder weniger zufällig entstanden ist („Mem“ ist eine Wortneuschöpfung von ihm und bewusst als eine Parallele zum „Gen“ gehalten), sich dann immer raffinierter weiterentwickelt (auch dies als Parallele zum egoistischen Gen, das alles tut, um möglichst viele Generationen zu überleben), aber jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, wo die Vernunft über diese Meme (und die Gene) triumphieren solle.
Interessant ist dabei auch, dass Dawkins immer wieder den Glauben den Gewissheiten gegenüberstellt, welche öffentlich anerkannt und somit unumstößlich gelten. Kein ernsthafter Wissenschaftler käme jemals auf die Idee, dass irgendeine Theorie seines Fachs unumstößlich sei. Im Zeitalter der beiden Relativitätstheorien, der Quantenphysik, der Heisenbergschen Unschärferelation, des Gödelschen Unvollständigkeitssatzes und der Chaostheorie bleibt am Ende oft mehr Zweifel als Gewissheit. Inzwischen sind alle Theorien Newtons überholt – und doch lernt jeder Schüler immer noch diese falschen Theorien.
Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass Dawkins – besonders im Buch Das egoistische Gen selbst ein Evangelium predigt: Mit einer Schöpfungslehre, einem Sündenfall, einer Heilsgeschichte und nicht zuletzt einer Erlösung. Seine Geschichte beginnt in der Ursuppe, in welcher sich zahlreiche freie Atome befinden, die sich immer wieder zusammensetzen und so verschiedene Aminosäuren bilden. Irgendwann bildet sich durch reinen Zufall auf diese Weise eine Replikatorsubstanz – eine Aminosäure, welche die Eigenschaft besitzt, Kopien ihrer selbst herzustellen. Auf diese Weise sei das Gen entstanden, welches nun versucht, unsterblich zu werden. Es bildet immer komplexere Gestalten, die das Überleben des Erbgutes sichern sollen. So ist der Körper eines jeden Lebewesens aus dieser Sichtweise lediglich als Vehikel der Gene zu sehen.
Im Laufe der Zeit hätten sich diese Genvehikel immer besser an die Bedingungen des Überlebens angepasst und in einem Fall sogar eine Vernunft entwickelt. Diese erlaubt es dem Menschen, zu planen, zu reflektieren, etc. Um das eigene Überleben besser sichern zu können, sei so auch die Religion erfunden worden, weil sich dadurch andere Vehikel kontrollieren und unterdrücken ließen. Doch nun, da sich diese Vernunft immer weiter entwickelt habe, sei sie nun imstande, den Egoismus der Gene zu überwinden. Und darin besteht nun für Dawkins die Erlösung. Der Mensch kann seiner Vernunft gemäß die Herrschaft der Gene und der Meme überwinden.
Was insgesamt aber nicht zu überzeugen vermag, denn wenn wir den Maßstab, den Dawkins an den Glauben anlegt, auch bei seinem Evangelium anlegen, so zeigt sich die Schwäche seines Ansatzes. Letztlich sind dann auch die Vernunft und das Dawkinsche Evangelium nichts anderes als Meme, die im Laufe der Zeit mehr oder weniger zufällig entstanden sind. Es gibt keine letzte Begründung dafür; wer daran glauben will, mag daran glauben. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Mensch sich selbst erlösen kann; was auch immer man als Begründung dafür annimmt. Wenn die Gene und Meme letztgültige Herrschaft über alle Lebewesen ausüben, so könnte man höchstens sagen, dass die Vernunft eine Illusion sei, die von den Genen hervorgerufen werde. Damit bleibt der Mensch jedoch in dieser Illusion gefangen und es gibt keinen Ausweg. Auch hier zeigt sich, dass der Mensch die Erlösung von außen braucht; er braucht einen Erlöser, der ihn aus seiner Selbstbezogenheit rettet.

Weltgeschichte – biblisch betrachtet

Nach dem biblischen Verständnis ist die Weltgeschichte die Geschichte von Gottes Handeln in der Welt. Für den Christen ist Jesus Christus – Sein Leiden und Sterben am Kreuz von Golgatha und Seine Auferstehung – das Zentrum der Geschichte. Deshalb ist die Geschichte nicht ein ständiger Fortschritt, je mehr die Vernunft vom Glauben getrennt wird. Vielmehr ist diese Trennung ein Rückschritt, denn sie führt vom Mittelpunkt der Geschichte weg. Wenn Jesus Christus die Mitte der Geschichte ist, dann kann nur dann von einem Fortschritt gesprochen werden, wenn immer mehr Menschen vom Herrn Jesus hören und beginnen, ihr Leben der Herrschaft Jesu unterzuordnen. Weltgeschichte ist deshalb die Geschichte, die auf ihr Zentrum hinläuft und von ihm herkommend darauf zeigt.
Ich möchte deshalb einige Linien der frühen Weltgeschichte verfolgen und zeigen, wie sie alle zusammen auf den einen Mittelpunkt, Jesus Christus, hingelaufen sind. Jede dieser Linien hat die Bühne unserer Welt dafür vorbereitet, dass das größte Spektakel der Weltgeschichte stattfinden konnte.
 

Heilsgeschichte: Der rote Faden durch die Bibel

Mein zweiter Grund für die vollkommene Vertrauenswürdigkeit der Bibel besteht darin, dass die Bibel, obwohl sie über den Zeitraum von etwa 1700 Jahren und von 40 Autoren geschrieben wurde, eine innere Einheit, einen roten Faden, hat. Sie ist die Geschichte von Gott mit der Menschheit. Somit ist sie zuerst einmal eine große Sammlung von vielen historischen Dokumenten, und zugleich ist sie das eine große historische Dokument, das uns von Gott als Schöpfer erzählt, von der ersten Menschheit, die mit Gott lebte, von der Abkehr der Menschen von Gott und davon, wie Gott immer wieder auf die Menschen zugegangen ist und ihnen Sein wunderbares Wesen gezeigt hat: Seine Heiligkeit, vor der der Mensch zittert und erschrickt. Seine Gerechtigkeit, die alles sieht und am Ende nichts ungestraft lassen wird. Seine Liebe, in der Er Selbst kommt, um unsere Schuld zu bezahlen. Seine Allmacht, die sich in den Wundern zeigt. Seine Allwissenheit, welche die gesamte Weltgeschichte steuert. Seine Allgegenwart, mit der Er den Menschen nahe ist, die Ihn suchen.
In diesem Zusammenhang ist das 1. Mosebuch unvorstellbar wichtig. Edith Schaeffer, die Frau des Evangelisten und Apologeten Francis A. Schaeffer, schreibt dazu: „Man muss mit dem ersten Buch Mose anfangen. „Am Anfang … Gott.“ Das bedeutet: Am Anfang steht eine Person – eine unbegrenzte Person zwar, aber eine Person. Am Anfang – Denken, Handeln, Fühlen, Lieben, Kommunikation, Idee, Entscheiden, Kreativität. Ja, am Anfang war dieser Gott, der den Menschen nach seinem Bilde schuf. Eine Persönlichkeit, die bereits existierte. Ein persönliches Universum, erschaffen von einer Person. Ein am Menschen ausgerichtetes Universum, von einer Person erschaffen. Ein Universum, in dem es Erfüllung für die Wünsche von Künstlern, Dichtern, Musikern, Landschaftsgärtnern gibt, weil es von einem Künstler, Dichter, Musiker und Landschaftsgärtner gemacht worden ist.“ (Schaeffer, Edith, Der Erste und der Letzte, S. 16f)
Wenn wir wissen wollen, was eine Person ist, dann müssen wir nicht zuerst Menschen anschauen und dann fragen: Hmm, ist Gott wie ein Mensch? Sondern wir schauen Gott an und erkennen da, was eine Person ist, und dann sehen wir, auf wie vielen Ebenen auch wir Menschen Personen sind.
Dann gehen wir wieder ins erste Mosebuch und schauen, was das Ziel und der Zweck, der Sinn unseres Lebens ist. Und da erkennen wir, dass es das Leben in der Gemeinschaft mit Gott und mit anderen Menschen ist, und dass wir einen Auftrag auf dieser Erde haben: Für sie zu sorgen, sie zu gebrauchen, sie zu studieren, sie zu bebauen, ihren Ertrag zu vermehren, und auch unser eigenes Leben zu vermehren. Gott hat uns so geschaffen, dass wir uns freuen können. Deshalb sind wir dazu gemacht, um uns an Gott und Seiner Schöpfung zu freuen. Jedes Mal, wenn wir uns über ein Gedicht oder ein Musikstück freuen, so können wir das nur, weil Gott uns mit der Fähigkeit zur Freude und Kreativität gemacht hat.
Doch leider blieb nicht alles beim Alten. Die Menschen rebellierten gegen Gott und wollten autonom werden, sie wollten selbst über Gut und Böse entscheiden und vertrauten darin Gott nicht. So sind sie der Sünde verfallen. Und bis auf den heutigen Tag gibt es (außer Jesus Christus) keinen einzigen Menschen, der so leben kann, wie es Gott gefällt. Deshalb beginnt die Heilsgeschichte. Der Mensch ist von Natur und von Geburt aus von Gott getrennt, sein Wesen ist böse, er ist ein Feind Gottes, bis zu dem Moment, in welchem er durch den Heiligen Geist wiedergeboren wurde.
Diese Wiedergeburt verspricht schon das Alte Testament auf viele verschiedene Arten und Weisen. Etwa Jeremia: Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, da ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde; nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern schloß an dem Tag, da ich sie bei der Hand ergriff, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen; denn sie haben meinen Bund gebrochen, obwohl ich doch ihr Eheherr war, spricht der Herr. Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schließen werde, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Innerstes hineinlegen und es auf ihre Herzen schreiben, und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein.(Jeremia 31, 31 – 33)
Jeremia spricht von einem neuen Bund, einem neuen Herz. Vor dem Neuen Bund musste es zuerst einen Alten Bund geben. Gott hat mit dem Volk Israel, von dem das ganze Alte Testament berichtet, einen Bund geschlossen, bei dem Gott dem Volk zusagte, Er wolle ihr Gott sein und sie Sein Volk, wenn es Seinen Willen tun würde. Doch eines um das andere Mal ist das Volk Israel seinem Gott untreu geworden. Warum? Weil es ein neues Herz und einen neuen Geist braucht. Die Geschichte von Israel lehrt uns viel: Ohne neues Herz ist es unmöglich, Gottes Willen zu tun. Deshalb gab Gott dem Volk auch bestimmte Gebote, die mit Tieropfern zu tun hatten. Eigentlich hätte jeder Mensch, der einmal gegen Gott sündigte, sofort mit dem Tod bestraft werden müssen. Doch Gott gab die Möglichkeit, dass ein teures, speziell ausgewähltes und besonders schönes Tier an der Stelle der Person sterben konnte, die gesündigt hatte. Jedes Opfer war so eine Erinnerung daran, dass der Mensch eigentlich sein Leben verwirkt hatte.
Im Neuen Testament kommt Gott Selbst in Jesus Christus auf die Erde. Jesus Christus ist das perfekte Opfer für alle unsere Sünden. So heißt es im Hebräerbrief: Aufgrund dieses Willens sind wir geheiligt durch die Opferung des Leibes Jesu Christi, [und zwar] ein für allemal. Und jeder Priester steht da und verrichtet täglich den Gottesdienst und bringt oftmals dieselben Opfer dar, die doch niemals Sünden hinwegnehmen können; Er aber hat sich, nachdem er ein einziges Opfer für die Sünden dargebracht hat, das für immer gilt, zur Rechten Gottes gesetzt, und er wartet hinfort, bis seine Feinde als Schemel für seine Füße hingelegt werden. Denn mit einem einzigen Opfer hat er die für immer vollendet, welche geheiligt werden. Das bezeugt uns aber auch der Heilige Geist; denn nachdem zuvor gesagt worden ist: »Das ist der Bund, den ich mit ihnen schließen will nach diesen Tagen, spricht der Herr: Ich will meine Gesetze in ihre Herzen geben und sie in ihre Sinne schreiben«, sagt er auch: »An ihre Sünden und ihre Gesetzlosigkeiten will ich nicht mehr gedenken.« Wo aber Vergebung für diese ist, da gibt es kein Opfer mehr für Sünde.(Hebräer 10, 10 – 18)
Hier haben wir wieder das Zitat von Jeremia, und die Bestätigung, wie alles zusammen passt. Das Opfer von Tieren war im Alten Bund nötig, aber im Neuen Bund ist Jesus Christus das perfekte, einmalige Opfer für alle unsere Schuld. So sehen wir auch, dass die Schriften von 66 Büchern und von etwa 40 Autoren wunderbar zusammenpassen. Auch Paulus macht den Zusammenhang im Brief an die Korinther deutlich:
Denn die Liebe des Christus drängt uns, da wir von diesem überzeugt sind: Wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben; und er ist deshalb für alle gestorben, damit die, welche leben, nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferstanden ist. So kennen wir denn von nun an niemand mehr nach dem Fleisch; wenn wir aber auch Christus nach dem Fleisch gekannt haben, so kennen wir ihn doch nicht mehr so. Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen; siehe, es ist alles neu geworden! Das alles aber [kommt] von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesus Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat; weil nämlich Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnte, indem er ihnen ihre Sünden nicht anrechnete und das Wort der Versöhnung in uns legte. So sind wir nun Botschafter für Christus, und zwar so, daß Gott selbst durch uns ermahnt; so bitten wir nun stellvertretend für Christus: Laßt euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm zur Gerechtigkeit Gottes würden.“ (2. Korinther 5, 14 – 21)

Die Bibel als Gesamtes: Heilsgeschichtlicher Überblick

Die Bibel möchte in ihrer Gesamtheit verstanden und auch so gelesen werden. Damit wir diese Forderung ernst nehmen können, müssen wir uns mit der Botschaft der Bibel als Gesamtheit befassen, bevor wir die einzelnen Teile betrachten können. Wie wir gesehen haben, ist das Alte Testament in vier Teile gegliedert, und die Thora ist das eigentliche Zentrum des Alten Testaments, von welchem wiederum die Vorschriften für den Versöhnungstag im Mittelpunkt stehen. Somit kann man den Begriff „Versöhnung“ oder „Sühne“ als kurze Beschreibung dessen wählen, worum es im Alten Testament geht. Das ist äußerst spannend, denn beim genauen Hinsehen geht es auch im Neuen Testament um genau jenes: Versöhnung oder Sühne. Das Kreuz Christi ist das Zentrum des gesamten Neuen Testaments und wird dort vielfach als endgültige Erfüllung des alttestamentlichen Versöhnungsdienstes bezeugt. Dies müssen wir beachten, wenn wir uns dem dem Verhältnis der beiden Testamente zuwenden wollen.

Am Anfang der Bibel steht der Wunsch und Plan Gottes, Sich Selbst, Sein Wesen zu offenbaren, also sichtbar zu machen. Die Frage, was vor der Schöpfung gewesen sei, ist unsinnig, denn es gab vor der Schöpfung noch keine Zeit, und deshalb auch kein „davor“. Gott existiert außerhalb von Raum und Zeit, jene beiden sind erst durch die Schöpfung entstanden. Am Ende der Schöpfung wird schlussendlich der Mensch geschaffen, nach dem Bilde Gottes. Ihm wird der Auftrag gegeben, für den Rest der Schöpfung „Gott“ zu sein, also nach bestem Wissen und Gewissen für die Schöpfung zu sorgen. Für diese Aufgabe stehen ihnen alle Möglichkeiten offen außer einer einzigen: Von den Früchten eines bestimmten Baumes in der Mitte der Schöpfung dürfen sie nichts essen.

Doch es kommt, wie es kommen musste, die Frau isst von der Frucht und gibt ihrem Mann auch davon, und er isst auch. Daraufhin erkennen sie ihre Nacktheit und verstecken sich. Diese Nacktheit wurde von jüdischen Bibelauslegern meines Erachtens zu Recht mit dem Verlust der natürlichen Unschuld und Heiligkeit des Menschen vor dem Fall interpretiert. Diese Nacktheit, die Schuld, die durch die Sünde entstanden ist, musste bedeckt werden. Von Anfang an soll den Menschen bewusst werden, dass der Lohn für die Sünde der Tod ist, deshalb bekommen sie Kleider aus Tierfell, die einem blutigen Schlachtritual entstammen. Diese Tieropfer sollen immer bezeugen, dass es ohne Tod keine Sühne gibt. Auch der große jährliche Versöhnungstag ist von diesen blutigen Opfern geprägt, die den Menschen zeigen sollen: Die Vergebung von Sünde benötigt ein Opfer anstelle dessen, der gesündigt hat. Und es weist zugleich auf den hin, der diesen Opferdienst dereinst an sich selbst erfüllen soll und damit alle Tieropfer unnötig macht. Diese Opferpraxis als „primitiv“ zu bezeichnen wird ihr jedoch absolut nicht gerecht. Es mag für uns barbarisch aussehen, aber diese Rituale sind ein deutliches Zeichen dafür, dass Menschen sich bewusst sind, dass Sünde den Tod verdient. Insofern sind sie deutlich hochstehender als das humanistische Gerede von der billigen Gnade, die ohne Opfer auskommen will. Es wird nämlich weder dem Wesen Gottes noch dem Wesen des Menschen oder gar dem Wesen der Sünde gerecht.

Bei der Versöhnung oder Sühne geht es um eine Bedeckung. Es geht um die Bedeckung, also das Zudecken von Schuld und Sünde. Zudecken ist nicht mit Verstecken gleichzusetzen, ganz im Gegenteil. Das Bedecken mit dem Blut des Opfertieres entspricht der „Reinigung durch das Blut“, es ist somit ein Reinigen und entspricht einem Wegnehmen der Schuld vor Gott. Die Bedeckung geschieht durch den „Sündenbock“, der bereits die Strafe selbst bezahlt hat.

Doch es geht letzten Endes nicht nur um das Wegnehmen der Schuld, sondern um ein neues Leben mit Gott. Ein ewiges Leben. Ein Leben, das hier auf der Erde beginnt und nie aufhören wird. Aus diesem Grund ist Jesus als der richtige Sündenbock gekommen. Das hält die beiden Testamente zusammen. Das versöhnte Gottesvolk soll als solches ein Licht in der Welt sein und anderen zum Vorbild werden. So ist der Missionsauftrag nicht etwas, das erst im Neuen Testament auftaucht. Bereits das das Israel des Alten Testaments kennt den Auftrag, als Gottesvolk den anderen Völkern dieses Leben mit Jahwe vorzuleben. Und auch das Israel des Alten Testaments kennt bereits die Verheißung des ewigen Lebens mit Gott. Nicht nur durch die Schöpfung, welche für die gesamte Ewigkeit geschaffen wurde, sondern auch aus vielen anderen Verheißungen. Sie alle werden im Neuen Testament durch Jesus und die ersten Apostel bestätigt, erneuert und näher erläutert.