Buchtipp: Das Joshua-Profil

Fitzek, Sebastian, Das Joshua-Profil, Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Köln, 2015, 430S., eBook, Verlagslink, Amazon-Link

Mein erster Fitzek! Schon seit Jahren haben mir Fans von Stephen King empfohlen, auch mal was von Sebastian Fitzek zu lesen. Jetzt habe ich es getan. Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensions-eBook.

Eins vorweg: Es ist kein Buch für schwache Nerven. Es geht um schreckliche Dinge. Es geht um Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern. Wer sich das nicht antun möchte – und ich habe vollstes Verständnis dafür – sollte die Finger davon lassen. Da ich gerne Thriller lese, habe ich mich – neugierig wie ich bin – darauf eingelassen. Ich würde für mein Teil sagen: Das Lesen hat sich gelohnt. Nur eine Frage bleibt noch offen: Wenn man einen Thriller loben will, ihn aber nicht „schön“ oder „gut“ finden konnte, zählt es dann als Lob, wenn man sagt, er sei „schrecklich“ geschrieben?

Max Rohde, der Protagonist dieses Romans, ist ein Schriftsteller, dessen Erstling ein voller Erfolg war, dessen Beliebtheit danach jedoch irgendwo um null herum dümpelte. In seinem Leben beginnen sich plötzlich kuriose Szenen abzuspielen. Sein Bruder, der in einer geschlossenen Psychiatrie einsitzen sollte, taucht auf der Straße auf. Die Mitarbeiterin vom Jugendamt, die für die Pflegetochter von Max und seiner Frau zuständig ist, taucht auf und will das Mädchen mitnehmen. Max dreht durch, will mit der Tochter abhauen und wird in einen unerklärlichen Unfall verwickelt, nach welchem er in einem Krankenhaus aufwacht und in seinem Ohr die Stimme der entführten Tochter vernehmen kann. Was ist da los?

Mit diesen Vorgängen in den ersten hundert Seiten zieht die Geschichte dann richtig los. Joshua ist ein Computerprogramm, ein Algorithmus, der die Weiten des World Wide Web durchzieht und auf legale und illegale Art und Weise Profile der Internetuser erstellt. Max’ Internetzugang wurde von diesem Programm gehackt, das in Zukunft für die Bekämpfung von Verbrechen an diverse Staaten verkauft werden sollte. Joshua kann künftige Verbrecher schon vor ihren Taten ermitteln; und unter einer ganzen Anzahl von Profilen wurde Max per Zufallsprinzip herausgefischt, um die Wirksamkeit des Algorithmus zu demonstrieren. Die Macher des Joshua-Profils müssen ihn nur dazu bringen, sein Verbrechen möglichst bald zu begehen. Doch auch eine andere Gruppe, welche verhindern möchte, dass Joshua in Zukunft international eingesetzt wird, hat Max entdeckt, welcher nun mitten im ganzen Spiel gefangen ist und keinen blassen Schimmer hat, was gerade abgeht. Damit beginnt eine tödliche Jagd, welche über die Zukunft von Big Data entscheiden sollte.

Ich möchte an der Stelle kurz die Frage beantworten, weshalb man überhaupt solche Bücher lesen kann / darf / soll / etc. Ich sage: Man darf. Keiner muss oder soll, denn es ist von der Persönlichkeit stark abhängig, wie man auf bestimmte Geschichten reagiert. Dazu ist zu sagen: Es ist ein Roman. Eine erfundene Geschichte. Ein kreatives Werk. Und doch kann das eine gewisse Berechtigung haben, denn Romane haben die Fähigkeit, Fragen mit einer Wucht zu stellen, die unter die Haut geht. Und gerade hier müssen wir bei jedem Roman fragen: Welche Fragen stellt uns der Autor und wie beantwortet sein Roman diese Fragen? Ich habe mir angewöhnt, bei Romanen (und insbesondere bei spannenden Romanen) alle paar Seiten innezuhalten und zu reflektieren, welche Fragen im letzten Abschnitt gestellt und beantwortet wurden. Es gibt Romane, welche nur Fragen aufwerfen, andere beantworten sie deutlich, wieder andere drücken sich vor einer Antwort, indem zum Beispiel durch eine plötzliche 180°-Wendung am Schluss ein Relativismus gepredigt wird, und so weiter. Beim Joshua-Profil finde ich Antworten. Das gefällt mir. Ob ich den Antworten zustimme, ist eine andere Frage.

Viele Fragen beantwortet Fitzek übrigens noch einmal im Anhang des Buches, nach dem Ende des Romans. Das ist besonders für die Leser, welche sich während der Geschichte nicht gerne von den Fragen ablenken lassen, sehr wertvoll. Dort werden die Hauptthemen aufgegriffen und kurz besprochen. Mit entwaffnender Ehrlichkeit schreibt Fitzek, weshalb er so rasante und über manche Strecken auch brutale Geschichten schreibt. Es ist sein Versuch, mit den existentiellen Ängsten seines Lebens umzugehen. Ich kann ihm in sehr vielen Antworten nicht zustimmen, aber eins kann man ihm jederzeit abnehmen: Er gibt im Roman dieselben Antworten wie im Nachwort auch. Er ist authentisch. Und genau das ist das Geheimnis, das seine Bücher so vollständig macht. Fitzek versucht nicht, am Ende doch noch was abzuschwächen, sondern denkt seine Geschichten bis zum bitteren Ende fertig.

Das vielleicht schwerwiegendste Thema, in welchem ich dem Autor widersprechen muss, betrifft den Überwachungsstaat. Fitzek ist der Meinung, dass ein alles überwachender demokratischer Staat besser sei, wie wenn die Überwachung durch die private Wirtschaft erfolgt, wie etwa im Falle der sozialen Medien. Hier bin ich der Überzeugung, dass die freie Marktwirtschaft und das denkende und rebellierende Individuum eine bessere Regulierung darstellen als eine zentralistische Überwachung, Wer welche Daten von sich preisgibt ist im Falle der privaten sozialen Medien die jeweils persönliche Entscheidung des Einzelnen. Ein staatlich durchleuchteter gläserner Mensch hat viel weniger Möglichkeit zur Mitsprache, wer welche Daten bekommt und wer nicht. Außerdem gibt es niemals die Garantie, dass demokratische Staaten dies auch immer bleiben, und in einem totalitären Staat ist der Missbrauch personenbezogener Daten noch viel wirksamer.

Was man die ganze Zeit hinweg unterschwellig mitbekommt, ist eine persönliche Unsicherheit, die sich mit der Zeit auf den Leser auszuweiten versucht. Das große Gefühl des Buches ist dasjenige der menschlichen Geworfenheit. Der Mensch ist auf sich selbst zurückgeworfen, aber in einem nicht ganz heideggerschen Sinn, da dieser dem Menschen immer auch zugesteht, sich selbst dabei weiter entwerfen zu können. Im vorliegenden Roman ist dieses Grundgefühl viel näher an einem Ausgeliefertsein an eine unerklärliche Welt. Wie gerne würde ich Sebastian Fitzek – und beim Lesen auch Max Rohde – zurufen, dass es eine Hoffnung gibt, die weit über den Tod hinausgeht, die Hoffnung auf das ewige Leben. Um es mal auf meine etwas flapsige Art als Antwort auf das Argument von Herrn Fitzek zu formulieren: Das Mittel, welches mich vor dem Thriller-Schreiben bewahrt, ist das Gebet und der Glaube an den allmächtigen dreieinen Gott der Bibel. Ich gebe dem Buch vier von fünf Sternen.