Buchtipp: Bismarck. Sturm über Europa

Engelberg, Ernst, Engelberg, Achim, Bismarck. Sturm über Europa, Pantheon-Verlag, 2017, Verlagslink / Amazon-Link

Vielen Dank an den Pantheon-Verlag für das Rezensionsexemplar!

Geschichte kann so spannend sein! Gerade dann, wenn das Leben eines Autors mit dem von ihm Geschriebenen verknüpft ist. Der Großvater von Ernst Engelberg hatte die Revolution von 1848 miterlebt und in deren Zuge das adlige „von“ abgelegt. Der Vater hatte 1898 den SPD-Ortsverein von Haslach im Kinzigtal ins Leben gerufen. Engelberg selbst gehörte der KPD an, lebte während des Dritten Reichs im Exil und lehrte später in der DDR, wo er Mitglied der SED und nach dem Mauerfall der PDS war. Von der Biographie Bismarcks erschien 1985 der erste von den zwei Bänden – und zwar als eines der ganz wenigen Bücher zeitgleich im Osten und im Westen des damals noch geteilten Deutschlands. Der Sohn, Achim Engelberg, hat nach dem Tod seines Vaters dessen Archive übernommen und eine gekürzte einbändige Fassung der Biographie für die Veröffentlichung vorbereitet. Vier Generationen in einer solchen Verbundenheit, da ist das Ergebnis sehr interessant.

Engelberg beschreibt das Leben Ottos von Bismarck sehr lebendig und farbenfroh. Der Leser meint immer wieder, selbst mitten im Geschehen zu stehen, die Fragen beantworten zu müssen, denen sich der erste Reichskanzler stellen muss. Es ist in erzählerischer Sicht ein wahrer Genuss, dieses ausführliche und doch so kompakte Buch zu lesen. Engelberg erzählt von der Familie, in welche Bismarck hineingeboren wurde; es war eine Familie von Gutsbesitzern, Landjunkern und Beamten in Pommern. Nach einer Kindheit auf dem Lande besuchte er das Gymnasium in Berlin, wo er in der Stadtwohnung seiner Familie lebte. Dort war jeweils für den Winter und das Frühjahr auch „Onkel Fritz“ zu Hause, der immer wieder hochgestellte Persönlichkeiten zu Besuch hatte. Nach einem Studium und Referendariat kehrte Bismarck zurück ins Pommersche, wo er mithalf, den elterlichen Kniephof zu modernisieren. Dort machte er nun auch vermehrt die Bekanntschaft mit den Vertretern der Pommerschen Erweckungsbewegung um Adolf von Thadden-Trieglaff, der wiederum die Berliner Brüder Ludwig und Leopold von Gerlach beeinflusste, und letztlich war es Ludwig von Gerlach, der Bismarck in die Politik zu bringen vermochte.

An der Stelle muss ich Engelberg ein großes Lob aussprechen. Es ist ihm gelungen, eine Biographie zu schreiben, welche die damalige geistliche Entwicklung der Regionen Pommern und Berlin ernst nimmt. Das findet man selten – und das gerade von einem ziemlich links orientierten Historiker. Und doch schafft er es, die Ansichten der Hochkonservativen ernst zu nehmen und zu würdigen. Davon dürfte es ruhig mehr geben. Das habe ich richtig genießen können beim Lesen. Auch dass Engelberg diese so oft stiefmütterlich behandelten pietistischen Erweckungskreise wieder zur Sprache bringt, rechne ich ihm hoch an. Zuweilen gibt es aber auch leichte Spitzen seinerseits gegen manche der Sichtweisen der Pietisten, wie etwa hier: „Die Abwendung von der Aufklärung drückte sich bei den Neupietisten manchmal recht drastisch aus, so wenn Gustav von Below einmal schrieb, man müsse den ‘gewaltigen Teufel von geistiger Verstandeshoffart’ bekämpfen.“ (S. 78)

Wie schätzte Engelberg den Glauben Bismarcks ein? Auch hierzu ein kurzes Zitat aus dem Buch: „Sein Verhältnis zu Gott ist von Anfang an eigenständig, aktiv und jeder Form passiver Gottergebenheit geradezu feind. Dem Bruder gegenüber sagte er es am 31. Januar 1847, als er über sein Verhältnis zu Johanna schrieb, am deutlichsten: ‘In Glaubenssachen gehen wir, mehr zu ihrem als zu meinem Leidwesen, etwas auseinander, wenn auch nicht so sehr als Du meinesteils glauben magst, denn mancherlei innre und äußre Ereignisse haben in letzter Zeit Veränderungen in mir hervorgebracht, durch die ich mich, was früher, wie Du weißt, nicht der Fall war, berechtigt halte, mich den Bekennern der christlichen Religion beizuzählen.’“ (S. 114) Man mag darüber nun selbst denken wie man mag, aber ich schätze an dieser Biographie die Offenheit, mit welcher sich der Autor diesen Dingen widmet.

Bismarck erlebte die Revolution von 1848, ja, er erlebte sie nicht nur, sondern beteiligte sich im Lager der Konservativen an ihr, das heißt, er wandte sich gegen das Revolutionäre an ihr und für die bisherige Machtverteilung. Schließlich war er ein Preuße von ganzem Herzen, und so setzte er sich für dieses sein altbekanntes Preußen ein. Mit den Gebrüdern von Gerlach besprach er sich des Öfteren, und machte durchaus auch mal Geschäfte hinter dem Rücken des Königs Friedrich Wilhelm IV, da auf diesen zuweilen kein Verlass war. Wie es wohl nicht anders geht, nimmt auch der Erfolg Bismarcks mit den Gesetzen zur Unfall- und Krankenversicherung der Arbeiter ein Kapitel bei Engelberg ein. Schließlich konnten so die Sozialdemokraten, aus welchen seine Familie stammt, Punkte sammeln.

Man merkt an vielen Stellen dem Autor seine politische Herkunft an, was allerdings in Ordnung ist. Schließlich lässt er auch die andere Seite zu Wort kommen. So entsteht ein rundes Ganzes, ein Buch, das man gerne liest, und eine Schilderung, die den Leser in die Zeit hinein nimmt, in welcher sie spielt. Wer sich für die Person Ottos von Bismarck interessiert, dem empfehle ich diese Biographie sehr. Mir hat auch das Nachwort gefallen, in welchem die Herkunft des Autors sowie die Entstehungsgeschichte der Biographie noch näher erläutert wird.

Ich gebe dem Buch deshalb fünf von fünf Sternen.