Buchtipp: Die RAF hat Euch lieb

Die RAF hat euch lieb von Bettina Roehl

Röhl, Bettina, Die RAF hat Euch lieb, Wilhelm Heyne Verlag München, 2018, 640 Seiten, Verlagslink, Amazon-Link

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar dieses Buches.

50 Jahre Ausnahmezustand, 50 Jahre Protestiererei und kein Ende in Sicht. Dies ist das Fazit, das Bettina Röhl in ihrem Buch aus ihrer Beschäftigung mit der RAF zieht. Wie schon der erste Band „So macht Kommunismus Spaß“ ist auch dieses Buch nicht so leicht einem Genre zuzuordnen. Es ist wieder eine Mischung aus Biographie, Autobiographie, Geschichtsschreibung und journalistischen Beiträgen. Negativ aufgefallen ist mir vor allem eine gewisse Anzahl von Flüchtigkeitsfehlern was die Rechtschreibung betrifft. Da hätte eine weitere Durchsicht durch ein Lektorat nicht geschadet.

Die Autorin beleuchtet mit vielen originalen Quellen und auch zahlreichen Transkriptionen von Interviews, die sie mit Beteiligten von damals führte, die Zeit von 1967 bis 1972. Es gibt am Ende noch einen kurzen Abstecher in 1974 und wenige Sätze zum Tod ihrer Mutter 1976, aber diese Zeit wird wohl im dritten Band ausführlicher abgedeckt werden, wenn es um die Zeit bis zur Bundeskanzlerwahl Helmut Kohls gehen soll. Auch hier wird wieder schnell sichtbar, dass es sich unter anderem auch um eine Suche nach sich selbst geht, es ist eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter, der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof und deren Umfeld im Zuge der 68er-Bewegung in Deutschland.

Es ist ein wichtiges Buch, vor allem deshalb, weil es mit vielen sich hartnäckig haltenden Legenden aufräumt. Bis heute versuchen viele Menschen, den Zustand des Protests als notwendig und richtig vorauszusetzen. Protestler werden zu Helden stilisiert, dabei handelt es sich lediglich um kriminelle Terrorbanden, die gegenüber der Polizei keinerlei moralische Rechtfertigung für ihr Handeln erbringen können. Röhl fragt sehr treffend dazu: „Warum wollte diese im Wohlstand aufgewachsene Generation das System, den Kapitalismus, die Bundesrepublik zerstören und den Menschen, die ihr Glück in dieser Bundesrepublik machen wollten, das Paradies rauben und einen nebulösen ‘neuen Menschen’ kreieren, der sie selber in keiner Weise waren?“ (S. 37)

Im Laufe des Buches werden einige Gründe genannt, und ich bin der Meinung, dass Röhl auch hier nicht alle Gründe erkennt, die zu diesem Phänomen des Protestismus geführt haben. In einem behält sie jedoch absolut recht: Protest um jeden Preis kam irgendwann in den Sechzigerjahren in Mode und ist bis heute in Mode geblieben, ein Ende ist nicht in Sicht. Und jedes Jahr wird eine neue Protest-Sau von einer anderen Gruppierung, die gerade oben schwimmt, durchs Dorf getrieben. […] Wer das Protestgefühl am kreativsten, brutalsten, geschicktesten oder prominentesten anzusprechen weiß, wer den richtigen Riecher hat, was wieder zieht, hat die größten Chancen, mit seiner Protestidee Furore zu machen, die Medien zu gewinnen und moralisch, sozial, finanziell bis hin zur Würdigung von Bürgermeistern, Regierungschefs, Chefredakteuren, Gewerkschaften, bekannten Schauspielern und anderen öffentlichen Persönlichkeiten den neuen Protesthit zu landen.“ (S. 79)

Das Buch von Bettina Röhl gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil geht es um die APO-Bewegung, Rudi Dutschke, Benno Ohnesorg, und die Eltern der Autorin, welche durch die Zeitschrift „konkret“ in dieser Bewegung mitmischten. Im zweiten Teil wird die Gründung der RAF beschrieben und im dritten Teil vor allem mit den zahlreichen Legenden um Ulrike Meinhof aufgeräumt. Spannend fand ich besonders auch die Schilderung der Entführung der beiden Röhl-Zwillinge – erst nach Sizilien, und später eine zweite Entführung wieder nach Deutschland zurück. Weil die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof nicht wollte, dass ihre Töchter zu ihrem Exmann Klaus-Rainer Röhl ziehen, ließ sie die beiden über die grüne Grenze in ein sizilianisches Barackenlager entführen. Der Plan war, dass die Töchter später in ein palästinensisches Waisenhaus kommen sollten. Zum Glück kam der Journalist Stefan Aust gerade noch rechtzeitig, um die Beiden abzuholen und wieder zurück nach Deutschland zu bringen, bevor Ulrike sie von Sizilien in palästinensisches Gebiet verfrachten konnte.

Die große Frage, die bleibt, betrifft die Notwendigkeit und die Bewertung von 68. Hier bin ich mit der Autorin nicht ganz einig, wenngleich ich ihre Sichtweise gut nachvollziehen kann. Ich denke allerdings, dass man das Ganze etwas differenzierter sehen sollte. Es ist insofern verständlich, als dass sie, die ja so viel Schreckliches durch diese Ideologie erlebt hat, sich durch ihre Bücher deshalb auch autobiographisch ein wenig an der Bewegung abarbeitet. Doch meine ich, dass besonders drei Gesichtspunkte zu kurz kommen. Der technologische Fortschritt, welcher damals die ganze Welt ins Wohnzimmer gebracht und die Konsumenten mit Inhalten überfordert und hilflos gemacht hat, ist mit ein Grund. Die Bewegung von ’68 war eine mögliche Reaktion auf die Reizüberflutung durch diese Massenmedien, die zu jenem Zeitpunkt in sehr vielen Familien Einzug gehalten haben. Zweitens waren die ’68er eine Bewegung, für die der Boden in gewisser Weise bereitet war. Die schrecklichen Geschehnisse im Zuge des 2. Weltkriegs haben Verunsicherung geschaffen und unter der jungen Generation gerade in Bezug auf Vietnam, China, UdSSR, DDR, etc. zu einer einseitigen Blindheit geführt. Last but not least ist die Antwort der Autorin auf die Frage der Bewertung dieser Zeit näher an der Bewegung selbst, denn sie gibt eine säkulare Antwort auf eine säkulare Bewegung. Meines Erachtens macht die fehlende biblisch-theologische und heilsgeschichtliche Einordnung dieser Zeit eine objektive Bewertung unmöglich. Nichtsdestotrotz ist es ein enorm lesenswertes Buch, das einen tiefen Einblick in das Leben ihrer Familie und damit ins Zentrum der 68er-Bewegung gibt.

Fazit:

Ein weiteres sehr gut recherchiertes Buch von Bettina Röhl über ihre Familie, die 68er-Bewegung und die RAF. Am Ende bleiben Fragen offen, aber insgesamt kann ich es jedem weiter empfehlen, der sich für diese Zeit interessiert. Ich gebe dem Buch fünf von fünf Sternen.

Die Wahrheit hinter der Porno-Lüge

Shelley Lubben, Pornographie. Die größte Illusion der Welt, Ruhland Verlag Bad Soden, 2016, 330 Seiten. Link zum Buch / Amazon
Vielen Dank an den Ruhland Verlagund an die Agentur Literaturtestfür die Zusendung des Rezensionexemplars.
Die Autorin Shelley Lubben erzählt ihre Lebensgeschichte. Wie sie als junge Frau in der Prostitution und später in der Pornographie gelandet ist, aber auch wie sie einen Weg aus dieser schrecklichen Zeit gefunden hat.
Als Kind hatten ihre Eltern nur wenig Zeit und Aufmerksamkeit für sie – der Vater hatte immer irgendwelche Erfindungen, die er gerade austüftelte, die Mutter hatte nur böse Worte für sie übrig. Sie schreibt von ihrer Kindheit: „Meine Mutter sagte immer, der Fernseher sei der beste Babysitter. Klar, von einem solchen Babysitter lernte ich eine Menge! Als Kind lernte ich aus Sendungen wie ‘Herzbube mit zwei Damen’ (Three’s Company) und ‘Wo die Liebe hinfällt’ (Love American Style) mehr über Sex als irgendwo sonst. Wozu Pubertät, wenn man gleich mehrere Komödienserien voll übersteigerten Sextriebs konsumieren kann?“(S. 46)
Mit 9 Jahren wurde sie vom älteren Bruder einer Freundin sexuell missbraucht. Leider ist solcher Missbrauch für sehr viele Frauen, die in der Prostitution oder Pornographie landen, der Einstieg. Sexueller Missbrauch senkt nicht nur die Hemmschwelle zu außerehelichem Sex, sondern raubt den Missbrauchten auch den letzten Rest Selbstvertrauen. Shelley wurde zu einer aufmerksamkeitshungrigen jungen Frau, die sich ihrer äußeren Reize bald klar wurde und diese nutzte, um den männlichen Mitmenschen ihre Macht zu demonstrieren. Sie verkaufte sich selbst, um die Aufmerksamkeit zu bekommen, die ihr eigentlich ihre Eltern schuldig waren. Da war der Schritt in die Prostitution vergleichsweise klein; und als sie mit 17 Jahren aus dem Elternhaus gewiesen wurde (O-Ton ihres Vaters: „Für mich bist du tot.“), wurde dieser Schritt auch tatsächlich gegangen; nach zwei Tagen ohne etwas zu Essen.
Die nächsten Kapitel des Buches sind schwer zu lesen. Shelley gibt einen kleinen Einblick ins „Business“. Mit 19 war sie schwanger und behielt ihr Baby, eine Tochter, die später oft bei Freunden wohnen musste, da die Alleinerziehende sie nicht überall mitnehmen konnte. Nach einer Weile kam sie von der Prostitution zum Film. Schon als kleines Mädchen war sie eine geborene Schauspielerin, und unter dem Künstlernamen „Roxy“ nahm sie an über 30 Pornofilmen teil. Diese schreckliche Zeit kann sie nur überstehen, da sie Alkohol, andere Drogen, aber auch dämonische Einflüsse in ihrem Leben hatte. Mehrmals wollte sie sich das Leben nehmen, aber immer war da Gott, der das zu verhindern wusste.
Mit 26 kam ein Mann in ihr Leben, wie sie es sich wohl nie zu träumen gewagt hatte. Sie hasste Männer seit Langem, aber brauchte sie halt, um an ihnen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dieser Mann war erst 22, aber er war der erste Mann in ihrem Leben, der ihr zeigte, dass sie ihm tatsächlich wertvoll war. Er war Garrett (Gary) Lubben, der sie heiratete. Und damit kam eine Wende in ihr Leben. Sie musste ihren Körper nicht mehr verkaufen. Sie gingen zusammen in eine Gemeinde (ins „Champion Centre“ in Tacoma). Sie lernte Gott kennen. Und nun dürfen wir sie auf diesem langen und beschwerlichen Weg der Heilung begleiten.
Sie hatte lange Zeit ständig mit den dämonischen Einflüssen zu kämpfen. Widerstehen muss da gelernt sein. Sie musste lernen, den Menschen zu vergeben, die ihr so viele Jahre lang unendliche Schmerzen und Leid zugefügt hatten. Sie musste überhaupt erst mal lernen, dass sie auch nebst dem horizontalen Gewerbe Fähigkeiten besaß, die sie für Gott einsetzen kann. So lernte sie erst Webdesign und später Journalistik.
Doch dann kommt ein weiterer Ruf: Sie durfte in einem Gefängnis ihre eigene Geschichte von Ablehnung, Missbrauch, Prostitution, Pornographie und der Erlösung durch Jesus Christus erzählen und merkte, wie begierig viele Menschen nach der Botschaft von der Befreiung durch Jesus Christus sind. Ein weiterer Schritt bestand darin, einen Verein (Pink Cross) zu gründen, der anderen in ihrem ehemaligen „Gewerbe“ beim Ausstieg hilft. Nicht zuletzt bestand dieser Schritt auch darin, ihre Geschichte in Buchform zu bringen und so zu veröffentlichen. In all diesen Schritten hatte sie mit riesigen Widerständen zu kämpfen. Es gab (und gibt) sehr viele Menschen, die an Prostitution und Pornographie verdienen; gerade deshalb werden auch hier viele Menschen dem Gott Mammon geopfert. Statistiken zur Selbstmordrate sprechen eine deutliche Sprache.
Besonders berührt hat mich aber auch das Kapitel 28, in welchem Shelleys Tochter Tiffany aus ihrem eigenen Leben erzählt, wie sie das Leben mit ihrer Mutter wahrgenommen hatte. Sie war die erste Tochter, die Shelley als Prostituierte mit 19 bekommen hatte, als sie einen Asiaten bediente. Obwohl ihre Mutter jahrelang davon nichts wusste, war auch Tiffany sexuell missbraucht worden. Sie begann mit SVV (Selbstverletzendes Verhalten), indem sie sich immer wieder absichtlich schnitt, da der körperliche Schmerz angenehmer war als der seelische Schmerz. Am Ende wollte auch sie sich umbringen und landete mit offenem Handgelenk im Krankenhaus – Gott hatte ihrer Mutter gesagt, dass sie schnell zu ihrer Tochter nach Hause fahren solle. Bisher war Tiffany nicht groß aufgefallen – nicht zuletzt auch deshalb, weil ihre Eltern in dem ganzen Kampf gegen die Pornographie mit sich selbst zu beschäftigt waren. Moment mal – hatten wir das nicht schon mal?
So weit zum Buch selbst. Ich möchte es mit einer Einschränkung weiterempfehlen: Es ist nichts für schwache Nerven. Es ist aufrüttelnd, schamlos ehrlich und wird so manchen Widerspruch im Leser wecken. Hat es auch bei mir, aber das ist ok. Theologisch gehe ich nicht in allem mit ihr einig, aber mit wem kann ich das schon? 😉 Viele Fragen, die aufgeworfen werden, sind es wirklich wert, lange und tief darüber nachzudenken. Es ist ein mitreißendes Buch, das ich nur schwer aus der Hand legen konnte. 
Was nehme ich vom Buch mit?
1. Einen heiligen Zorn gegen die Unterhaltungsindustrie. Das betrifft Filme, Hollywood, aber auch viele andere. Man muss heute schon sehr weit suchen, um Filme zu finden, die keine pornographischen Ausschnitte beinhalten. Selbes gilt auch für Literatur, PC-Spiele und viele weitere Bereiche der Unterhaltungsindustrie.
2. Den dringenden Ruf: Eltern, lasst uns unsere Kinder ernst nehmen. Schieben wir sie nicht ab – weder vor den Fernseher noch in die Betreuungsinstitute. Begegnen wir ihnen gegenüber mit echtem Interesse und echter Anerkennung. In vielen Familien ist die mangelnde Zeit und Anerkennung für die Kinder ein Fluch, der sich von Generation zu Generation weitervererbt.
3. Das eigentliche Anliegen des Buches, welches ich schon seit vielen Jahren teile, nämlich die Schrecklichkeit der Prostitution und Pornographie und deren hohe Suchtgefahr bloßzustellen. Wir brauchen aber viel mehr als nur Predigten dagegen. Wir brauchen Unterstützung für die Menschen, die da raus wollen. Wir brauchen Angebote, die diesen Menschen zugute kommen, die aussteigen. Die Hürde ist extrem hoch: Finanziell, drogenabhängigkeitsbedingt, und nicht zuletzt auch geistlich. Hinzu kommt ein enormer psychischer Druck durch die Drohungen jener, welche daran verdienen wollen.