Buchtipp: Ein Teil von ihr

Slaughter, Karin, Ein Teil von ihr, HarperCollins Germany GmbH, 2018, 544S., Verlagslink Amazon-Link

Wie gut kennt man die eigene Mutter? Eigentlich dachte Andrea (Andy) Oliver, sie würde ihre Mutter doch ziemlich gut kennen. Bis zu jenem Tag, ihrem Geburtstag, als etwas geschah, was alles ins Wanken brachte. Mutter Laura rettet das Leben ihrer Tochter, indem sie den Angreifer tötet. Und der Blick ihrer Mutter, dieser ausdruckslose, mit sich selbst vollkommen im Reinen scheinende Gesichtsausdruck, während sie dem Angreifer den Hals aufschlitzt, ändert alles. Für Andy beginnt eine Suche nach der Vergangenheit ihrer Mutter, welche sie durch einige Bundesstaaten der USA führt und sie in Kontakt mit einigen Personen bringt, die ihr gefährlich werden. Auf ihrer Reise findet Andy immer mehr über die Vergangenheit ihrer Mutter und auch über sich selbst heraus. Sie merkt auch, dass sie selbst in ihrem Selbstbild und Charakter durch diese Erkenntnisse gestärkt wird – obwohl oder gerade deshalb weil es doch einiges Schockierendes ist, was sie da hört und sieht. Es wird deshalb auch eine Reise zu sich selbst.

Man mag sich streiten, ob es sich um einen „klassischen Slaughter-Thriller“ handelt, denn die sonst eher typischen Schock-Gewaltszenen halten sich schwer in Grenzen. Mir hat das gerade deshalb auch gut gefallen, denn die Story wurde dadurch nicht so von diesen Thrill-Momenten unterbrochen. Es ist eher eine Art Kriminalroman von einer Tochter, die etwas herausfinden will und sich deshalb auf die Suche nach den Indizien dafür macht. Mir hat auch gefallen, dass die Story wirklich stark rüberkommt und weitgehend eine in sich geschlossene Einheit ist. Die Charaktere sind gut entwickelt und sympathisch, besonders Andy. Aus Laura wird man lange Zeit nicht schlau, aber es ist klar, dass das gerade die Absicht ist, um die Spannung bis zum Schluss zu halten. Der Roman pendelt beständig zwischen den zwei Zeitschienen 2018 und 1986. Auch dies ist gut gewählt, denn es gibt der Autorin die Möglichkeit, die Spannung zusätzlich zu steigern, indem sie immer dann, wenn die Protagonistin kurz vor einer weiteren Entdeckung steht, die Zeitschiene wechselt.

Doch leider kommt die Autorin auch diesmal nicht darum herum, ihren Relativismus zu predigen. Besonders deutlich wird dies durch die Person von Gordon Oliver, den Exmann von Laura und Adoptivvater von Andrea. Typisch ist zum Beispiel folgende Ansage: „’Detective Palazzolo.’ Gordon klang endlich wieder wie er selbst. ‘Wir sind beide lange genug auf dieser Welt, um zu wissen, dass Wahrheit Interpretationssache ist.’“ (Kindle-Position 732) Damit macht die Autorin aber auch etwas von der an sich gelungenen Story kaputt. Andy ist auf der Suche nach der Wahrheit. Sie möchte erfahren, wer ihre Mutter ist, und wer sie selbst ist. Doch immer wieder macht Slaughter klar, dass sie Wahrheit für ein gesellschaftliches Konstrukt hält. Das führt zu einer Spannung innerhalb des Romans, die sich durch alles hindurchzieht. Andy erfährt von einigen der Begebenheiten von damals, aber auch nicht von allen eigentlich wichtigen. Ihr Bild von ihrer Mutter wird etwas klarer, aber immer noch verschwommen genug, um alle möglichen Interpretationen zuzulassen. Dennoch hat mich das Buch viel zum Nachdenken gebracht. Der Titel ist passend: Ein Teil von ihr, das lässt sich auch mehrfach deuten. Einerseits geht es um einen Teil von der Geschichte ihrer Mutter, dann auch um einen Teil der gemeinsamen Geschichte, denn in gewisser Weise ist die Tochter ein Teil der Mutter; sie erbt genetisch und durch Nachahmung eine Menge. Und schließlich wird das frühere Leben der Mutter zu einem Teil des Leben des Tochter, indem sich Andy aufmacht und mit dem Vor-Leben Lauras in direkten Kontakt kommt. Beider Leben sind also mehrfach miteinander verflochten und verknüpft.

Fazit:

Ein spannender Roman, wenngleich nicht unbedingt ein typischer Slaughter-Thriller. Eine interessante Story mit überzeugenden Charakteren, doch leider auch wieder vom Relativismus der Autorin durchzogen. Ich gebe dem Buch vier von fünf Sternen.

Leave a comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Die DSGVO-Checkbox ist ein Pflichtfeld

*

Ich stimme zu