Aus dem Leben einer Totschlagbibel

Guten Tag, ich bin Bibi, die Totschlagbibel. Manche mögen sich fragen: Totschlagbibel? Was soll denn das sein? Das werde ich euch gleich erzählen. Eigentlich bin ich ja eine ganz normale Bibel aus Papier mit festem Einband, in Leder gebunden, immer säuberlich rein gehalten, auf Hochglanz poliert, und immer in der Tasche dabei. Eigentlich könnte ich glücklich und dankbar sein, denn anders als viele meiner Artgenossen bin ich noch nie im Regal verstaubt. Vor vier Jahren wurde ich gekauft, um eine vorherige Version meiner selbst zu ersetzen, die inzwischen verlesen aussah und Eselsohren hatte. Ich fand meine Vorgängerin sehr schön, denn sie war farbig und bunt, mit vielen Buntstiften hatte unser Besitzer die wichtigsten Verse angestrichen. Sie sah vom Alter gezeichnet aus, und das machte sie richtig wunderschön. Inzwischen lebt sie aber das traurige Alter einer im Regal stehenden, ausrangierten Bibel, und ich habe ihren Platz eingenommen.

Nun möchte ich aber erzählen, was eine Totschlagbibel ausmacht und was damit meine Aufgabe im täglichen Leben meines Besitzers ist. Ich werde häufig benutzt. Nicht täglich, aber doch recht häufig, mehrmals die Woche. Ich werde gelesen, um meinem Besitzer in den zahlreichen Wortgefechten zu helfen. Mein Inhalt soll ihm die Munition geben, die er braucht, um andere Diskutanten und vermutlich eher auch -onkel zum Schweigen zu bringen. Das ist etwas, was ich nicht mag. Ich möchte eigentlich meinem Besitzer in sein Leben hineinreden, ich möchte ihm helfen, ins Ebenbild Jesu verändert zu werden, aber dazu ist mir häufig gar keine Möglichkeit gegeben. Er kennt seine wichtigen Stellen in- und auswendig, und oft blättert er eher in mir, um seinem Gegenüber Eindruck zu machen. Vermutlich hätte es ihm gereicht, mich auf 30 Seiten zusammengefasst zu haben, mit all den Versen, mit welchen er beständig hantiert. Aber meine Größe und Schwere ist ein zusätzliches Argument, das seinem Gegenüber Eindruck machen soll, denn er will ja damit zeigen, dass er mindestens ebenso bibeltreu und wortgewandt ist.

Ständig zitiert er Jesus: Liebt eure Feinde! Haltet die andere Wange hin! Nicht jeder, der sagt: HERR HERR! Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Oder Paulus: Die Liebe glaubt und erträgt alles! Vergeltet nie Unrecht mit anderem Unrecht! Oder Johannes: Wer seinen Bruder hasst, lebt in der Finsternis! Jede Bibelauslegung, die ihm nicht passt, wird mit diesem Scheinargument zum Schweigen gebracht, sodass er sich selbst völlig taub macht gegen alle Möglichkeiten, selbst etwas Neues dazu zu lernen. Leider bin ich nicht allein als Totschlagbibel. Ich kenne noch andere, die mir schon ähnliches erzählt haben, manche davon haben leider auch Diskussionsgegner meines Besitzers zum Besitzer. Vielleicht wird auch eine andere von uns mal aus ihrem Leben erzählen.

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