Buchtipp: Die RAF hat Euch lieb

Die RAF hat euch lieb von Bettina Roehl

Röhl, Bettina, Die RAF hat Euch lieb, Wilhelm Heyne Verlag München, 2018, 640 Seiten, Verlagslink, Amazon-Link

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar dieses Buches.

50 Jahre Ausnahmezustand, 50 Jahre Protestiererei und kein Ende in Sicht. Dies ist das Fazit, das Bettina Röhl in ihrem Buch aus ihrer Beschäftigung mit der RAF zieht. Wie schon der erste Band „So macht Kommunismus Spaß“ ist auch dieses Buch nicht so leicht einem Genre zuzuordnen. Es ist wieder eine Mischung aus Biographie, Autobiographie, Geschichtsschreibung und journalistischen Beiträgen. Negativ aufgefallen ist mir vor allem eine gewisse Anzahl von Flüchtigkeitsfehlern was die Rechtschreibung betrifft. Da hätte eine weitere Durchsicht durch ein Lektorat nicht geschadet.

Die Autorin beleuchtet mit vielen originalen Quellen und auch zahlreichen Transkriptionen von Interviews, die sie mit Beteiligten von damals führte, die Zeit von 1967 bis 1972. Es gibt am Ende noch einen kurzen Abstecher in 1974 und wenige Sätze zum Tod ihrer Mutter 1976, aber diese Zeit wird wohl im dritten Band ausführlicher abgedeckt werden, wenn es um die Zeit bis zur Bundeskanzlerwahl Helmut Kohls gehen soll. Auch hier wird wieder schnell sichtbar, dass es sich unter anderem auch um eine Suche nach sich selbst geht, es ist eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter, der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof und deren Umfeld im Zuge der 68er-Bewegung in Deutschland.

Es ist ein wichtiges Buch, vor allem deshalb, weil es mit vielen sich hartnäckig haltenden Legenden aufräumt. Bis heute versuchen viele Menschen, den Zustand des Protests als notwendig und richtig vorauszusetzen. Protestler werden zu Helden stilisiert, dabei handelt es sich lediglich um kriminelle Terrorbanden, die gegenüber der Polizei keinerlei moralische Rechtfertigung für ihr Handeln erbringen können. Röhl fragt sehr treffend dazu: „Warum wollte diese im Wohlstand aufgewachsene Generation das System, den Kapitalismus, die Bundesrepublik zerstören und den Menschen, die ihr Glück in dieser Bundesrepublik machen wollten, das Paradies rauben und einen nebulösen ‘neuen Menschen’ kreieren, der sie selber in keiner Weise waren?“ (S. 37)

Im Laufe des Buches werden einige Gründe genannt, und ich bin der Meinung, dass Röhl auch hier nicht alle Gründe erkennt, die zu diesem Phänomen des Protestismus geführt haben. In einem behält sie jedoch absolut recht: Protest um jeden Preis kam irgendwann in den Sechzigerjahren in Mode und ist bis heute in Mode geblieben, ein Ende ist nicht in Sicht. Und jedes Jahr wird eine neue Protest-Sau von einer anderen Gruppierung, die gerade oben schwimmt, durchs Dorf getrieben. […] Wer das Protestgefühl am kreativsten, brutalsten, geschicktesten oder prominentesten anzusprechen weiß, wer den richtigen Riecher hat, was wieder zieht, hat die größten Chancen, mit seiner Protestidee Furore zu machen, die Medien zu gewinnen und moralisch, sozial, finanziell bis hin zur Würdigung von Bürgermeistern, Regierungschefs, Chefredakteuren, Gewerkschaften, bekannten Schauspielern und anderen öffentlichen Persönlichkeiten den neuen Protesthit zu landen.“ (S. 79)

Das Buch von Bettina Röhl gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil geht es um die APO-Bewegung, Rudi Dutschke, Benno Ohnesorg, und die Eltern der Autorin, welche durch die Zeitschrift „konkret“ in dieser Bewegung mitmischten. Im zweiten Teil wird die Gründung der RAF beschrieben und im dritten Teil vor allem mit den zahlreichen Legenden um Ulrike Meinhof aufgeräumt. Spannend fand ich besonders auch die Schilderung der Entführung der beiden Röhl-Zwillinge – erst nach Sizilien, und später eine zweite Entführung wieder nach Deutschland zurück. Weil die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof nicht wollte, dass ihre Töchter zu ihrem Exmann Klaus-Rainer Röhl ziehen, ließ sie die beiden über die grüne Grenze in ein sizilianisches Barackenlager entführen. Der Plan war, dass die Töchter später in ein palästinensisches Waisenhaus kommen sollten. Zum Glück kam der Journalist Stefan Aust gerade noch rechtzeitig, um die Beiden abzuholen und wieder zurück nach Deutschland zu bringen, bevor Ulrike sie von Sizilien in palästinensisches Gebiet verfrachten konnte.

Die große Frage, die bleibt, betrifft die Notwendigkeit und die Bewertung von 68. Hier bin ich mit der Autorin nicht ganz einig, wenngleich ich ihre Sichtweise gut nachvollziehen kann. Ich denke allerdings, dass man das Ganze etwas differenzierter sehen sollte. Es ist insofern verständlich, als dass sie, die ja so viel Schreckliches durch diese Ideologie erlebt hat, sich durch ihre Bücher deshalb auch autobiographisch ein wenig an der Bewegung abarbeitet. Doch meine ich, dass besonders drei Gesichtspunkte zu kurz kommen. Der technologische Fortschritt, welcher damals die ganze Welt ins Wohnzimmer gebracht und die Konsumenten mit Inhalten überfordert und hilflos gemacht hat, ist mit ein Grund. Die Bewegung von ’68 war eine mögliche Reaktion auf die Reizüberflutung durch diese Massenmedien, die zu jenem Zeitpunkt in sehr vielen Familien Einzug gehalten haben. Zweitens waren die ’68er eine Bewegung, für die der Boden in gewisser Weise bereitet war. Die schrecklichen Geschehnisse im Zuge des 2. Weltkriegs haben Verunsicherung geschaffen und unter der jungen Generation gerade in Bezug auf Vietnam, China, UdSSR, DDR, etc. zu einer einseitigen Blindheit geführt. Last but not least ist die Antwort der Autorin auf die Frage der Bewertung dieser Zeit näher an der Bewegung selbst, denn sie gibt eine säkulare Antwort auf eine säkulare Bewegung. Meines Erachtens macht die fehlende biblisch-theologische und heilsgeschichtliche Einordnung dieser Zeit eine objektive Bewertung unmöglich. Nichtsdestotrotz ist es ein enorm lesenswertes Buch, das einen tiefen Einblick in das Leben ihrer Familie und damit ins Zentrum der 68er-Bewegung gibt.

Fazit:

Ein weiteres sehr gut recherchiertes Buch von Bettina Röhl über ihre Familie, die 68er-Bewegung und die RAF. Am Ende bleiben Fragen offen, aber insgesamt kann ich es jedem weiter empfehlen, der sich für diese Zeit interessiert. Ich gebe dem Buch fünf von fünf Sternen.

Buchtipp: Das Joshua-Profil

Fitzek, Sebastian, Das Joshua-Profil, Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Köln, 2015, 430S., eBook, Verlagslink, Amazon-Link

Mein erster Fitzek! Schon seit Jahren haben mir Fans von Stephen King empfohlen, auch mal was von Sebastian Fitzek zu lesen. Jetzt habe ich es getan. Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensions-eBook.

Eins vorweg: Es ist kein Buch für schwache Nerven. Es geht um schreckliche Dinge. Es geht um Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern. Wer sich das nicht antun möchte – und ich habe vollstes Verständnis dafür – sollte die Finger davon lassen. Da ich gerne Thriller lese, habe ich mich – neugierig wie ich bin – darauf eingelassen. Ich würde für mein Teil sagen: Das Lesen hat sich gelohnt. Nur eine Frage bleibt noch offen: Wenn man einen Thriller loben will, ihn aber nicht „schön“ oder „gut“ finden konnte, zählt es dann als Lob, wenn man sagt, er sei „schrecklich“ geschrieben?

Max Rohde, der Protagonist dieses Romans, ist ein Schriftsteller, dessen Erstling ein voller Erfolg war, dessen Beliebtheit danach jedoch irgendwo um null herum dümpelte. In seinem Leben beginnen sich plötzlich kuriose Szenen abzuspielen. Sein Bruder, der in einer geschlossenen Psychiatrie einsitzen sollte, taucht auf der Straße auf. Die Mitarbeiterin vom Jugendamt, die für die Pflegetochter von Max und seiner Frau zuständig ist, taucht auf und will das Mädchen mitnehmen. Max dreht durch, will mit der Tochter abhauen und wird in einen unerklärlichen Unfall verwickelt, nach welchem er in einem Krankenhaus aufwacht und in seinem Ohr die Stimme der entführten Tochter vernehmen kann. Was ist da los?

Mit diesen Vorgängen in den ersten hundert Seiten zieht die Geschichte dann richtig los. Joshua ist ein Computerprogramm, ein Algorithmus, der die Weiten des World Wide Web durchzieht und auf legale und illegale Art und Weise Profile der Internetuser erstellt. Max’ Internetzugang wurde von diesem Programm gehackt, das in Zukunft für die Bekämpfung von Verbrechen an diverse Staaten verkauft werden sollte. Joshua kann künftige Verbrecher schon vor ihren Taten ermitteln; und unter einer ganzen Anzahl von Profilen wurde Max per Zufallsprinzip herausgefischt, um die Wirksamkeit des Algorithmus zu demonstrieren. Die Macher des Joshua-Profils müssen ihn nur dazu bringen, sein Verbrechen möglichst bald zu begehen. Doch auch eine andere Gruppe, welche verhindern möchte, dass Joshua in Zukunft international eingesetzt wird, hat Max entdeckt, welcher nun mitten im ganzen Spiel gefangen ist und keinen blassen Schimmer hat, was gerade abgeht. Damit beginnt eine tödliche Jagd, welche über die Zukunft von Big Data entscheiden sollte.

Ich möchte an der Stelle kurz die Frage beantworten, weshalb man überhaupt solche Bücher lesen kann / darf / soll / etc. Ich sage: Man darf. Keiner muss oder soll, denn es ist von der Persönlichkeit stark abhängig, wie man auf bestimmte Geschichten reagiert. Dazu ist zu sagen: Es ist ein Roman. Eine erfundene Geschichte. Ein kreatives Werk. Und doch kann das eine gewisse Berechtigung haben, denn Romane haben die Fähigkeit, Fragen mit einer Wucht zu stellen, die unter die Haut geht. Und gerade hier müssen wir bei jedem Roman fragen: Welche Fragen stellt uns der Autor und wie beantwortet sein Roman diese Fragen? Ich habe mir angewöhnt, bei Romanen (und insbesondere bei spannenden Romanen) alle paar Seiten innezuhalten und zu reflektieren, welche Fragen im letzten Abschnitt gestellt und beantwortet wurden. Es gibt Romane, welche nur Fragen aufwerfen, andere beantworten sie deutlich, wieder andere drücken sich vor einer Antwort, indem zum Beispiel durch eine plötzliche 180°-Wendung am Schluss ein Relativismus gepredigt wird, und so weiter. Beim Joshua-Profil finde ich Antworten. Das gefällt mir. Ob ich den Antworten zustimme, ist eine andere Frage.

Viele Fragen beantwortet Fitzek übrigens noch einmal im Anhang des Buches, nach dem Ende des Romans. Das ist besonders für die Leser, welche sich während der Geschichte nicht gerne von den Fragen ablenken lassen, sehr wertvoll. Dort werden die Hauptthemen aufgegriffen und kurz besprochen. Mit entwaffnender Ehrlichkeit schreibt Fitzek, weshalb er so rasante und über manche Strecken auch brutale Geschichten schreibt. Es ist sein Versuch, mit den existentiellen Ängsten seines Lebens umzugehen. Ich kann ihm in sehr vielen Antworten nicht zustimmen, aber eins kann man ihm jederzeit abnehmen: Er gibt im Roman dieselben Antworten wie im Nachwort auch. Er ist authentisch. Und genau das ist das Geheimnis, das seine Bücher so vollständig macht. Fitzek versucht nicht, am Ende doch noch was abzuschwächen, sondern denkt seine Geschichten bis zum bitteren Ende fertig.

Das vielleicht schwerwiegendste Thema, in welchem ich dem Autor widersprechen muss, betrifft den Überwachungsstaat. Fitzek ist der Meinung, dass ein alles überwachender demokratischer Staat besser sei, wie wenn die Überwachung durch die private Wirtschaft erfolgt, wie etwa im Falle der sozialen Medien. Hier bin ich der Überzeugung, dass die freie Marktwirtschaft und das denkende und rebellierende Individuum eine bessere Regulierung darstellen als eine zentralistische Überwachung, Wer welche Daten von sich preisgibt ist im Falle der privaten sozialen Medien die jeweils persönliche Entscheidung des Einzelnen. Ein staatlich durchleuchteter gläserner Mensch hat viel weniger Möglichkeit zur Mitsprache, wer welche Daten bekommt und wer nicht. Außerdem gibt es niemals die Garantie, dass demokratische Staaten dies auch immer bleiben, und in einem totalitären Staat ist der Missbrauch personenbezogener Daten noch viel wirksamer.

Was man die ganze Zeit hinweg unterschwellig mitbekommt, ist eine persönliche Unsicherheit, die sich mit der Zeit auf den Leser auszuweiten versucht. Das große Gefühl des Buches ist dasjenige der menschlichen Geworfenheit. Der Mensch ist auf sich selbst zurückgeworfen, aber in einem nicht ganz heideggerschen Sinn, da dieser dem Menschen immer auch zugesteht, sich selbst dabei weiter entwerfen zu können. Im vorliegenden Roman ist dieses Grundgefühl viel näher an einem Ausgeliefertsein an eine unerklärliche Welt. Wie gerne würde ich Sebastian Fitzek – und beim Lesen auch Max Rohde – zurufen, dass es eine Hoffnung gibt, die weit über den Tod hinausgeht, die Hoffnung auf das ewige Leben. Um es mal auf meine etwas flapsige Art als Antwort auf das Argument von Herrn Fitzek zu formulieren: Das Mittel, welches mich vor dem Thriller-Schreiben bewahrt, ist das Gebet und der Glaube an den allmächtigen dreieinen Gott der Bibel. Ich gebe dem Buch vier von fünf Sternen.

Buchtipp: Francis Schaeffer – An Authentic Life

Duriez, Colin, Francis Schaeffer – An Authentic Life, Inter-Varsity Press, Nottingham England, 2008, 240S., Amazon-Link

Colin Duriez ist Literaturwissenschaftler und hat selbst mal eine Zeit lang in L’Abri bei Edith und Francis Schaeffer gelebt. Er hat sich viel mit C.S. Lewis und J.R.R. Tolkien befasst, und 2008 hat er eine Biographie über Francis August Schaeffer herausgegeben. Es gibt einiges an Literatur über Schaeffer, aber ein solches Werk hat bis dato noch gefehlt, eine Biographie, welche versucht, den gesamten Lebensweg von Schaeffer von seiner Kindheit bis ins Alter nachzuzeichnen. Viele Bücher und Aufsätze haben sich mit vielen Bereichen von Schaeffers Werk befasst, sein Geschichtsverständnis, seine Philosophie, seine apologetische Methode, etc. Aber irgendwie fehlt da sehr oft der Mensch dahinter; seine Geschichte, die ihn zu genau dem machte, der er war. Deshalb bin ich für Duriez’ Werk sehr dankbar.

Wer einen kurzen Abriss von Schaeffers Leben und Werk lesen möchte, findet hier (Link) ein 15-seitiges PDF, das ich dazu mal geschrieben habe. Besonders wichtig finde ich im Werk von Duriez die Schilderung der geistlichen Krise, die Francis Schaeffer durchmachte, als er zum ersten Mal in den Schweizer Alpen lebte. Es war eine der prägenden Zeiten seines Lebens. Mich beeindruckt es sehr, wie Schaeffer ehrlich und kompromisslos mit seinen Zweifeln umging. Es war eine der schwersten Zeiten seines Lebens, vielleicht noch schwerer als die Entscheidung, auch gegen den Willen seines Vaters Theologie studieren zu wollen. In der Krisenzeit lernte Schaeffer eine Tatsache, die er später unzählige Male in verschiedenen Versionen wiederholte: Es gibt nur einen einzigen Grund, weshalb ein Mensch Christ werden soll, und der ist, dass das Christentum wahr ist. Deshalb konnte er von der true truth, der wahren Wahrheit, sprechen.

Colin Duriez tut einen super Job, das Leben und die Herausforderungen der Familie Schaeffer zu beschreiben. Das Buch eignet sich sehr gut als Ergänzung zum Bericht „L’Abri“ (Link) von Edith Schaeffer. Einen Nachteil hat das Buch allerdings: Die 240 Seiten sind viel zu schnell vorbei. Es reicht nicht, um weiter in die Tiefe zu gehen; vieles wird nur ein wenig gestreift. Ich würde gern mehr über andere Schülerinnen und Schüler wie etwa Nancy Pearcey und viele andere erfahren, wie sie ihre Zeit dort erlebt haben. Mir ist das Buch insgesamt zu kurz: Gerne hätte ich drei bis vier Mal so viele Seiten, die in derselben hohen Qualität beschrieben sind. Vielleicht wird noch jemand ein solches Werk schreiben. Ich gebe dem Buch von Colin Duriez fünf von fünf Sternen und empfehle es gerne jedem weiter, der sich für Schaeffer interessiert. 

Buchtipp: Die Getriebenen

Die Getriebenen von Robin Alexander

Alexander, Robin, Die Getriebenen, Siedler Verlag München, 6. Aufl. 2018, 286S., Verlagslink, Amazon-Link

Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

Robin Alexander ist Journalist im politischen Berlin, hat auch schon für die taz gearbeitet und ist jetzt für die Welt am Sonntag unterwegs, um direkt aus der aktuellen Politik zu berichten. In seinem Buch „Die Getriebenen“ geht er der Frage nach, inwieweit die Flüchtlingskrise 2015 die Berliner Politik verändert hat. Seine These, die er vertritt, besagt, dass neue Arten zu regieren entstanden sind, die der früheren Art und Weise entgegen stehen. Da das Buch schnell Emotionen hochkochen ließ, war ich gespannt auf den Inhalt, und eher erstaunt darüber, wie dieses Buch zu so kontroversen Diskussionen führen konnte. Habe ich die Macht der medialen Filterblasen, von denen ich schon öfter bloggte, vielleicht tatsächlich unterschätzt?

Was der Autor schreibt, lässt sich fast alles in (Online-)Zeitungsartikeln finden. Grob geschätzt 90% des gesamten Inhalts war mir auch vor dem Lesen des Buches gut bekannt. Der Rest betrifft entweder Beschreibungen von TV-Sendungen, die ich nicht gesehen hatte und politische Treffen, welche unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatten und von Alexander nun in eigenen Worten nacherzählt werden. Für Leser, welche sich die Ereignisse dieser Zeit noch einmal in Ruhe vor Augen halten wollen, ist das Buch sehr wertvoll. Ich habe mit kontroverseren Inhalten gerechnet, weshalb ich schon fast etwas enttäuscht war.

Doch warum heißt das Buch „Die Getriebenen“? Es war eine Zeit, auf welche es keine Vorbereitung gab; die Politik war zum Improvisieren verurteilt. Es gab nicht das einzig logische Handeln, sondern immer nur die Reaktion auf unvorhergesehene Umstände. Das ist an sich ja auch nichts Schlimmes – es ist eine Chance, um seine Überzeugungen zu leben. Doch insgesamt – im Hinblick auf das ganze Buch – finde ich den Titel nicht passend, sondern eher irreführend. Die ganze Situation wird dazu genutzt, um in den verschiedenen Bundesländern und auch bei der letzten Bundestagswahl Wahlkampf zu betreiben. Insofern wäre zumindest für den größeren Teil des Buches der Wahlkampf der „Getriebene“ und nicht die Politiker. Die treibenden Kräfte sind Parteien, Bundesländer und aufsteigende Politiker, welche sich profilieren wollen.

Besonders gut gefiel mir, wie Alexander die Rolle von Wolfgang Schäuble identifizierte (ab S. 135, Kp. 9). Ihn habe ich bisher eher an vielen Einzelschauplätzen wahrgenommen, und weniger als eine ganze Persönlichkeit, welche der Autor nun aus ihm machte. Es war mir natürlich immer klar, dass er nur eine Person ist, aber was ihn ausmacht, weshalb er an den einzelnen Schauplätzen wie agiert, ist mir beim Lesen dieses Kapitels erst richtig klargeworden.

Das Buch ist gut geschrieben, leicht verständliche Sprache gepaart mit einem fesselnden Schreibstil, weshalb das Buch in wenigen Stunden gelesen werden kann. Ereignisse und Verknüpfungen der verschiedenen Beteiligten werden analysiert und gut präsentiert. Wer die Ereignisse ein wenig in den Tageszeitungen oder Online-Nachrichten verfolgt hat, wird sich mehr Hintergrund-Informationen wünschen, aber gerade für diejenigen, welche sich wünschen, das Ganze noch einmal in Ruhe sortieren und überdenken zu können, wird in dem Buch genau das finden, was er sucht.

Um noch einmal auf meine anfängliche These zurückzukommen, dass die Filterblase so ausgeprägt ist, erlaube ich mir einen letzten Hinweis: Das Buch ist neutral geschrieben, es wird keines der häufig anzutreffenden Gut-Böse- oder Rechts-Links-Schemen bevorzugt. Weil aber die Leserschaft (und, wie ich hinzufügen möchte, auch ein großer Teil der medialen Welt der Schreiberlinge) bereits sehr stark in vorhandene Geleise eingefahren ist, darf das dann doch nicht verwundern. Es behält im vorliegenden Buch niemand seine weiße Weste; es wird aber auch kein Bashing betrieben, was heute eher selten anzutreffen ist.

Fazit:

Ein gut recherchiertes Buch, das viele Ereignisse und Verknüpfungen von Personen und Ereignissen in der deutschen Flüchtlingspolitik aufzeigt und erklärt. Es ist verständlich geschrieben und spannend aufbereitet. Der Titel ist allerdings unpassend und reißerisch gewählt; außerdem würde sich der Leser noch mehr Einblick in die Ereignisse wünschen, die sich tatsächlich hinter den Kulissen abgespielt haben und bisher noch nicht öffentlich zugänglich waren. Ich gebe dem Buch vier von möglichen fünf Sternen.

Buchtipp: Forderung

Forderung von John Grisham

Grisham, John, Forderung, Wilhelm Heyne Verlag München, 2018, 431S., Verlagslink, Amazon-Link

Vier junge Menschen haben sich optimistisch ins Jura-Studium gestürzt, um die Welt ein wenig besser hinterlassen zu können – und sehen sich nun als Opfer einer riesigen Verschwörung, als kleinste Zahnrädchen im Getriebe einer unerbittlichen Hochschulmafia. Die jungen Menschen mussten allesamt mehrere hunderttausend Dollar Schulden aufnehmen, um ihr Studium finanzieren zu können, und merken plötzlich, dass der Arbeitsmarkt viel zu klein ist, um die Unmengen an Jura-Absolventen so aufnehmen zu können, dass es ihnen möglich würde, diese Schulden abzuzahlen. Durch Recherchen finden sie heraus, dass eine ganze Reihe von diesen privaten Universitäten lediglich existiert, um eine gewisse Person reich zu machen und sich zugleich eine riesige Schar williger, da hoch verschuldeter, Juristen heranzuziehen. Als einer der Freunde aus Verzweiflung Selbstmord begeht, entwickeln sich die Dinge schneller, die drei verbliebenen Freunde beginnen, illegal als Anwälte zu arbeiten und versuchen gleichzeitig, belastendes Beweismaterial zu suchen, um die Verschwörung auffliegen zu lassen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt: Werden sie zuerst geschnappt, oder gelingt es ihnen rechtzeitig, das nötige Beweismaterial zu beschaffen?

Vieles erinnert an frühere Romane von John Grisham. Das Setting, der Wettlauf mit der Zeit, die Situation vor den Gerichten, und so weiter. Was allerdings auffällt, ist, dass der Roman nicht ganz so atemlos rasant aufgebaut ist, sondern Grisham sich bewusst Zeit nimmt, um die Handlung aufzubauen. In manchen seiner früheren Werken wird vieles unerwähnt gelassen und somit der Phantasie des Lesers übergeben. In „Forderung“ hingegen baut Grisham bewusst und mit großer Genauigkeit den Spannungsbogen auf. Was manche Leser deshalb langweilig fanden, hat mich hingegen überzeugt. Einziger Nachteil dabei ist, dass dadurch vieles vorhersehbar wird. Dies könnte man auch dadurch umgehen, indem der Leser zunächst auf mehrere falscher Fährten gesetzt wird und merkt, dass er sich nicht auf das Offensichtliche verlassen kann. Die „Forderung“ ist ziemlich simpel und linear aufgebaut, was dem Ganzen etwas an Spannung raubt. Ein wenig ist der Leser auch an die Kinderdetektive erinnert, die etwa bei Enid Blyton oder Thomas Brezina auftauchen. Vier Halbstarke entdecken, dass sie mitten in einen Kriminalfall hinein geraten sind, und versuchen, diesen Fall aufzuklären.

Hauptthemen des Buches sind die Habgier und die verschlungenen Wege des heutigen Finanzdschungels, welche ein Ausleben der Erstgenannten überhaupt erst so leicht ermöglichen. Hier zeigt sich Grishams Stärke besonders schön: Er zeichnet eine Story, die er mit vielen weiteren nachdenkenswerten Details ausbaut, und versucht mit Hilfe dieser Story echte Mängel unserer Zeit aufzudecken und bloßzustellen. Die Story entwickelt sich sehr schön; anders als andere Rezensenten, die das als langweilig empfanden, hat es mir besonders gut gefallen, dass man die Zeit hat, um die Charaktere kennenzulernen und dann hat man es auch mit realistisch dargestellten Personen zu tun. In früheren Büchern des Autors, etwa in Die Firma oder Der Pate hat man es mit einer derart rasanten und unsteten Geschichte zu tun, dass man vor lauter Spannung kaum hinterher kommt. Bei „Forderung“ hingegen wird dem Leser die Zeit gelassen, die Protagonisten ausführlich kennenzulernen und sich auch – zumindest teilweise – mit ihnen zu identifizieren. Das macht das Buch sehr sympathisch. Bei allen vier Studenten bekommt der Leser im Laufe der ersten etwa 100 Seiten eine ganze Menge an Einblicken in ihr Leben, ihre Vorstellungen und Motivationen. Gordy ist da schon tot. Er hatte seine Medikamente abgesetzt, ist durchgedreht und von der Brücke gesprungen. Schon die Reaktionen der drei Freunde Zola, Mark und Todd geben viel Aufschluss über ihr Leben, und Grisham hat sie sehr realistisch gezeichnet.

Der Schluss ist – das scheint bei John Grisham häufig zu sein – sehr ambivalent. Sie haben sich auf der Flucht ins Ausland abgesetzt und beginnen dort ein neues Leben. Doch irgendwo lauert immer noch ihre Vergangenheit. Sie haben sie selbst mitgebracht, weil sie diese immer in sich rumtragen. Für ein gutes Buch fand ich den Schluss insgesamt unbefriedigend, da es sehr abrupt endet. Es muss ja kein Happy-End sein, aber ein etwas gemütlicheres Ausklingen der Story hätte ich mir dann doch gewünscht. Ein Ende, welches mir als Leser die Zeit lässt, auch ans Ende zu kommen. Deshalb fand ich das schade.

Fazit:

Ein solides Buch, wie man es sich von John Grisham gewohnt ist, eine gut aufgebaute Story, die dem Leser die Zeit lässt, um an- und mitzukommen, aber leider ein allzu abrupter, unbefriedigender Schluss, der mich enttäuscht hat. Ich gebe dem Buch vier von möglichen fünf Sternen.

Buchtipp: L’Abri von Edith Schaeffer

Schaeffer, Edith, L’Abri, Oncken Verlag Wuppertal / Kassel, 5. Aufl. 1977, 205 S., Amazon-Link

Inzwischen zum vierten Mal habe ich nun Edith Schaeffers Buch „L’Abri“ gelesen. Jedes Mal berührt es mich wieder erneut zutiefst, zu lesen, wie eine Familie aus den Staaten in die Schweizer Alpen zieht, in ein kleines, abgelegenes Dorf, und plötzlich aus der ganzen Welt junge Menschen anzieht. Was für diese Menschen so attraktiv ist, sind zwei Dinge zugleich: Da waren Menschen, die sie ernst nahmen, mit all ihren Fragen, Zweifeln, Gedanken, sie einlud, alles zu sagen und ihnen half, den christlichen Glauben zu verstehen. Und dann war dieselbe Familie da, die ganz ohne Bettelbriefe, ganz ohne Spendenaufrufe, einfach Tag für Tag das Notwendige aus Gottes Hand erbat. Und bekam. Da wurde Gottes Größe für sie plötzlich lebendig. In diesem Leben und im Lieben. Auch mit dem ganzen Verstand.

Die Familie Schaeffer hat Mission mal ganz anders gemacht. Zunächst einmal haben sie sich nicht hingesetzt und geplant. Nein, sie haben sich auf den Weg gemacht und sich von Gottes Vorsehung Schritt für Schritt führen lassen. Nicht immer ganz einfach, denn es gibt da auch Widerstände. Am ersten Ort in den Schweizer Alpen bekehren sich zu viele populäre Katholiken, da kam plötzlich ein Bescheid, dass sie die Schweiz innerhalb von sechs Wochen zu verlassen hätten. So öffnet ihnen Gott – sozusagen im letzten Moment vor der Ausweisung – eine neue Türe in einem kleinen Dorf, weit abgelegen von jeglicher Stadtnähe. Dann ist es also ein Missionswerk, das nicht „zu den Menschen“ geht, sondern die Menschen zu sich kommen lässt. Und sie sind gekommen. Im Laufe der Jahre sind tausende von jungen Menschen nach L’Abri gekommen, haben am Familienleben teilgenommen und sich in abendlichen Diskussionen mit dem biblischen Weltbild befasst. Und nicht zuletzt haben sie auch nicht auf Zahlen gesetzt. Der einzelne Mensch zählt, nicht die Masse an Menschen, die kommen. Es waren immer nur gerade so viele aufs Mal da, dass alle zu Wort kommen konnten, und gerade das war auch so wichtig. Es war ein Missionswerk für junge denkende Menschen, von denen viele schon längst mit dem christlichen Glauben abgeschlossen hatten. Wer kann denn sowas heute noch glauben? Edith und Francis Schaeffer konnten – und wussten es auch sehr anschaulich zu erklären. Außerdem war ihr ganzes Leben eine große Erklärung des Christentums.

Bei jedem erneuten Lesen dieses Buches beginne ich zu beten: Herr, schenke uns heute noch mehr L’Abris! Noch mehr Schaeffers! Und noch mehr Türen und Gelegenheiten, um der jungen Generation so klar und deutlich die wahre Wahrheit nahe zu bringen. Um es mit Francis Schaeffer zu sagen: Der einzige Grund, weshalb jemand Christ werden soll, ist der, dass das Christentum wahr ist. Ich empfehle das Buch sehr gerne weiter und gebe ihm fünf von fünf möglichen Sternen.

Wer sich noch näher für die Familie Schaeffer interessiert, findet hier (Link) ein 15-seitiges PDF, das ich zu Leben und Werk von Francis August Schaeffer geschrieben habe. In den nächsten Wochen werden noch ein paar weitere Blogposts zu Büchern von und über Schaeffers und vielleicht auch mehr folgen.

Buchtipp: Washington – A Life

Chernow, Ron, Washington´- A Life, Penguin Books London, 2010, Kindle-Ausgabe, 904S. Amazon-Link

Wenn ein Autor es schafft, seine Leser über 900 Seiten hinweg derart zu fesseln, dann muss der Inhalt direkt aus dem Leben stammen. So viel Spannung kann sich kein Romanautor ausdenken. So erging es mir bei dieser vorbildlichen Biographie Washingtons von Ron Chernow. Schon auf den ersten Seiten holt Chernow den Leser in seinem Alltag ab und entführt ihn in eine Zeit und Welt, die ihm enorm vertraut erscheint, obgleich über 200 Jahre und ein ganzer Ozean dazwischen liegen.

Ron Chernow ist kein Historiker; und vielleicht liegt gerade darin seine Stärke, die ihm hilft, so zu schreiben, dass man sich das Beschriebene leicht vorstellen kann. Sofort ist der Leser zum Zeitgenossen im Haushalt George Washingtons geworden. Er erlebt die schwere Kindheit des Jungen mit, der mit 11 Jahren seinen Vater verliert und dessen Mutter unter der Last ihrer sich dadurch ergebenden Verantwortung schier zerbricht, was sich auch in ihrer überkritischen Haltung allen gegenüber zeigt. George seinerseits konnte seine Mutter nicht wirklich lieben lernen, da sie an allem von ihm etwas auszusetzen hatte, und entwickelte eine distanzierte Beziehung zu ihr, was sich etwa in der Anrede in Briefen zeigte, wenn er sie als „Honored Madam“ (also „Geehrte Dame“) ansprach. Er selbst entwickelte eine große Sensibilität gegenüber Kritik und suchte ein Leben lang nach Anerkennung.

Washington hatte keine höhere Schulbildung, vieles muss er sich selbst beigebracht haben. Sein Leben lang hatte er sich zur Strategie gemacht, mit großer Kraft an allen seinen erkannten Schwächen zu arbeiten, bis er sie beseitigen konnte. Doch eine seiner ganz großen Stärken war es, dass er sich sehr schnell in neue Informationen und Ideen hineindenken konnte. Das gab ihm immer wieder einen Vorsprung, den er sich zunutze machen konnte. Über inhaltliche Lektionen aus Washingtons Leben, die ich beim Lesen gelernt habe, möchte ich ein anderes Mal noch etwas expliziter schreiben.

Ich habe mich gefragt, was den Schreibstil von Ron Chernow so spannend, unterhaltsam und lehrreich zugleich macht. Vermutlich sind es zwei Komponenten, die sich gegenseitig verstärken. Zum Einen ist Chernow mit der seltenen Kombination aus einem sehr klaren Verstand und einer großen Vorstellungskraft ausgestattet. Er kann aus den Abertausenden von Seiten, die Washingtons schriftliches Erbe hinterlassen hatte, das Wichtige extrahieren und so aufbereiten, dass sich der Leser des 21. Jahrhunderts dabei etwas vorstellen kann. Zum Anderen nutzt er so extensiv die verschiedensten Arten von Inhalten und verknüpft diese auf eine so passende Art, dass es gar nicht auffällt. Er zitiert Briefe, erzählt Geschichten aus Washingtons Leben, setzt Zahlenreihen in Leben um, und hat ein großes Gespür für die Sprache unserer Zeit. Gleich zu Beginn des Buches setzt er den Leser in Kenntnis, dass er um der Verständlichkeit willen manche Briefzitate an das Englisch unserer Tage angepasst hat – und das ist genau richtig so. Die Biographie ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern für den interessierten Laien unserer Tage geschrieben. Wer die genauen Zitate im Englisch Washingtons lesen möchte, findet immer die Quellenangabe dazu und kann es in der großen Werksausgabe selbständig nachlesen.

Die Biographie von Chernow ist keine Lobrede auf George Washington. Manchmal hat man das Gefühl, dass manche Biographien vor allem dazu dienen sollen, die großen Taten des „Helden“ in Szene zu setzen. Davon ist hier nichts zu sehen. Washington wird als Kind seiner Zeit dargestellt, und vor allem als Mensch, der sich im Laufe der Jahre – wie jeder von uns – verändert. Gerade wenn es um die Sklavenfrage geht (Washington besaß eine große Tabakplantage, die er später mit Weizen bepflanzen ließ; entsprechend hatte er auch eine stattliche Anzahl von Sklaven) oder auch um den Glauben (beides sind für mich besonders spannende Themen), ist Chernow ehrlich, beschönigt nichts und hält sich strikte an die eigenen Aussagen Washingtons. Der Autor wirbt nicht um Verständnis für seinen Protagonisten, sondern lässt ihn stehen – in all seinem Facettenreichtum und seiner Widersprüchlichkeit.

Sehr schön fand ich auch, wie Chernow beschrieb, dass Washington so ein typischer Amerikaner war, der sich selbst (oder besser gesagt: Sein „Image“ in der Öffentlichkeit) geschaffen und gepflegt hat. Und immer wieder überarbeitet und daran herumgefeilt. Das hat mich an die Benjamin-Franklin-Biographie von Walter Isaacson erinnert, in welcher es auch darum geht, dass die frühen Amerikaner Erfinder ihrer selbst waren. Auch bei Washington sind es seine eiserne Disziplin und seine Tugenden, welche ihm den nötigen Halt gaben, um sich selbst immer wieder neu zu erfinden und weiterzuentwickeln. Der erste Präsident der USA wusste bis zu seinem Tod, dass er noch unfertig war und gab sich große Mühe, sich zu verändern.

Fazit:

Ron Chernow legt hier eine meisterhaft geschriebene Biographie vor, die in verständlicher Sprache und mit großer Vorstellungskraft und klarer Treue zu den Tatsachen ein Bild der Vielseitigkeit George Washingtons zeichnet. Es ist kein Zufall, dass Chernow mit dieser Biographie den Pulitzer-Preis 2011 gewonnen hat. Er hat damit ein Beispiel gegeben, an welchem sich künftige Autoren von Biographien orientieren können. Ich gebe dem Buch fünf von fünf Sternen.

Buchtipp: Die sieben Wunder des Kreuzes

Van de Kamp, Wilkin, Die sieben Wunder des Kreuzes, Glaubenszentrum e. V., Bad Gandersheim, 2. Aufl. 2014, Amazon-Link

Auf www.jesus.de ist meine Rezension zu “Die sieben Wunder des Kreuzes” erschienen: https://www.jesus.de/wilkin-van-de-kamp-die-sieben-wunder-des-kreuzes/

Zusammenfassung:

Wilkin van de Kamp beschäftigt sich in diesem Buch mit den letzten 18 Stunden vor dem Tod Jesu und beleuchtet jedes Ereignis dieser Zeit sehr anschaulich und praktisch. Jedes Kapitel endet mit einem Gebet, um das Gelesene zu verinnerlichen.

Fazit:

Ich finde das Buch sehr gut, leicht verständlich und mit viel Tiefgang geschrieben. Allen Lesern, welche sich noch mehr mit Jesus und Seinem stellvertretenden Leiden und Sterben am Kreuz beschäftigen möchten, sei es sehr empfohlen. Ich gebe dem Buch fünf von fünf Punkten.

Buchtipp: Killer City

Hohlbein, Wolfgang, Killer City, Bastei Lübbe AG, Köln, 2018, 494S. Verlagslink, Amazon-Link

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.

Wolfgang Hohlbein war mein Einstieg in die Welt der Fantasy-Romane. Ich erinnere mich noch ganz genau an die ersten Bände, die ich von ihm und Heike gelesen hatte. Märchenmond. Schattenjagd. Spiegelzeit. Unterland. Katzenwinter. Dreizehn. Und viele viele mehr. In der Schulbücherei gab es mehrere Regalbretter vom Ehepaar Hohlbein, manche auch nur von einem der beiden. Und dann waren da diese durchlesenen Nächte mit der Taschenlampe. Wolfgang Hohlbein führte mich später zu John Grisham, Stephen King, Dean Koontz und einigen mehr.

Und dann war da noch die erste Buchlesung, die ich in einem Basler Bücherladen am Aeschenplatz miterlebte. Eine leise Stimme, zwei unsicher umherirrende Augen. Ein paar Absätze aus seinem neusten Buch. Aufgeblüht ist der Autor dafür am Ende der Lesung, im Kontakt mit den einzelnen Menschen. Auch das ist wohl schon deutlich über 15 Jahre her. Ich kann es nicht mehr so genau zeitlich einordnen, aber es hat mich fasziniert, einen Bestseller-Autoren mal so zu erleben.

Dann gab es eine längere Pause, da mich irgendwann andere Autoren und neue Themen noch mehr interessierten. Bis ich vor Kurzem in einer eMail mal wieder über einen bekannten Namen stolperte: Wolfgang Hohlbein. Killer City sein neuster Roman. Thriller. Messer-Morde. Ein interessanter Protagonist. Mal sehen, wie Wolfgang Hohlbein heutzutage schreibt. Was wohl gleich geblieben ist? Was sich verändert hat?

Die Geschichte besteht aus zahlreichen Kapiteln, welche sich abwechselnd in der Gegenwart (Chicago 1893 bei der Weltausstellung) und in der Vergangenheit des Protagonisten Thornhill, in welcher dieser noch Boy genannt wurde. In der Schlacht von Gettysburg war Thornhill ein Zwölfjähriger, der miterleben musste, wie all seine Mannschaft aufgerieben wurde. Kurz bevor er meinte, auch sterben zu müssen, übergab ihm ein im Sterben liegender Indianer ein Geschenk: Die Gabe, sein eigenes Leben durch Mord an schuldigen Menschen zu verlängern. Damit ist die Szene gesetzt, das Thema des Buches gegeben, und der Rest, die weiteren 400 Seiten, ein rasantes Hin-und-Her, das Elemente von Action-, Western-, aber auch Ninja-Filmen enthält. Überhaupt hatte ich die meiste Zeit den Eindruck, eine weitgehend zu ausführliche Nacherzählung eines drittklassigen Actionfilmes zu lesen. Es werden keine Gedanken zu Ende gebracht, sondern ständig neue aufgeworfen, sodass der Eindruck entsteht, ungefähr jedes Thema irgendwann mal berührt zu haben, ohne sich auch nur mit einem davon beschäftigt zu haben.

Die das Buch bestimmende Frage ist die nach der Zulässigkeit selbst ausgeübter Rache. Thornhill hat als Junge zusehen müssen, wie seine Geliebte vergewaltigt und schwer verletzt wurde und statt sie dann zu beschützen, beschloss er, dass ihr Leben dadurch nicht mehr lebenswert sei und beendete es kurzerhand. Der Rest seines Lebens ist von der Rache geprägt, alle 12 Personen töten zu müssen, welche bei der damaligen Tat an seiner Geliebten beteiligt gewesen waren – und darüber hinaus vieler mehr, die der Dämon, den er vom Indianer bekommen hatte, als Schuldige bezeichnete. Damit kommt ein zweites großes Thema ins Blickfeld, dem Hohlbein Raum gibt – und doch mehr Fragen als Antworten zurücklässt. Ich finde es gut, dass es Romane gibt, welche die Frage nach Dämonen stellen. Am Ende bleibt dann aber Thornhills Frage offen, ob es diese überhaupt gibt. Eine Irreführung durch den Autor, der am Schluss dann doch nicht den Mut hat, eine echte Antwort zu geben. Schade!

Interessant fand ich jedoch die historischen Anspielungen auf die Ereignisse des 19. Jahrhunderts. Da mich Geschichte interessiert, habe ich mir eine Reihe von Notizen gemacht, denen ich noch nachgehen will. Mein bereits schon vorhandenes Interesse an der Geschichte wurde dadurch zusätzlich gestärkt. Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Punkt für das Buch von Hohlbein.

Insgesamt überwiegt aber die Enttäuschung über das Buch, denn ich war mir gerade von Hohlbein in den verschiedensten Genres, in denen er sich seit Jahrzehnten bewegt, durch seine in meiner Teenagerzeit gelesenen Bücher Hochwertigeres gewohnt. Nach den ersten 100 Seiten war der restliche Verlauf der Geschichte ziemlich durchsichtig. Der Geschichte fehlt ein Gesamtkonzept, eine Richtung, in die sie sich entwickeln kann. Es ist eher eine Geschichte von einem ständig zweifelnden Mörder, der nicht weiß, wer er ist, und was er will. So scheint es auch ein Roman eines zweifellos begabten Autors zu sein, der nicht weiß, was seine Geschichte bezwecken oder auslösen soll. So kann sie letztlich auch nichts bewirken. Manchmal schien mir, dem Autor fehlte der Mut, sich auf eine Aussage festzulegen, weshalb am Ende ungefähr so ziemlich alle möglichen und unmöglichen Aussagen drinstehen.

Fazit:

Ein rasanter Roman, der sehr viele Themen anschneidet, aber letztlich keine Aussagen macht. Die Themen sind an sich interessant, aber der Leser wird damit sich selbst überlassen. Ein positiver Punkt sind die zahlreichen Anspielungen auf die US-Geschichte des 19. Jahrhunderts. Ich gebe dem Buch drei von fünf Sternen.

Buchtipp: 1968 – Der lange Protest

Vinen, Richard, 1968: Der lange Protest, Piper Verlag GmbH München, 2018, Verlagslink, Amazon-Link

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar, das ich im Kindle-Format lesen durfte.

50 Jahre nach 1968 blickt Richard Vinen auf die Zeit um 1968 zurück. Der Autor ist ein britischer Historiker, der am King’s College in London unterrichtet. Wenn er von ’68 spricht, dann ist da ein ganzes – ja, gar ein langes – Jahrzehnt gemeint: Mitte 60er bis Ende der 70er-Jahre geht sein ’68. Richard Vinen versucht, eine internationale Geschichte der 68er-Bewegung zu schreiben, indem er auf verschiedene Länder blickt und dort jeweils die wichtigsten Vorkommnisse dieser Zeit beschreibt.

Doch wie lässt sich 1968 definieren? Am Ende eines langen ersten Kapitels über die inneren Widersprüche der Bewegung fasst Vinen zusammen: „Das Phänomen bestand aus mehreren Komponenten: einmal dem Generationenaufstand der Jungen gegen die Alten, dann dem politischen Aufstand gegen Militarismus, Kapitalismus und die Übermacht der USA und schließlich noch einem kulturellen Aufstand, der sich in der Rockmusik und dem dazugehörigen Lebensstil manifestierte.“ (Pos. 388) Es wird schnell klar, dass die Definition entweder noch stärker eingegrenzt werden müsste oder sonst praktisch alles in dieser Zeit umfassen könnte. Es werden konservative Kräfte erwähnt und ebenso als 68 betitelt wie deren revolutionäre Gegner. In einem gewissen Sinne muss Vinen dies tun, da er seine These untermauern will, dass 68 ein weltweites Phänomen ist.

Wenn man dieser These folgt, so macht er einen sehr guten Job und klärt den Leser über die internationalen Beziehungen der Bewegung auf. Allerdings schafft er es meiner Ansicht nach nicht, diese These ausreichend zu begründen, sodass jemand, der die Bewegung als zeitlich und räumlich begrenzter betrachtet, vermutlich nicht überzeugt würde. Doch da es gut möglich ist, dass der Autor dies auch gar nicht erst beabsichtigte, lässt sich dieser Punkt größtenteils vernachlässigen.

Da ich das Buch auf deutsch las und keine Möglichkeit hatte, das englische Original einzusehen, kann ich hier auch nur auf die Übersetzung eingehen. Es finden sich öfters ziemlich lange Sätze mit mehrfacher Verneinung und zahlreichen Nebensätzen, die es dem Leser schwer machen, dem Gedankengang zu folgen. Ich bin mir da schon eine Menge gewohnt, aber ich vermute, dass es gerade für Menschen, die nicht ganz so viel und in die Breite lesen, ziemlich herausfordernd ist.

Gut gefallen hat mir, wie differenziert der Autor mit der Bewegung umgeht. Anders als man sich das sonst gewohnt ist, gibt es keine Heldenverehrung, sondern nüchterne Berichte, die auch vor den dunklen Kapiteln der Zeit nicht halt machen. Interessant, da mir das neu war, fand ich etwa den Vergleich von Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit. Vinen berichtet außerdem, dass Dutschke öffentlich und privat sehr gegensätzlich wahrgenommen wurde. Auch das Verhältnis Dutschkes zur Gewalt wird nicht verschwiegen: „1977 verurteilte Dutschke den Terrorismus einiger ehemaliger Mitstreiter, er rief auch nie zu Aktionen gegen Menschen auf; im Gegensatz zu Aktionen gegen Sachen. Doch allein Dutschkes intensive Art konnte wie ein Aufruf zu Gewalt wirken, unabhängig von den Worten, die er verwendete. Außerdem wirkten seine Äußerungen Ende der 1960er-Jahre oft doppeldeutig.“ (Pos. 3212)

Alles in allem ist es ein spannendes Buch, das die Hintergründe der 68er-Bewegung bis hin zum Linksterrorismus in den westlichen Ländern aufklärt und eine interessante These vertritt, die man allerdings noch besser begründen sollte. Ich gebe dem Buch vier von fünf möglichen Sternen.