Ein neues Lesejahr beginnen

Ich habe das letzte Jahr beendet, indem ich ein paar der Bücher aufgezählt habe, die mich letztes Jahr besonders beschäftigt haben. Für dieses Jahr habe ich auch schon einige Ideen, die allerdings mehr Ideen sind und an die ich mich nicht sklavisch binden werde. Aber ich möchte mal kurz ein paar Rubriken aufzählen, in denen ich Ideen habe und damit auch auf die letztjährigen Rubriken eingehen. Welche Rubriken man nimmt und wie man die Bücher darin einteilt, ist eine Geschmackssache. Ebenso natürlich, was man überhaupt lesen will. Wobei es meiner Meinung nach ein paar gute Tipps gibt, die helfen, dass man ein wenig über den Tellerrand blicken kann. Was lese ich für Rubriken?
1. Ich lese die Bibel.
Regelmäßig. Täglich. Vor allem anderen. Sie ist das Erste, was ich lese, wenn mein Tag beginnt. Meist zu einer Tasse Kaffee, wenn unser Sohn gerade ein wenig für sich am Spielen ist. Manchmal auch erst im Laufe des Vormittags, wenn der Tagesstart etwas schwierig war. Aber vor jeder eMail und vor jedem anderen Buch – sei es digital oder analog. Seit 2,5 Jahren lese ich sie nach dem Vorschlag von James Gray. Das ist sehr herausfordernd und oft nicht einfach. Nicht jeden Tag schaffe ich meine geplanten vier Kapitel. Aber langsam und sicher geht es voran.
2. Ich lese Bücher zum Predigen.
Seit ich 2007 zum ersten Mal in einer Gemeinde „so richtig“ gepredigt habe (vorher waren es Andachten, Kinderstunden und manches mehr), lese ich jedes Jahr ein- bis zweimal das Buch von D. Martyn Lloyd-Jones, „Die Predigt und der Prediger“. Zusätzlich schaue ich, dass ich jedes Jahr ein bis zwei andere Homiletiken lese. Leider gibt es in dem Bereich entweder eher wenig Gutes, oder ich bin durch Lloyd-Jones derart verwöhnt, dass mir alles andere zu wenig hilfreich erscheint. Die m.E. Immer noch besten Bücher sind in diesem Blogpost vorgestellt. Wer noch mehr Empfehlungen hat, darf gerne einen Kommentar hinterlassen.
3. Ich lese Romane.
Ich muss zugeben, dass ich diese Sparte zu lange vernachlässigt habe. Lange habe ich weniger als eine Handvoll Romane pro Jahr gelesen; die meisten davon nur für die theologische Auseinandersetzung, da sie als „christlich“ angepriesen wurden. Das war ein Fehler, denn Romane sind viel mehr als nur das. Letztes Jahr habe ich einige „klassische“, also „ältere“ Romane gelesen; so nebst Tolkiens „Herr der Ringe“ etwa die Lord-Peter-Wimsey-Serie von Dorothy L. Sayers (ein wunderbares Werk übrigens; jeder Band darin erzählt eine eigene Geschichte; und doch ist alles zusammen in eine große Meta-Geschichte eingepackt, die sehr berührt) und die großen Romane von Fyodor Dostojewski. Für dieses Jahr plane ich, mit Jane Austen und Lew Tolstoj fortzufahren; suche aber noch ein paar neuere Romane. Gerne lese ich Bücher von Stephen King, dem Ehepaar Heike und Wolfgang Hohlbein oder John Grisham. Daneben dürfen auch andere Autoren und vor allem Romane von diesen vorgeschlagen werden, die in den letzten etwa 10 Jahren verfasst wurden. Bei Romanen bitte immer eine gute Begründung, warum ich genau dieses Buch lesen solle. Ohne (sinnvolle) Begründung kann ich damit nichts anfangen.
4. Ich lese Biographien.
Hierzu gehören gerade auch Biographien christlicher Prediger, Evangelisten, Missionare, etc. dazu, aber nicht nur. Auch Politiker, Philosophen und Wissenschaftler finde ich total spannend. Dieses Jahr werde ich die Benjamin-Franklin-Biographie von Walter Isaacson lesen; dazu jene von Tim Jeal über den Gründer der Pfadfinderbewegung, Lord Baden-Powell (BiPi). Weitere über deutsche und amerikanische Politiker habe ich in Planung, werde mich dafür aber kurzfristig entscheiden. Ein langjähriger Wunsch ist die zweibändige Biographie George Whitefields, die Arnold Dallimore geschrieben hat. Bisher hat mich der Preis immer abgeschreckt. Mit größter Wahrscheinlichkeit werde ich mir auch mal eine Biographie von Donald Gee, dem Bibellehrer frühen Pfingstbewegung, beschaffen.
5. Ich lese wissenschaftliche Bücher.
Mein „großes“ wissenschaftliches Thema letztes Jahr war von meinem Wunsch geprägt, Albert Einstein und dessen Theorien besser zu verstehen. Hierzu habe ich zuerst die Einstein-Biographie von Albrecht Fölsing gelesen. Bald wurde mir klar, dass das ein guter Einstieg ist, aber noch nicht ausreicht, um die Materie zu stemmen. Deshalb habe ich dann „Eine kurze Geschichte der Zeit“ von Stephen Hawking und „Gott und die Gesetze des Universums“ von Kitty Ferguson gelesen. Beide Bücher sind sehr spannend, wobei man gleich sagen muss, dass man da nicht allem zustimmen muss, was sie schreiben. Für dieses Jahr plane ich mit großer Sicherheit, Thomas S. Kuhns „The Structure of Scientific Revolutions“ zu lesen. Vielleicht gibt es dazu auch mal noch einen Blogpost. Am Rande möchte ich übrigens noch einen Verweis auf Vern Sheridan Poythress’ kostenlos als PDFs herunterladbare Bücher anbringen: Hierist enorm viel wertvoller Lesestoff zu finden. „Logic“, „Redeeming Science“, „Redeeming Sociology“ und „In the beginning was the Word“ habe ich letztes Jahr sehr zu lesen genossen. Hier wird wohl das eine oder andere weitere auch noch auf meine Leseliste wandern.
6. Ich lese philosophische Bücher.
Wie schon am Anfang bemerkt, ist das mit den Rubriken so eine Sache. Biographien, Wissenschaft, Geschichte, Philosophie und Theologie haben alle so überlappende Themen und Bücher. Deshalb fällt es mir auch oft schwer, Bücher genau dort einzuordnen und nicht gleichzeitig in zwei oder drei Rubriken. Letztes Jahr hat mich ein Philosoph begleitet, der mich schon seit vielen Jahren fasziniert hat: Friedrich Nietzsche. Ich habe seine wichtigsten Werke in der kostenlosen Kindle-Ausgabe gelesen. Besonders angetan hat es mir mal wieder die fröhliche Wissenschaft. Auch der Zarathustra ist sehr bewegend geschrieben. Dieses Jahr werde ich mich mal wieder an Immanuel Kant versuchen; das ist zumindest mal so geplant. Wie weit ich damit komme, ist nicht gesagt; es ist mir nicht einmal so wichtig, weil es mir mehr darum geht, mich in das Denken anderer Menschen hineinversetzen zu können und zugleich auch, weil es Literatur ist, die mich herausfordert.
7. Ich lese theologische Bücher.
Das ist vermutlich für die meisten Leser meines Blogs am selbstverständlichsten. Letztes Jahr war meine größte Herausforderung die vier Bände der „systematischen Theologie“ von David F. Wells. Es ist keine ST im herkömmlichen Sinn, sondern sie wird anhand der Veränderungen in der Kultur erarbeitet. Diese Bände sind eigentlich ziemlich kurz (zumal im Vergleich mit anderen Bänden, die ich gelesen habe), aber so herausfordernd geschrieben, dass ich das Buch manchmal nach wenigen Minuten des Lesens zur Seite legen musste um darüber nachzudenken und nicht selten auch zu beten. Für dieses Jahr plane ich, die Biblische Dogmatik von Wayne Grudem mal wieder zu lesen (mit einem Kapitel pro Woche kommt man in einem Jahr fast hindurch). Eventuell kommt John Frame noch dazu oder etwa von Don Carson. Und dann muss natürlich auch noch ein Buch zur Apologetik in die Liste, eventuell von Richard Swinburne oder William Lane Craig. Aber auch hier werde ich mich eher kurzfristig festlegen.
Und jetzt bin ich auf Deine Leseliste und Empfehlungen gespannt.

Schuld und Sühne

Fjodor M. Dostojewski, Schuld und Sühne, 573 Seiten, kostenloses Kindle-Buch. https://www.amazon.de/Schuld-S%C3%BChne-Fjodr-Michailowitsch-Dostojewski-ebook/dp/B004UBCWK6/
Vor 150 Jahren (1866) veröffentlichte Fjodor M. Dostojewski sein Buch „Schuld und Sühne“, das von Thomas Mann als „den größten Kriminalroman aller Zeiten“ bezeichnet wurde. Es ist wirklich ein faszinierendes Werk der russischen Weltliteratur, das an Aktualität nichts eingebüßt hat. Dostojewski lotet die Grenzen der Moral aus, und zwar in gekonnter Weise, psychologisch und schriftstellerisch exzellent.
Ich bin lange vor den großen russischen Schriftstellern zurückgeschreckt und habe diese immer noch etwas weiter hinausgeschoben. Der Stil ist etwas eigen und Gewöhnung ist vonnöten. Als Marcus Hübner auf seinem Blog die Serie „Dostojewski lesen“ begonnen hat, fand ich das spontan eine gute Idee. Er bespricht wochenweise Kapitel der „Brüder Karamasow“. Hier muss ich zugeben, die ersten 100 Seiten fand ich schwierig, weil mir der Schreibstil Dostojewskis fremd war. Doch dranbleiben lohnt sich – das Buch hat mich gepackt und ich hatte es in zwei Monaten komplett durch. Vielleicht werde ich dazu auch noch mehr schreiben.
In „Schuld und Sühne“ geht es um einen Studenten, Rodion Raskolnikow, der sehr klug ist, aber leider auch sehr arm, und deshalb sein Studium nicht zu Ende finanzieren konnte. Nun lebt er in St. Petersburg, häuft sich einen Schuldenberg an, den er nicht bezahlen kann, und hofft auf finanzielle Unterstützung von zu Hause.
Ziemlich am Anfang des Buches lernt er einen ehemaligen Beamten kennen, der durch seine Trunksucht ebenfalls verarmt war, so sehr verarmt, dass seine Tochter Sonja auf den Strich gehen muss, sich zu prostituieren, um so die Familie über Wasser halten zu können. Kurz darauf erhält er einen Brief von seiner Mutter, in dem sie ihm berichtet, dass seine Schwester Dunja einen deutlich älteren aber vermögenden Mann heiraten wolle. Rodion vermutet, dass sie diesen hauptsächlich deshalb heiraten wolle, um ihn, Rodion, finanziell besser unterstützen zu können. Er empfindet diesen Schritt als demjenigen Sonjas sehr ähnlich.
Die Haupthandlung des Buches betrifft jedoch etwas anderes. Rodion hat eine fixe Idee, welche er in einem Zeitschriftenartikel dargelegt hatte: Wenn jemand, der ein seltenes Genie ist, in seinem Tun und seiner Zukunft bedrängt würde, so habe dieser ein Recht, so zu handeln, dass er das umsetzen kann, wozu er gemacht sei. So hätte etwa ein Napoleon das Recht gehabt, Menschen aus dem Weg zu schaffen, die versucht haben wollten, seine Zukunft zu verhindern. Da Rodion sich selbst für ein solches Genie hält, will er wissen, zu welcher Sorte Mensch er gehört. Er sieht da zwei Sorten: Die Menschen, also diese seltenen Genies, und den Rest der Menschheit nennt er „Läuse“. Um herauszufinden, was er ist, will er einen Mord begehen. Diesen verübt er an einer alten Frau, namentlich seiner Pfandleiherin, bei welcher er schon zweimal Pfand für Gegenstände bekommen hatte. Da die Schwester der Pfandleiherin im falschen Moment zu ihr kommt, nämlich kurz nach dem Mord, aber noch bevor Rodion das Haus verlassen konnte, muss auch sie dran glauben.
Dieser Mord lässt ihn nicht mehr los, das Gewissen meldet sich, eine Krankheit bricht aus, Rodion ist mehrere Tage bewusstlos, in den Zeiten, in welchen er wach ist, ist er immer unruhig. In der Zwischenzeit waren seine Mutter und Schwester zu Besuch gekommen. Es stellt sich heraus, dass der Zukünftige seiner Schwester ein ungehobelter Rüpel ist, der die Armut der Familie ausnutzen wollte, um eine demütige, ihn bewundernde Frau zu bekommen. Die Sache eskaliert schnell und die Verlobung wird aufgelöst.
Rodion ist sich nun beständig unsicher: Wieviel weiß die Polizei? Könnte sein Artikel in der Zeitschrift ihn verraten? Wie kann er den Verdacht von sich ablenken? Über diesem ständigen Grübeln wird er immer sehr schnell aufgebracht und lenkt auch öfter mal den Verdacht auf sich. Nach einigem Hin und Her stellt sich dann heraus, dass er tatsächlich verdächtigt wird. Auf viel Zureden von verschiedenen Seiten meldet er sich am Schluss freiwillig und gesteht die Tat. Einsichtig wird er nicht, dass er dadurch schuldig geworden ist.
Das Happy End zeichnet sich im Arbeitslager in Sibirien ab. Die treue Sonja, die ihn dorthin begleitet, wird ihm zur besten Freundin und mit der Zeit auch zur Geliebten. Eine große Frage bleibt offen: Wird er am Ende doch noch gläubig?
Ich meine, dass dies eine Schwäche des Buches ist. Dostojewski liebt es, sich in den finsteren Abgründen der menschlichen Seele aufzuhalten. Der Glaube ist etwas Wichtiges bei ihm, aber am Ende der Geschichte(n) bleibt häufig ein schaler Geschmack zurück – es fehlt etwas. Die Auflösung der größten und wichtigsten Frage im Leben eines jeden Menschen.
Davon abgesehen ist es ein großartiger Roman – Thomas Mann ist wohl zuzustimmen: Es ist zumindest einer der größten und besten Kriminalromane.

Bibliothek des Weltliteratur 3: Homers Odyssee

Schon wieder Homer? Mag sich der Leser fragen, der gut aufgepasst hat. Im letzten Monat bin ich kurz auf Homers Buch Ilias eingegangen. Die Odyssee ist gewissermaßen der Nachfolgeband der Ilias. Und dann doch auch wieder nicht. Es sind beides eigenständige Bücher, bei denen jeweils andere Personen und Ereignisse im Zentrum stehen. Ist Odysseus in der Ilias eine zwar wichtige, aber dennoch eher nebensächliche Figur, rückt er in der Odyssee in den Mittelpunkt. Die Ilias hört auf, bevor der Trojanische Krieg zu Ende ist. Man weiß noch nicht, wie er ausgeht. In der Odyssee erfährt man davon – allerdings erst nach einer Weile.
Die Odyssee ist spannend geschrieben – und zuweilen auch ein wenig verwirrend. Das ist Absicht, es gehört zu Homers Schreibstil, dass er gern mit Rückblicken und Parallelhandlungen arbeitet. So ist das Buch nicht linear aufgebaut, sondern eher wie ein Krimi, wo auch oft mit Rückblenden gearbeitet wird.
Am Anfang der Geschichte ist Odysseus auf der Insel Ogygia, wo ihn die Meernymphe Kalypso in einer Art Gefangenschaft hält. Bereits seit sieben Jahren befindet er sich dort, als die Götter auf dem Olymp beschließen, Odysseus soll befreit werden und nach Hause zurückkehren können. In der Zwischenzeit ist Telemachos, der Sohn von Odysseus, in Ithaka. Seine Mutter Penelope wird von vielen Männern bestürmt, die sie heiraten wollen. Sie jedoch will auf ihren Mann Odysseus warten. Die Göttin Pallas Athene geht nun zu Telemachos und erklärt ihm, dass sein Vater bald nach Hause kommen werde. Sie macht ihm damit Mut, seine Mutter weiterhin zu unterstützen und treu auf Odysseus zu warten.
Dann schickt der Göttervater Zeus seinen Boten Hermes los, um Kalypso klar zu machen, dass sie jetzt endlich Odysseus loslassen muss. Endlich lässt sie ihn ziehen. Odysseus baut sich ein Floß, mit dem er das Meer durchqueren will. Doch der Meeresgott Poseidon schickt einen Sturm – und das Floß kentert. Mit letzter Mühe kann sich unser Held auf das Festland Scheria retten. Dort ist die Heimat der Phaiaken. Er trifft Nausikaa, die Tochter des Phaiakenkönigs Alkinoos. Sie nimmt ihn in das Vaterhaus mit und damit beginnt der Hauptteil der Geschichte, nämlich die Erzählungen der Irrfahrt von Odysseus. Nun berichtet er von seinen Erlebnissen, die er mit Riesen, Zauberinnen, Sirenen, Rindern oder auch mal mit der griechischen Unterwelt, dem Hades, gemacht hat. Dieser Teil ist sehr unterhaltsam und bisweilen auch ein wenig spöttisch zu lesen.
Ab dem 13. Teil des Buches wird die Rahmenhandlung wieder aufgenommen. Odysseus ist nun zu Ende mit seiner Erzählung und wird nach Ithaka zu seiner Familie gebracht. Doch – Moment mal, da kommt er nicht einfach hin. Dort ist nämlich eine ganze Horde von Freiern, die noch immer seine Frau Penelope belagern. Odysseus ist noch nicht stark genug, um es mit ihnen aufzunehmen. So kommt Pallas Athene ein weiteres Mal und verwandelt ihn in einen Bettler. Als solcher kehrt er in sein eigenes Haus zurück, wo ihn niemand erkennt, stärkt sich und bereitet sich darauf vor, die Freier zu bekämpfen.
Am Ende besiegt er seine Feinde mit dem Bogen und gibt sich nun endlich auch seiner Frau zu erkennen. Diese jedoch will ihm erst gar nicht glauben. Sie wendet eine List an, indem sie befiehlt, man möge ihm das Bett, das inzwischen draußen stünde, vorbereiten. Daraufhin ist er gekränkt, weil er davon ausging, dass sein Bett noch immer an der alten Stelle war: „O Frau! Wahrhaftig! Ein herzkränkendes Wort hast du da gesprochen! Wer hat mir das Bett woanders hingestellt? Schwer wäre es, und wäre er auch noch so kundig, wenn nicht ein Gott selbst käme und es nach seinem Willen leicht an eine andere Stelle setzte. […]“(S. 301) Daran erkannte sie, dass es tatsächlich ihr Odysseus war – die Rückkehr ist nach langen 20 Jahren endlich vollendet.
Die Odyssee ist ein Roman. Ein Helden-Epos. Eine erfundene Geschichte. So viel ist klar. Und doch ist sie zugleich eine Geschichte, die von großer Menschenkenntnis zeugt. Es werden viele menschliche Leidenschaften angesprochen und der Umgang damit. Mich persönlich bewegt die von Homer erzählte große Treue von Odysseus und Penelope. Zunächst ist da die Frau, die 20 Jahre nach dem Fortgang ihres Mannes in den Krieg auf ihn wartete, obwohl sich ihre Halle Tag für Tag mit einer großen Auswahl an Männern füllte, die sie alle heiraten wollten. Sie hätte sich bloß für einen von ihnen entscheiden müssen. Ihr Mann war verschollen, von den meisten seiner Kollegen im Krieg war schon längst die Kunde ihres Todes im Umlauf. Und sie wartete geduldig auf ihren Mann. Und dann ist da der große Held Odysseus, der starke Mann, der alles tat, um möglichst schnell zu seiner Frau nach Hause kommen zu können. Auch er war begehrt – er hatte unterwegs viele Möglichkeiten, sich zu verweilen.
Und dann gibt es auch in dieser Geschichte eine Menge, die wir fürs Leben als Nachfolger Jesu Christi lernen können. Manchmal ist die Sünde wie die Sirenen in der Odyssee. Es gibt zwei Arten, wie man sich vor ihnen schützen kann: Entweder man verstopft sich die Ohren und hört nicht hin, oder aber man lässt sich an den Schiffsmast fesseln. Das Zweite kommt jedoch auch bei Odysseus einer Folter gleich. Die Sirenen singen, rufen und locken unwiderstehlich. So ist auch die Sünde. Wenn wir unsere Ohren und Gedanken nicht mit etwas Besserem verstopfen, wird sie uns foltern – oder auf den Klippen auflaufen lassen.