Buchtipp: 1968 – Der lange Protest

Vinen, Richard, 1968: Der lange Protest, Piper Verlag GmbH München, 2018, Verlagslink, Amazon-Link

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar, das ich im Kindle-Format lesen durfte.

50 Jahre nach 1968 blickt Richard Vinen auf die Zeit um 1968 zurück. Der Autor ist ein britischer Historiker, der am King’s College in London unterrichtet. Wenn er von ’68 spricht, dann ist da ein ganzes – ja, gar ein langes – Jahrzehnt gemeint: Mitte 60er bis Ende der 70er-Jahre geht sein ’68. Richard Vinen versucht, eine internationale Geschichte der 68er-Bewegung zu schreiben, indem er auf verschiedene Länder blickt und dort jeweils die wichtigsten Vorkommnisse dieser Zeit beschreibt.

Doch wie lässt sich 1968 definieren? Am Ende eines langen ersten Kapitels über die inneren Widersprüche der Bewegung fasst Vinen zusammen: „Das Phänomen bestand aus mehreren Komponenten: einmal dem Generationenaufstand der Jungen gegen die Alten, dann dem politischen Aufstand gegen Militarismus, Kapitalismus und die Übermacht der USA und schließlich noch einem kulturellen Aufstand, der sich in der Rockmusik und dem dazugehörigen Lebensstil manifestierte.“ (Pos. 388) Es wird schnell klar, dass die Definition entweder noch stärker eingegrenzt werden müsste oder sonst praktisch alles in dieser Zeit umfassen könnte. Es werden konservative Kräfte erwähnt und ebenso als 68 betitelt wie deren revolutionäre Gegner. In einem gewissen Sinne muss Vinen dies tun, da er seine These untermauern will, dass 68 ein weltweites Phänomen ist.

Wenn man dieser These folgt, so macht er einen sehr guten Job und klärt den Leser über die internationalen Beziehungen der Bewegung auf. Allerdings schafft er es meiner Ansicht nach nicht, diese These ausreichend zu begründen, sodass jemand, der die Bewegung als zeitlich und räumlich begrenzter betrachtet, vermutlich nicht überzeugt würde. Doch da es gut möglich ist, dass der Autor dies auch gar nicht erst beabsichtigte, lässt sich dieser Punkt größtenteils vernachlässigen.

Da ich das Buch auf deutsch las und keine Möglichkeit hatte, das englische Original einzusehen, kann ich hier auch nur auf die Übersetzung eingehen. Es finden sich öfters ziemlich lange Sätze mit mehrfacher Verneinung und zahlreichen Nebensätzen, die es dem Leser schwer machen, dem Gedankengang zu folgen. Ich bin mir da schon eine Menge gewohnt, aber ich vermute, dass es gerade für Menschen, die nicht ganz so viel und in die Breite lesen, ziemlich herausfordernd ist.

Gut gefallen hat mir, wie differenziert der Autor mit der Bewegung umgeht. Anders als man sich das sonst gewohnt ist, gibt es keine Heldenverehrung, sondern nüchterne Berichte, die auch vor den dunklen Kapiteln der Zeit nicht halt machen. Interessant, da mir das neu war, fand ich etwa den Vergleich von Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit. Vinen berichtet außerdem, dass Dutschke öffentlich und privat sehr gegensätzlich wahrgenommen wurde. Auch das Verhältnis Dutschkes zur Gewalt wird nicht verschwiegen: „1977 verurteilte Dutschke den Terrorismus einiger ehemaliger Mitstreiter, er rief auch nie zu Aktionen gegen Menschen auf; im Gegensatz zu Aktionen gegen Sachen. Doch allein Dutschkes intensive Art konnte wie ein Aufruf zu Gewalt wirken, unabhängig von den Worten, die er verwendete. Außerdem wirkten seine Äußerungen Ende der 1960er-Jahre oft doppeldeutig.“ (Pos. 3212)

Alles in allem ist es ein spannendes Buch, das die Hintergründe der 68er-Bewegung bis hin zum Linksterrorismus in den westlichen Ländern aufklärt und eine interessante These vertritt, die man allerdings noch besser begründen sollte. Ich gebe dem Buch vier von fünf möglichen Sternen.

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