Wir amüsieren uns zu Tode. Zehn Zitate von Neil Postman

Postman, Neil, Wir amüsieren uns zu Tode, S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, 7. Aufl. 1987. Amazon-Link
Man sollte nicht vergessen, dass dieses Buch so alt ist wie ich – Jahrgang 1985. Somit muss es sich um einen guten Jahrgang handeln, denn das Buch ist mindestens ebenso aktuell geblieben. Hier zehn besonders deutliche Zitate.
“Orwell fürchtete diejenigen, die Bücher verbieten. Huxley fürchtete, dass es eines Tages keinen Grund mehr geben könnte, Bücher zu verbieten, weil keiner mehr da ist, der Bücher lesen will. Orwell fürchtete jene, die uns Informationen vorenthalten. Huxley fürchtete jene, die uns mit Informationen so sehr überhäufen, dass wir uns vor ihnen nur in Passivität und Selbstbespiegelung retten können. Orwell befürchtete, dass die Wahrheit vor uns verheimlicht werden könnte. Huxley fürchtete, dass die Wahrheit in einem Meer von Belanglosigkeiten untergehen könnte.” (S. 7f)
“Halten wir heute nach einem Sinnbild für den Charakter und die Sehnsüchte unserer Nation Ausschau, so blicken wir nach Las Vegas, der Stadt in der Wüste von Nevada – ihr Wahrzeichen ist die zehn Meter hohe Papp-Attrappe eines Spielautomaten und eines Chorus-Girls. Denn Las Vegas hat sich ganz und gar der Idee der Unterhaltung verschrieben und verkörpert damit den Geist einer Kultur, in der der gesamte öffentliche Diskurs immer mehr die Form des Entertainments annimmt. Weitgehend ohne Protest und ohne dass die Öffentlichkeit auch nur Notiz davon genommen hätte, haben sich Politik, Religion, Nachrichten, Sport, Erziehungswesen und Wirtschaft in kongeniale Anhängsel des Showbusiness verwandelt. Wir sind im Zuge dieser Entwicklung zu einem Volk geworden, das im Begriffe ist, sich zu Tode zu amüsieren.” (S. 12)
“Gegen das ‘dumme Zeug’, das im Fernsehen gesendet wird, habe ich nichts, es ist das beste am Fernsehen, und niemand und nichts wird dadurch ernstlich geschädigt. Schließlich messen wir eine Kultur nicht an den unverhüllten Trivialitäten, die sie hervorbringt, sondern an dem, was sie für bedeutsam erklärt. Hier liegt unser Problem, denn am trivialsten und damit am gefährlichsten ist das Fernsehen, wenn es sich anspruchsvoll gibt und sich als Vermittler bedeutsamer kultureller Botschaften präsentiert.” (S. 26)
“Jedes Medium, gleichgültig wie beschränkt der Kontext war, in dem es ursprünglich verwendet wurde, hat die Kraft, sich über diese Beschränkung hinweg in neue, unvermutete Kontexte auszudehnen. Weil es uns bei der Organisierung unseres Denkens und der Integration unserer Erfahrungen in einer ganz bestimmten Weise lenkt, prägt es unser Bewusstsein und unsere gesellschaftlichen Institutionen auf mannigfaltige Weise. Zuweilen beeinflusst es unsere Vorstellungen von Frömmigkeit, Güte oder Schönheit. Und immer beeinflusst es die Art und Weise, wie wir unsere Vorstellungen von Wahrheit definieren und mit ihnen umgehen.” (S. 28)
“Das Entertainment ist die Superideologie des gesamten Fernsehdiskurses. Gleichgültig, was gezeigt wird und aus welchem Blickwinkel – die Grundannahme ist stets, dass es zu unserer Unterhaltung und unserem Vergnügen gezeigt wird. Deshalb fordern uns die Sprecher sogar in den Nachrichtensendungen, die uns täglich Bruchstücke von Tragik und Barbarei ins Haus liefern, dazu auf, ‘morgen wieder dabeizusein’. Wozu eigentlich? Man sollte meinen, dass einige Munuten, angefüllt mit Mord und Unheil, Stoff genug für einen Monat schlafloser Nächte bieten. Aber wir nehmen die Einladung des Nachrichtensprechers an, weil wir wissen, dass wir die ‘Nachrichten’ nicht ernstzunehmen brauchen, dass sie sozusagen nur zum Vergnügen da sind.” (S. 110)
“Mit ‘Und jetzt…’ wird in den Nachrichtensendungen von Radio und Fernsehen im allgemeinen gezeigt, dass das, was man soeben gehört hat, keinerlei Relevanz für das besitzt, was man als nächstes hören oder sehen wird, und möglicherweise für alles, was man in Zukunft einmal hören oder sehen wird, auch nicht. Der Ausdruck ‘Und jetzt…’ umfasst das Eingeständnis, dass die von den elektronischen Medien entworfene Welt keine Ordnung und keine Bedeutung hat und nicht ernst genommen zu werden braucht. Kein Mord ist so brutal, kein Erdbeben so verheerend, kein politischer Fehler so kostspielig, kein Torverhältnis so niederschmetternd, kein Wetterbericht so bedrohlich, dass sie vom Nachrichtensprecher mit seinem ‘Und jetzt…’ nicht aus unserem Bewusstsein gelöscht werden kann.” (S. 123f)
“Wir stehen hier vor der Tatsache, dass das Fernsehen die Bedeutung von ‘Informiertsein’ verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man besser als Desinformation bezeichnen sollte. […] Desinformation ist nicht dasselbe wie Falschinformation. Desinformation bedeutet irreführende Information – unangebrachte, irrelevante, bruchstückhafte oder oberflächliche Information -, Information, die vortäuscht, man wisse etwas, während sie einen in Wirklichkeit vom Wissen weglockt.” (S. 133)
“Wie früher die Druckpresse hat heute das Fernsehen die Macht erlangt, zu bestimmen, in welcher Form Nachrichten übermittelt werden sollen, und es bestimmt auch, wie wir darauf reagieren sollen. Indem das Fernsehen die Nachrichten in Form einer Variétéveranstaltung präsentiert, regt es andere Medien zur Nachahmung an, so dass die gesamte Informationsumwelt das Fernsehen widerzuspiegeln beginnt.” (S. 138)
“Die Fernsehwerbung hat dazu beigetragen, dass die Wirtschaft auf die Steigerung des Eigenwertes ihrer Produkte heute weniger bedacht ist als auf die Steigerung des Selbstwertgefühls ihrer potentiellen Kunden, mit anderen Worten, sie hat sich eine Pseudo-Therapie zur Aufgabe gemacht. Der Verbraucher ist zum Patienten geworden, dem man mit Psycho-Dramen Sicherheit vermittelt.” (S. 158)
“Wenn ein Volk sich von Trivialitäten ablenken lässt, wenn das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zur Variété-Nummer herunterkommen, dann ist die Nation in Gefahr – das Absterben der Kultur wird zur realen Bedrohung.” (S. 190)

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