Die Frage nach der Inspiration

Paulus schreibt an Timotheus: Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und was dir zur Gewissheit geworden ist, da du weißt, von wem du es gelernt hast, und weil du von Kindheit an die heiligen Schriften kennst, welche die Kraft haben, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist. Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet.“ (2. Timotheus 3, 14 – 17)
Alle Schrift ist von Gott eingegeben. Im griechischen Text steht da „theopneustos“, das heißt „gottgehaucht“. Die gesamte Bibel ist somit von Gott inspiriert. Doch was bedeutet nun genau dieses „inspiriert“? Darüber gibt es eine ganze Menge von Debatten, und es ist wichtig, dass wir uns mit der Frage nach der Inspiration beschäftigen. Bevor wir die verschiedenen Theorien zur Inspiration anschauen, zunächst ein Blick auf die wichtigsten weiteren Bibelstellen zum Thema:
Und so halten wir nun fest an dem völlig gewissen prophetischen Wort, und ihr tut gut daran, darauf zu achten als auf ein Licht, das an einem dunklen Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen. Dabei sollt ihr vor allem das erkennen, daß keine Weissagung der Schrift von eigenmächtiger Deutung ist. Denn niemals wurde eine Weissagung durch menschlichen Willen hervorgebracht, sondern vom Heiligen Geist getrieben haben die heiligen Menschen Gottes geredet. (2. Petrus 1, 19 – 21)
Nachdem Gott in vergangenen Zeiten vielfältig und auf vielerlei Weise zu den Vätern geredet hat durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn. Ihn hat er eingesetzt zum Erben von allem, durch ihn hat er auch die Welten geschaffen; dieser ist die Ausstrahlung seiner Herrlichkeit und der Ausdruck seines Wesens und trägt alle Dinge durch das Wort seiner Kraft; er hat sich, nachdem er die Reinigung von unseren Sünden durch sich selbst vollbracht hat, zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt. (Hebräer 1, 1 – 3)
Auch von den Schriften des Neuen Testaments gilt, was die Autoren über die Bibel sagen. So zählt Petrus die Briefe von Paulus zu den heiligen Schriften hinzu: Und seht die Langmut unseres Herrn als [eure] Rettung an, wie auch unser geliebter Bruder Paulus euch geschrieben hat nach der ihm gegebenen Weisheit, so wie auch in allen Briefen, wo er von diesen Dingen spricht. In ihnen ist manches schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften, zu ihrem eigenen Verderben. (2. Petrus 3, 15 – 16)
Paulus macht dasselbe mit den Evangelien: Die Ältesten, die gut vorstehen, sollen doppelter Ehre wert geachtet werden, besonders die, welche im Wort und in der Lehre arbeiten. Denn die Schrift sagt: »Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, wenn er drischt!«, und »Der Arbeiter ist seines Lohnes wert«.(1. Timotheus 5, 17 – 18) Hier zitiert Paulus das Lukasevangelium, nämlich Lukas 10, 7 und zählt es zur heiligen Schrift hinzu.
Und dann gibt es in der Bibel auch einige tausend direkte Zitate, in welchen Gott in direkter Rede zitiert wird. Schon nur wenn wir in der Konkordanz nach „spricht der Herr“ suchen, taucht dies 849x auf. Über 900x zusätzlich in der Vergangenheitsform: „sprach der Herr“. Und auch das Neue Testament enthält viele direkte Zitate Gottes – jedes Mal, wenn der Herr Jesus den Mund auftat, können wir sagen: So spricht der Herr.
Und nun stellt sich die Frage: Was genau bedeutet es, wenn wir sagen, dass die ganze Bibel von Gott inspiriert ist?
1. Diktattheorie
Die erste mögliche Theorie möchte ich „Diktattheorie“ nennen. Sie wird leider häufig mit dem Begriff „Verbalinspiration“ durcheinandergebracht. Die Diktattheorie besagt, dass die Autoren der Bibel Wort für Wort von Gott empfangen und Wort für Wort davon geschrieben haben. Damit wäre es wie in der Schule, wo der Lehrer einen Text vorliest und alle Schüler am Schluss genau diesen Text aufgeschrieben haben sollten. Damit hätte die Bibel nur Gott allein zum Autor. Diese Theorie versucht zwar, das Wort Gottes hoch zu halten, aber die Tatsache kommt dabei zu kurz, dass jeder Autor seinen eigenen Charakter, seine Sprache, seinen Wortgebrauch, und so weiter hat.
2. Liberale Theorien
Es gibt verschiedene liberale Theorien, die im Grunde besagen: Die Bibel enthält Gottes Worte und sie enthält daneben eine Menge Menschenworte, und der Theologe oder der Bibelleser muss versuchen, die Menschenworte davon zu eliminieren, damit am Ende das Wort Gottes übrig bleibt. Die Geschichte und die Erfahrung zeigen, dass jeder Versuch, so vorzugehen, am Ende immer dazu führt, dass man nur das in der Bibel finden kann, was man zuerst an sie herangetragen hat. So hat etwa die „Leben-Jesu-Forschung“ versucht, alle übernatürlichen Elemente aus dem Leben Jesu herauszudestillieren, doch am Ende blieb vom gesuchten „historischen Jesus“ nichts mehr übrig.
3. Existentialistische Theorie
Karl Barth, einer der wichtigsten Vertreter der existentialistischen Theologie, war der Meinung, dass die Bibel nicht per se Gottes Wort ist. Vielmehr war sie einst Gottes Wort (nämlich dann, als der jeweilige Autor sie aufgeschrieben hatte) und sie kann heute wieder zum Wort Gottes werden – aber erst durch die Predigt, erst dadurch, dass der Mensch von Gottes Wort persönlich angesprochen wird. Auch hier haben wir wieder das Problem, dass die Bibel dadurch viel zu wenig ernst genommen wird. Der Mensch wird ins Zentrum gerückt, Theologie wird zur Anthropologie (Lehre vom Menschen).
4. Personalinspiration
Diese Theorie kam vor allem im Zeitalter des Idealismus auf. Nicht die Bibel ist von Gott inspiriert, sondern die Autoren waren inspiriert, weil sie eine besondere Begegnung mit Gott hatten und deshalb ihr menschlicher Geist von Gott erfüllt und damit inspiriert war. Deshalb ist bei der Personalinspiration auch nicht alles, was die Autoren geschrieben haben, 1:1 von Gott inspiriert, sondern alles nur Menschenworte, die vom vergöttlichten Menschenverstand wiedergegeben wurden. Auch diese Theorie nimmt die Größe des Wunders der göttlichen Inspiration nicht ernst genug.
5. Realinspiration
Eine weitere Theorie nennt sich Realinspiration. Sie besagt, dass die Texte der Bibel nicht von Gott inspiriert sind und keinesfalls historisch echt sein müssen, aber die ethischen, sittlichen Themen, die seien von Gott inspiriert. Auch hier kann man dann die Themen frei nach Belieben herauspicken – die Bibel wird der totalen Beliebigkeit des Menschen unterworfen. Deshalb wird auch diese Theorie der Bibel nicht gerecht.
6. Dynamische Verbalinspiration
Die überzeugendste Theorie scheint mir jene zu sein, die ich dynamische Verbalinspiration nenne. Sie besagt, dass Gott verschiedene Menschen gebraucht hat und bei keinem von ihnen den Willen oder die Persönlichkeit ausgeschaltet, sondern im Gegenteil, in einem dynamischen Prozess gerade den verschiedenen Charakter der Autoren gebraucht, um sie am Ende alle zusammen die Bibel schreiben zu lassen, welche wir heute haben. Gott hat diesen dynamischen Prozess überwacht und dafür gesorgt, dass nicht nur alles Nötige in der Bibel zu finden ist, sondern auch dass nichts davon fehlt. Auf diese Weise ist die große Vielfalt, die wir in der Einheit der ganzen Bibel finden, auch ein Hinweis darauf, dass unser dreieiner Gott als der Drei-Eine Vielfalt in Einheit und Einheit in Vielfalt ist.
Freuet euch des HERRN, ihr Gerechten; die Frommen sollen ihn recht preisen. Danket dem HERRN mit Harfen; lobsinget ihm zum Psalter von zehn Saiten! Singet ihm ein neues Lied; spielt schön auf den Saiten mit fröhlichem Schall! Denn des HERRN Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss. Er liebt Gerechtigkeit und Recht; die Erde ist voll der Güte des HERRN. Der Himmel ist durch das Wort des HERRN gemacht und all sein Heer durch den Hauch seines Mundes. Er hält die Wasser des Meeres zusammen wie in einem Schlauch und sammelt in Kammern die Fluten. Alle Welt fürchte den HERRN, und vor ihm scheue sich alles, was auf dem Erdboden wohnet. Denn wenn er spricht, so geschieht’s; wenn er gebietet, so steht’s da. (Psalm 33, 1 – 9)

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