Buchrezension: Gott wieder finden und warum es gar nicht nötig ist, ihn zu suchen

Heyes, Zacharias, Gott wieder finden und warum es gar nicht nötig ist, ihn zu suchen, Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach, 1. Aufl. 2018, 159 S., Verlagslink, Amazon-Link

Zunächst muss ich vorausschicken, dass ich dieses Buch nicht als Katholik lese, sondern als Evangelikaler, als Freikirchler und als bibeltreuer Theologe, und mir deshalb manche Dinge fremd sind, die darin beschrieben werden. Ich war noch nie katholisch, habe mich aber immer wieder mit Menschen getroffen und diskutiert und dabei so manches gelernt. Dennoch sollte insofern meine Rezension mit diesem Wissen im Hinterkopf gelesen werden, denn mir sind bis heute einige Dinge der römisch-katholischen Kirche fremd geblieben. Der Verlag hatte mich gebeten, das Buch zu rezensieren, und nach einigem Zögern habe ich mich dazu bereit erklärt, denn bald wurde mir klar, wie vieles ich anders sehe und deshalb auch kritisch sehen werde. Da der Verlag meine Rezension dennoch wünscht, werde ich sie nun posten.

Was durch das ganze Buch hindurchscheint, ist die strahlende Lebensfreude des Autors, der den Leser mitnehmen möchte auf eine abenteuerliche Reise zu seinen Mitmenschen. Das muss ich ganz klar sagen, der Autor ist ein sehr sympathischer Mensch, dessen Gedanken versuchen, den Leser anzustecken und auf sein menschliches Gegenüber zu fixieren. Als Notfallseelsorger, katholischer Mönch und Gästebegleiter der Abtei Münsterschwarzach kommt er mit vielen verschiedenen Menschen in Berührung. Er hat die Gabe, tief nachzudenken und bei und mit den Menschen zu sein – auch gerade in ihrem Leid oder ihrem Mangel. Das alles zusammen sind positive Eigenschaften, die mich für den Autor eigentlich einnehmen. Auf der persönlichen Ebene stehe ich Zacharias Heyes sehr nahe, und vermute, dass wir auch biographisch bestimmte Erfahrungen teilen. Nur inhaltlich konnte mich das Buch leider nicht überzeugen. Nachfolgend meine Gedanken dazu:

Wenn ich ein Buch lese, dann beginne ich nicht gleich mit dem Vorwort oder dem ersten Kapitel, sondern als erstes denke ich eine Weile über den Titel nach. Ich stelle mir Fragen zum Titel, die ich beim Lesen des Buches aus der Sicht des Autors zu beantworten suche. Ich frage mich, was der Autor mit dem Titel aussagen möchte, und bei diesem Buch war mein spontan erster Gedanke folgender: „Der Titel klingt sehr interessant! Man könnte ihn gut gebrauchen, um davon ausgehend einige verbreitete Missverständnisse zu Gottes Transzendenz und Immanenz zu beantworten. Ich möchte wissen, wie der Autor das „Gott suchen“ definiert, das er nicht nötig findet.“ Nochmal etwas einfacher: Es gibt verschiedene Vorstellungen, was „Gott suchen“ bedeutet. Der Titel wäre sehr gut, wenn man ein Buch über diese Vorstellungen schreiben wollte und mit den falschen davon aufräumen wollte. Doch leider hat es der Autor auf knapp 160 Seiten nicht geschafft, auch nur einmal darüber zu schreiben, was er mit dem Begriff „Gott suchen“ im Titel meint. Er schreibt davon, dass wir Gott nicht suchen müssten, weil es Gott ist, der uns sucht (was den zweiten Teil dieser ersten Aussage betrifft, stimme ich ihm zu) und dass Gott in allen Menschen zu finden sei (dazu weiter unten noch mehr). Aber wogegen er eigentlich schreibt, wird nicht klar. Insofern ist der Titel irreführend, denn er übergeht nicht nur eine ganze Reihe von klaren Aussagen im Alten und Neuen Testament (z. B. 1. Chr. 16,10 – 11; 2. Chr. 7,14, Ps. 9,11, Ps. 27,4, Ps. 63,2, Ps. 119,10, Jer. 29,12-14, Am. 5,5-6, Matth. 7,7-8, Kol. 3,1 u.v.a.m.). Die große Frage muss deshalb sein: Wie sucht man Gott? Und diese Frage wird nicht beantwortet, sondern geradezu umgangen, indem man auf den Mitmenschen zurückgeworfen wird, in welchem man Gott finden soll.

Das Zweite, was mich interessiert hat, ist das Bibelverständnis des Autors. Und hier wurde ich leider nicht weniger enttäuscht. Gut, Enttäuschung ist ein heilsamer Prozess, aber in dem Fall hat sie nicht dazu geführt, dass ich das Buch besonders ansprechend fand. Es gibt keine Stelle, an welcher Heyes transparent über sein Verständnis von Gottes Wort berichten würde – aber überall findet man sein Bibelverständnis in der Praxis angewandt. Heyes versucht gar nicht erst, die Bibel mit der Bibel auszulegen, sondern er nimmt aus den modernen Wissenschaften ziemlich unkritisch alle möglichen Aussagen und versucht dann, in der Bibel Beispiele dafür zu finden, um sozusagen zu zeigen, dass man die Bibel auch so verstehen könne. Nun muss man aber wissen, wenn man nur will, kann man so ziemlich unbeschränkt alles irgendwie in die Bibel hineinlesen. Zumindest um Ecken und auf Biegen oder Brechen. Das ist dann nicht mehr Auslegung der Bibel („Exegese“ genannt), sondern ein Hineinlesen („Eisegese“). So kommen Aussagen aus der Befreiungstheologie, dem Feminismus, aus dem materialistischen Weltbild, und immer wieder wird kritisiert, wie die weltweite Kirche während vielen Jahrhunderten die Bibel verstanden und ausgelegt hatte. Es war mir schon länger bekannt, dass die historisch-kritische Methodologie seit dem Zweiten Vatikanum auch in die römisch-katholische Kirche Einzug gefunden hat. Und doch habe ich mit vielen Katholiken im persönlichen Gespräch gerade deshalb eine gemeinsame Basis gefunden, weil wir gemeinsam die Bibelkritik ablehnen. Dass nun hier in einem Buch, das eigentlich nicht nur für Studenten der katholischen Theologie geschrieben wurde, diese so deutlich angewandt wird, ist nicht gerade dazu angetan, um Vorurteile abzubauen.

Zacharias Heyes führt den Leser durch eine Anzahl bestens bekannter Begebenheiten, die in der Bibel berichtet werden, und sucht dabei immer nach der heutigen Bedeutung für uns. Das führt zuweilen zu ganz interessanten Widersprüchen. Etwa die Stelle, wo Mose von Gott aufgefordert wird, die Schuhe auszuziehen, weil er auf heiligem Boden stehe, wird dann direkt umgedeutet, dass der Boden überall heilig sei. Nun würde das aber auch konsequenterweise bedeuten, dass es ein allgemeines Schuhverbot bräuchte. Doch so weit möchte der Autor dann wohl doch nicht gehen, weswegen der Befehl des Schuhausziehens kurzerhand unterschlagen wird. Letztlich fehlt Heyes das Verständnis für die Transzendenz Gottes, die gesamte Spannung zwischen der Transzendenz und Immanenz wird auf die Seite der Immanenz aufgelöst, und damit ist Gott derjenige, welcher immer und überall zu finden ist – was nicht ganz falsch ist, aber eines fehlt dabei: Gott ist immer in Jesus Christus und immer in Seinem Wort, der Bibel, zu finden. Weil das aber zu exklusivistisch ist, bleibt dieses Alleinrettungsmerkmal Jesu Christi außen vor und der Träger des göttlichen Daseins ist damit plötzlich der Mitmensch.

Ich muss an der Stelle noch etwas ausholen. Wie zu Beginn geschrieben ist es mir sehr sympathisch, dass der Autor darum wirbt, dass die Menschen aufeinander zu gehen und einander helfen, einander verstehen möchten und gemeinsam leben, lieben, lachen und weinen. Das betrifft Menschen über alle Grenzen von Kulturen und Religionen. Und doch – der Synkretismus dieses Buches geht mir zu weit. Die Rede von „Gott in jedem Menschen finden“ ist irreführend, denn die Unterscheidung zwischen Gott im Menschen im Sinne von Gottes Ebenbild und Gott im Menschen als einem Menschen, der an den stellvertretenden Sühneopfertod Jesu am Kreuz glaubt, wird weggelassen. Und diese Unterscheidung könnte grundlegender nicht sein. Es ist von enormer Wichtigkeit, dass gerade in unserer Zeit der Beliebigkeit wieder klargemacht wird, dass es ohne Kreuzestod Jesu keine Wiederherstellung der persönlichen Beziehung zu Gott gibt. Zu diesem Synkretismus passt leider auch die Befürwortung heidnisch-okkulter Praktiken wie der Zen-Meditation oder die Überschrift „Für den Zeitgeist“ (S. 146). Das Evangelium stellt jede Kultur in Frage und ist deshalb auch jedem säkularen Zeitgeist entgegengesetzt. Leider kann dieses Kapitel am Ende des Buches auch nicht überraschen.

Fazit:

Ein leidenschaftliches Buch mit vielen guten Gedanken, die gesamte Tendenz jedoch eher fragwürdig, synkretistisch und auf das diesseitige Leben beschränkt. Eine Bewertung in Punkten oder Sternen ist mir nicht möglich.

Ecclesia semper reformanda est – Gedanken zu einer verratenen Reformation

Heute feiern wir den Reformationstag. Dass dieser in unserer nachchristlichen Zeit und Kultur noch gefeiert wird, hinterlässt einen etwas bitteren Nachgeschmack. Vor 494 Jahren ist ein Mann namens Martin Luther aufgestanden und hat sich gegen den damaligen Mainstream gestellt. Dies konnte ihn damals Kopf und Kragen kosten, dennoch war er bereit dazu, für Gottes Wort alles zu riskieren. Er hat radikal für die Wahrheit gekämpft, hat für sie alle Sicherheiten seines gesicherten Lebens als Augustinermönch und Dozent der Theologie aufgegeben. Er hat den ganzen römischen Mainstream mit all seinen Falschlehren unter die Lupe genommen und dagegen die Wahrheit der Heiligen Schrift gesetzt. So schrieb er 1520 in dem Brief „An den christlichen Adel deutscher Nation“ sehr klare Worte:

Die Romanisten haben drei Mauern mit großer Behendigkeit um sich gezogen, womit sie sich bisher beschützt, dass niemand hat können reformieren, wodurch die ganze Christenheit greulich gefallen ist. Zum ersten: Wenn man hat auf sie gedrungen mit weltlicher Gewalt, haben sie gesetzt und gesagt, weltliche Macht habe nicht Recht über sie, sondern wiederum: geistliche sei über die weltliche. Zum andern: hat man sie mit der Heiligen Schrift wollen strafen, setzen sie dagegen, es gebühre die Schrift niemand auszulegen denn der Papst. Zum dritten: dräuet man ihnen mit einem Concilio, so erdichten sie, es könne niemand ein Concilium berufen denn der Papst. Also haben sie drei Ruten uns heimlich gestohlen, dass sie mögen ungestraft sein, und sich in sichere Befestigung dieser drei Mauern gesetzt, alle Büberei und Bosheit zu treiben, die wir denn jetzt sehen. Und ob sie schon ein Concilium mussten machen, haben sie doch dasselbe zuvor dasselbe matt gemacht damit, dass sie die Fürsten zuvor mit Eiden verpflichteten, sie bleiben zu lassen, wie sie seien, dazu der Papst volle Gewalt gegeben über alle Ordnung des Concilii, also dass gleich gilt, es seien viel Concilia oder keine Concilia, abgesehen davon, dass sie uns nur mit Larven und Spiegelfechten betrügen. So gar greulich fürchten sie für ihre Haut vor einem rechten, freien Concilio und haben damit Könige und Fürsten schüchtern gemacht, dass sie glauben, es wäre wider Gott, so man ihnen nicht gehorche in allen solchen schalkhaften, listigen Spuknissen.“

Zum Einen lässt sich rückblickend sagen, dass sich bei den „Romanisten“ seither nicht wirklich etwas geändert hat. Zwar ist es dem römisch-katholischen Gläubigen inzwischen erlaubt, die Bibel auch als Laie selbst zu lesen und ebenso ist es erlaubt, von Anhängern anderer Denominationen als „Brüder“ zu sprechen. Dennoch ist das Papstprimat und die Macht der „Concilia“ ungebrochen. Kein Wunder, denn das gesamte Lehrgebäude (und damit die Institution) der Römisch-Katholischen Kirche steht auf diesem Fundament. Die Katholische Kirche baut ihre gesamte Lehre auf diesen beiden Fundamenten auf und das wird sich nie ändern können. Somit ist auch die gesamte Ökumene mit den „Romanisten“ ein einziger Hohn gegen alles, was die Reformatoren gesagt und getan haben. Ein Verrat an der Reformation ohnegleichen.

Zugleich muss man festhalten, dass die von Luther entlarvte Strategie der drei Mauern in unserer Zeit in einem anderen Kontext wieder entdeckt werden kann. Das, was Luther den „Romanisten“ vorgeworfen hat, geschieht seit über 250 Jahren in der historisch-kritischen Theologie, ja, nicht nur da, sondern in der gesamten aufklärerischen Philosophie und Geschichts(neu)schreibung genauso. Man setze für „Papst“ das Wort „Verstand“ ein und lese obigen Text erneut. Für „Concilium“ kommt „Publikation“ und schon ist man dabei, die aufklärerischen Versuche der Bibelverfremdung zu demaskieren. Mit eben dieser Strategie lässt sich jede beliebige Diktatur durchsetzen, sie sei „romanistisch“, „absolutistisch“, „aufklärerisch“ oder „tolerant“.

So bleibt zum Schluss nur noch eine Frage. Ecclesia semper reformanda est, die Kirche muss immer reformiert werden. Wir brauchen auch heute wieder Männer und Frauen, die mit den prophetischen Worten eines Martin Luther aufstehen:

Überzeugt mich mit den Zeugnissen der Heiligen Schrift, oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen, also mit den Bibelworten und Argumenten, die von mir beigebracht worden sind. Denn die Autorität von Papst und Konzilien allein überzeugt mich nicht, da sie offenkundig oft geirrt und gegen Schrift und Vernunft gestanden haben. Nur wenn mein Gewissen in Gottes Wort gefangen ist, will ich widerrufen. Denn es ist nicht geraten, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir, Amen.“ (Quelle)