Nesbø, Jo, Macbeth. Blut wird mit Blut bezahlt, Penguin Verlag München, 2018, 621S., Verlagslink, Amazon-Link
Das Hogarth Shakespeare Projekt versucht, mit zeitgenössischen Autoren die Werke von Shakespeare für unsere Zeit neu zu erzählen. Als kleine Auffrischung habe ich Macbeth im Original von Shakespeare direkt vor der Lektüre von Nesbø gelesen. Ich war gespannt, wie er die verschiedenen Details des Romans modern umsetzt. Die Geschichte ist deshalb auch schon weitgehend vorgegeben. Sie hat keinen Anspruch, etwas ganz Neues zu sein. Das sollte man sich bei solchen Projekten bewusst sein und nicht erwarten, dass dahinter so ein richtig typischer Nesbø stecken muss.
Inspektor Macbeth arbeitet bei der Polizei einer Stadt, die hauptsächlich noch von Drogen, Spielsucht und Korruption lebt. Der frühere Chief Commissioner Kenneth war ein Tyrann, der alles in seiner Hand hatte. Dann sind da noch die Norse Riders, ein krimineller Motorradclub, der die Stadt in Angst und Schrecken hält, Hecate, ein alter Mann, der die Drogen produzieren lässt und im Hintergrund alle möglichen Fäden zieht und Tourtell, der schwere Bürgermeister, der überall mitreden will, aber durch zahlreiche Abhängigkeiten gebunden ist. Und natürlich Lady, die Geliebte von Macbeth, die das beste Spielcasino der Stadt betreibt und versucht, Macbeth zu überzeugen, neuer Chief Commissioner zu werden. Banquo, sein Sohn Fleance. Angus, Lennox, Caithness und Duff, der bei Shakespeare Macduff heißt, sind weitere Personen, die ihre Namen und Rollen bereits im 400 Jahre alten Original erhielten.
Man kann unterschiedlicher Meinung über Sinn und Unsinn von Neuerzählungen älterer Geschichten sein. Ich sehe Vor- und Nachteile darin. Und natürlich muss sich jeder Autor, der eine solche Aufgabe übernimmt, auch die Frage stellen, was von der Geschichte gleich bleiben soll und was man davon modernisiert. Die Mordwaffe ist ungefähr dieselbe geblieben. Hat Shakespeare Macbeth noch seine Feinde mit dem Dolch erstechen lassen, nimmt der moderne Macbeth Messer, die er werfen kann. Da fand ich es unglaubwürdig, dass kaum jemandes Verdacht auf ihn fiel und er zumindest die längste Zeit des Buches fortfahren konnte. Nesbø hat versucht, möglichst nahe am Original zu bleiben, indem er Namen, Waffen und anderes mehr beibehielt. Das ist durchaus lobenswert, wenn er sich bloß dabei nicht in solche Widersprüche verstricken würde.
Richtig gut umgesetzt fand ich die Verwandlung von Macbeth vom unsicheren, einfachen Polizisten zum herrischen Tyrannen. In Macbeth geht es um die Gier, die Herrschsucht, den Machthunger, der mit der Zeit derart zunimmt, dass er zur totalen Verblendung führt. Macbeth will eigentlich nur das Beste für seine Stadt. Chief Commissioner Duncan war zu schwach, um die Stadt aus ihrem Elend zu führen, in das sein Vorgänger Kenneth sie geführt hatte. Zumindest aus der Sicht von Lady, dann auch von Macbeth. Ein Mord führte zum nächsten Mord, eine Lüge zu einer weiteren, und das Ringen um Macht hinterlässt eine breite Blutspur. Doch wer hat eigentlich das Sagen? Hecate, der die Menschen gut einzuschätzen weiß und überall Spione hat? Bürgermeister Tourtell? Oder der Chief Commissioner, der im Falle eines Notstandes die vollständige Immunität und Befehlsgewalt erhält? Der Autor nimmt seinen Leser in das Gewirr von Korruption, Erpressung, Kriminalität und Drogensucht hinein, ein Strudel, der sich verdichtet und erst ganz am Schluss entwirrt sich das Ganze.
Wie ein Tintenfisch umfängt die Gier den Protagonisten – mit allen Armen und Tentakeln reißt sie ihn in die äußerste Finsternis menschlichen Daseins. Macbeth wird sich selbst zum größten Feind, weil er sich so blind seiner eigenen Verderbtheit in den Rachen wirft. Hier wird aber auch die größte Stärke zur größten Schwäche des Buches. Es ist eine Adaptation einer 400 Jahre alten Geschichte und ist für eine Leserschaft des 21. Jahrhunderts geschrieben. Was Nesbø nicht gelingt, ist die Übersetzung des Shakespeare’schen Denkens – und ich bezweifle offen gesagt auch, dass sich der Autor dieses Denken tatsächlich verinnerlicht hat. Zu plump sind manche seiner Formulierungen am Original angelehnt. Der Leser, welcher Shakespeares Version kennt, fühlt sich zwischen den beiden Zeiten hin- und hergerissen. In keiner der beiden Zeiten scheint sich die Geschichte wirklich zu spielen. Für den Leser des 21. Jahrhunderts wäre entweder das Denken Shakespeares besser zu erklären (sei es im Vorwort, in Fußnoten oder einfach durch besser erklärende Formulierungen im Text), oder die Sprache und das Denken komplett an die heutige Zeit anzupassen (was ich persönlich schade fände, denn einen politisch korrekten Macbeth braucht keiner…). Ich kann die heutigen Leser, die vom Buch enttäuscht sind, verstehen, denn es braucht einiges an gedanklicher Vorbereitung, um im Leben und Denken des frühen 17. Jahrhunderts anzukommen. Dennoch möchte ich jene Leser herausfordern, den originalen Macbeth zu lesen und dann zu versuchen, Nesbø besser zu verstehen. Ich glaube, das ist es wert.
Fazit:
Jo Nesbø ist mit Macbeth ein Werk gelungen, das dem Original in einem modernen Setting sehr nahe kommt. Es ist spannend geschrieben, orientiert sich jedoch vom Denken und mancher Formulierung ebenso am Original, sodass es dem Autor nicht gelingt, die Brücke ins Denken des westlichen 21. Jahrhundert zu schlagen. Der Leser müsste sich zunächst in die Weltanschauung Shakespeares einarbeiten, um das Buch richtig einordnen zu können. Ich gebe 4 von 5 Sternen.