Lobpreis in der Praxis – ein Interview

Am Ende der Auseinandersetzung mit der Lobpreiskultur und -leitungmöchte ich noch wen aus der Praxis zu Wort kommen lassen. Jenny hat mir schon viele wertvolle Impulse – nicht nur zum Thema Lobpreis – gegeben. Da sie seit vielen Jahren Lobpreis in diversen Formen und Formationen leitet, habe ich ihr einige Fragen gestellt. Vielen Dank, Jenny, dass du dir die Zeit genommen hast, darüber nachzudenken und uns echt hilfreiche Antworten zu geben. 
 
Interviewfragen zum Thema „Lobpreis“:
  1. Erzähle uns doch bitte etwas über dich. Wer bist du? Wie bist du zum Lobpreis gekommen und was machst du zur Zeit damit? 

    Hey, mein Name ist Jenny Link. Ich bin momentan 24 Jahre jung, komme ursprünglich aus dem schönen Schwarzwald und lebe nun seit ca. 5 Jahren in Hildesheim – das ist in Niedersachsen, etwas südlich von Hannover – und studiere Soziale Arbeit im 7. Semester.
    Wie ich zu Lobpreis gekommen bin, ist eigentlich ganz einfach. Ich hab schon in jungen Jahren gerne Musik gemacht und alle möglichen Instrumente ausprobiert – ganz besonders gerne mochte ich (E-)Gitarre. Nachdem ich mich mit etwa 17 Jahren für Jesus entschied, war der Weg zum Lobpreis nicht mehr weit: es folgten die ersten JuGo-Band-Erfahrungen, „worshippen“ im Jugendkreis, etc…
    Seit ich in Hildesheim bin habe ich eine „feste“ Band, mit der ich viel unterwegs bin. Wir spielen in Gemeinden, auf Seminaren, Festen & Events, in Schulen, Kindergärten,… Wir machen Musik mit Kindern, mit Erwachsenen, mit allen, die grade da sind. Darüber hinaus leite ich seit fast 4 Jahren ein Bandprojekt mit Teens aus einer Gemeinde. Verschiedene kleinere Bandprojekte gab es zwischendurch auch immer mal wieder.
    Weite Kreise in meinem Leben zieht außerdem die Kindermusik: In den letzten Jahren habe ich ein selbst geschriebenes Kinder-Weihnachtsmusical zusammen mit dem Verlag cap-Music produziert, welches nun im Handel erhältlich ist (wer mehr dazu wissen möchte: www.diedreivomstall.de).
    Musizieren – zu Gottes Ehre – gehört für mich einfach dazu, es ist sozusagen mein Leben.

  2. Was hörst du zur Zeit besonders gerne (Lieder, Musiker, Bands)? 

    Prinzipiell prägen & inspirieren mich fast ausschließlich Bands & Künstler aus dem englischsprachigen Raum wie z.B. Hillsong, Casting Crowns, Chris Tomlin, Jesus Culture, Kim Walker, Klaus Kuehn, Kari Jobe uvm…
    Besonders angetan hat es mir in letzter Zeit die Worship-Musik der Bethel Church in Redding – bekannte Musiker & Leiter hier sind z.B. Brian & Jenn Johnson, Jeremy Riddle, William Matthews, Steffanie Frizelle,… Die Professionalität und Sicherheit der Musiker ist einfach unglaublich hoch – und natürlich ihre Nähe zu Gott, die sichtbar & spürbar ist! Ich mag außerdem den Musikstil unglaublich gerne. Schlagzeug, fette E-Gitarren und einen breiten Synthesizer-Klangteppich

    Im deutschsprachigen Raum ist v.a. die Outbreakband zu nennen.
    Auch Künstler wie Arne Kopfermann, Lothar Kosse, Albert Frey gehören natürlich dazu – ein Großteil unserer modernen Gemeindelieder entstammt ihrer Feder…!

  3. Was macht für dich ein gutes Lobpreislied aus? 

    Mehrere Aspekte wie z.B.:
    Inhalt:
    Für ein Lobpreislied eignet es sich gut, den Fokus auf eine bestimmte Thematik zu legen. Wenn das Lied zu sehr mit verschiedenen Inhalten (die nicht falsch sind) vollgepackt ist, kommt das Herz oft nicht schnell genug hinterher. Es entsteht möglicherweise Stress oder Druck oder es ist einfach nur schwer, Gott zu begegnen. Eben rein nach dem Motto: Weniger ist mehr.
    Musik:
    Klare, eingängige Melodien und vom Tonumfang so, dass jedermann gut mitsingen kann oder zumindest ganz leicht auch zweite Stimmen gesungen werden können. Die Möglichkeit und Freiheit für Spontanes sollte musikalisch auf jeden Fall vorhanden sein (wenn z.B. schnelle Wechsel stattfinden oder es viele verschiedene Akkordfolgen gibt, kann es in einem spontanen Part schneller zu Unstimmigkeiten kommen).
    Sprache:
    Meist ist die Muttersprache auch die Herzenssprache des Menschen. Von daher plädiere ich (in Deutschland) natürlich für deutsche Lieder. An dieser Stelle Achtung: Nicht jedes tolle, englische Lied kann einfach mal kurz übersetzt werden! Das funktioniert leider oft nicht…
    Unsere Muttersprache ist aber auch nicht „Deutsch von vor 400 Jahren“, sondern das heutige deutsch. Sprich, wir brauchen Lieder in zeitgemäßer deutscher Sprache! 

  4. Wenn du die heutige Lobpreis-Szene betrachtest, was fällt dir besonders auf (positiv und negativ)? Was hat sich in den letzten Jahren verändert? 

    Positiv finde ich auf jeden Fall, dass christliche Künstler und Lobpreisleiter „auf Augenhöhe“ mit weltlichen Künstlern getreten sind und es immer mehr tun. Lange Zeit war moderne Kirchenmusik etwas hinterher – sowohl von der Professionalität als auch vom Zeitgeist. Das neue Album der Outbreakband „Das ist unser Gott“ z.B. kletterte wenige Tage nach Release auf Platz 25 der deutschen ITunes-Charts – Seite an Seite mit den „Bravo-Hits 85“!

Das Spektrum an Musikstilen ist im Lobpreis heutzutage sehr breit, sodass sogar HipHop-Freaks oder Heavy-Metaller „ihrs“ darin finden können.
Die Vernetzung und Zusammenarbeit von Künstlern, Produzenten, Gemeinden wird – auch durch die Möglichkeiten des Internets – immer besser (zu nennen ist an der Stelle das Netzwerk CCLI: www.ccli.de).
Negativ fällt mir auf, dass im Zuge dieser Entwicklung der Konzertcharakter die Lobpreiskultur immer mehr durchdringt. Oft geht es um noch größere Veranstaltungen, noch bessere Technik, noch besseres Licht, noch bessere Musiker,… Die Gefahr ist, dass Jesus, unser Mittelpunkt, an die Seite gedrängt wird, manchmal sogar unabsichtlich und unbemerkt. Außerdem verlieren kleine Veranstaltungen auf lokaler Ebene ihren Wert, weil es niemals die Messlatte der Großveranstaltung erreichen kann. Leute hören auf, in kleineren Kreisen zu musizieren und die Singkultur geht verloren, bzw. beschränkt sich auf das halbjährlich stattfindende Lobpreiskonzert…

  1. Du leitest selbst Lobpreisgruppen. Was sind die großen Herausforderungen, die dir dabei begegnen? 

    Alle Leute aus meiner Band / meinen Bands sind Individuen. Jeder hat seine Meinung, seine Vorstellungen und Wünsche. Dazu kommt die Gemeinde, der Pastor, etc… Eine eigene Meinung gibt’s dann ja auch noch…
    Schon öfter habe ich mich dabei ertappt, wie ich meine Zeit daran verschwendet habe etwas zu erzielen/planen/vorzubereiten, mit dem ich es allen Menschen recht machen kann. Das ist gefährlich. Oft denken wir, dass Gottes Wille ist, jedem Menschen etwas Gutes zu tun – das stimmt grundsätzlich auch. Aber es ist nicht gleichzustellen damit, dass ich das machen soll, was alle von mir wollen (abgesehen davon, dass es sowieso unmöglich ist). Meine Aufgabe ist es meinen Blick auf Gott zu richten – in allen Momenten & Entscheidungen. Trotz allem darf ich die Menschen (mit) denen ich diene nicht aus den Augen verlieren und trage Verantwortung für sie im Rahmen dessen, was ich tue.
    Da ich selber einen hohen musikalischen Anspruch habe (und zudem gesegnet bin mit exzellenten Mitmusikern), muss ich auch immer wieder aufpassen, dass ich meine geistliche Verantwortung nicht vernachlässige. Geht es in den Bandproben, Gottesdiensten und Veranstaltungen um die tolle Musik, oder weise ich als Leiterin immer wieder auf Jesus hin – den Grund und das Ziel von dem, was wir tun. Wir müssen eine geistliche Einheit sein und zu jeder Zeit wissen, wem die Ehre gebührt…
  1. Welche Fehler passieren dabei besonders gerne und wie gehst du damit um?

    Es ist oft der Blick auf die Menschen anstatt auf Gott. Das passiert ganz schnell und unbemerkt, wir sind einfach Menschen und sehen in erster Linie das, was vor unseren Augen ist. Ich verliere mich z.B. manchmal darin, diplomatisch zu sein und möglichst den Bedürfnissen aller gerecht zu werden. Gott sei Dank funktioniert das sowieso nicht auf Dauer!
    Wenn mir das dann auffällt (das fällt mir übrigens mit jedem mal schneller auf – man lernt ja doch aus Fehlern, bzw. wächst…) ist der erste Schritt ganz klar wieder hin zu Gott! Er ist einfach gut, und Er verzeiht immer wieder! Und wo sollte ich anders hingehen als auf ihn zu?! Er ist der Grund meines Lobpreises und Er alleine ist es, der Menschenherzen bewegen & verändern kann. Wie sehr bin ich also in meinem Lobpreis von Ihm abhängig?! Fehler machen & hinfallen. Erkennen. Mir vom Vater selbst aufhelfen lassen. Weitergehen, an seiner Hand. Es geht vorwärts und Er geht mit!

  2. Worauf achtest du bei der Auswahl von Liedern speziell?
Grundsätzlich treffen hier die Kriterien (Inhalt, Musik, Sprache) zu, die ich unter Frage 3 aufgeführt habe. Darüber hinaus erachte ich Folgendes als wichtig & bedenkenswert:
Inhalt/Thema:
Wenn es eine Lobpreiszeit im Rahmen eines Gottesdienstes ist, eignet es sich, zumindest ansatzweise über das (Predigt-)Thema bescheid zu wissen und dies möglicherweise inhaltlich in den Lieder mitzutragen und aufzugreifen.
Bekanntheit der Lieder:
Wichtig ist, einen großen Prozentsatz an bekannten Liedern auszuwählen. Gemeinden lernen (nach meiner Erfahrung) gerne neue Lieder, allerdings in angemessenen Dosen. Ein neu eingeführtes Lied sollte erst einige Male gefestigt & wiederholt werden, bevor ein Weiteres eingeführt wird.
Ablauf/Reihenfolge:
Jede Lobpreiszeit ist zu vergleichen mit einem Gang ins Heiligtum (Gegenwart Gottes) und wieder hinaus. Dies ist ausschlaggebend für die Reihenfolge der Lieder, sowohl musikalisch gesehen als auch inhaltlich. Es bietet sich zum Ankommen an, mit aufgeweckten, fröhlichen Liedern zu starten, in denen man sich auf Gott ausrichten kann und bewusst alles andere hinter sich lässt. Anschließend kann eine intensivere (möglicherweise) ruhigere Zeit im Heiligtum folgen, in der besonders Raum für Gottes Reden gegeben wird und über seine Heiligkeit gestaunt & angebetet werden kann (an dieser Stelle darf auch Klage & Trauer berücksichtigt werden). Eine wieder etwas fetzigere Phase, in der Gott gefeiert und ihm für sein Reden, seine Gnade & Liebe gedankt wird, kann die Lobpreiszeit abschließen.
Musikalisch gesehen bietet es sich an, Lieder mit gleichen oder ähnlichen Tonarten aneinander zu reihen, um keine langen Pausen zu produzieren (Achtung: nicht verwechseln mit bewusster Stille!).
Sicherheit der Band:
Mir selbst fällt es immer schwer, mich auf eine Lobpreiszeit einzulassen, in der ich merke, dass der Leiter bzw. das Musikteam/die Band unsicher ist. Die Atmosphäre wird verkrampft.
Deshalb finde ich es wichtig, dass der Leiter (und die Band) die Lieder, die er auswählt, sicher spielen und leiten kann! Das ist eine gute Grundlage für ihn selbst, offen für Gott zu sein und hilft der Gemeinde auch, sich mit voller Aufmerksamkeit auf Gott auszurichten.
Wenn ich also merke, dass ich und/oder meine Band in bestimmten Liedern zu unsicher bin, überlege ich nochmal, ob es nicht doch Sinn macht, es durch ein anderes zu ersetzen. (In manchen Fällen kann es allerdings sein, dass Gott aber grade dieses Lied mit diesem Inhalt wichtig ist und es unbedingt gespielt werden soll. Wenn es „dran“ ist, sollte es auf jeden Fall in der Liste bleiben. Der Geist Gottes kann und wird dann in unserer menschlichen Schwachheit und in unserer Unsicherheit ganz besonders wirken. Hier gilt es, als Leiter gut hinzuhören, was Gott möchte.).

  1. Was können Gemeinden und Lobpreisleiter besser machen, um eine Singkultur zu fördern? 
    – Regelmäßig (miteinander) singen & lobpreisen:Gemeinde muss in ihrer Struktur auf jeden Fall Lobpreis als festes Element anerkennen und in Gottesdienste und sowieso ins gesamte Gemeindeleben einbauen. Zu oft werden Lieder zu „Lückenfüllern“ degradiert (Eins zum Ankommen bis alle sitzen, eins vor der Predigt, eins nach der Predigt, eins nach dem Segen als Rausschmeißer, etc…). 
    – Eine eigene Kultur entwickeln & fördern:Viele Gemeinden (auch in Deutschland) etablieren mittlerweile eigenes Liedgut. Für die Identität der Gemeinde und für die Gemeinschaft an sich ist es absolut förderlich, selbst geschriebene Lieder zu singen.  
    – Ein Repertoire festlegen:Grade in Gemeinden mit verschiedenen Lobpreisteams sollte darauf geachtet werden, dass es eine große Schnittmenge an Liedern gibt. Wenn jeden Sonntag komplett andere Lieder gesungen werden, entsteht kaum „Gemeinsames Singen“ sondern mehr Konzert. 
    – Der Lobpreisleiter als Reiseführer und nicht als Ziel:Der Lobpreisleiter sollte sich auf Augenhöhe mit der Gemeinde begeben. Ich persönlich würde am Liebsten die Trennung zwischen Bühne & dem Rest des Gemeindesaales aufheben;-)
    Es geht nicht darum, im Mittelpunkt zu stehen. Es geht darum, auf den hinzuweisen und die Menschen zu dem zu führen, der der Grund und das Ziel unserer Lebensreise ist. So sollte das Anliegen des Leiters sein, Gott zu suchen und Ihm zu begegnen. Die Menschen werden diesen Glanz der Herrlichkeit Gottes in seinen Augen sehen und kein anderes Bedürfnis mehr haben als mitzugehen und den zu suchen, den er sieht!
Da der Dienst des Lobpreisleiters /der Lobpreisleiter ein sehr entscheidender für die Lobpreis-Kultur (einer Gemeinde) ist, brauchen grade diese Personen viel Unterstützung im Gebet und außerdem Orte, an denen sie selbst auftanken und empfangen können. Auch der „beste“ Lobpreisleiter kann nicht immer nur geben…
  1. Wenn jemand heute frisch als Lobpreisleiter anfangen möchte, welche Empfehlungen und Ermutigungen gibst du ihm auf den Weg mit?
Grundsätzlich könnte ich darüber ein ganzes Buch schreiben . Aber nun das Wichtigste in Kürze:

– Lerne leiten durch geleitet werden:Jeder von uns hat zuerst gelernt und dann gelehrt. Auch die Jünger sind bei Jesus in die Schule gegangen, bevor sie Gemeinden gegründet und geleitet haben. Es ist auch im Bereich Lobpreis wichtig, gute Leiter & Vorbilder zu haben. Spiele am besten zuerst in einem Lobpreisteam mit und ordne dich einem Leiter/einer Leiterin unter. Sei dabei auf jeden Fall aufmerksam – du kannst so viele wertvolle Dinge lernen!
Bitte Gott, dir zu zeigen, ob er dich zum Leiter/zur Leiterin berufen möchte und wenn ja, wann. Lass dir Zeit! Es ist wichtig, dass du in seinem Zeitplan läufst und nicht versuchst zu überholen 😉
 
– Werde ehrgeizig & exzellent, bleibe demütig & bodenständig:Kein Meister fällt vom Himmel, soviel steht fest. Aber: Es ist wichtig, dass du gut bist in dem was du tust, und beständig nach dem Besseren strebst! Das hört sich im ersten Moment nicht grade demütig an, ich weiß. Aber es ist wichtig! Gott hat uns Begabungen gegeben damit wir diese weiter fördern und fordern. Außerdem hast du – grade als Leiter/in – nicht nur Verantwortung für dich selbst, sondern auch für andere! Das Problem beim Gut-Sein & Besser-Werden ist oft Stolz! Bleibe demütig. Sei dir bewusst, von wem du alles hast und warum du tust, was du tust. Ohne IHN wärst du nichts! Bleibe auf Augenhöhe mit den Menschen um dich herum, und habe Menschen um dich, die dir Feedback geben und dich auch mal „zurechtweisen“ dürfen. 
– Bleibe mit deinem Herzen bei Gott:Das ist so wichtig. Du kannst so gut sein wie du willst – wenn Sein Glanz in deinen Augen nicht da ist, weil du auf andere Dinge schaust und dein Herz irgendwo in der Welt oder bei dir selbst hängt, hat dein Lobpreis an Wert verloren. Geb‘ Gott und seiner Sache den ersten Platz in deinem Leben – alles andere wird dir zufallen (vgl. Matthäus 6,33).

Tim Lambesis von As I Lay Dying im Interview

Gedanken zum Interview mit Tim Lambesis
Als Fan von Musik etwas härterer Gangart mochte ich natürlich die Band „As I Lay Dying“ (AILD) schon seit Längerem. Als vor gut einem Jahr (am 7. Mai 2013) deren Frontmann Tim Lambesis verhaftet wurde, war ich dann doch etwas überrascht. Die Medien schlachteten dieses Ereignis natürlich bis zum Gehtnichtmehr aus. Am 16. Mai 2014 wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt. Jetzt endlich brach er sein Schweigen und gab Ryan Downey ein Interview (Link). Als ich es am vergangenen Sonntag las, dachte ich lange darüber nach. Es enthält viele Themen, die wirklich sehr wichtig für unsere Generation (und die nachfolgenden Generationen) sind. Ich möchte fünf davon herauspicken und kurz erläutern. Dennoch möchte ich jedem, der Englisch lesen kann, empfehlen, das gesamte Interview zu lesen. Vielleicht findet sich auch ein „freiwilliges Opfer“, das bereit wäre, das Interview zu übersetzen.
Zuerst die wichtigsten Inhalte in Kurzfassung: Tim Lambesis ist in einem christlichen Umfeld aufgewachsen. Nach seinem Schulabschluss begann er, mit Bands zu touren. Unter anderem hat er dann im Jahr 2000 die Band „As I Lay Dying“ gegründet, die schon nach kurzer Zeit Touren durch die ganze Welt hatte. 2004 heiratete er Meggan Murphy. Da er in der Zeit als Teenager mit seiner Gemeinde Bibelfreizeiten in sehr armen Ländern durchführte, wo ihn das Schicksal vieler Waisenkinder persönlich stark berührte, entschieden sie sich, Kinder aus Äthiopien zu adoptieren. Durch lange Touren als Band kam eine zunehmende Entfremdung zwischen Tim und seiner Frau auf. Er fühlte sich in den Zeiten, die er zu Hause verbrachte, immer stärker abgelehnt von Meggan, woraufhin er immer mehr Zeit im Fitness-Studio verbrachte, anstatt bei seiner Familie zu sein. Sie ihrerseits fühlte sich dadurch ebenfalls abgelehnt, weshalb sie sich an ihre adoptierten Kinder zu klammern begann und ihm immer weniger Zeit mit ihnen ließ. Um weiterhin als Muskeltyp zu gelten, nahm er nun auch noch Steroide, da seine Muskeln eine Grenze (ein „Plateau“, wo das natürliche Wachstum nicht mehr nur mit Bodybuilding weitergeht) erreichten. 2012 wurde ihm alles zuviel, weshalb er sich entschied, sich von seiner Frau zu trennen. Schon ein halbes Jahr zuvor hatte er ihr mitgeteilt, dass er nicht mehr wirklich an Gott glaube. Im Scheidungsprozess hatte sie alles getan, um ihm möglichst wenig Freiheiten mit den Kindern zu lassen, was ihn weiter wütend machte. Um eine traurige Sache kurz zu machen: Er kam dann auf die absolut schreckliche Idee, es wäre besser für ihn und die Kinder, wenn seine Ex-Frau nicht mehr leben würde. Über seinen Steroid-Dealer ließ er sich einen Auftragsmörder vermitteln, der ihm dann jedoch zum Glück einen Undercover-Agenten schickte, der Lambesis verhaften ließ, sobald er ihm den Auftrag gegeben hatte. So weit die Sicht von Lambesis, wie er sich im Interview äußert. Dass dieses Interview – wie alles – mit Vorsicht zu genießen ist, sollte klar sein; spätestens seit einer ersten Antwort des AILD-Gitarristen Nick Hipa (Link). Im Folgenden fünf Stichworte mit meinen Gedanken dazu, was wir von Tim Lambesis lernen können und was wir besser machen sollten.
1. Entfremdung
Das menschliche Gehirn ist hochkomplex – und mehr noch: Es ist sehr sehr dynamisch, anders gesagt: Es verändert sich ständig. Jeder Gedanke, jedes Bild, jedes aufgenommene Wort in unserem Leben hinterlässt bleibende Spuren. Jeder Mensch verändert sich also ständig. Rund um die Uhr. Das ist eine der großen Stärken des Menschen: Er kann sich so sehr gut und schnell an jede neue (veränderte) Situation anpassen. Entfremdung kommt zustande, wenn sich Menschen in sehr unterschiedliche Richtungen verändern. So braucht es in der Ehe und Familie immer wieder gemeinsame Zeiten, gemeinsame Erlebnisse, gemeinsame Erinnerungen. Kommunikation ist sehr wichtig und beeinflusst die Richtung, in die wir uns verändern. Tim Lambesis war oft über Monate auf Tour und von seiner Frau und den Kindern getrennt. So haben sie sich in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt. Dies kommt auch in Familien vor, die keine Profimusiker sind. Das gemeinsame Fernsehen kann diese Entwicklung nicht aufhalten. Auch der Computer und das Handy oder Smartphone drängt sich häufig in den Vordergrund und verhindert die gemeinsame Veränderung in dieselbe Richtung.
2. Identität
Die Fragen „Wer bin ich? Was macht mich aus? Was macht mich besonders?“ stellt sich jeder Mensch im Laufe seines Heranwachsens. Tim war sein Leben lang in einem christlichen Umfeld, doch nicht selten wird auch hier nicht wirklich eine Antwort auf diese Fragen gegeben. Junge Menschen brauchen Vorbilder, die ihnen sicht- und spürbar vorleben, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau, ein Vater oder eine Mutter zu sein. Viel zu lange haben unsere Gemeinden diese Aufgabe der Schule, den Hollywood-Filmen und dem BRAVO-Magazin überlassen. Wo sind die Frauen und Mütter, wo die Männer und Väter, die der nächsten Generation zeigen, was es bedeutet, eine gelingende Ehe und Familie zu haben? Tim Lambesis hat seine vermeintliche Identität im Erfolg als Musiker und Bodybuilder gefunden. Er bereut zutiefst, wohin das geführt hat. Lasst uns Gemeinden bauen, die der nächsten Generation eine echte Identität zu vermitteln vermögen.
3. Apologetik
Lambesis erzählt in seinem Interview, dass er sich mit den Fragen beschäftigt hat, die der sogenannte „Neue Atheismus“ an den christlichen Glauben stellt. Und irgendwann hat er sich auf deren Seite gestellt und den Glauben an Gott abgelehnt. Erst nach seiner Verhaftung, als er viel Zeit alleine verbrachte und Zeit zum Nachdenken hatte, stellte er sich wieder diesen Fragen. Der Apologet William Lane Craig, von dem er insgesamt um die 1000 Buchseiten las, half ihm dabei. Auch hier wieder eine Anfrage an unsere Gemeinden. Sind wir bereit, die nächste Generation auf das Leben vorzubereiten? Spätestens an der Schule wird jede und jeder heutzutage mit den Argumenten des „New Atheism“ konfrontiert. Haben wir den jungen Menschen Antworten, echte Antworten, auf all diese Fragen? Können wir ihnen helfen, Tools zu entwickeln, mit deren Hilfe sie sich im ganzen Dschungel der Irrlehren, Religionen und Ideologien zurechtfinden können? Sind wir bereit, uns ganz auf die jungen Menschen einzulassen und ihnen ins Leben hinein zu helfen?
4. Christliche Kultur
Eine ganz wichtige Aussage machte Tim, als er über christliche Bands sprach. Er sagte: „We toured with more “Christian bands” who actually aren’t Christians than bands that are. In 12 years of touring with As I Lay Dying, I would say maybe one in 10 Christian bands we toured with were actually Christian bands.“ („Wir waren mit mehr „christlichen Band“ unterwegs, die in Wahrheit keine Christen waren, als mit solchen, die welche waren. In den zwölf Jahren, in denen ich mit As I Lay Dying unterwegs war, würde ich sagen, waren etwa eine von zehn Bands, mit denen wir unterwegs waren, tatsächlich christliche Bands.“) Es gibt eine Art „christliche Kultur“, die man deshalb „christlich“ nennt, weil ihre Erzeugnisse in den christlichen Buchläden zu finden sind. Ich bin kein Experte was die christliche Metalszene betrifft, aber ausgehend von dem, was ich bisher kenne, würde ich seine Zahl bestätigen. Nicht alles, was man in den christlichen Buchläden findet, ist christlich. Dasselbe trifft auch auf Bücher zu. Es gibt eine Unmenge an Büchern, die ich keinesfalls zur christlichen Literatur zählen würde, und die man da trotzdem antrifft. So ist auch hier Vorsicht und gutes Prüfen angesagt.
5. Meines Bruders Hüter
Den letzten Gedanken möchte ich zuerst einmal mir selbst zusprechen. Ja, ich bin ein Hüter meiner Mitmenschen. Ja, ich bin auch verantwortlich für sie. Lambesis bedauert, dass er sich verändert hat, ohne dass eines der anderen Bandmitglieder ihn auf die Richtung hingewiesen hat. Eines ist klar: Letztendlich trug er selbst die Verantwortung für seine Entscheidungen. Aber gerade seine Bandmitglieder, die ja auch viel Zeit mit ihm verbrachten, hätten ihn auch einmal darauf aufmerksam machen können oder sollen. Dies sei nie geschehen, sagt Lambesis nun. Ob das tatsächlich so war, oder ob dies lediglich die Sichtweise des Interviewten ist, lässt sich zur Zeit nicht mit letzter Sicherheit feststellen. Was aber auffällt, ist, dass sich immer weniger Menschen für andere mitverantwortlich fühlen. Lieber nichts sagen als jemandem „auf den Fuß zu treten“ ist die neue Devise geworden. Auch in vielen Gemeinden. Alles wird geduldet, überall zwei und mehr Augen zugedrückt, bloß damit die „Liebeskeule“ („das ist aber lieblos“, „du darfst niemanden verurteilen“, etc.) nicht hervorgeholt wird. Ich möchte meiner Geschwister Hüter sein und habe auch Glaubensgeschwister, die mich gut genug kennen, um meine Veränderungen sehen zu können, die in mein Leben hinein sprechen dürfen und sollen. Ganz nach Hebräer 10, 23 – 25: Lasst uns festhalten am Bekenntnis der Hoffnung, ohne zu wanken — denn er ist treu, der die Verheißung gegeben hat —, und lasst uns aufeinander achtgeben, damit wir uns gegenseitig anspornen zur Liebe und zu guten Werken, indem wir unsere eigene Versammlung nicht verlassen, wie es einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr den Tag herannahen seht!

Die Verzweiflung unserer Zeit

Die Kunst hat schon immer sehr schnell gezeigt, woran wir sind. Nicht selten sind Künstler sehr feinfühlige Menschen mit der Fähigkeit, philosophische Trends noch deutlicher wahrzunehmen und vor allem wiederzugeben als manche seiner zeitgenössischen Philosophen. So war auch Friedrich Nietzsche erst in zweiter oder dritter Linie Philosoph seiner Zeit, in erster Linie aber Künstler, und zwar eine Art von Künstler mit besonders feinem Gefühl für Ästhetik und zugleich äußerst scharfem Intellekt, was seine Schriften zu einer geradezu prophetischen Angelegenheit machte. Er vermochte vor bereits weit über 100 Jahren den Nerv unserer heutigen Zeitepoche zu treffen. Zu seiner Zeit noch unverstanden, wurden seine Gedanken, sein alles durchdringender Intellekt, der auch vor bis hin zur Ohnmacht schmerzenden Konsequenz nicht haltmachte, zum Leitbild des 20. Jahrhunderts. In diesem wurden die Grenzen menschlichen Daseins neu ausgelotet. Gegen Ende jenes Jahrhunderts kommt im noch geteilten Berlin eine Musikgruppe auf die Bühne, welche mit ihrem gesamten Auftreten, ihrer Musik, ihrem Gesang, ihren Texten das Ende all dessen darstellten, was bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Gültigkeit hatte. Die Grenzen waren ausgelotet, was sich nun breitmachte, war die Verzweiflung. Sie war die natürliche Folge dessen, was 100 Jahre zuvor Nietzsche gesehen hatte, als er seinem “tollen Menschen” die Worte in den Mund legte:
“Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet, — ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden?” (Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 3. Buch, Aphorismus 125)
 Dadurch, dass der Mensch die Verbindung zu seinem Schöpfer nicht nur aufgab, sondern geradezu mit allen Mitteln zu leugnen versuchte, verlor er jegliche Fähigkeit zu einem sinnfindenden und sinnerfüllenden Leben. Gott wurde aus seinen Gedanken herausoperiert und durch einen Nihilismus ersetzt. Der einzige feste Bezugspunkt wurde damit aufgegeben. Der Mensch begann, sich selbst zum Bezugspunkt zu machen, er drehte sich nur noch um sich selbst. Seine eigenen Erfahrungen, seine Bedürfnisse, seine Erlebnisse, seine Gefühle, das war es noch, was zählte. Zurück blieb die Verzweiflung.
Diese Verzweiflung auf der Bühne inszeniert sieht dann so aus:
Dieser Song “Fütter mein Ego” von der Berliner Band “Einstürzende Neubauten” zeigt sehr lebhaft, wie diese Verzweiflung in der totalen Entfremdung von Gott und der totalen Enthemmung des Individuums aussehen kann. In den Lyrics heißt es unter anderem:
Fütter mein Ego!
Fütter mein Ego!
Fütter mein Ego!

Lass uns noch was Wodka holen
Russische Vitamine
Ich glaub, wir müssen nochmal hin
Ich glaub, der Typ schläft schon
Bestimmt! Niemals!
Zieh!
Niemals schlafen! Alles Lügen! Staubiges Vergnügen!
Telefon! Zieh!
Hörst du das nicht?
Eine fixe Idee geht durchs Zimmer
Riemenschneider schnitzt sie in meine Gehirnwindungen
Dübelt sich in meinen Kopf
Später dann
Kannst du Regale dran aufstellen, oder…
Zieh! Telefon! Jetzt aber wirklich
Sag mal hörst du das nicht?
Zieh! Das brennt ja wie verrückt!

Der Text hat jeden Zusammenhang verloren, das heißt, er besteht aus lauter einzelnen, jeglichen Zusammenhang entbehrenden Einzelstücken, die gerade durch die einzelnen Satzfetzen eine neue, eigene Message rüberbringen sollen. Diese Message wird allerdings im Gehirn des Hörers / Lesers zusammengesetzt, sodass es beliebig viele Möglichkeiten gibt, den Text zu verstehen. Dies ist sehr typisch für postmoderne Musik und Filme (man vergleiche dies zum Beispiel auch mit dem bekannten Film “Lola rennt”).
 Diese Verzweiflung, die entstanden ist durch die letztendliche Absage an den einen Gott der Bibel, der das Zentrum und der Bezugspunkt von allem sein möchte, ist heutzutage allgegenwärtig zu finden in unserer Kultur. Alles ist relativ geworden, nichts ist mehr wirklich zuverlässig. Um diese Verzweiflung zu überwinden gibt es nur ein einziges Mittel: Eine Rückbesinnung auf die Bibel, deren Wort wirklich absolut zuverlässig ist. Als Gemeinden haben wir den Ausweg aus dieser Verzweiflung heraus. Den einzigen Ausweg. Dieser ist Jesus Christus, dem wir vertrauen dürfen. Dies ist die Heilige Schrift, die in all ihren Aussagen absolut irrtumslos ist und die unserem Leben Sinn und den letztgültigen Bezugspunkt schenken möchte.
 Die Menschen von heute sind reif dafür, die Ernte steht weiss und wartet darauf. Haben wir denn auch den Mut, den Menschen in ihrer Verzweiflung Beistand zu schenken und für sie da zu sein? Haben wir den Mut, ihnen DEN zu verkünden, Welcher von Sich sagt (Johannes 14, 6): “ICH bin DER (einzige) Weg und DIE (einzige) Wahrheit und DAS (einzige) Leben! Niemand kommt zum Vater denn durch Mich!”?