Buchtipp: … und immer ist noch Luft nach oben!

und immer ist noch Luft nach oben von Juergen Werth

Werth, Jürgen, … und immer ist noch Luft nach oben! Entdeckungen beim Älterwerden, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh, 1. Aufl. Juli 2018, 189S., Verlagslink, Amazon-Link

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

Jürgen Werth war viele Jahre lang Vorstandsvorsitzender beim Evangeliumsrundfunk (heute ERF Medien). Er blickt auf ein gefülltes und in vielem auch erfülltes Leben zurück und teilt mit dem Leser seine Gedanken zum Älterwerden. Ich habe das Buch über meinen 33. Geburtstag gelesen und wollte mal wissen, was das mit mir macht. Es war eine sehr interessante Erfahrung. Ich bin dankbar für die Lektüre, denn ich darf dadurch vieles von einem Mann mit viel mehr Lebenserfahrung lernen. Er ist bereit, auch über seine Fehler zu schreiben, damit ich nicht dazu verdammt bin, alle selber noch einmal zu machen.

Das Buch besteht aus 26 Kapiteln, von welchen jedes nur wenige Seiten lang ist, und die einen sehr losen Zusammenhang miteinander haben. Es ist nicht so sehr aufeinander aufgebaut, sondern eignet sich auch dazu, einzelne Kapitel für sich zu lesen oder die Reihenfolge beliebig zu wählen. Ich bin sonst nicht so sehr ein Freund von Blumenstrauß-Büchern, aber in diesem Fall war das dem Thema und Inhalt angemessen und passte somit gut zum Ganzen. Im Folgenden ein paar besondere Leckerbissen aus dem Buch, die ich mir unterstrichen und fürs Leben mitgenommen habe:

Dass alles vergeht, gibt allem eben auch einen besonderen Reiz und Glanz. Dass ich gehe und vergehe, macht mich eben auch besonders.“ (S. 88) Auch wenn wir als Christen eine Ewigkeitsperspektive haben; hier auf Erden sind wir und ist alles vergänglich, und im Erdendasein macht es das gerade deshalb wertvoll.

Scheitern ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Wer nie scheitert, wird arrogant und menschenverachtend.“ (S. 113) Es ist wohltuend befreiend, wenn man auch mal scheitern darf. Man muss nicht immer alles im Griff haben. Das macht uns frei, um wertvolle Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen treffen zu können, ohne den Zwang, dass alles immer so funktionieren muss, wie man es sich vorstellt. Das ist auch meine eigene Erfahrung.

Und dann, ja, die Gelassenheit. Das, was ich mir noch mehr wünschen würde. Auch dazu hat Werth eine wertvolle Aussage: „Gelassenheit stellt sich nicht von selbst ein. Man muss darum bitten. Täglich. Und man muss rechtzeitig damit beginnen loszulassen, damit es, wenn man älter wird, zu einer vertrauten Übung geworden ist.“ (S. 153). Gut zu wissen, denn damit habe ich ja nun genügend Zeit zum Anfangen und Üben. Vielen Dank Herr Werth!

Das Kapitel 25 hat mir etwas Mühe bereitet, denn dort wird es theologisch deutlich schwächer. Dazu muss natürlich gesagt sein, dass Werth kein Theologe ist, sondern Journalist und Liedermacher. Deshalb werde ich dies dem Autor auch nicht zum Vorwurf machen. Ich möchte nur meine Leser darauf hinweisen, dass sich Werth hier in umstrittenes Gebiet und missverständliche Formulierungen wagt. Etwa hier: „Gott denkt sich ständig neue Wege aus und interessiert sich sehr für die Wege, die ich mir ausdenke. Und miteinander entscheiden wir, welchen Weg wir gemeinsam gehen.“ (S. 168) Das klingt ja schon ziemlich nach einer offenen Zukunft und nach einem überraschten und veränderlichen Gott. Wie auch immer es gemeint sein mag, es ist theologisch leicht misszuverstehen und deshalb wenig hilfreich.

Jürgen Werth hat das Buch mit sehr vielen eigenen Erlebnissen und Schilderungen von Menschen, die er kennt, gewürzt. Das macht das Buch leicht lesbar und unterhaltsam, wenn man diesen Schreibstil mag. Und das ist dann natürlich Geschmackssache. Im großen Ganzen handelt es sich jedoch nicht um Erfahrungstheologie, welche die Bibel entsprechend den Erlebnissen deutet, sondern umgekehrt sind die Erlebnisse in den meisten Fällen hilfreiche Illustrationen der Dinge, welche Werth zuerst in der Bibel gründet. Hiervon ausgenommen sind vor allem der Anfang und der Schluss. Mit dem Anfang konnte ich recht wenig anfangen, denn es geht um das Gedankenexperiment, das Leben in vier „Jahreszeiten“ von jeweils 25 Jahren einzuteilen. Dabei handelt es sich jedoch eher um eine Einführung ins Buch. Ich persönlich hätte mir das Buch nach Lesens diesen Anfangs nicht gekauft, musste aber nach ein paar weiteren Seiten sagen, dass der Inhalt deutlich besser ist als der Anfang. Vermutlich wird der Anfang auch manchen gut gefallen, auch das ist Geschmackssache und tut dem gesamten guten Inhalt des Buches keinen Abbruch. Ich habe das Lesen sehr genießen können und gebe dem Buch deshalb fünf von fünf Sternen.

Zitat: Der Heilige Geist schenkt Gottesfurcht

Das folgende Zitat findet sich in meinem PDF, das sich mit den Namen und Symbolen des Heiligen Geistes befasst: https://jonaserne.net/wp-content/uploads/2017/12/HeiligerGeist_Namen.pdf

Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis; nur Toren verachten Weisheit und Zucht! (Sprüche 1, 7) Die Gottesfurcht ist der Anfang der Erkenntnis, und weil der Heilige Geist es ist, der überhaupt erst Erkenntnis schafft, ist auch die Gottesfurcht ein Werk von Ihm. Der רוּחַ דַּעַת וְיִרְאַת יְהוָֽה (Ruach da’at weJir’at Jahweh – Geist der Erkenntnis und der Furcht Jahwes) ist somit der Heilige Geist, der dem von Ihm erfüllten Menschen Erkenntnis schenkt und ihn dazu führt, Ehrfurcht vor Gott zu haben angesichts der Größe, Herrlichkeit, Heiligkeit, Macht, Stärke, Ehre, Liebe und Gerechtigkeit Gottes. Dieser Geist ist auf dem Messias, wie Jesaja 11, 2 zeigt. Der dortige Kontext zeigt auf, dass für Gott die Furcht Jahwes ein Wohlgeruch ist. Abraham Meister schreibt dazu meisterhaft: „Die Gottesfurcht ist demnach ein ständiges zu Gott aufsteigendes Opfer der Anbetung. Der Geist der Furcht Jahwes richtet sich in seinem Rechtsurteil nicht nach dem äußeren Schein oder Gerede, sondern seine Gottesfurcht ist durch die Erkenntnis mit göttlichem Tiefgang und Scharfsinn vereinigt.“1 Von dieser Gottesfurcht ist auch in Hiob die Rede: Und er sprach zum Menschen: »Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit, und vom Bösen weichen, das ist Einsicht!« (Hiob 28, 28) sowie in den Psalmen: Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit; sie macht alle einsichtig, die sie befolgen. Sein Ruhm bleibt ewiglich bestehen. (Psalm 111, 10)

Meister, Abraham, Namen des Ewigen, Mitternachtsruf Verlag Pfäffikon, 1973, S. 249

Lieber Andy – der vierte Brief an einen jungen Mann


Dienstag, 14. August 2007

Lieber Andy,
ich freue mich sehr, dass Du meinen letzten Brief so gut angenommen hast. Du wirst nun immer reifer und wächst zu einem Erwachsenen heran. Ich habe gesehen, dass Du gern noch mehr gelesen hättest. Heute möchte ich Dir diesen Gefallen tun und den Inhalt des letzten Briefes ein wenig weiter ausführen.
Ich habe Dir im letzten Brief von der Weisheit geschrieben. Sie ist wie Silber oder vergrabene Schätze. Man bekommt sie nicht hinterher geworfen. Silber wird in den Silberminen gefunden und gereinigt. Die Weisheit möchte gesucht und gefunden werden. Wenn ich Dir so schreibe, so wirst Du wohl nicht immer alles sofort verstehen. Am Besten Du liest es halt immer mal wieder durch und versuchst, es noch besser zu verstehen. So ist das mit der Weisheit. Der größte und auch der wichtigste Teil der Weisheit besteht darin, alle Dinge im richtigen Licht und der richtigen Perspektive zu sehen. Die Ehrfurcht vor Gott ist der Schlüssel dazu. Ehrfurcht ist gerade nicht Angst. Bei der Angst versucht man, davonzulaufen. Bei der Ehrfurcht vor Gott läuft man im Gegenteil auf Gott zu und vertraut ihm ganz und gar.
Das hilft uns auch zur richtigen Perspektive: Unser Leben ist einerseits „nur“ ein einzelnes, kleines Leben unter Milliarden von Menschen auf dieser Erde und die Erde nur ein kleiner Planet unter Milliarden von Himmelskörpern in unserer Galaxie unter Milliarden von anderen Galaxien. Und doch ist der Gott, der alles gemacht hat, genau an unserem kleinen, einfachen Leben unendlich interessiert und möchte, dass wir über alles mit ihm reden. Wer ihm vertraut und tut, was Gott möchte, wird in seinem Leben Gelingen und den Schutz Gottes haben. Nicht immer so, wie wir uns das vorstellen oder wünschen, aber immer so, dass es auf lange Sicht gesehen das Richtige sein wird.
Es werden immer wieder Menschen kommen, die Dich von diesem Weg abbringen möchten. Sie werden Dir allerlei Lügen auftischen. Sie werden versuchen, Dich für ihre falschen Unternehmungen zu gewinnen und wollen Dich überreden, ihnen bei ihren schlimmen Taten zu helfen und würden sich allzu sehr freuen, wenn sie Dich dazu überreden könnten. Es ist niemand davor geschützt, dass sie kommen. Doch wer die Weisheit in seinem Leben hat, wird erkennen können, wie man mit dieser Situation umgehen soll. Das ist der große Vorteil der Weisheit. Deshalb ist sie so praktisch. Sie hilft uns jeden Tag bei allem, was wir tun.
Lieber Andy, Du merkst langsam auch, dass sich Dein Blick für Menschen des anderen Geschlechts, nämlich für Mädchen und Frauen, verändert. Du brauchst das gar nicht blöd zu finden, weißt Du, Andy, jedem geht es so. Und das ist auch ein Grund, warum ich Dir heute schreibe. Es wird Frauen geben, die versuchen werden, Dir den Kopf zu verdrehen und Macht über Dich auszuüben. Sie werden merken, dass Du plötzlich dafür empfänglich geworden bist. Habe keine Angst vor ihnen, aber lass Dich von ihnen auch nicht um den Finger wickeln. Viele von ihnen haben als Kinder eine schwierige Zeit gehabt, wo sie viel zu wenig Aufmerksamkeit und Zeit von ihren Eltern bekommen haben – nun versuchen sie, diese von Euch Jungs zu kriegen.
Wir Menschen sind für Treue geschaffen, dass wir als Männer eine Frau suchen und ihr treu bleiben – durch dick und dünn, was immer kommen mag. Je mehr wir uns aber in jungen Jahren von vielen Frauen um den Finger wickeln lassen, desto schwieriger wird das später. Je mehr sich in unserem Kopf Bilder aus der frühen Zeit ansammeln, die uns beeindrucken, desto unrealistischer werden unsere Erwartungen und Wünsche und desto schneller werden wir enttäuscht. Deshalb sei auch vorsichtig, welche Bilder Du in den Medien und auf der Straße in Deinen Kopf reinlässt. So kannst Du Dir alles Schöne für später aufheben und dafür umso mehr genießen.

Liebe Grüße
Dein K. S.


Lieber Andy – der dritte Brief an einen jungen Mann



Dienstag, 10. Juli 2007
Lieber Andy,
ich weiß nicht, ob Du das magst, was ich Dir heute schreiben werde. Es ist eigentlich nichts so Besonderes in der Zwischenzeit passiert, deshalb möchte ich Dir einfach mal ein paar Gedanken von einem alten Mann mitgeben, der schon viel in der Welt gesehen und erlebt hat. Bestimmt denkst Du jetzt: Also diese alten Leute, die sind doch schon voll out und haben kein Plan, was wirklich abgeht. Aber weißt Du, egal welche Zeit man sich anschaut – und davon habe ich eine ganze Menge gesehen – da finden sich immer wieder dieselben Probleme und auch dieselben Lösungen.
Es gibt da so ein altmodisches Wort, das heißt Weisheit, und das bedeutet eigentlich so viel wie praktische Lebenserfahrung. Das ist nichts Theoretisches, nichts aus dem Elfenbeinturm, es ist einfach die gesammelte Erfahrung eines langen Lebens. Und diese Weisheit möchte ich als ein alter Mann mit Dir teilen. Dein Leben ist zu kurz, um alle Fehler selbst zu machen. Deshalb ist es eigentlich die Aufgabe von uns erfahrenen Menschen, diese Weisheit weiterzugeben, damit Eure Generation davon lernen darf.
Eins ist klar: Jeder darf und muss auch bestimmte Fehler selbst machen. Jeder wird sogar eine ganze Reihe von Fehlern machen. Aber die Aufgabe der gesammelten Weisheit ist es, Euch zu helfen, dass Ihr nur die nötigen Fehler selbst machen müsst. Eigentlich wäre es unsere Aufgabe, überall in den Städten auf den großen Plätzen auf die Bänke zu stehen und laut hinauszurufen, was Ihr alle von uns lernen könnt. Aber ich bezweifle, dass das wirklich so gut ist und die Menschen das so annehmen würden.
Viel an dieser Weisheit ist öffentlich zugänglich, jeder kann sie bekommen, der es nur möchte. Nur ist es leider so, dass sehr viele Menschen die Weisheit ablehnen und sich nur darüber lustig machen. Das war schon immer so. Deshalb wird die Weisheit immer wieder bekämpft und zum Schweigen gebracht. Man lässt sie verstauben, überlässt sie den Professoren, die leider auch nicht besonders viel damit anfangen können. Am meisten bringt die Weisheit denen, die im täglichen Leben drin stehen, die zur Schule gehen oder arbeiten, die Familie haben oder auch nicht. Das spielt keine so große Rolle. Aber vielen Professoren geht es nur darum, dass sie die Weisheit auseinandernehmen können und kluge Bücher darüber schreiben und damit versuchen, sich einen bekannten Namen zu machen.
Weißt Du, Andy, manchmal könnte man schon richtig spöttisch werden. Da sieht man, was sich in der Welt für Probleme ergeben, wie viel Streit, Süchte, Diebstahl, Angst, Machtgehabe, und so weiter es da gibt. Und man sieht all die Weisheit, die jeder haben könnte, der sie nur haben wollte, die aber verspottet wird. Da könnte man manchmal echt drüber lachen, was sich manche Leute für unnötige Probleme machen, die schon lange gelöst wurden, aber immer und immer wieder noch einmal wiederholt werden müssen. Ich glaube, dass irgendwann die Weisheit auch am Ende sein wird, weil niemand darauf hört, und dann wird es echt schlimm werden. Da möchte ich dann nicht auf der Erde leben müssen.
Ich glaube dann werden die Menschen zu Gott schreien und es wird irgendwann zu spät sein. Noch ist die Zeit der Gnade, noch ist Gott jederzeit ansprechbar. Noch ist es so, dass jeder, der zu Gott ruft und seine Sünde zugibt und einen echten Neuanfang mit Gott will, das haben kann. Aber Gottes Geduld wird auch eines Tages zu Ende sein. Die vielen Menschen, die für ihren Glauben an Gott verfolgt und getötet wurden, sind noch nicht gerächt. Aber eines Tages werden sie das. Und dann wird es für viele zu spät sein. Sie wollten nicht auf die Weisheit hören, als dazu noch Zeit war – und dann wird es zu spät sein.
Lieber Andy, mach ganze Sache mit Gott und bete für die Menschen, die das auch noch nicht gemacht haben.
Liebe Grüße
Dein K. S. 

Zum 450. Todestag von Johannes Calvin

Zum 450. Todestag von Johannes Calvin
Vor 450 Jahren (am 27. Mai 1564) ist der Genfer Reformator Johannes Calvin gestorben. Auch dann, wenn man nicht in allen Dingen seine Meinung vertritt, ist sein Werk von sehr großer Bedeutung – auch und gerade für die weitere Entwicklung westlichen Geschichte und Kultur der letzten 500 Jahre. Ich staune immer wieder erneut über seine große Gottes- und Menschenkenntnis, die sich auch besonders in seiner „Institutio“ niederschlägt. Hier die ersten Abschnitte daraus:
1. Ohne Selbsterkenntnis keine Gotteserkenntnis
All unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr und zuverlässig ist, umfasst im Grunde eigentlich zweierlei: Die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis. Diese beiden aber hängen vielfältig zusammen, und darum ist es nun doch nicht einfach, zu sagen, welche denn an erster Stelle steht und die andere aus sich heraus bewirkt.
Es kann nämlich erstens kein Mensch sich selbst betrachten, ohne sogleich seine Sinne darauf zu richten, Gott anzuschauen, in dem er doch „lebt und webt“ (Apg. 17, 28). Denn all die Gaben, die unseren Besitz ausmachen, haben wir ja offenkundig gar nicht von uns selber. Ja, selbst unser Dasein als Menschen besteht doch nur darin, dass wir unser Wesen in dem einigen Gott haben! Und zweitens kommen ja diese Gaben wie Regentropfen vom Himmel zu uns hernieder, und sie leiten uns wie Bächlein zur Quelle hin.
Noch viel deutlicher aber wird gerade in unserer Armut der unermessliche Reichtum aller Güter erkennbar, der in Gott wohnt. Besonders zwingt uns der jämmerliche Zerfall, in den uns der Abfall des ersten Menschen hineingestürzt hat, unsere Augen emporzurichten: hungrig und verschmachtend sollen wir von Gott erflehen, was uns fehlt, aber auch in Furcht und Erschrecken lernen, demütig zu sein. Denn der Mensch birgt ja in jeder Hinsicht eine Welt von Elend in sich, und seitdem wir der göttlichen Zier verlustig gegangen sind, macht eine beschämende Blöße unendlich viel Schande offenbar. Ist es aber so, dann muss ja notwendig jeder Mensch vom Bewusstsein seines heillosen Zustandes wenigstens zu irgendeinem Wissen von Gott getrieben werden. Wir empfinden unsere Unwissenheit, Eitelkeit, Armut, Schwachheit, unsere Bosheit und Verderbnis – und so kommen wir zu der Erkenntnis, dass nur in dem Herrn das wahre Licht der Weisheit, wirkliche Kraft und Tugend, unermesslicher Reichtum an allem Gut und reine Gerechtigkeit zu finden ist. So bringt uns gerade unser Elend dahin, Gottes Güter zu betrachten, und wir kommen erst dann dazu, uns ernstlich nach ihm auszustrecken, wenn wir angefangen haben, uns selbst zu missfallen. Denn von Natur hat jeder Mensch viel mehr Freude daran, sich auf sich selbst zu verlassen, und das gelingt ihm auch durchaus – solange er sich selbst noch nicht kennt, also mit seinen Fähigkeiten zufrieden ist und nichts von seinem Elende weiß oder wissen will. Wer sich also selbst erkennt, der wird dadurch nicht nur angeregt, Gott zu suchen, sondern gewissermaßen mit der Hand geleitet, ihn zu finden.
2. Ohne Gotteserkenntnis keine Selbsterkenntnis
Aber andererseits kann der Mensch auf keinen Fall dazu kommen, sich selbst wahrhaft zu erkennen, wenn er nicht zuvor Gottes Angesicht geschaut hat und dann von dieser Schau aus dazu übergeht, sich selbst anzusehen. Denn uns ist ja ein mächtiger Hochmut geradezu angeboren, und darum kommen wir uns stets durchaus untadelig, weise und heilig vor, wenn uns nicht handgreifliche Beweise unsere Ungerechtigkeit, Beflecktheit, Torheit und Unreinheit vor Augen halten und uns so überführen. Dazu kommt es aber gar nicht, wenn wir bloß auf uns selber sehen und nicht zugleich auf den Herrn; denn er ist doch die einzige Richtschnur, nach der ein solch Urteil über uns selbst erfolgen kann. Wir sind ja von Natur alle zur Heuchelei geneigt, und so befriedigt uns schon irgendein leerer Schein von Gerechtigkeit ebensosehr, wie es die Gerechtigkeit selber könnte. Und weil unter uns und um uns rein nichts zu erblicken ist, das nicht von schrecklicher Unreinigkeit befleckt wäre, so begeistert uns, solange wir über die Grenzen menschlicher Unreinheit nicht hinausblicken, schon das, was bloß ein bisschen weniger besudelt ist, weil wir es bereits für rein halten. Es geht wie bei einem Auge, das ausschließlich an den Anblick schwarzer Farbe gewöhnt ist – und das dann schon für schneeweiß hält, was vielleicht grau oder geschwärztes Weiß ist. Überhaupt können wir an dem leiblichen Sinnesorgan ein Beispiel nehmen, wie sehr wir in der Beurteilung unserer inneren Tüchtigkeit Trugbildern erliegen. Denn wenn wir am lichten Tage die Erde anschauen oder das, was uns umgibt, so wähnen wir wohl, ein starkes und durchdringendes Sehvermögen zu besitzen. Sobald wir aber die Sonne mit offenem Auge stracks anblicken wollen, so wird jene Sehkraft, die den Dingen dieser Erde gegenüber völlig ausreichte, ganz überwältigt und geblendet, so dass wir bekennen müssen, dass diese Sehkraft, so scharf sie im Irdischen war, gegen die Sonne geradezu Schwachsichtigkeit ist! Genau so ist es bei der Betrachtung unseres geistlichen Besitzes. Lenken wir den Blick nicht über die Erde hinaus, so sind wir mit der eigenen Gerechtigkeit, Weisheit und Tugend reichlich zufrieden und schmeicheln uns mächtig – es fehlte, dass wir uns für Halbgötter hielten! Aber wenn wir einmal anfangen, unsere Gedanken auf Gott emporzurichten, wenn wir bedenken, was er für ein Gott sei, wenn wir die strenge Vollkommenheit seiner Gerechtigkeit, Weisheit und Tugend erwägen, der wir doch gleichförmig sein sollten – so wird uns das, was uns zuvor unter dem trügerischen Gewand der Gerechtigkeit anglänzte, zur fürchterlichsten Ungerechtigkeit; was uns als Weisheit wundersam Eindruck machte, wird grausig als schlimmste Narrheit offenbar, was die Maske der Tugend an sich trug, wird als jämmerlichste Untüchtigkeit erfunden! So wenig kann vor Gottes Reinheit bestehen, was unter uns noch das Vollkommenste zu sein schien.
3. Der Mensch vor Gottes Majestät
Daher kommt es, dass nach vielfach wiederholten Berichten der Schrift die Heiligen von Furcht und Entsetzen durchgerüttelt und zu Boden geworfen wurden, sooft ihnen Gottes Gegenwart widerfuhr. Menschen, die zuvor, ohne seine Gegenwart, sicher und stark dastanden – jetzt, da er seine Majestät offenbart, sehen wir sie derart Schrecken und Entsetzen gejagt, dass sie geradezu in Todesangst niederfallen, ja vor Schrecken vergehen und fast zunichte werden! Daran merken wir, dass den Menschen erst dann die Erkenntnis seiner Niedrigkeit recht ergreift, wenn er sich an Gottes Majestät gemessen hat. Beispiele solcher Erschütterungen haben wir im Richterbuche wie auch bei den Propheten. Es ging soweit, dass im Volke Gottes die Redewendung in Gebrauch kam: „Wir müssen sterben, denn wir haben den Herrn gesehen“ (Ri. 13, 22; Jes. 6, 5; Ez. 1, 28; u. a.). Und wenn das Buch Hiob (z.B. Kap. 38 ff.) den Menschen durch das Bewusstsein seiner Torheit, Ohnmacht und Beflecktheit zu Boden werfen will, so dienen ihm stets die Beschreibungen von Gottes Weisheit, Kraft und Reinheit zum Beweise. Das ist berechtigt: Wir sehen, wie auch Abraham, nachdem er einmal von nahem des Herrn Herrlichkeit erschaut hat, um so besser erkennt, dass er „Erde und Asche“ ist (Gen. 18, 27). Elia vermag sein Nahen nicht mit unverdecktem Antlitz zu ertragen (1. Kön. 19, 13). Solcher Schrecken liegt in seinem Anblick! Was soll auch der Mensch tun, der doch Staub ist und ein Wurm, wenn selbst die Cherubim in heiliger Scheu ihr Angesicht verhüllen müssen! (Jes. 6, 2). Eben dies spricht Jesaja aus: „Der Mond wird sich schämen und die Sonne mit Schande bestehen, wenn der Herr der Heerscharen König sein wird“ (Jes. 24, 23). Das heißt: wenn er seine Herrlichkeit in voller Nähe offenbaren wird, dann versinkt auch das sonst Leuchtendste in Finsternis.“
(Johannes Calvin, Institutio, Unterricht in der christlichen Religion, übersetzt von Otto Weber, Buchhandlung des Erziehungsvereins Neukirchen, Kreis Moers, 1936)

Christus unsere Weisheit

Christus, unsere Weisheit
Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht worden ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung (1. Korinther 1, 30)
Im Kontext unseres Verses geht es um den Gegensatz von menschlicher und göttlicher Weisheit. Menschliche Weisheit ist auf das beschränkt, was der Mensch vor Augen sieht, was er messen und erfassen kann. Göttliche Weisheit steht darüber und sieht den gesamten Zusammenhang. Die menschliche Weisheit sieht einzelne Gesetze im Chaos dieses Weltenlaufs, die göttliche Weisheit sieht das wunderbare Zusammenspiel von allem gemäß dem Plan und Vorsatz Gottes. Die Weisheit der Welt kann durch ihre Beschränktheit nur die Sinnlosigkeit feststellen, während Gottes Weisheit in allem den Sinn sieht. Der Schlüssel zu dieser göttlichen Weisheit ist der Herr Jesus Christus, von dem wir hier lesen, dass Er uns zur Weisheit gemacht worden ist.
Zunächst ist uns der Herr Jesus zur Weisheit gemacht worden, indem Er zur Erfüllung all der Verheißungen des Alten Bundes geworden ist. Alles ist in Ihm und durch Ihn erfüllt. Er ist der Same der Frau, welcher der Schlange den Kopf zertrat. Er ist die Arche, welche die Menschen vor dem Zorngericht der Sündflut rettet. Er ist das Lamm, welches stellvertretend für Abrams Sohn Isaak geopfert wurde. Er ist der Prophet wie Mose, dem Israel gehorchen und nachfolgen soll. Er ist der Richter, den Daniel wie einen Menschensohn vom Himmel her kommen sah. Er ist der leidende Gottesknecht, der alle Sünde, Krankheit und Schmerzen trug. Er ist der Hohepriester, der sich ein für alle Mal als Opfer darbrachte. In Ihm machen alle Verheißungen und alle Prophetien des Alten Bundes Sinn, alles wird uns zur Weisheit gemacht.
Sodann ist uns der Herr Jesus auch ganz persönlich zur Weisheit gemacht worden, indem Er uns durch den Heiligen Geist in die Gemeinschaft mit Gott hineinruft, uns führt, leitet und Erkenntnis Seiner Selbst schenkt. Weise zu sein, bedeutet ja auch, im Wissen um die Sterblichkeit und das Verderben und die ewige Verdammnis zu leben, und entsprechend zu handeln. Wenn wir wirklich weise sind, werden wir die Zeit auskaufen und dazu nutzen, Menschen zum Herrn zu führen und sie im Leben mit dem Herrn anzuweisen.
Nicht zuletzt ist uns der Herr Jesus auch durch die Bibel, Gottes Wort an uns, zur Weisheit geworden. Sie dient zu unserer Orientierung im Leben, zum Unterscheiden von Richtig und Falsch, Gut und Böse und zum Beurteilen von allem, was uns begegnet und geschieht. Auch dient sie uns zur Beurteilung all dessen, was andere Menschen behaupten. Alles muss an ihr geprüft werden. So ist uns der Herr Jesus zur vollständigen Offenbarung von Gott dem Vater geworden. In Ihm sehen und erkennen wir Gott, Gottes Weisheit ist durch Ihn zu uns gekommen. Gottes vollkommene Wahrheit können wir in Ihm sehen, erkennen und in der Erkenntnis wachsen bis in alle Unendlichkeit hinein. Wie groß und wunderbar ist uns unser geliebter Herr Jesus durch all dies geworden! Er ist zu unserer Weisheit gemacht worden! Hallelu-Jah!