Gastbeitrag: Eine kurze Reise nach Mittelerde

Nachdem ich vor einiger Zeit einige Freunde angefragt hatte, ob sie mir ein paar Fragen zum „Herr der Ringe“ beantworten würden, hat Hannieldazu frei einen Text formuliert. Vielen Dank für den Gastbeitrag, Hanniel!
Eine kurze Reise nach Mittelerde
geschrieben unterwegs
Was soll man zum Klassiker „Herr der Ringe“ noch schreiben? Es gibt wenig, dass nicht gesagt worden wäre. Humphrey Carpenter legte die Biografie (J. R. R. Tolkien: A Biography) vor und editierte sein Briefwerk (The Letters of J. R. R. Tolkien). Lewis- und Tolkien-Forscher Duriez zeichnete u. a. die Geschichte der Freundschaft mit Lewis nach (Tolkien und C. S. Lewis – Das Geschenk der Freundschaft) und verfasste einen kompetenten Führer in die Welt von Mittelerde (A Guide to Middle Earth: Tolkien and The Lord of the Rings). Peter Kreeft handelte systematisch 50 Bereiche der dahinter liegenden Weltanschauung ab (The Philosophy of Tolkien: The Worldview Behind the Lord of the Rings). Louis Markos verfolgte die Spur der Tugendethik (On the Shoulders of Hobbits: The Road to Virtue with Tolkien and Lewis). Womit schon gesagt wäre, dass ich mit Sekundärliteratur gut versorgt auf die Reise nach Mittelerde startete.
Vielleicht könnte ein Blick in die leuchtenden Gesichter meiner Söhne – deren Zahl ist fünf – mehr sagen als alles andere. Dass mein Achtjähriger nach dem „Silmarillion“ (der von Christopher Tolkien definitiv zusammengestellten Sammlung der Geschichten aus dem ersten Zeitalter von Mittelerde) verlangte, erstaunte mich nicht. Für die Lektüre von „Herr der Ringe“ behalfen sie sich mit Hörbuch, bemächtigten sich der beiden roten Ausgaben von „Der Herr der Ringe“ (ich stockte infolge Interesse auf) und nahmen auf die Bahnfahrten ihren E-Reader mit, um dranzubleiben. Fragte ich in die Runde, was sie denn an dieser Welt faszinierte, kamen präzise Antworten in Form von einzelnen Szenen und vor allem Charakterbeschreibungen. Das heisst, sie konnten sich in die einzelnen Figuren und Szenen ein-fühlen, mitleiden und – was wirklich nicht selbstverständlich ist – auch wieder auf Selbstdistanzierung gehen und sagte, was sie bewunderten und was sie erschauern liess.
Ich nehme Sie mit in einige Impressionen meinerseits. Wenn man den Text auf den Begriff „Baum“ durchsucht, dann spuckt die Suchmaschine knapp 500 Stellen heraus. Es handelt sich nicht um endlos wiederholende Naturbeschreibungen im Stile Karl Mays, sondern um ein besorgtes Mit-Atmen mit den grünen Teilen der Erde. Tolkien bedauerte die Industrialisierung und Technisierung, die mit dem Verlust von vielen Grünflächen – u. a. seiner eigenen Jugend – Hand in Hand ging, zutiefst. Bäume haben in Mittelerde ein Eigenleben. Den Baumhirten (Ents) kommt in der Erzählung gar eine Heldenrolle zu. Die Baumszenen fand ich also richtig zum Eintauchen und Durchatmen.
Gehen wir zum Gegenteil des Durchatmens: Zum Bedrückenden. Auch hierin mag Tolkien voll zu überzeugen. Der schwer gehende Atem, die dunklen schweren Wolken, die Enge, die einem ans Herz greift: Die auf die Machenschaften Saurons zurückführenden Ereignisse und Manöver liessen auch mein Herz mit einem leisen Druck belegen. Das Auge, das dich (fast) immer sieht, dein Unheil will, und dessen Späher überall auftauchen, die Reiter schnell, die Schläge, die in der Regel tödlich sind, zeigen auf, was ich als Christ im Kopf schon weiss, mir aber viel zu wenig bewusst bin: Die Realität der unsichtbaren Welt und der Kampf des Fürsten der Finsternis gegen Den, der das Licht geschaffen hat und Menschen zum zweiten Mal neues Licht bringt.
Wie schon „Der Hobbit“ liest sich der Herr der Ringe als Reiseerzählung. Er reiht sich damit in die vielen Klassiker seit Homers „Odysseus“ oder der „Pilgerreise“ von Bunyan ein. Sie entspricht dem Charakter unseres Lebens: Wir leben immer in der Gegenwart und setzen einen Schritt vor den anderen. Gleichzeitig prägen Erinnerungen und Gewohnheiten unseres bisherigen Weges unser Denken und Handeln. Wir blicken auch in die Zukunft und nehmen sie vorweg. Wir hoffen und verzagen gleicherweise. Die Parallelwelt von Mittelerde lässt uns bewusster auf die vertrackte, an manchen Stellen unübersichtliche, von vielen Einzelsträngen durchzogene Lebensreise werfen: Den Start, die ersten Strapazen, unerwartete Lichtblicke, ersehnte Zwischenhalte, in Erinnerung bleibende Feste, Freundschaften und Verrat derselben, Etappen der Krankheit und des Verlustes. Bleibend sind einzelne Begegnungen, die Überraschungen und Enttäuschungen in sich bergen.
Lasst mich hier einhängen – bei den Begegnungen. Tolkien hat, geschickt wie kein Zweiter, mannigfaltige Charakteren eingebaut. Man mag kaum mit einer Person gänzlich mitgehen. Am ehesten vielleicht noch mit Sam, dem treuen Freund. Aragorn heischt Bewunderung. Mit Frodo leiden wir mit. Gandalf taucht zeitig zu Unzeiten auf. Doch keine Figur ist vollkommen. Die Grundspannung zwischen dunklen Kräften und edlem Mut bleibt. Es gibt zahlreiche Tugenden, die uns das Buch so treffend darstellt: Natürlich den hohen Wert der Freundschaft. Alleine kommt letztlich niemand ans Ziel. Tapferkeit ist gefragt, oft auch überraschend für die Person selbst, oder nach Momenten der kompletten Verzagtheit. Uneigennützigkeit kontrastiert mit Begierde und Eigennutz. Das beherzte Zugreifen folgt Strecken der minimalen Versorgung. Körperliche Ausdauer und Widerstandsfähigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung rücken ins Zentrum. Nicht im (post)modernen Sinne, als ob unser Körper das Zentrum der Welt wäre. Doch eine gesunde Körperwahrnehmung und das Spüren der eigenen körperlichen und psychischen Grenzen gehören in eine gesunde Lebensschule. Wie kommt sie zu kurz in unserem Zeitalter der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung!
Etwas hätte ich fast vergessen. Es gibt Schätze, für die es sich zu leben und zu sterben lohnt. Die einen Schätze muss die Freundestruppe loswerden. Der Ring, vom Feinde heiss begehrt, gehört ins Feuer der Vernichtung. Nicht mehr der Goldschatz der Hobbits, sondern die Rückführung der gefährlichen Begierden ist gefragt. Auffällig ist die Anfälligkeit der Ringträger. Sie widerstehen kaum der drückenden Last, ebenso wenig dem gedanklichen Sog, den der Ring entwickelt. Hohe Opfer, ja der Tod, wird eingefordert und bezahlt. Überhaupt ist dies meinen Söhnen aufgefallen: Der Weg zum Schicksalsberg ist ein Weg der Kämpfe, der Schlachten und der Opfer. Zu meiner Frau meinten sie: „Wenn du das liest, musst du dich auf viele grauenvolle Szenen vorbereiten.“ Damit meinten sie nicht abscheuliche Szenen der zeitgenössischen Bildgebung, die dazu aufgebaut werden, um die Bildsüchtigen in ihren Bann zu ziehen. Vielmehr geht es um heimtückische Überfälle und tapfere Abwehr von Mann zu Mann. Einzelne Helden exponieren sich. Es wird mit Schwert, Lanze und Bogen gekämpft, nicht mit ferngesteuerten Raketen.
Vieles in dieser Welt entspricht einem christlichen Weltbild und steht damit dem Bild unserer Zeit entgegen: Ja, es gibt zwei Mächte, die einander bekämpfen, jedoch nie in einer Gleichwertigkeit bzw. Gleichrangigkeit. Ja, es gibt persönliche Tugenden und ihr Gegenteil: Die Laster. Unser Leben ist eine Reise, die unabänderlich auf ein Ziel angelegt ist. Ohne Hilfe von aussen würden wir es nie erreichen. Freundschaft ist ein teures Gut. Unsere Feinde sind real. Es will wohl überlegt sein, welche Nahrung wir zu uns nehmen. Unsere Kräfte sind begrenzt. Tolkien sprach von einem vor-christlichen Universum. Er, der die Welt der nordischen Mythen wie seine Hosentaschen kannte und seine Sprachen beherrschte, sah ab von einer eintönigen Kopie (wie sein Weggefährte C. S. Lewis übrigens auch).
Die Reise nach Mittelerde prägt mich, weil sie mir einen geschärften Blick auf die von Gott geschaffene Wirklichkeit zur Verfügung stellt. Sie lässt mich in eine neue Art von Dialog mit meinen Söhnen treten. Denn Mittelerde vermittelt Bilder und Bewertungen, die wir gemeinsam teilen können.

Buchtipp: C. S. Lewis für eine neue Generation

Strebel, Hanniel, C. S. Lewis für eine neue Generation, Folgen Verlag 2017, Amazon-Link
Dies ist der erste Band von Hanniel Strebels Buchserie über verschiedene Vorbilder des Glaubens des 20. Jahrhunderts. Clive Staples Lewis ist vor allem durch sein siebenbändiges Werk „Die Chroniken von Narnia“ bekannt. Lewis war eigentlich ein Literaturwissenschaftler, der Christ wurde, und versuchte, seinen starken Intellekt mit seiner Phantasie zu verknüpfen und daraus vor dem Hintergrund des biblischen Weltbildes neue Literatur zu erschaffen. Deshalb ist sein Lebenswerk auch so vielfältig, denn er fand sehr viele unterschiedliche Formen, um dies zu tun.
Hanniel Strebel stellt das Leben und Werk von C. S. Lewis sehr komprimiert vor, aber doch ausführlich genug, um alles Wichtige zu erwähnen. Zwischen den zwei biographischen Abschnitten im Buch führt Hanniel das Hauptelement von Lewis’ Leben ein: Die Sehnsucht nach der Freude. Bereits im Kindesalter hatte Lewis ein Erlebnis, das ihn prägte: Eine unbeschreibliche Freude. Doch er merkte: Er konnte diese nicht selbst herstellen, sondern sie nur suchen; ab und zu wurde er von ihr überrascht. Später im Leben merkt Lewis, dass es eigentlich Jesus Christus war, den er suchte.
Da ich das Leben von Lewis und viele seiner Bücher bereits kannte, war für mich vor allem der letzte Abschnitt des Buches interessant: Lernfelder. Was können wir von C. S. Lewis’ Leben für uns lernen? Was kann er uns für den Alltag mitgeben? Der wichtigste Punkt ist für Hanniel – und ich stimme ihm darin zu – dass Vernunft und Phantasie (Imagination) keine Gegensätze sind, sondern zusammen ein enorm kräftiges Werkzeug sind, das zu Gottes Ehre gebraucht werden kann, darf und soll. Ich möchte das Buch besonders für junge Menschen empfehlen, die Lewis besser kennenlernen möchten. Hanniel schafft es sehr gut, gerade diejenigen Details herauszuarbeiten, die noch nicht so weitherum bekannt sind.

Vorwort zu „Francis Schaeffer für eine neue Generation“

Für das Buch von Hanniel Strebel über Francis Schaeffer durfte ich das Vorwort verfassen. Strebel, Hanniel, Francis Schaeffer für eine neue Generation, Folgen Verlag, 2017, eBook, Link
Eine der zahlreichen Personen, welche ich gerne kennengelernt hätte, ist Francis August Schaeffer. Leider war er, als ich im Sommer 1985 zur Welt kam, bereits seit 14 Monaten tot. Aber in seinen Schriften hat er einen reichen Schatz an Weisheit hinterlassen, für den ich sehr dankbar bin. Meine und die nachfolgenden Generationen dürfen von diesem Schatz zehren. Doch leider ist sein Werk schon heute nicht mehr so bekannt wie es sein sollte. Deshalb bin ich Hanniel Strebel sehr dankbar, dass er versucht, diesem Mangel entgegenzuwirken.
Eine Facette von Francis Schaeffers Leben und Werk möchte ich aufgreifen, weil sie mir sehr wichtig geworden ist. Auf dem christlichen Büchermarkt gibt es immer mehr Bücher von Menschen, welche ihre Zweifel am Glauben vermarkten wollen. Es ist klar, dass man sich damit Gehör verschaffen und provozieren kann. Interviews sind interessanter, wenn dabei kontrovers diskutiert wird. Solche Bücher und Personen heben sich in der schieren Menge der neuen Titel ab, da sie eben in Zweifel ziehen, was das Christentum seit vielen Jahrhunderten lehrt. Und nun ist es so, dass die Leser dieser Bücher auch eine ganze Menge lernen: Sie lernen eine Person kennen, die keine besseren Antworten auf ihre Fragen gefunden hat, als eben jene Zweifel. Sie lernen, dass das Zweifeln eine Tugend sei, weil es angeblich zu mehr Authentizität oder Echtheit führen würde.
Francis Schaeffer war ein Mann, dem Zweifel vertraut waren. Auch er hatte eine längere Krise des Glaubens. Doch im Gegensatz zu den heutigen Zweiflern wusste er noch, wie man mit Zweifeln ehrlich umgeht. Er war bereit, seinen ganzen Glauben in die Waagschale zu werfen. Er war früher Agnostiker und war bereit, dorthin zurückzukehren, wenn er seine Zweifel nicht ausräumen konnte. Er ging in dieser Zeit die gesamte Grundlage des christlichen Glaubens durch und kam zum Schluss, dass die Bibel vollkommene Wahrheit ist. Dieser Mut fehlt den heutigen Zweiflern zu oft und so verschanzen sie sich in einem „progressiven“, also angeblich „fortgeschritteneren“ Glauben. Viele dieser gesellschaftlichen Veränderungen hatte Francis Schaeffer mit geradezu prophetischem Scharfblick vorhergesehen und mit großer Liebe und Klarheit angesprochen. Deshalb möchte ich dieses Buch von Hanniel Strebel als kurze Einführung, aber auch das gesamte Werk von Schaeffer meinen geistlichen Geschwistern aller Denominationen und Konfessionen ans Herz legen. Möge Schaeffers schriftlicher Schatz einen wichtigen Platz in unseren Gemeinden und Kirchen einnehmen und uns alle stärken und zu mündigen Geschwistern machen.
Jonas Erne, lic. theol., Gemeindereferent, Blogger

Buchtipp: Francis Schaeffer für eine neue Generation

Strebel, Hanniel, Francis Schaeffer für eine neue Generation, Folgen Verlag, 2017, eBook, Link
Francis Schaeffer, der Mann, der vor bald 33 Jahren gestorben ist, der davor in den Schweizer Alpen ein Glaubenswerk aufgebaut hat, das weltweit viel Frucht gebracht hat, von dem tausende von jungen Menschen auf der Suche profitiert haben. Dieser Mann, der mir in vielen Dingen ein Vorbild ist, wird im neuen Buch von Hanniel Strebel „Francis Schaeffer für eine neue Generation“ vorgestellt. Schaeffer war ein sehr feinfühliger Mann, der mit scharfem Intellekt, einem Gespür für das Wesentliche und einer riesigen Portion Nächstenliebe den Studenten und Besuchern half, den christlichen Glauben lebensnah zu entdecken. Er wusste, was Glaubenskrisen und Zweifel sind, da er sie am eigenen Leib erfahren hatte. In seinem kurzen Buch stellt Hanniel das Leben und Wirken, aber auch die Bücher vor, die Schaeffer geschrieben hatte. Für die meisten von uns sind die Bücher der einzige Zugang zu Schaeffer; es sei denn, wir kommen mit den von ihm geprägten ehemaligen Studenten in Kontakt.

Ich finde die Idee, die hinter der Buchserie steckt, sehr wertvoll. Der Autor stellt verschiedene wichtige christliche Denker vor. Im ersten Band C. S. Lewis, in einem späteren Band soll etwa auch J. I. Packer vorgestellt werden. Es geht darum, dass dies in jeweils einem kurzen Band geschehen soll, der in einer Sitzung gelesen werden kann.
Ich bete, dass Gott uns neue Denker wie Lewis und Schaeffer schenkt, die auch der neuen Generation ins Leben sprechen können, sie verstehen und auf die Widersprüche in ihrem Denken aufmerksam machen können. In aller Geduld und Liebe, aber auch in aller nötigen Deutlichkeit. Möge unserer Generation das Buch von Hanniel zu einem solchen Segen werden und uns zu dem zurückrufen, was uns Schaeffer schon vor vielen Jahren zu sagen hatte.