Datenschutz: Warum mir meine Daten in den Händen privater Unternehmen lieber sind

DSGVO ist in aller Munde. Dieses neue Gesetz soll meine Daten davor schützen, dass sie von privaten Unternehmen missbraucht werden. Zahlreiche Blogger haben ihre Blogs stillgelegt, weil sie zu unsicher sind, mit welchen Mitteln sie diesem neuen Gesetz entsprechen können. Kleinere und mittlere Unternehmen, besonders jene mit Online-Dienstleistungen, sind am stärksten betroffen. Dann auch Fotografen, Vereine, und so weiter. Ich wage es nun mal, etwas weiter zu denken und erkläre, weshalb es mir lieber ist, wenn meine Daten in den Händen privater Unternehmen sind als in den Händen des Staates.

Als ich in der Schule zum ersten Mal Informatik-Unterricht hatte, war ich bis dahin immer offline. Am Familien-Computer habe ich geschrieben, ausgedruckt, und per Post versandt. Ein paar Male habe ich bei Freunden zugesehen, wie diese ihr Internet nutzten. Es waren noch andere Zeiten, jene von Windows 95, welches gerade relativ frisch die Heim-PCs eroberte. Auf den Schulcomputern war Mac OS 7 installiert. Die erste Frage im Unterricht war: Wer hat noch keinen eMail-Account? Das war meine erste Erfahrung mit Datenschutz und dem Austausch von Daten. Ohne eMail-Adresse lässt sich inzwischen (und das war schon damals nicht so viel anders) nur sehr wenig online und in vielen Fällen auch offline machen.

Meine meistgenutzten eMail-Adressen laufen bei GMX. Es gibt verschiedene Optionen, zwischen welchen jeder von uns wählen kann, wenn es um die Frage einer Mailadresse geht. Es gibt Angebote für werbefreie Adressen, für welche man einen monatlichen Betrag zahlt. Oder jeder der Internetspeicher (Webspace) und eine Domain mietet, kann sich eine Mailadresse generieren. Auch da entstehen regelmäßige Kosten. Die meisten Menschen nutzen eine Variante, bei welcher sie (wie ich auch beim „kostenlosen“ GMX-Account) mit ihren Daten bezahlen. Wer dieses Angebot nutzt, gibt dem Anbieter das Recht, seine Daten an andere Firmen zu verkaufen, um damit die Kosten wieder reinzuholen, die für die Bereitstellung von eMail-Speicher, Wartung, Personal und vielem mehr entstehen. Von nichts kommt nichts, deshalb ist das vollkommen legitim, und jeder einzelne von uns hat die Freiheit, sich für eine andere Variante zu entscheiden.

Alle diese Unternehmen sind Konkurrenten, jede versucht, mit den Daten und allen ihren Dienstleistungen den größtmöglichen Profit zu machen. Das ist genau richtig so, denn auf diese Art können alle Kunden (die User und Nutzer dieser Dienstleistungen) mitbestimmen was in Zukunft wichtig sein soll. Es ist die demokratischste Art überhaupt, weil Kunden da König sind und mit ihrem Kauf- oder Nutzverhalten das zukünftige Produkt bestimmen können. Wenn jeder von uns oder eine große Mehrheit von uns anfangen würde, die AGBs der Anbieter genauer zu lesen und nur Angebote der Anbieter mit den strengsten Datenschutzregeln nutzen würde, dann wäre DSGVO rei8ne Makulatur, weil dann jedes Unternehmen gefordert wäre, die anderen mit noch strengerem Datenschutz zu überbieten. Vermutlich bleibt dies ein Traum, aber es wäre letztendlich die einzig sinnvolle Möglichkeit, um alle Unternehmen dazu zu bringen, sich um den Datenschutz richtig zu kümmern. Solange unser Nutzerverhalten signalisiert, dass uns unsere Daten egal sind, solange wir nur alles möglichst kostenlos nutzen und profitieren können, wird sich da nichts ändern – und die Regierungen werden weiterhin das Gefühl haben, dass es ihre Aufgabe sei, sich Gesetze dafür zu überlegen, welche in der Praxis jedoch nur den kleinen Unternehmen schaden werden.

Viel kritischer sehe ich jedoch, dass die staatlichen Ämter weiterhin beliebig Daten sammeln und verarbeiten dürfen – und dazu noch nicht einmal meine Erlaubnis brauchen. Warum müssen wir dem Staat misstrauen? Es geht nicht um ein zwingendes Misstrauen gegen jede Regierung, sondern auch um die Frage: Was passiert, wenn eines Tages Menschen ans Regieren kommen, die es nicht mehr gut mit dem Bürger meinen? Was ist, wenn eine nationalistische, kommunistische, ökofaschistische oder sonstwie totalitäre Regierung den Gang durch die Institutionen antritt und Verantwortung bekommt? In ihrem Roman „Leere Herzen“ (Link) beschreibt Juli Zeh auf erschütternde Weise das mögliche Leben unter der „Besorgte Bürger Bewegung“. In Romanen von Aldous Huxley und George Orwell sind ähnliche Beschreibungen des Lebens in sozialistischen Regimes zu finden.

Demokratie ist immer etwas Zerbrechliches, etwas, was gehütet und zuweilen auch neu erkämpft werden muss. Wer die weltweit immer wieder zu hörenden Rufe nach starken Regierungen, mehr Eingriffen oder auch nach dem „starken Mann“ wahrnimmt, und sich die Entwicklungen etwa in Russland, der Türkei, den USA oder auch Ungarn oder Polen (das zur Zeit mit der Errichtung der Einparteienregierung die Grenzen der Belastungsfähigkeit der EU testet) etwas näher ansieht, wird den Eindruck nicht los, dass neben dem Postfaktizismus auch die Postdemokratie auf der Weltbühne zunehmen könnte. Auch Bestrebungen, der EU mehr Macht über die einzelnen Staaten zu geben, sind in der Hinsicht kritisch zu sehen.  Wo die Demokratie überwunden wird, ist es mit der Freiheit nicht mehr besonders weit her. Und so gesehen: einer möglichen totalitären künftigen Regierung, die von ihren Vorgängern meine Daten erbt, möchte ich auch jetzt schon nicht über den Weg trauen. Deshalb wäre ich vor allem für mehr und transparenteren Datenschutz durch den Staat, während ich gerne selbst aussuche und es als Privileg erachte, meine Daten in Freiheit den Unternehmen anzuvertrauen, von welchen ich überzeugt bin, dass sie größtmöglich verantwortlich damit umgeht. Keiner muss Facebook, WhatsApp, Twitter, Google oder was auch immer für Unternehmen vertrauen. Jeder hat die völlige Freiheit, sich dort überall nicht anzumelden oder mit Anmeldung nur gerade das preiszugeben was jeder wissen darf. Auch per eMail sollte man – egal welche Art von Adresse man nutzt – immer nur das schreiben, was man auch hinten auf eine Postkarte schreiben und per Post versenden würde. Ungefähr so sicher sind eMails. Anderenfalls sollte man auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung achten, was wiederum mit einigem Aufwand verbunden ist.

Mein Traum wäre, dass der mündige Internetnutzer lernt, verantwortlich mit seinen Daten und Inhalten umzugehen, so verantwortlich, dass gar kein gesetzlicher Datenschutz nötig wäre. Ob der realistisch ist oder nicht, sei vorerst mal dahingestellt. Jedenfalls würde ich mich freuen, wenn noch mehr Menschen mit mir mitträumen würden. Und irgendwann, wenn wir genügend Träumer sind, könnte es sein, dass wir aufwachen und feststellen, dass genau das geschehen ist. Who knows?

Marina Weisband, ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschlands, hat den ersten Beitrag zur DSGVO geschrieben, den ich wirklich treffend fand. Hier geht es zum Artikel (Link). Allgemein gesehen sind Datenschutz, Verschlüsselung und Sicherheit im Internet Themen, bei welchen wir von den Piraten lernen können.